Das Willkommen eines Kranken

I.

 

„Es ging eine Kraft von ihm aus und heilte alle.“ (Lk 6, 19)

„Und wo er in die Flecken, oder in die Dörfer, oder in die Städte einzog, legten sie die Kranken auf die Gassen und baten ihn, dass sie nur den Saum seines Kleides berühren dürften, und alle, die ihn berührten, wurden gesund.“ (Mk 6, 56)

 

Vor der Kommunion

Wie groß muss die Aufregung gewesen sein, wenn er in einer Stadt erwartet wurde, wie groß die Sehnsucht der Kranken, wie groß die Freude ihrer Angehörigen, als sie dieselben in Reihen längs der Gassen legten, um sein Kommen zu erwarten! Hier eine Gruppe von Kindern, rings um den sterbenden Vater. Dort eine Mutter, schon seit Jahren an das Krankenlager gefesselt, von ihren Töchtern getragen. Hier in der Ecke ein Knabe mit seinem blinden Großvater. Und alle wachen und warten in atemloser Ungeduld. Sie alle hoffen nicht nur, nein, sie sind sicher, dass ihre Kranken geheilt nach Hause gehen werden — der Vater inmitten seiner erfreuten Familie, die Mutter mit ihren Töchtern wandelnd, der seit Jahren Blinde mit Wonne in das Antlitz seines kleinen Enkels und Führers schauend. Können wir uns in eine solche Lage versetzen, solch eine Erwartung, solch ein Jubel uns vorstellen? Schon vor dem Weggange ist ein Platz bei Tische bereitet worden, das Krankenlager hat man entfernt, weil es ja für die Zukunft unnötig sein wird. Die Kinder stehen am Wege; sie geben acht, um zuerst den Herrn zu erblicken, und brechen in Freudenrufe aus, wenn sie längs des weißen, staubigen Weges Zeichen des Nahens der ihn begleitenden Menge gewahren.

Und er kommt heute — zu mir!

Dein Besuch, oh Herr, wird dich an die ehemaligen Tage von Galiläa und Judäa erinnern, als dich eine Menge von Tauben, Stummen, Lahmen und Blinden umringte. Und ich werde an jene wenigen Tage erinnert werden, da du durch deine Handauflegung alle heiltest. Das Werk, das du in meiner Seele verbringen willst, war für dich ein stärkerer Beweggrund, vom Himmel auf die Erde herabzukommen, als die Heilung von körperlicher Krankheit. Wenn es dir gefiel, dich so liebevoll bei geringeren Bedürfnissen zu zeigen, so geschah dies, um mich zu ermutigen, auf dass ich mich dir nahe, dich in der heiligen Kommunion mit Glaube und Vertrauen empfange und dir, dem göttlichen Arzte, die Wunden meiner Seele, zum Zwecke der Heilung, offenbare. Das zu tun, bin ich jetzt gekommen. Siehe mich zu deinen Füßen knien, habe Mitleid mit mir und hilf mir!

Ich bin aussätzig — bedeckt mit den hässlichen und gefährlichen Geschwüren meiner vielen Sünden. Herr, wenn du willst, kannst du mich rein machen. Sprich zu mir: „Ich will, sei rein!“

Ich bin krank und schwach — und bleibe oftmals stehen auf dem Wege zu meinem Ziele; gar bald bin ich ermüdet und leicht entmutigt; ernster und andauernder Anstrengung bin ich nicht gewachsen, nur zu gerne möchte ich Bequemlichkeit und Ruhe haben.

Ich bin blind. Was andere klar sehen, das ist für mich dunkel und verworren: dass die Ewigkeit herannaht, schnell herannaht; dass ich mich auf den Tod und das Gericht vorbereiten muss; dass ich mein Leben nur einmal durchlebe; an all dieses glaube ich, wie der Blinde an die Farben. Aber solch ein Glaube reicht nicht hin, um mein Leben demgemäß einzurichten. Die Augen meiner Seele müssen geöffnet werden, damit ich wahrnehme, was ich durch den Glauben festhalte. Mache mich sehend, oh Herr!

Ich bin blind für die Schönheiten der sichtbaren Schöpfung, die dich, die ewige, unerschaffene Schönheit, widerspiegelt und die ihren Zweck verfehlt, wenn sie nicht meine Seele zu dir in Lobpreis und Dank erhebt. Ich bin blind für die ungleich schöneren Schöpfungen der Gnade in den Seelen derer, die mich umgeben. Geringfügiges reicht hin, mein Licht zu verdunkeln. Ein dünner Schleier genügt, dich mir zu verbergen. Wie oft würde ein stärkerer Glaube, eine aufrichtigere Wertschätzung mich die Schönheit des nach Gottes Ebenbild geschaffen den Geistes entdecken lassen, wenn sie hindurchleuchteten durch die menschlichen Schwächen, an denen ich Ärgernis nehme. Mache mich sehend, oh Herr! —

Ich bin blind gegen meine Fehler oder wenigstens schnell bereit, das bei mir zu entschuldigen, was ich bei andern so strenge beurteile. Ich bin nachlässig in der mir obliegenden Pflicht zu wachen; ich bin blind gegen das Böse, dass rings um mich geschieht und dem ich Einhalt tun sollte und wofür ich einst zur Rechenschaft gezogen werde. Mein Gott, erleuchte meine Finsternis! Mache mich sehend, oh Herr!

Ich bin taub. Einsprechungen kommen und ich achte nicht darauf. Ich weiß, sie sind deine Stimme, die mich aneifert oder tadelt, die mir einen guten Gedanken, ein gütiges Wort, eine liebreiche Handlung einflößt. Aber wenn mir die Befolgung derselben eine Arbeit, ein persönliches Opfer auferlegt, so tue ich, als hörte ich nicht. Mache mich aufrichtiger, großmütiger gegen dich, mein Gott! Gib, dass ich mich freue, so oft du mir deinen Willen kundtust in großen Dingen, sowie in kleinen und in solchen, die mich Überwindung kosten! Lass es ein aufrichtiges Gebet sein, wenn ich sage: „Sprich, Herr, dein Diener hört!“

Ich bin stumm. Nicht im Umgang mit jenen, die gleich mir hilfsbedürftig sind, die mir aber nicht helfen wollen oder können. Aber vor dir, oh mein Vater, der du reich an Erbarmen bist, der du allen im Überflusse mitteilest und der du mit liebender Gewalt mich drängst, deine Gaben anzunehmen. In der Gegenwart deiner Schönheit und deiner Güte bin ich stumm. Kein Lob quillt aus meinem Herzen; kein Ruf um Erbarmen kommt über meine Lippen. Ich habe keinen herzlichen Gruß für dich, der du aus so weiter Ferne als Gast zu mir kommst. Oh Herr, öffne meine Lippen, und mein Mund wird dein Lob verkünden! Befreie mein Herz von seinen Banden, damit es sich vor dir ergieße! Lehre mich beten, auf dass ich durch das Gebet Hilfe in allen Nöten von dir erlange!

Aussätzig, lahm, blind, taub, stumm — gewiss, ich bin des Besuches des Arztes bedürftig.

Sei getrost und fasse Mut! Siehe, dein Gott selbst will kommen und dich heilen. „Dann öffnen sich der Blinden Augen, der Tauben Ohren tun sich auf: dann springet wie ein Hirsch der Lahme und die Zunge der Stummen löset sich.“ (Is 35, 5 f.)

„Unsere Seele harret auf den Herrn, denn er ist unser Helfer und Beschützer.“ (Ps 32, 20)

„Alle Augen warten auf dich, oh Herr; du tust auf deine Hand und erfüllst alles Lebendige mit Segen.“(Ps 144, 15.f.)

Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner, Sohn Davids, erbarme dich meiner!

 

Nach der Kommunion

„Den Herrn, meinen Gott, bete ich an, denn er ist der lebendige Gott. „ (Dan 14, 24)

„Betet ihn an, ihr alle seine Engel!“ (Ps 96, 7)

„Erhebet den Herrn, unsern Gott!“ (Ps 98, 5)

„Preiset mit mir den Herrn; lasst uns erheben seinen Namen, zusammen!“ (Ps 33, 4)

„Ich will preisen den Herrn nach seiner Gerechtigkeit und lobsingen den Namen des Herrn, des Allerhöchsten.“ (Ps 7,18)

„Ich will dir danken, Herr, mein Gott, von meinem ganzen Herzen und will preisen deinen Namen ewiglich.“ (Ps 85, 12)

„Lobe, meine Seele, den Herrn, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen!“(Ps 102, 1)

„Der all deine Missetaten vergibt, der all deine Schwachheiten heilt.“ (Ps 102, 3)

„Gebenedeit sei der Name seiner Herrlichkeit in Ewigkeit! Armen, Amen.“ (Ps 71, 19)

„Der Herr wird alle Krankheiten von der hinwegnehmen und die überaus bösen Seuchen Ägyptens, die du kennest.“ (Deut 7, 15)

„Ein größerer Freund als ein Bruder“ (Spr 18, 24) warst du, oh Herr, gegen die Betrübten und die Schwerbeladenen. Kein Geschwür war so ekelerregend, dass du es nicht berührt hättest, keine Krankheit so hartnäckig, dass sie auf dein Wort nicht gewichen wäre: „Alle, die irgendeine Krankheit hatten, wurden zu ihm gebracht, und er legte ihnen die Hand auf und heilte sie.“

Und du — der nämliche wie ehedem — bist nun bei mir. Mit demselben, ja mit noch größerem Mitleid, blickst du auf die Wunden meiner Seele. Ich bin nur zu geneigt zu denken, dass, während die körperlichen Krankheiten dein Mitleid hervorrufen, du nur Zorn und Entrüstung für jene der Seele hast. Und doch sollte deine Güte gegen die Sünder und die Liebe, mit der du ihre Wunden berührst, mir Vertrauen einflößen. Ich werfe mich dir zu Füßen; lass deine heilende Hand auf mir ruhen! Ich warte auf dein Wort, das mir Heilung bringen wird — wenn auch nicht plötzlich, doch allmählich; Heilung meines Stolzes, meiner Heftigkeit, meiner Kälte beim Gebete, meiner lieblosen Zunge, meiner Nachlässigkeit in Erfüllung jener Pflichten, die mir missfallen. Herr, wenn du willst, kannst du mich heilen. Oh sprich doch dieses Wort!

Wenn der Arzt seinen Besuch macht, so erwartet er von der Pflegerin eine vollständige Darlegung des Zustandes ihres kranken Pfleglings. Sie muss ein genaues Verzeichnis halten über Pulsschlag, Atemholen und Temperatur. Sie muss imstande sein, einen Bericht zu geben über Schlaf oder Schlaflosigkeit, über jede Änderung in der Natur der Krankheit und über deren Krisen. In der Abwesenheit des Arztes ist sie ihm Aug’ und Ohr und der Erfolg deiner Behandlung hängt größtenteils von ihrer Wachsamkeit ab und von der wahrheitsgetreuen Schilderung dessen, was sie sieht und hört.

Ich bin die für meine kranke Seele bestimmte Pflegerin. Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich eine sehr gleichgültige, um nicht zu sagen sorglose Pflegerin bin. Ich entziehe mich der Arbeit und kümmere mich wenig um die Bedürfnisse meines Pfleglings. Ich setze ihn der Gefahr aus, Schaden zu nehmen. Ich bin nachlässig in der Darreichung von Nahrung und Arznei. Ich schlafe, wenn ich wachen sollte. Welche Rechenschaft kann ich geben, da meine Kenntnisse so oberflächlich sind und mir das richtige Verständnis zur Krankenpflege fehlt?

Glücklicherweise weiß der himmlische Arzt alles. Er weiß, wie der Mensch beschaffen ist, und bedarf keiner Erklärung. „Jedes Herz wird von ihm begriffen.“ (Sir 16, 20)

„An jedem Orte sind die Augen des Herrn, sie schauen auf die Guten und die Bösen.“ (Spr 15, 3) „Alle Berge des Menschen liegen offen vor seinen Augen alle Wege des Menschen liegen offen vor seinen Augen.“ (Spr 16, 2)

Allweiser und mitleidiger Arzt, vergib meine Nachlässigkeit! Dir vertraue ich meine kranke Seele. „O Gott, ich bitte, heile sie!“ (Num 12, 13) Habe Mitleid mit ihr, weil ich nur eine einzige besitze! Und gib mir das Verständnis und die Kraft, die mein Beruf als Seelenwärterin erfordert und die mir leider fehlen! Krankenpflege fordert unermüdliche Energie, Wachsamkeit, Heiterkeit und einen unerschöpflichen Vorrat von Geduld. Man muss sich der Mühe unterziehen, die Natur der Krankheit, ihre wahrscheinliche Ursache, die Zeit und die Art ihres Beginnes festzustellen — zum Zwecke einer richtigen Behandlung. Morgens und abends muss der Zustand festgestellt und Tag und Nacht gewacht werden. Unkluge Nachgiebigkeit muss standhaft vermieden und Arznei sowohl als Nahrung zur rechten Zeit gereicht werden. Und dennoch schreitet die Besserung nur langsam vorwärts. Die Temperatur steigt bei der geringsten Veranlassung. Der Kranke ist unklug und unbedacht, es treten Rückfälle ein und die ganze Behandlungsweise muss von vorne begonnen werden. Eine gar einförmige Arbeit, wenn sie Jahr für Jahr geschehen muss! Doppelt einförmig vielleicht, wenn der zu behandelnde Kranke meine eigene Seele ist! Nie müde werden der täglich wiederkehrenden Pflichten, der Wachsamkeit, der Vorsicht, bei Rückfällen die Geduld nicht verlieren und nie an meinem Pflegling verzweifeln, — o Herr, das ist hart. Wie würde es stehen um mich und meine Seele ohne die aufmunternden Besuche des Arztes? Er ist gütig und langmütig; er ist gefasst auf Unruhe, Launenhaftigkeit und Verderbtheit. Er bekundet weder Erstaunen noch Widerwillen, noch Enttäuschung, er erträgt alles, glaubt alles, hofft alles. Heute heißen wir ihn willkommen mit freudig strahlendem Angesicht; morgen sind wir niedergeschlagen und entmutigt und haben kaum ein Wort des Dankes für seinen Besuch. Er aber nimmt uns so, wie wir sind. Er kennt unser unvollkommenes Wesen. Wir haben es nicht zu tun mit einem, der mit unsern Krankheiten kein Mitleid haben könnte, wohl aber mit ihm, der gesagt hat: „Nicht die gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“ (Lk 5, 31)

Mut also, meine Seele! „Ist er nicht dein Vater, der dich erworben, der dich gemacht und erschaffen?“ (Deut 32, 6) „Du aber, Gott, bist gnädig, gütig, barmherzig, langmütig und von großer Erbarmung.“ (2 Esdr 9, 17 „Seine Barmherzigkeit währet ewig.“ (Ps 99, 5) „Er wird sich deiner Erbarmen mehr als eine Mutter.“ (Sir 4, 11) „Der Herr wird alle Krankheiten von dir hinwegnehmen und die überaus bösen Seuchen Ägyptens, die du kennst.“ (Deut 7, 15) „Er richtet die Seele auf und erleuchtet die Augen und gibt Gesundheit und Leben und Segen.“ (Sir 34, 20) „Dafür sorget mit Eifer, dass ihr den Herrn, euren Gott, liebet!“ (Jos 23, 11)

„Ich will deine Wunden vernarben lassen, und von deinen Schäden dich heilen, spricht der Herr. (Jer 30, 17) „Heile mich, Herr, so werde ich geheilt sein; hilf mir, so ist mir geholfen!“ (Jer 17, 14)

 

Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix