Das Willkommen eines Gastfreundes

I.

 

„Er kam in sein Eigentum und die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1, 11)

 

Vor der Kommunion

So beginnt der Jünger, den Jesus lieb hatte, sein Evangelium. Er, der das heilige Herz besser kannte als die anderen, der an der Brust seines Meisters gelegen und seine Geheimnisse erfahren hatte, er ist es, der uns mitteilt, worin das Hauptleiden dieses liebenden Herzens bestand in jenen Tagen, wo es für Schmerz empfänglich war.

Wer kam? Er, der so lange vorher verheißen war. Er, dessen die ganze Welt so dringend benötigte. Er, der Gott war und daher die Macht besaß aller Not abzuhelfen. Er, der sehnlichst wünschte, uns von unseren Feinden zu befreien, und zu erlösen, uns glücklich zu machen, — er kam.

Wohin? „In sein Eigentum.“ Zu dem Volke, das er aus allen anderen auserwählt hatte, um in besonderer Weise ihm anzugehören; das er mit Wohltaten überhäuft; das er geführt, beschützt, genährt und belehrt hatte; für das er Wunder gewirkt, das er geliebt, gewarnt und dem er sich selber verheißen hatte. Zu dem auserwählten Volke, das nach ihm geseufzt hatte; zu dem Volke, das sich der Zugehörigkeit zu seinem Stamme gerühmt hatte. Zu diesem seinen Eigentum kam er.

Wie kam er? Nicht mit dem Prunk und der Unnahbarkeit eines Königs dieser Welt, schwere Lasten auferlegend, sondern demütig und sanft. Als der gute Hirte, der die Lämmer auf seinen Schultern trägt, der seine Herde auf fette Weiden führt, der dem einen, verlorenen nachgeht, der aufrichtet, was geknickt, stärkt, was schwach geworden; als Arzt, als Freund, als Mitpilger, als Bruder — so kam er in sein Eigentum. Er kam und nahm teil an ihrer Natur, damit sie teilnehmen könnten an der seinigen. Er kam und gab ihnen so viel, als sie zu empfangen fähig waren — Frieden in diesem Leben, Freude sogar inmitten von Trauer, sich selbst unter Brotsgestalt. Und im künftigen Leben eine vollkommene, ewige Glückseligkeit, ausströmend aus seiner unmittelbaren Anschauung, die jeden Wunsch erfüllt. So kam er in sein Eigentum.

Mit welchem Erfolg? „Die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“

Warum? Weil sie Unmögliches wünschten. Sie wollten geheilt werden, ohne sich dem Arzte zu unterwerfen. Sie wollten die Gunst Gottes genießen als seine Kinder, ohne die Sünde zu verlassen, die sie zu seinen Feinden machte.

Sie erwarteten einen Messias, der Reichtümer, Vergnügen und die Ehren dieser Welt auf sie häufen würde, der ihre Herzen an die zeitlichen Dinge heften, ohne dass er sich weiter für die ewigen bekümmern würde. Er aber liebte sie zu sehr, um ihnen das zu geben, was sie wünschten. Und so kam er in sein Eigentum, die Seinen aber nahmen ihn nicht auf.

Was er suchte, war ein Willkommen, was wir ihm gaben, war ein Kreuz, was wir ihm auch jetzt noch für das unaussprechliche Geschenk seiner beständigen Gegenwart entgegenbringen, ist Gleichgültigkeit und Kälte. Er wandelt durch die Welt, ausgestoßen von vielen Herzen:

„Siehe, ich stehe vor der Türe und klopfe an.“ (Offb 3, 20)

Oh Herr, möchtest du stets an meiner Schwelle „Willkommen“ lesen! Müde und mit wunden Füßen tritt ein und bleibe bei mir! Arm ist zwar mein Haus und schmucklos, aber es steht dir immer offen. Wasser will ich dir geben für deine Füße, die Tränen der Zerknirschung; Nardenöl für dein Haupt, den Wohlgeruch der Demut und der guten Wünsche. Vor allem aber will ich dir den Kuss des Willkommens geben. Komm zu mir, alles, was mein ist, steht zu deinen Diensten, über alles, was mir gehört, magst du nach Gutdünken verfügen. Alles gebe ich dir anheim, nimm es wohlgefällig an; ich bin bereit zu jedem Verlust, jedem Opfer, jedem Misserfolg, zu jeder Demütigung, jedem Schmerz des Leibes und der Seele, von jetzt an bis zur Todesstunde.

„So lange bin ich bei euch und ihr kennt mich noch nicht.“ (Joh 14, 9)

Dies ist im Laufe der Weltgeschichte seine stete Klage über die Menschen jeder Zeit. Nicht an die unbelehrten Millionen des Heidentums, zu denen die frohe Botschaft der Menschwerdung und der wirklichen Gegenwart niemals gelangte, die leben und sterben, ohne etwas von ihrem Heiland gehört oder den Weg zu seinen Füßen gefunden zu haben, richtet er diese Klage, auch nicht an die Tausende, die in der Nähe seiner Tabernakel wohnen, deren Augen aber durch die Vorurteile der Geburt und der Erziehung gebunden sind, sondern an diejenigen, die er aus der Finsternis herausgerufen, die sehen, was Könige und Propheten zu sehen gewünscht, für die er seine Lehre und seine Sakramente einsetzte, zu denen er fortwährend spricht, die er einladet, für die er sich jeden Morgen opfert und die er zu seinem Abendsegen ruft, die nur einen Steinwurf weit von ihm entfernt wohnen. Diese sind es, zu denen er Jahr um Jahr spricht: „Solange bin ich bei euch und ihr kennt mich noch nicht?“ An mich, seinen Freund, seinen Vertrauten, richtet sich seine Klage.

„Solange bin ich bei euch.“ Wie lange schon ist er mir nahe dadurch, dass er mir Gelegenheit bietet zur täglichen Messe, zum häufigen Empfang der Kommunion?

„Und ihr kennt mich nicht.“ Das kann die einzige Erklärung meiner Nachlässigkeit ihm gegenüber sein. Wenn ich ihn besser kennen würde, wenn ich die Zärtlichkeit seiner Liebe für mich, sein Verlangen bei mir zu sein, seine Hingebung kennen würde, so könnte ich ihm nicht ferne bleiben, wie ich es tatsächlich tue. Wenn ich die Teilnahme kennen würde, die er an allen Dingen, die mich betreffen, nimmt, so würde ich in meinen Kümmernissen und Sorgen weit öfter den Weg zu ihm finden.

Willkommen, göttlicher Gast, willkommen am heutigen Tage! Erwecke in meinem Herzen eine bessere Übereinstimmung mit dem deinigen. Es geht nicht an, dass alle Liebe auf Seiten dessen sei, der kommt, dass der Gastfreund so wenig mit dem Gaste übereinstimme. Komm und bringe mein Herz in Einklang mit dem deinigen!

Wenn wir den Besuch eines Freundes so recht innig wünschen, so begnügen wir uns nicht mit einer einzigen Einladung. Wir wiederholen sie immer wieder und geben zu erkennen, dass wir eine abschlägige Antwort nicht annehmen würden. Wir scheinen rücksichtslos und setzen uns der Gefahr aus, durch Zudringlichkeit lästig zu fallen. Wir lassen unserem Freunde keine Wahl. Er muss endlich unseren Willen erfüllen. Herr, ich wünsche, dass du heute zu mir kommest. Ich bin deiner nicht würdig, aber ich bitte, ich beschwöre dich, ich wiederhole meine Einladung:

„Komm in meinen Garten!“ (Hohel 5 ,1)

„Komm, mein Geliebter! (Hohel 7, 11)

„Komm, wir wollen uns einander gegenüber sehen!“ (2. Par 25, 17)

„Komm mit mir ins Haus, so will ich dich beschenken!“ (3. Reg 13, 7)

„Komm, Herr Jesus!“ (Offb 22, 20)

 

Nach der Kommunion

„Hochpreiset meine Seele den Herrn und mein Geist frohlocket in Gott, meinem Heiland.“

„Denn Großes hat an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.“ (Lk 1, 49)

 „Preiset den Herrn, ihr Engel des Herrn, lobet und erhebet ihn über alles in Ewigkeit!“ (Dan 3, 58)

„Kommet, lasset uns frohlocken dem Herrn, jubeln Gott, unserem Heilande!“ (Ps 94, 1)

„Lobet den Herrn, denn er ist gut; denn in Ewigkeit währt seine Barmherzigkeit. Wer kann aussprechen die Großtaten des Herrn, verkünden all sein Lob?“ (Ps 105, 1)

„Sie sollen danken dem Herrn für seine Barmherzigkeit, für seine Wunder unter den Menschenkindern.“ (Ps 106, 8)

„Dich sollen preisen, oh Herr, alle deine Werke und deine Heiligen dich rühmen.“ (Ps 144, 10)

„Ich danke dir, Herr, von meinem ganzen Herzen.“ (Ps 137, 1)

„Ich will dich erheben, Gott, mein König, und preisen deinen Namen ewig, ja immer und ewig.“ (Ps 144, 1)

 

Woher geschieht mir dies, dass mein Herr zu mir kommt?

Wir würden nicht wagen, einen König in eine elende Hütte einzuladen. Und würde er gleichwohl kommen, so würden wir die ganze Zeit seines Verweilens wie auf Dornen sein. Ist es Mangel an Glaube, lieber Gott, dass ich die Sache ganz anders nehme, wenn es sich um deinen Besuch handelt? Dann und wann, wenn die Würde meines Gastes mehr als gewöhnlich auf mich eingewirkt, durchzuckt mich ein Staunen der Ehrfurcht oder der freudigen Überraschung. Aber in der Regel schätze ich deinen Besuch nicht viel höher als den eines benachbarten Freundes. Ich lege seinem Besuch keinem besonderen Wert bei; heiße ihn zwar willkommen und er setzt meinen Gruß als selbstverständlich voraus. Kommt er Geschäfte halber, so setzen wir uns zusammen und ohne Zeitverlust beginnen wir das Gespräch. O bester aller Freunde, fehlt mir bei deinem Besuche der Glaube, dass ich dich mit so geringer Feierlichkeit empfange? Ohne Zweifel ist der Fehler teilweise auf meiner Seite. Aber — gestatte, dass ich es ohne Verletzung der Ehrfurcht sage — liegt er nicht auch auf deiner Seite, ist er nicht die natürliche Folge deiner Herablassung, deines Vertrauens, womit du dich uns hingibst? Ohne den geringsten Widerwillen zu zeigen, besuchst du mich in meiner Armut; ja deine Liebe ist so zart, dass sie dies nicht als Herablassung erscheinen lässt. „Siehe, ich stehe an der Türe und klopfe an, wenn jemand meine Stimme hört und mir öffnet, so will ich eintreten und will mit ihm Abendmahl halten und er mit mir.“ „Meine Wonne ist es, bei den Menschenkindern zu sein.“ (Hohel 5, 2) „Öffne mir, meine Schwester, meine Geliebte!“ Ist es ein Wunder, wenn der durch diese Worte kundgegebene, aufrichtige Wunsch mich die unendliche Entfernung, die zwischen uns besteht, vergessen lässt? Wessen Schuld ist es, oh mein Herr? Wenn Tadel gerechtfertigt ist, müssen wir ihn nicht teilen?

Doch von einem anderen Gesichtspunkte aus ist der Fehler gänzlich auf meiner Seite. Wenn dein liebreiches Verfahren das Gefühl der Verpflichtung einerseits abschwächt, so sollte es anderseits die Liebe entflammen. Und das ist deine Absicht, deshalb erleichterst du uns den Zutritt zu dir. Dein liebreiches Sehnen, bei deinen Freunden zu weilen, macht dich zu jeder Stunde bereit, zu mir zu kommen. Wie aber erwidere ich dasselbe? Ist es mein Herzenswunsch, bei dir zu verweilen? Deine Liebe zu mir kann ohne meine Mitwirkung nicht befriedigt werden. Vom Himmel herab auf dem Altar ist dein täglicher Weg. Von meinem Zimmer zur Kirche, das ist der meine. Doch wie oft finde ich auch diesen Weg noch zu lange, das Opfer zu schwer; ich erscheine nicht und beraube dich durch eine Gleichgültigkeit, die fast einer Beleidigung gleichkommt, der Vereinigung, nach der dein Herz so sehr verlangt. Ist denn nichts in mir, das deinem Entgegenkommen entspricht? Doch ja, das eine finde ich ihn mir — Scham und Reue über meine Kälte und den Wunsch, dir für die Vergangenheit Sühne zu leisten.

Ich habe in meiner Brust jenes Herz, das mich während dreiunddreißig Jahren ununterbrochen geliebt hat. Als Kindlein auf Stroh in der Krippe liegend, als Knabe im Häuschen zu Nazareth nachts wachend, als Jüngling in der Dorfwerkstätte hart arbeitend, als Mann im Lande herumwandelnd, predigend, heilend, Wunder wirkend, immer schlug sein Herz in Liebe zu mir. Immer schwächer schlug es am Kreuze während der drei langsam dahinschleichenden Stunden, bis es aussetzte und dann ganz still stand. Und so blieb es drei Tage lang. Doch bei der Dämmerung des Ostermorgens, als es zu einem unsterblichen Leben erwachte, begann es von neuem seine Tätigkeit. Und seit neunzehn Jahrhunderten hat es nimmer aufgehört, für mich zu schlagen, bis dieser Morgen es mit treuer Liebe in mein Herz brachte.

Und für was schlägt mein Herz? Was ist seine Hauptangelegenheit, was nimmt sein ganzes Interesse in Anspruch? Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen. So hat der Herr, mein Gott, mich geliebt. Ist es zuviel, wenn ich ihm mein ganzes Herz als Austausch für das seinige gebe?

Oh mein Gott, hilf mir, eile mir zu helfen! Hätte ich jene Gewalt über mein Herz, die du über dasselbe hast, so würde ich in dasselbe eine Liebe gießen, die einigermaßen der deinigen entspräche. Ich würde alles entfernen, was der gegenseitigen Liebe hindernd im Wege steht. Ich würde nicht dulden, dass Hingabe und Großmut nur auf einer Seite wären. Wann, oh Herr, wirst du für mich tun, was ich nicht selbst für mich tun kann? Wann wirst du deinen Gaben die  Gnade beifügen, dass ich dich liebe, so wie ich es wünsche?“

Judäa wollte dich nicht als seinem König anerkennen, oh dass ich dich ganz zu eigen haben könnte,“ ruft St. Gertraud in Liebe aus. „Mein König und mein Gott!“ (Ps 5, 3) Ich erwähle und bekenne dich jetzt, da du inmitten meines Herzens bist. Gerade so, als wenn du nicht König von Rechts wegen wärest, als ob ich frei wäre, dich zu erwählen oder nicht, als ob ich dich nicht schon oft und oft erwählt hätte, so erwähle ich dich jetzt. Herrsche über alles, was ich bin und habe — über mein Gedächtnis und meine Phantasie, über meinen Verstand und meinen Willen, über alle meine Sinne! Herrsche über meine Gedanken, meine Wünsche, über alle meine Handlungen! Leite und führe jede Bewegung der Seele und des Leibes, jedes Wort meiner Lippen, jede Arbeit meiner Hände, jeden Schritt, den ich mache, damit alles zu deiner Ehre und nach deinem Willen geschehe.

Herrsche über alles, was mir lieb ist und mir nahesteht, über meine Familie und jedes Glied derselben! Ich weihe dir jedes derselben und soweit es von mir abhängt, unterwerfe ich alle deinem Zepter. Blicke auf dieselben herab wie auf einen besonders geliebten Teil deines Reiches! Mache sie dir ergeben, gehorsam deinen Gesetzen, eifrig in Vollbringung deines Wohlgefallens und der Verbreitung deiner Ehre!

 

Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix