Das Willkommen eines Gastfreundes

III.

 

Der achte Tag nach der Auferstehung

 

Vor der Kommunion

Wirf einen Blick auf Thomas, wie er abgesondert von den Übrigen im Abendmahlsaale sitzt: Körperlich ist er zugegen, doch teilt er weder ihre Freude und ihre Begeisterung, noch ihren brüderlichen Verkehr; er hat keinen Anteil an der Kraft, welche die Vereinigung gewährt. Er hält sich zwar für geistig stark, dabei ist er trotzig, mürrisch, missvergnügt, schwach. Er ist fern von seinem Meister, für den er alles verlassen hatte; der ihm alles in allem gewesen war. Worin besteht der Unterschied zwischen ihm und den anderen? In der Gegenwart Christi. Sie sind mit Christus auferstanden. ihre Freude, ihre Hoffnung, ihr ganzes Leben, das gewissermaßen mit ihm begraben war, ist mit der Auferstehung wieder erwacht. Für sie ist ihr Meister nicht eine glorreiche Erinnerung aus der Vergangenheit, und zwar umso bitterer wegen der Hoffnung, die sie auf ihn gesetzt hatten, nein, er lebt, liebt und kann jeden Augenblick in seiner glorreichen Auferstehung erwartet werden.

Er kommt! Er steht mitten unter ihnen im Abendmahlsaal, an seinem gewohnten Platze, dem Platze, der jetzt immer für ihn bereit gehalten wird. Siehe, alle Augen schauen unwillkürlich auf Thomas, denn auch des Meisters Augen sind auf ihn gerichtet. Seinetwegen ist er heute Abend gekommen. Beachte die augenblickliche Veränderung, die diese Gegenwart, dieser Blick hervorbringt! Siehe, wie Thomas mit hastigen Schritten ihm entgegeneilt, wie sein Antlitz von Liebe und Scham erglüht! Siehe, wie er vor seinen durchbohrten Füßen niedersinkt! Siehe, wie innig er die Hände faltet, wie er emporblickt und in der Freude seines Herzens ruft: „Mein Herr und mein Gott!“

Oh lieber Herr Jesus, ich danke dir von ganzem Herzen, dass du diesem armen, leidenden Apostel zu Hilfe gekommen bist, dass du diese, was den Glauben betrifft, so langsame, doch treu gesinnte, edle Seele für dich und deinen Dienst wiedergewonnen hast. Wie er, so bete auch ich dich an in Freude und Zerknirschung und gleich ihm übergebe ich mich von ganzem Herzen deinen Händen. Mit ihm begrüße ich dich am heutigen Tage und bekenne dich, verborgen unter dem sakramentalen Schleier, als meinen Herrn und Gott.

Mein Herr — Mensch wie einer aus uns, Heiland, Haupt unseres Geschlechtes, König der Könige, dir gehört mein Dienst, all das Meinige, ich selbst gehöre dir, dir übergebe ich mich ganz, indem ich nichts anderes wünsche, als dass du mich rufen, aufnehmen und über mich verfügen mögest als dein Eigentum für Zeit und Ewigkeit.

Und mein Gott — wahrer Gott vom wahren Gotte, eines Wesens mit dem Vater, durch den alles gemacht ist, der für uns Menschen und um unseres Heiles willen vom Himmel herabgestiegen und Mensch geworden ist.

Mein Gott — zu dem ich in so inniger und zärtlicher Beziehung stehe, dass ich nicht imstande bin, es zu fassen, mein erster Anfang, mein letztes Ende, den ich erreichen und als mein Eigentum für die Ewigkeit sichern muss, wenn ich nicht ewig unglücklich werden will.

Mein Herr und mein Gott — in deinem Wesen vereinigt sich jeder Anspruch auf meine Treue, meine Anbetung, meine zärtlichste Liebe. Teile dich meiner Seele stets mehr und mehr mit! Ich glaube an dich, der du hier wahrhaft zugegen bist, doch vermehre meinen Glauben! Ich hoffe auf dich, doch nicht so, wie deine Güte es verdient. Ich liebe dich, doch nicht so, die ich es wünsche. Möge deine heilige Gegenwart in den häufigen Kommunionen stufenweise das bewirken, was sie bei Thomas in einem Augenblicke wirkte. Möge sie jeden meiner Gedanken, jedes Wort, jeder Handlung beeinflussen. Erwecke in meiner Seele alles, was dich verherrlichen kann, damit ich mit dem, was du mir gegeben, deine Liebe erwidern könne und dass ich zufrieden sei, indem ich dich zufriedenstelle, mein Herr und mein Gott!

 

Nach der Kommunion

Mein Herr und mein Gott!

„Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Mt 16, 16)

„Herr, mein Gott, ewig will ich dich preisen.“ (Ps 29, 3)

„Woher geschieht mir dies, dass mein Herr zu mir kommt?“

„Oh Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehest unter mein Dach.“ (Lk 7, 6)

„Lobe, meine Seele, den Herrn und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ (Ps 102, 1)

„Lobe, meine Seele, den Herrn und vergiss nicht alle seine Wohltaten!“ (Ps 102, 2)

„Preiset den Herrn, alle Diener des Herrn, die ihr stehet im Hause des Herrn, in den Vorhöfen des Hauses unseres Gottes!“ (Ps 133, 1)

„Preiset mit mir den Herrn, lasst uns erheben seinen Namen mitsammen!“ (Ps 33, 4)

„Dies ist Gott, unser Gott in Ewigkeit, auf immer und ewig.“ (Ps 47, 15 )

„Wie vielfältig ist deine Barmherzigkeit, oh Gott!“ (Ps 35, 8)

„So sollen sagen die Erlösten von dem Herrn, die er erlöset hat aus der Hand des Feindes.“ (Ps 106, 2)

„Würdig bist du, o Herr, unser Gott, zu empfangen Preis und Ehre und Kraft.“ (Offb 4, 11)

„Amen! Lob und Herrlichkeit und Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Kraft sei unserm Gott in alle Ewigkeit. Amen.“ (Offb 7, 12)

Mein Gott, ich bete dich an. Doch Anbetung ist mir kaum mehr als ein bloßes Wort. Wenn ich dich sehe, so wie du bist, ergreift mich Staunen über die Herablassung, mit der du meine jetzige Anbetung entgegennimmst. Nicht minder staune ich über die kalte Danksagung hinieden. Oh mit welchem Ungestüm wird meine Seele sich ergießen, wenn die Schranken dieses Lebens fallen! Wie ein mächtiger, lang eingedämmter Strom, der endlich Damm und Deich durchbricht und die Stadt auf allen Seiten überflutet, so wird meine Danksagung im Himmel sein und in schrankenloser Freiheit für immer und ewig in deiner Gegenwart aufjubeln; sie wird ihren Gott verherrlichen und mit aller Kraft ihres Wesens dahin streben, ihm einigermaßen für alles, was er ihr erwiesen, Dank zu sagen.

Warte, oh mein Gott, warte noch eine Weile auf diese Stunde! Jede Stunde liegt klar vor dir. Schon jetzt siehst du mich an meinem Platz vor deinem Throne. Schon jetzt steigt mein Lobpreis empor zu dir und bei diesem Anblick hast du Mitleid mit meinen jetzigen schwachen Bemühungen. Warte, warte eine Weile und ich will dir alles erstatten!

Einstweilen aber lass nicht teilnehmen an den Schätzen anderer! Lass mich teilnehmen an der Anbetung und Danksagung, mit welcher dich Thomas am achten Tage nach der Auferstehung willkommen hieß! Du warst sein Gast im Abendmahlsaale. Seinetwegen warst du gekommen. Ihm verdankten die übrigen die Freude jenes lieblichen Abends. Als dein Gast näherte er sich dir, vor Freude zitternd, um dir Ehrfurcht zu erweisen und seine Langsamkeit im Glauben, die du ihm den Elfen gegenüber zum Vorwurf machtest, zu sühnen und um durch sein glorreiches Bekenntnis die Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in deiner geheiligten Person anzuerkennen.

Mit ihm rufe ich dir, der du wahrhaftig hier gegenwärtig bist, zu: „Mein Herr und mein Gott!“ Glücklicher als er, höre ich, wie deine Lippen jene selig preisen, die nicht gesehen und doch geglaubt haben.

Lehre mich meine Pflichten dir, meinem Gaste, gegenüber! Gib, dass ich sie von Martha und von Thomas lerne! Ein Gastfreund bietet alles auf, seinen Gast zu bewirten. Er vergisst, was ihm selbst gefällt und missfällt, um einzig nur den Geschmack seines Gastes zu berücksichtigen, dessen Behagen und Glück von der aufmerksamen Güte und dem aufrichtigen Willkommen des Freundes, der ihn zu sich geladen, abhängt.

Mein Herr, nun bist du bei mir. „Ich weiß nicht, wie ich eine so große Majestät unterhalten kann; oh möchte ich wenigstens die Vorschriften, welche die Menschen voneinander fordern, nicht verletzen. Lass mich die Gastfreundschaft der Morgenländer und der alten Zeiten dir anbieten, die geringen Dienste, die Güte, welche den ankommenden Gast willkommen heißt und ihm beim Scheiden das Geleite gibt. Ich darf Dich in den kurzen Augenblicken deines Besuches nicht allein lassen, ich muss alle Sorgen beiseite legen, ich muss mich freimachen, um dir aufzuwarten und mich mit dir unterhalten zu können. Und diese Unterhaltung geht über Dinge, die deine Teilnahme in Anspruch nehmen, Dinge, die dir am Herzen liegen. Die Namen jener, die dir lieb und teuer sind, will ich nennen. Ich will die Lasten und Leiden deiner Freunde zu meinen eigenen machen und mich zu allen Diensten anbieten, welche meine Liebe zu ihnen um deinetwillen mir einflößt. Trauern will ich mit dir, oh mein Gott, in deiner Trauer, in deine Pläne will ich eingehen, will mich betrüben, wenn deine Ehre angegriffen wird und Sühne für die dir zugefügte Schmach leisten. Was immer die Kirche und die mit deinem kostbaren Blue erkauften Seelen betrifft, was das Gebet erfordert, das will ich während der kurzen Augenblicke deines Verweilens zum Gegenstand ernster Unterredung mit dir machen.

Dein Lieblingsjünger sagt uns, Herr, dass du dich nicht jedermann anvertrauen wolltest, denn du kanntest die Menschen. Wie kommt es denn, dass du dich mir anvertraust? Wohl deshalb, dass ich zuverlässig werden, dass ich den Schatz der heiligen Eucharistie aufrichtig werthalten und guten Gewinn daraus ziehen soll — ist dem so, oh mein Gott? Ach, gerade weil du mich so gut kennst, solltest du dich des Vertrauens mir gegenüber enthalten; es ist nicht nötig, dass jemand dir sage, was du von mir zu erwarten hast, wenn du dich zu meinem Gaste machst. Und dennoch bist du gekommen.

Ich kann dir bei deinem Besuche nicht vieles bieten, oh mein Gott! Doch, willkommen kann ich dich heißen, umarmen und festhalten kann ich dich. Ich küsse deine Füße, oh Meister! Ich habe kein Geschenk in meinen Händen, um es dir anzubieten, besitze nicht jenen Großmut und jenen Eifer in deinem Dienste, den andere dir darbringen, ich habe nichts als ein demütiges Willkommen, das jedoch alle meine Versäumnisse nicht zurückhalten kann. Und das genügt dir. Wenn du nach deinem Besuche die Schwelle meines Herzens überschreitest, werde ich zufrieden sein, wenn du zu deinen Engeln sprechen kannst: „Sie hat nicht aufgehört, meine Füße zu küssen.“ (Lk 7, 45)

 

Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix