Das Willkommen eines Freundes

III.

 

Stimmungen

 

Vor der Kommunion

Unter den Schätzen der Freundschaft, die wir in ausgedehntester Weise und fortwährend in Anspruch nehmen, steht an erster Stelle die Duldsamkeit. Nicht als ob unsere Bedürfnisse so mannigfaltig und so dringend wären, sondern vielmehr weil unsere Stimmung so veränderlich ist. Unsere Launen sind wie die Phasen des Mondes, regelmäßig wenigstens in ihrer Veränderlichkeit. Sie kommen und gehen und üben ihre Wirkung aus auf unser inneres und äußeres Leben. Wir aber können diese Unbeständigkeit ebenso wenig verhindern, als der Mond bewirken kann, dass er immerfort in seinem vollen Glanze leuchte. „Manchmal freudig, dann wieder traurig, jetzt ruhig, dann wieder unruhig; nun getröstet, dann wieder trostlos, das eine mal eifrig, das andere Mal träge, heute schwermütig, morgen leichten Sinnes,“ so schilderte die menschliche Natur einer, der sie wohl kannte; damit aber hat er nur ein Beispiel unserer Unbeständigkeit gegeben. Launenhaft, unentschlossen, stolz, verdrießlich, wunderlich, hartnäckig, widerspenstig, — ein Rätsel sind wir jedermann, nur nicht ihm, der uns geschaffen. Was würde aus uns werden ohne die Freundschaft unseres Gottes, der unsere Stütze ist? Unser Herr ist unsere Hilfe in jeder Lebenslage. Jedem aus uns passt er sich an, und zwar mit einer Bereitwilligkeit und einem Wohlwollen, fern von jedem Vorwurf. Er wird nicht müde uns einzuladen: „Kommet zu mir, ich will euch erquicken!“ Immerdar sind wir ihm willkommen. Nie merken wir, dass unsere Wunderlichkeit oder Verkehrtheit ihn beleidigt. Er empfängt uns mit einem Wohlwollen, dass uns beruhigt und zugleich beschämt. Ohne Klage, ohne Vorwurf hört er unsere einseitige Darlegung bis zum Schluss an. Und wenn das Bewusstsein seines zärtlichen Mitleides unseren Kummer herausgelockt hat und wir durch diese Ergießung unseres Herzens in das seinige beruhigt wurden, dann nimmt er in Liebe sich unser an und heilt unsere Wunden, indem er Öl und Wein hineingießt; erleichtert und gestärkt sendet er uns dann auf unseren Lebensweg weiter. „Geh’ und tue desgleichen,“ so spricht er zu uns, denn seine Freundschaft ist nicht nur unsere Zuflucht, sie ist auch unser Vorbild. Oh Herr, wie wenig habe ich gesucht, mich als Freund nach deinem Beispiel zu bilden. Im Verkehr mit meiner Umgebung fordert Freundschaft einmal Festigkeit, ein andermal Nachgiebigkeit; Selbstverleugnung jedoch, Geduld und Hilfe werden zu jeder Zeit und von allen benötigt. Jesus, göttlicher Freund, mache mein Herz dem deinigen gleich!

In seinem Verkehr mit anderen bewundern wir die Selbstvergessenheit und die göttliche Liebe, womit unser Herr den Bedürfnissen des Augenblickes entgegenkommt. Will etwa St. Matthäus unsere Aufmerksamkeit auf diese Tatsache lenken, wenn er die Anforderungen herzählt, die an einem einzigen Tag an seine Liebe und Freundschaft gestellt wurden?“

„Er lehrte, wo viele beisammen waren, so dass auch draußen vor der Tür kein Raum war, und siehe, sie brachten zu ihm einen Gichtbrüchigen, der auf einem Bette lag. Und Jesus sprach zu dem Gichtbrüchigen „Steh’ auf, nimm dein Bett und geh’ in dein Haus!“ (Mt 9, 6)

„Und als Jesus von da wegging, sah er einen Menschen an dem Zollhaus sitzen, Matthäus mit Namen. Und er sprach zu ihm: Folge mir nach! ...“ (Mt 9, 9)

„Alsdann traten die Jünger des Johannes zu ihm und sprachen: Warum fasten wir und die Pharisäer so oft, deine Jünger aber fasten nicht?...“ (Mt 9, 14)

„Und indem er mit ihnen redete, siehe, da trat ein Vorsteher herzu, betete ihn an und sprach: Herr, meine Tochter ist soeben gestorben; aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie leben! Und Jesus stand auf und folgte ihm samt seinen Jüngern.“ (Mt 9, 18 ff.)

„Und nachdem er auf seinem Wege die Frau geheilt hatte, die den Saum seines Kleides berührt hatte, kam er an den Ort, wo des Jairus Töchterlein tot lag. Und er fasste das Mägdlein bei der Hand und es stand auf.“ (Mt 9, 25) „Und er befahl, dass man demselben zu essen gebe.“ (Mk 5, 43)

„Als Jesus von da wegging, folgten ihm zwei Blinde nach, welche schrien und sprachen: Sohn Davids, erbarme dich unser! ... Und er berührte ihre Augen und sie wurden geöffnet. ....“ (Mt 9, 27)

„Und als diese weggegangen waren, siehe, da brachten sie einen Menschen zu ihm, der stumm und von einem bösen Geiste besessen war. Und da der böse Geist ausgetrieben war, redete der Stumme.“ (Mt 9, 32)

Und das alles an einem einzigen Tage.

Nicht nur das Auflegen der Hände zog diese Menge an, „so dass sie einander drängten“, es waren vielmehr die Worte des Mitleids, die seine segenspendenden Handlungen begleiteten. „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ „Fürchte nicht, glaube nur!“ „Tochter, sei getrost, geh’ hin in Frieden und sei geheilt von deiner Plage!“ „Tabitha, Kumi,“ „Mägdlein, stehe auf!“

In dem Ausdrucke seines Antlitzes, in dem Tone seiner Stimme lag keine Spur von der beschwerlichen Arbeit des Tages, an dem er gelehrt und geheilt hatte, als er die Kinder in seine Arme schloss. Als er sie segnete und ihnen die Hände auflegte, verriet keine Wolke auf seiner Stirne die bittere Enttäuschung, die ihm bevorstand über den von ihm geliebten Jüngling, der auf seine Einladung alles zu verkaufen und an den Armen zu geben, traurig von dannen gehen wird. (Mk 10, 22) Wenn auch der Gedanke an Sünde und Elend beständig ihn niederdrückte, so vergaß er gleichwohl nicht, in zärtlicher Sorgfalt des Kummers anderer sich anzunehmen. Sein Herz war nahe daran vor Schmerz zu brechen, als er zum letztenmal auf sein geliebtes Jerusalem blickte, das binnen kurzem, mitsamt seinen Kindern, dem Untergang geweiht sein sollte. Aber dennoch bemerkte er voll Bewunderung und Mitleid, wie die Witwe ihre einzige Gabe, einen Heller, in den Opferkasten warf.

Furchtlos nahten sich ihm alle und jedem stand er zu Diensten. Der schuldlose Nathanael, die berüchtigte Magdalena, der ernste Forscher nach Wahrheit, der Sorglose, der Selbstsüchtige, der Sophist, alle wurden mit der gleichen herablassenden Güte empfangen. Keiner kam ungelegen, gegen alle war er freundlich, gütig, hilfsbereit. Das Mitgefühl, das aus seinem Blicke sprach, sein Lächeln und die Worte, die von seinen Lippen kamen, konnten nicht missverstanden werden. Niemand misstraute seinem freundlichen Gruße. Jeder Leidtragende, der zu seinen Füßen kniete, war überzeugt, dass er gerade derjenige war, den er am sehnlichsten zu sehen verlangt, derjenige, auf den er gewartet hatte. Wer hätte geahnt, dass er jene langen Berichtet besser wusste als diejenigen, die sie vortrugen; dass dieser Freund der Zöllner und Sünder Gott war, der die Sünde verabscheut; dass er, aus dessen Lippen das Lob so bereitwillig kam, der Allervollkommenste, der Erforscher der Herzen war? Er forderte nicht viel. Das Gute, und mochte es auch noch so gering sein, hieß er willkommen, wo immer er es fand. Das geknickte Rohr brach er nicht, den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Seine Liebe veränderte sich nicht, sie wankte nicht. Und wenn der Abend kam, so verriet wohl sein Angesicht Zeichen der Müdigkeit, dessen ungeachtet aber fand in der Letzte, der hilfesuchend zu ihm kam, ebenso mitleidsvoll und so aufmerksam wie der Erste, der ihn bei Tagesanbruch in deinem Gebete gestört hatte.

Und so finde ich ihn aus eigener Erfahrung — geduldig, zärtlich, hingebend, alles ertragend, alles hoffend, alles aufbietend, um mich für sich zu gewinnen und meinen Geist und mein Herz dem seinigen immer ähnlicher zu machen.

„Wirst du nicht Mitleid haben mit deinen Nebenmenschen, so wie ich Mitleid habe mit dir? Ich habe euch ein Beispiel hinterlassen, damit ihr tuet, wie ich euch getan habe.“

Oh Jesus, mein göttlicher Freund, meine Zuflucht in den stets wechselnden Lagen und Bedürfnissen des Lebens, habe Geduld mit mir, hilf mir! Komme heute zu mir und bewirke eine Umwandlung in meinem Herzen! Lass mich von dir lernen, lass mich dich nachahmen! Erwärme mein kaltes, selbstsüchtiges Herz! Erfülle mich mit der brennenden, sich selbst aufopfernden Liebe deines göttlichen Herzens! Mache mein Herz dem deinigen gleich!

 

Nach der Kommunion

„Das ist Christus.“ (Apg 9, 22)

„Dieser ist Gott, unser Gott in Ewigkeit, auf immer und ewig.“ (Ps 47, 15)

„Woher geschieht mir dieses, dass mein Gott zu mir kommt?“ (Lk 1, 43)

„Adoro te devote, latens Deitas.“

„In Demut bete ich dich, verborgene Gottheit, an.“

„Wahrlich, du bist ein verborgener Gott.“ (Is 45, 15)

„Liebet den Herrn, denn er ist gut; denn in Ewigkeit wäret seine Barmherzigkeit!“ (Ps 105, 1)

„Kommet, lasset uns frohlocken dem Herrn, jubeln Gott, unserm Heilande!“ (Ps 94, 1)

„Sie sollen danken dem Herrn für seine Barmherzigkeit, für seine Wunder unter den Menschenkindern.“ (Ps 106, 8)

Die Liebe gibt gern Geschenke. Was schenkt mir unser Herr heute am Morgen? Eine Gabe, so groß und gut, dass er Größeres und Besseres nicht zu schenken vermag; eine Gabe, die nicht verdient werden kann, die nicht ihresgleichen hat; die alles in sich begreift, die an Würde und Wert unendlich ist — es ist der Leib und das Blut, die Seele und die Gottheit des menschgewordenen Gottes.

Der Wert dieses Geschenkes wird noch erhöht durch die Art und Weise, mit welcher es verliehen wird. Er gibt sich selbst als Pfand seiner Liebe, als ein Pfand des ewigen Lebens, ein Pfand, das wir täglich, wenn wir wollen, empfangen können. Ja, noch mehr: als eine Quelle lebendigen Wassers, die hier entspringt und hinüberquillt ins ewige Leben. Alles, was erforderlich ist zur Reinigung, zur Erleuchtung, zur Stärkung, zur Befriedigung meiner Seele, zur Sicherstellung meines ewigen Heiles und zu jener vollendeten Ähnlichkeit mit Christus, worin die Vollkommenheit besteht, alles das ist mir hier geboten. Oh hochheiliges Sakrament, wie, hat er mit dir uns nicht alles gegeben!

Und das schenke ich als Gegengabe? Oh Herr, es ist nicht viel, aber es ist alles, was ich habe. Ich übergebe mich dir mit Leib und Seele. Ich schenke dir mein Leben, meine Kraft, meine Wünsche und Entschlüsse, meine Bemühungen, alle meine Liebe und mein Vertrauen, meine Freuden und meine Ängste, mein Streben nach Höherem, meine Arbeit für die Seelen, die du liebst.

Freigebig gabst du mir, freigebig will ich andern mitteilen. Gib, dass das Bewusstsein meiner eigenen Schwäche und das Bedürfnis nach Mitleid und Aufmunterung mich empfänglich mache für die Hilfsbedürftigkeit anderer! Meine Stimmung wechselt; schwer bin ich zu behandeln — ein Stein des Anstoßes für meine Umgebung. Mache mich gütig und liebreich gegen jene, die gleich mir mit ihrer Natur kämpfen, und die von Zeit zu Zeit im Kampfe unterliegen! Mache mich nachsichtig gegen sie, so oft sie der Nachsicht bedürfen! Gib, dass ich nicht auf das schaue, was unvernünftig und herausfordernd ist, und dass ich ohne Bemerkung das vorübergehen lasse, was eine Folge von Verwirrung und Enttäuschung oder Übermüdung ist!

Lehre mich, oh Herr, die Würde anderer erleichtern, lehre mich die Leidenden geduldig und teilnahmsvoll anhören! Zeige mir, wie ich ihnen wirksam beistehe, ohne überflüssige Reden, unnütze Ratschläge und fruchtloses Mitleiden! In schwierigen Fällen lehre mich klug und taktvoll handeln, damit ich nicht, anstatt den Stachel herauszuziehen, Gift in die Wunde bringe!

Ich bitte dich, oh Herr, um den Geist der Sanftmut, um ein Herz, mitleidsvoll wie deines, zärtlich gegen Kranke, Schwache, Irrende, Kinder, Trauernde, ein Herz voll Seeleneifer, unbekümmert um Arbeit, Ermüdung, Widerstand, ein Herz, bereit, in edelmütiger Weise den Notleidenden Zeit, Teilnahme und opferwillige Hilfe zu bringen.

Ich sehe dich auf deinem Wege nach Kalvaria mit den Frauen von Jerusalem reden; weder die Peinen deines dornengekrönten Hauptes, noch die Schmerzen deines gegeißelten Leibes, noch die Angst der Seele halten dich ab, an sie zu denken, sie zu trösten; möge dieser Anblick mich gewaltsam meinem „Ich“ entreißen, wenn ich körperlich und seelisch leide, auf dass ich, meine Schmerzen vergessend, andern Mitleid und Hilfe gewähre. Ich denke nach über die ersten Worte am Kreuze, den lauten Ruf für die Kreuziger, dass erbarmungsvolle Versprechen, das du dem Schächer am Kreuze gabst, die kindliche Sorge für deine trostlose Mutter; dabei aber vergesse ich die unerträgliche Qual des Leibes und der Seele, in welcher jene Worte gesprochen wurden. Es war die schrecklichste Todesqual, der heftigste Schmerz der Verlassenheit, die zurückgedrängt wurden, um fremdem Leid Platz zu machen. Ach, Herr, ein leichter Kopfschmerz, eine kleine Widerwärtigkeit, eine dringende Arbeit reichen hin, um mich vollständig einzunehmen, rücksichtslos und mürrisch gegen meine Umgebung zu machen.

Lieber Meister, habe Geduld mit mir! Lehre mich Opfer bringen; schon so viele hast du darin unterwiesen. Lass es mich lernen von meinem Kruzifix, lernen von deinem täglichen Opfer am Kreuze! Lass es mich lernen von dem Gast in meinem Herzen, dessen höchstes Streben ist, sich zu uns herabzulassen, sich für uns hinzugeben, um uns zu beweisen, dass es seine Wonne ist, bei den Menschenkindern zu sein!

 

Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix