Das Willkommen eines Freundes

II.

 

„Ich nenne euch nun nicht mehr Knechte, sondern Freunde.“ (Joh 15, 15)

 

Vor der Kommunion I

Das erste Vorrecht einer vollkommenen Freundschaft und des gegenseitigen Einverständnisses ist ungezwungener Verkehr zwischen uns und unserm Freunde. Was nur immer uns begegnet, er muss es erfahren. Wir meinen kein Ereignis richtig beurteilen zu können, wenn wir es nicht mit ihm besprochen haben. Der Eindruck, den dasselbe auf uns macht, hängt hauptsächlich von seinem Urteil ab. Durch seine Teilnahme wird der Schmerz gemildert, die Freude verdoppelt. Wenn eine Ungerechtigkeit, eine Enttäuschung uns außer Fassung gebracht hat, so übertreiben wir natürlich das Übel und erlauben uns manch leidenschaftliches Wort, das wir in Gegenwart eines jeden anderen unterdrücken würden. Er kennt uns ja durch und durch: unsere Gesinnung, unsere Anschauungsweise, unsere Charakterschwächen; er pflegt Nachsicht zu üben gegen alles, gleichviel was wir zu ihm sagen. Diese zwanglose Aussprache vor ihm wird verhindern, dass wir uns vor solchen aussprechen, vor denen unsere Rede unverantwortlich und gefährlich wäre. Oh welch unerschöpfliche Quelle von Hilfe bietet uns die Freundschaft unter den Menschen! Gott selbst erkennt ihren Wert und billigt sie, wenn er spricht: „Ein treuer Freund wird dir wie deinesgleichen sein.“ (Sir 6, 11) Offenbare dein Herz nicht jedermann, sondern „einer aus Tausenden sei dein Ratgeber!“ (Sir 6, 6) „Ein treuer Freund ist ein starker Schirm, und wer ihn gefunden, hat einen Schatz gefunden.“ (Sir 6, 14) „Mache dich früh auf zu ihm und dein Fuß betrete oft die Schwelle seiner Türe!“ (Sir 6, 36)

Doch es genügt dem Heilande nicht, uns Freunde zu geben, armselig und schwach, wie wir selber sind; es genügt ihm auch nicht, uns die Tore des Himmels zu öffnen und uns zur Freundschaft jener wenigen zuzulassen, die er selbst Freunde zu nennen sich würdigt. Er selbst will uns Freund sein. Alle Vorteile der Freundschaft, bis zu einem unbegreiflichen Grade, alle Hingebung, Treue, Hilfe, Nachsicht, welche die Annalen der Freundschaft oder die übertriebenste Einbildung aufweisen können, all das ist nur ein schwaches Bild dessen, was er jedem von uns anbietet, ja anzunehmen drängt.

„Die Seele Jonathas verband sich mit der Seele Davids und es liebte ihn Jonathas wie sich selbst.“ (1. Sam 18, 1) Was ist aber diese Verbindung im Vergleiche mit jener zwischen uns und dem göttlichen Heilande in der heiligen Kommunion? Wir werden ihm eingepfropft, wie der Zweig dem Weinstock, ein Gleichnis, dass er selbst ausgesprochen hat und über das wir eingehend nachdenken sollten, und zwar so lange, bis es uns gelingt, seine wunderbare Bedeutung einigermaßen zu verstehen.

„Und Jonathas zog seinen Rock aus, den er anhatte, und gab ihn David; auch seine übrigen Kleider, sogar sein Schwert, seinen Bogen, seinen Gürtel.“ (1. Sam 18, 4) Ein armseliges Geschenk in der Tat, im Vergleiche mit dem des Kreuzes und der Eucharistie.

In der Stunde der Not legte sich Jonathas zwischen seinen Freund und seines Vaters Zorn. „Ich will herausgehen mit meinem Vater und mich zu ihm stellen und will von dir zu meinem Vater reden. Und Jonathas redete Gutes von David zu Saul, seinem Vater. Und Saul war versöhnt durch Jonathas Stimme.“ (1. Reg 19, 6) „Christus aber liebte uns und hat sich für uns als Gabe und Opfer hingegeben.“ (Eph 5, 2) „Gott, der uns mit sich versöhnt hat durch Christum.“ (2. Kor 5, 18) „Er hat uns geliebt und hat uns gewaschen von unsern Sünden mit seinem Blute.“ (Offb 1, 5) „Er lebt allezeit, um für uns zu bitten.“ (Hebr 7, 25)

Die Freundschaft zwischen dem Hirten und dem Königssohne entzückt uns. Doch für jene Liebe, die Gott, der Herr des Himmels und der Erde, zu uns nichtigen Geschöpfen trägt, haben wir keine Bewunderung, keine Begeisterung. Die ganze Schönheit und Würde menschlicher Freundschaft findet sich in der göttlichen Liebe, Selbsterniedrigung, Großmut bis zu einem Grade, den der kühnste Gedanke nicht erreichen kann. Wir aber halten dies alles für etwas Selbstverständliches und setzen und sehen keinen besonderen Grund, warum uns die Pflicht der Dankbarkeit so sehr aufgedrängt wird.

Wie, sollten wir wirklich keinen Grund haben, oh Herr? Sollte nicht der Anblick des Kruzifixes oder des Tabernakels, ja der bloße Gedanke an das eine oder andere unsere Herzen tief rühren, zur Bewunderung hinreißen und mit Dankbarkeit erfüllen? Wir preisen die weitgehende Liebe des heiligen Franz von Assisi. Seine Sympathie für die unschuldigen Dinge der vernunftlosen Schöpfung entzückt uns. Doch seine heftige Liebe zu Christus, dem Gekreuzigten, die innige Zärtlichkeit, mit welcher sein Herz Nächte hindurch ausruft: „Mein Gott und mein alles“, können wir nicht verstehen; diese Gefühle wecken kein Echo in unserem Herzen?

Wie lange, oh Herr, wie lange? Du starbst für mich, wie für Franziskus. Ziehe mein Herz an dich und ich werde deine Liebe erwidern. Lass das Kreuz zu meinem Herzen sprechen, wie es zu dem seinigen sprach! Mein Gott und mein alles, gib, dass ich dich mehr Liebe! Es gab eine Zeit, da dieser Seraph der Erde irdischen Dingen anhing. Da erfasste ihn deine Gnade und zog seine ganze Liebe hin zu dir, und nun schaut ihn unser Geist inmitten der liebeflammenden Seraphinen an deinem Throne. Oh gib auch mir deine Gnade, mir, der ich so armselig, so elend bin. Kannst du deine Gnade verweigern, du, der du dich selbst gibst? Oh könnte ich dich lieben mit einer Liebe, die deiner würdiger wäre! Hilf mir, gib, dass ich dich liebe! Nimm hinweg von meinem Herzen alles, was deiner Liebe hinderlich ist! Lass mich dich lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüte, aus allen Kräften, bevor ich sterbe, damit ich dich nach deinem Wunsche die ganze Ewigkeit hindurch liebe.

 

Nach der Kommunion

„Gepriesen sei Gott, der Herr, an diesem Tage!“ (3. Reg 5, 7)

„Gebenedeit sei der Herr, denn er hat mir seine Barmherzigkeit wunderbar erwiesen!“ (Ps 30, 22)

„Er hat gesättigt die arme Seele, die hungernde Seele gesättigt mit Gütern.“ (Ps 106, 9)

„Lobe, meine Seele, den Herrn und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ (Ps 102, 1)

„Lobe den Herrn, meine Seele, vergiss nicht all seine Wohltaten!“ (Ps 102, 2)

„Danket dem Herrn, denn er ist gut; denn in Ewigkeit wäret seine Barmherzigkeit!“ (Ps 106, 1)

“Was soll ich dem Herrn vergelten für alles, was er mir gegeben hat?“ (Ps 115, 3)

„Ich will dich erheben, Gott, mein König, und preisen deinen Namen ewig, ja immer und ewig.“ (Ps 144, 1)

„Meine Seele lobe den Herrn!“ (Ps 103, 1)

„Und da sie Gott angebetet und gedankt hatten, ließen sie sich nieder.“ (Tob 11, 12)

Das ist die rechte Ordnung unserer Danksagung nach der Kommunion. Zuerst Gott geben, was Gottes ist, dann vertraulich mit unserem Herren verkehren, wobei wir ihm unsere Nöte vortragen können. Wie aber soll dies zustande kommen? Ihm gebührt Unendliches, und was wir bieten können, selbst das Beste, ist endlich. Oh wie entsetzlich klein fühlen wir uns im Verkehre mit Gott! Aber Dank sei Gott gesagt für seine unaussprechliche Gabe — was wir unmöglich vollbringen konnten, das ist durch die Menschwerdung und die Fortsetzung derselben in der Eucharistie auf die vollkommenste Weise geschehen.

Unser Gott selbst kommt auf den Altar herab und einem jeden von uns ist es leicht gemacht, zu ihm zu gelangen. Er bietet uns die Schätze seines Heiligsten Herzens an und ladet uns ein, mit denselben unsere Schuld bis auf den letzten Heller zu bezahlen. Und damit wir ihn in würdiger Weise anbeten, loben und ihm danken können, weilt er unter uns auf dem Altare, opfert sich täglich und kehrt, sooft wir wollen, in unser Herz ein. Durch ihn, mit ihm, in ihm können wir, niedrige, vergängliche Geschöpfe, die wir aus uns selbst nichts, ja wegen unserer Sündhaftigkeit schlechter als nichts sind, dem höchsten Gott eine Anbetung bieten, die er als hinreichend annimmt, durch welche jede seiner Vollkommenheiten ihr volles, gerütteltes, überfließendes Maß an Anbetung und Verherrlichung erhält.

„Er, der mächtig ist, hat Großes an mir getan.“ (Lk 1, 49), so können wir freudig ausrufen, wenn wir nach der Kommunion, die Hände über der Brust gefaltet, auf den Tabernakel blicken. Er empfängt vollkommenes Lob, sogar aus dem Munde eines Menschen, wie ich bin; denn ich bin nicht allein, Jesus ist bei mir. „Ich will mich freuen in dem Herrn und frohlocken in Gott, meinem Heilande.“ (Hab 3, 18)

„Und da sie Gott angebetet und gedankt hatten, ließen sie sich nieder.“ (Tob 11, 12)

Und nun wünschte er zu erfahren, wie es mit uns steht, welche Fortschritte wir seit der letzten Kommunion gemacht haben. Erstarken wir in der Vereinigung mit ihm? Fließt der Saft ungehinderter, ununterbrochener vom Weinstock in die Rebe? Gelingt es uns allmählich, unser Leben nach dem seinigen zu gestalten? Stimmen unsere Gefühle, Interessen, Freuden und Leiden mit den seinigen überein? Erwidern wir seine Liebe? Sind wir seiner Sache in dem Maße ergeben, dass wir ihretwegen kein persönliches Opfer scheuen? Berühren uns seine Angelegenheiten mehr als ehedem? Wird er allmählich das Hauptbedürfnis unseres Lebens? Und wie steht es mit unserem Wirken zu seiner Ehre, um die uns gemeinsame Sorge für jene, die wir lieben, deren Namen er auf unseren Lippen sieht, so oft wir zu ihm kommen? Und dergleichen mehr. Welchen Verlauf nahm die Angelegenheit, die wir bereits mit ihm besprochen? Und jene Wolken, die sich über unserem Haupte zusammengezogen haben, lichten sie sich? Alles wünscht er zu erfahren. Sind wir gekommen, ihn an unserer Freude teilnehmen zu lassen, oder rufen wir immer nur sein Mitleid wach? Das Mitgefühl seines heiligen, menschlichen Herzens ist immer frisch und dienstbereit — eine Unveränderlichkeit, die unmöglich bei anderen Freunden zu finden ist. Diese werden so leicht überdrüssig. Sie tun zwar ihr möglichstes, uns immer wieder geduldig anzuhören; sie versuchen Trost zu spenden aus der Quelle langjähriger Freundschaft, und fürwahr mehr können sie nicht tun. Aber sie fühlen es selbst, fast ebenso wie wir, wie schwach, wie mechanisch die Worte über ihre Lippen fließen. Ist dies ihre Schuld? Ist es nicht vielmehr die natürliche Folge davon, dass die Quelle schon so lange fließt?

 

Wenn voll das Herz, wenn bittere Gedanken

Wie wuchernd Unkraut um die Seele ranken;

Wenn Spott uns dünkt des Freundes Rede,

Dann ist uns wohl — nur im Gebete.

 

„Komme zu mir, wenn es übel mit dir steht! (Nachfolge Christi) Seine Einladung, „kommet alle zu mir, ihr alle, die ihr beladen seid, ich will euch erquicken“, ist schon hundert- und tausendmal ergangen und immer mit der nämlichen Liebe wie das erste Mal. Sein Herz erkaltet nicht, wenn er uns Sünder kommen sieht. Oh nein, mit Wonne bemerkt er, wie wir unseren Platz vor seinem Tabernakel nehmen, zu müde vielleicht, um zu beten, nur um in seiner Gegenwart zu weilen, die Augen auf die Tabernakeltüre gerichtet und Erquickung erwartend. Die Liebe des Herzens, das dort schlägt, ist unendlich. Sie erlischt nie, sie kann nicht erlöschen. Haben einmal die Mühen ein Ende und ist die Zeit des Wartens vorüber, dann wird er teilnehmen an unserer Freude, wie er teilgenommen hat an unserem Leide, dann wird auch er sich verändern, er, der so geduldig dort im Tabernakel unseren Worten lauschte.

 

Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix