Das Willkommen eines Kreuzträgers

II.

 

„Hilf uns, Herr, in der Not, denn Menschenhilf ist eitel.“ (Ps 59, 13)

 

Vor der Kommunion

Menschenhilf ist eitel — nicht aus Mangel an Geduld, Klagen über Schwierigkeiten anzuhören oder an Anstrengung, sie zu lösen, oder an Liebe, sie zu würdigen, oder an Güte, ein Mittel zu suchen und an die Hand zu geben. Guten Willen finden wir in Fülle, mehr als wir ein Recht haben zu verlangen. Aber es gibt Zeiten und Nöte, wo dieser gute Wille unsäglich wenig vermag.

Ja, wahrhaftig, Menschenhilf ist eitel. Er allein kann sichere Hilfe in Leiden verschaffen, er, der uns durch und durch kennt, bis in die innersten Falten unseres Herzens, er, dem jeder Einfluss, der vom Anfange an auf dasselbe ausgeübt wurde — jeder Akt des Willens, der zur Besserung oder Verschlimmerung unseres Charakters mitgewirkt hat, bekannt ist, welcher weiß, wie ausgedehnt die Möglichkeit, Gutes oder Böses zu tun, vor uns liegt, welcher das innerste Wesen von Schuld und Verdienst kennt, das seit dem Gebrauche unserer Vernunft mit jedem unserer Gedanken, unseren Worten und Werken verbunden ist, welcher unsere Unwissenheit und Gebrechlichkeit sieht, die ihn in den Stand setzen, überfließende Entschuldigung für uns zu finden, sowie auch den guten Willen, den er so bereitwillig lobt und belohnt. Er kennt unsere Erziehung und er weiß, wie Vaterhaus, Freunde und Vergnügungen, wie die Kämpfe, Sorgen und Kümmernisse des Lebens uns ihren Stempel aufgedrückt haben. Er kennt die uns eigentümliche Beschaffenheit und berechnet aufs Genaueste unsere Kräfte, unsere Hilfsmittel, unsere physischen, moralischen und geistigen Mängel. Er kennt den Druck, der durch die Einförmigkeit der Pflichten und durch die Schwierigkeiten des Alltagslebens auf unseren Geist und unser Temperament ausgeübt wird, er kennt die noch härteren Prüfungen und Ängste mit jenen und für jene, die wir lieben. Die genaue Beschaffenheit unserer geistigen Kämpfe, sowie auch die Ursachen von außerordentlichen, unseren Begriff übersteigenden Wechselfällen liegen klar vor ihm. Wie es kommt, dass Finsternis unsere Seele überfällt, so plötzlich, wie der Nebel über die See fällt; warum die Gnade uns triumphierend durch eine Prüfung trägt, und in einer anderen uns die Wirkungen unserer eigene Schwäche und Unzulänglichkeit fühlen lässt: das ist das Geheimnis dessen, der alles lieblich anordnet. Er kennt das genaue Maß von Gnaden hienieden und von Glorie drüben, das wir nach seinem Willen erreichen sollen; er weiß, wo wir seine Pläne fördern und wo wir sie durchkreuzen.

Wir schauen dem Spiel der Mücken an Sommerabenden zu, aber das Auge kann den Verwicklungen ihres verwirrten Tanzes nicht folgen. Nicht so ist es mit uns und dem Gott, der uns erschuf. Auf jedem Pfade, den wir von der Wiege bis zum Grabe wandeln, durch das ganze Wirrsal mannigfaltiger und widerstreitende Einflüsse, unter die wir geraten, folgt uns sein Auge mit unermüdlicher Teilnahme und einer Sorgfalt, deren Zärtlichkeit unbegreiflich ist. Was immer von außen uns beeinflusst, was uns entzückt oder entrüstet, der verwickelte Gedankengang, das Spiel der Einbildungskraft, die Ebbe und Flut der Leidenschaft, die freiwilligen Akte der Wahl, all die Kreuzung und scheinbare Verwicklung der Fäden unseres Lebens, all das steht klar und deutlich vor ihm; klar und deutlich sieht er deren Stellung zu unserer Bestimmung, die sich aus den Handlungen unseres Willens in der Ausübung seines furchtbaren, aber erhabenen Vorrechtes der Freiheit entwickelt.

Ja, wahrlich, mit Vertrauen dürfen wir uns nähern. Denn er ist nicht nur Schöpfer, obgleich das allein schon lieblich wäre, er ist auch Vater und Freund. Er kennt und liebt uns, er fühlt und sorgt für uns. Wenn er zulässt, dass es dem guten Willen unserer Umgebung misslingt, uns Hilfen in unseren Leiden zu bringen, so will er uns dadurch zwingen, in seine offenen Arme zu kommen und an seinem Herzen Ruhe zu finden. Niemand hat nötig, ihm die Geheimnisse des Herzens aufzudecken; er kennt die Menschen durch und durch. „Sein Auge wachte über ihr Herz.“ (Sir 17,7) „Jedes Herz wird von ihm begriffen.“ (Sir 16,20)

Die Musiker spannen und zerreißen manchmal die Saiten ihrer Instrumente. Sie überschätzen deren Fähigkeit und Widerstandskraft. Doch das weit zartere Instrument, unsere Seele, ist noch nie von der Hand seines Schöpfers über seine Leistungsfähigkeit hinaus angestrengt worden. Er kennt es durch und durch: seine Kraft, seine Ohnmacht, sein Erzittern in der Freude und im Schmerz. Er, der das geknickte Rohr nicht brechen will, er hat nie die lebenden Saiten der „Harfen Gottes“ (Offb 15) zerrissen. Ja, noch mehr, er spannt sie nur, um die Harmonie herzustellen für das himmlische Konzert, bei dem sie mitwirken müssen für das Magnificat, in welchem jede ihre bestimmte Aufgabe hat. Möchten wir wohl beiseite gesetzt werden? Weigern wir uns gegen unsere Schulung? Empören wir uns, wenn seine Hand uns berührt, oder finden wir diese Berührung zu drückend, zu lange während? Wünschen wir weggeschleudert zu werden, dorthin, wo nimmer endender Zwist, „wo keine Ordnung ist, sondern ewiger Schrecken wohnt?“ (Job 10, 22)

Mein Gott, ich übergebe mich in deine Hände! Oh, wenn ich wüsste, für was du diese meine Seele erschaffen und welche Melodie du aus diesem Werke deiner Hände ziehen kannst, mit welch freudigem Entzücken würde ich mich dir überlassen, um auf die Aufgabe vorbereitet zu werden, die mich treffen wird in jener Lobhymne, welche die Schöpfung nach Vollendung der Zeiten dir darbringen wird.

 

Nach der Kommunion

„Gesegnet sei Gott, der Herr, heute.“ (3. Reg 5, 7)

„Lobe, meine Seele, den Herrn und vergiss nicht all seine Wohltaten!“ (Ps 102, 2)

„Lobsinget unserm Gott, alle seine Diener und die ihr ihn fürchtet, klein und groß!“ (Offb 19, 5)

„Lobet den Herrn, denn gut ist der Herr, lobsinget seinem Namen, denn er ist lieblich!“ ( (Ps 134, 3)

„Er hat gesättigt die arme Seele, die hungernde Seele gesättigt mit Gütern.“ (Ps 106, 9)

„Würdig bist du, oh Herr, unser Gott, zu empfangen Preis und Ehre und Kraft.“ (Offb 4, 11)

„Armen! Lob und Herrlichkeit und Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Kraft sei unserem Gott in alle Ewigkeit. Amen!“ (Offb 7, 12)

 

Herr, komme heute zu mir, um mich zu lehren, wie ich alles aus deiner Hand annehmen soll, ohne mich zu beklagen oder andere zu tadeln, wenn Leiden kommen. So handelt die Welt. So nimmt sie das auf, was sie Missgeschick und Unglück heißt. Doch deine Diener sehen die Dinge von einem höheren Gesichtspunkte aus. Sie wissen, dass derjenige, der sie aus Liebe geschaffen und ihnen in seiner Liebe eine Ewigkeit voller Wonne, ohne Schmerz, ohne Enttäuschung, ohne Wolken am Himmel ihres Glückes bereitet hat, von ihnen erwartet, dass sie in den kleinen Sorgen dieses kurzen, schnell vergänglichen Lebens auf ihn vertrauen. Er verlangt nicht von ihnen, — dass sie das, was er sendet, immer lieben, auch der Herr hat es nicht getan, — sondern dass sie es als Schulung hinnehmen, mutig und ergeben, überzeugt, dass sie dadurch tauglich werden für jenes Leben vor dem Throne Gottes, dessen Freude kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und die in keines Menschen Herz gekommen ist.

„Gedenke, dass du sein Werk nicht kennst... Ein jeglicher schauet aus der Ferne.“ (Joh 36, 24 f.) Wir können unmöglich die unerforschlichen Wege Gottes klar sehen und verstehen. Aber wir haben sein Versprechen. „Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht, aber du wirst es nachher einsehen.“ Dem Glauben und der Hoffnung ist so kurze Zeit zugemessen, in welcher sie Gott verherrlichen sollen, dass in ihrem Dienste kein Wanken und Schwanken vorkommen soll. Von den drei göttlichen Tugenden wird die Hoffnung am wenigsten beachtet. Wir machen uns ein Gewissen über Fehler gegen den Glauben und gegen die Liebe, aber gegen die Hoffnung sündigen wir fortwährend ohne den geringsten Skrupel. Und doch ist sie uns nicht weniger eingeschärft als die beiden anderen, deren Resultat sie ist. Wenn Glaube und Liebe das sind, was sie sein sollen, dann pflegt die Hoffnung strahlend und stark zu sein. Fester Glauben und innige Liebe erzeugen die Hoffnung, wie die blaue und gelbe Farbe, wenn sie im Regenbogen zusammenschmelzen, das zarte Grün erzeugen.

Kann ich Misstrauen hegen gegen eine von Ewigkeit stammende Liebe? Kann ich Unglück fürchten, wenn ich geborgen bin in den Armen des Ewigen? Soll ich klagen und mich fürchten, wenn meines Vaters Wege „unergründlich“ sind, oder soll ich die Zärtlichkeit dessen bezweifeln, der sich meiner mehr als eine Mutter erbarmen wird? (Sir 4, 11)

Alles kommt mir unmittelbar von Gott zu, immer, immer, immer, und wenn ich will, kann ich das menschliche Element ganz und gar ausschließen.

Alles — gerade diese Dinge, die mich auf so harte Proben stellen, dieses  besondere Kreuz, diese eigentümliche Schwierigkeit, diese seltsam verwickelten Umstände — alles.

Kommt unmittelbar — keine Person, keine Ereignis tritt dazwischen, um die Dinge von ihrem bestimmten Laufe abzuwenden —, sondern alles kommt unmittelbar von Gott.

Von Gott — der mich durch und durch kennt, meine Bedürfnisse, meine Wünsche — die mir notwendige Läuterung — die Pläne, die er mit mir hat — von Gott, meinem Vater, dem zärtlichsten aller Väter.

Mir zu — mir, seinem Kinde, — das so schwach, so empfindlich, so furchtsam ist, das so wenig ertragen kann — das aber dennoch ihm gefallen, ihn befriedigen, das sich seinem Willen anpassen und seine Liebe erwidern möchte.

Immer, immer, immer — also diesen Morgen, diesen Nachmittag, trotz der Umstände, die scheinbar anzeigen, dass gerade dieses eine nicht von ihm hatte kommen können, immer, immer — denen die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten. (Röm 8, 28)

Und wenn ich will — selbstverständlich will ich! Wie sollte ich die Wahrheit nicht lieben, — wie sollte ich Gott nicht gerne sehen, wo immer er sich zeigt! Indessen verbirgt er sich gar oft und oft zeigt er sich in anziehungsloser Gestalt. Doch, wo immer er sich zeigt, sei es umgeben von Glanz auf dem Tabor oder über den See schreitend im Nebel des Morgens, die Liebe erkennt ihn schnell und ruft: Dominus est! Es ist der Herr!

Ich kann das menschliche Element ausschließen; oh gerade das ist am schmerzlichsten. Wie Petrus auf den stürmischen Wogen, so wenden auch wir unser Auge von Jesus ab zu den Geschöpfen hin; Verwirrung erfasst uns und wir beginnen zu sinken. Das Menschliche ist das Ärgste bei den meisten Versuchungen. Warum also schaue ich auf dasselbe? Warum schließe ich es nicht aus, da ich es in aller Wahrheit tun kann? Eine Gattin, die von ihrem Gatten eine Botschaft empfängt, hält sich nicht damit auf, den Boden zu betrachten. So darf auch ich mich nicht bei dem aufhalten, was als Mittel dient, es hat keinen Wert für mich. Die Kunde von ihm, den ich liebe, das Wort, das mir von ihm zukommt, der Wunsch, seinen Willen zu erfüllen, soll mich ganz und gar in Anspruch nehmen. Dominus est! Es ist der Herr! Herr, was willst du, dass ich tue?

Oh Herr, mein Gott, gib mir den wolkenlosen Glauben, der dich und dich allein sieht in allem, was über mich kommt — in allen Ereignissen, in allen Freuden und Leiden, in Gesundheit und Krankheit, in Erfolg und Misserfolg, bei guten und schlimmen Nachrichten, in Unglück und Missgeschick, im Überdruss und Trost und in Seelenkämpfen! Gib mir nicht nur Licht, dich zu sehen, sondern auch Liebe, dich zu umarmen, immer und überall, du mein Anfang und mein Ende, mein Herr und mein Gott!

 

Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix