Das Willkommen eines Bittenden

II.

 

„Da sie aber zu dem Manne Gottes kam, fasste sie seine Füße und Giezi trat  hinzu, um sie wegzurücken. Der Mann Gottes aber sprach: Lass sie, denn ihre Seele ist betrübt, und der Herr hat es vor mir verborgen und mir nicht angezeigt.“ (4 Reg 4, 27

 

Vor der Kommunion

Ernste und rauhe Männer scheinen uns jene Propheten des Alten Testamentes zu sein. Und doch, wie zärtlich ist Elias hier gegenüber dem Kummer einer Mutter. Fast scheint er es übelzunehmen, dass Gott ihm nichts von ihrem Kummer mitgeteilt hat. Er will nicht, dass man sie hindere, sich ihm zu Füßen zu werfen,. Er hört ihren leidenschaftlichen Ausruf: „Habe ich denn einen Sohn begehrt von meinem Gottes? Habe ich dir nicht gesagt: Spotte meiner nicht!“ Er kommt ihrer Bitte zuvor und tröstet sie sofort. „Geh’“, sagte er zu seinem Diener, „und lege meinen Stab auf das Angesicht des Knaben!“ Er gibt ihrer Zudringlichkeit nach. Aber die Mutter des Knaben sprach: So wahr der Herr lebt und deine Seele lebt, ich verlasse dich nicht!“ Da machte er sich auf und folgte ihr und erweckt ihr Kind zum Leben. (4. Reg 4, 28 ff.)

Wird „der Gott von großer Erbarmung“ (Ex 34, 6), „der Gott alles Trostes (2. Kor 1, 3) weniger zärtlich sein als sein Diener?

Können wir von dem erbarmungsvollen Herzen unseres Herrn zu viel erwarten, wenn wir traurig und trostlos zu seinen Füßen kommen? Mit richtigem Verständnis weist die Sunamitin jedem Trost, den der Diener des Propheten ihr hätte bieten können, zurück und begibt sich persönlich zu dem „Manne Gottes“, in welchem sie die Macht und Gnade Gottes selbst erkennt. Sie kam zu dem Manne Gottes auf den Berg Karmel. Und da der Mann Gottes sie von Ferne erblickte, sagte er zu Giezi, seinem Diener: „Geh’ ihr entgegen und sprich zu ihr: Steht es wohl um dich und um deinen Mann und um deinen Sohn?“ Und sie antwortete: „Ja.“ Hier haben wir das Bild einer Seele, die nicht Trost und Hilfe bei den Schöpfer sucht, die sich nicht aufhält, ihren Kummer mit ihnen zu besprechen, sondern geradewegs zum Schöpfer eilt.

Es gibt Wunden, die sich durch Berührung von Menschenhand verschlechtern und entzünden. Wir müssen sie der zärtlichen Behandlung dessen überlassen, der ihren Schmerz lindern kann, indem er Öl und Wein in die selben gießt. „Entlasse sie“, sagten die Apostel von der müden, hungrigen Menge, die dem Herrn scharenweise in die Wüste gefolgt. „Schicke sie weg“, sprachen sie von der armen Mutter, die ihm ihres kranken Kindes wegen nachrief. Das ist das höchste, was wir in unseren Nöten von den Geschöpfen erwarten können. Ich will mich zu meinem Schöpfer wenden, um Trost und Hilfe zu erhalten, zu ihm, der gesagt hat: „Rufe zu mir am Tage des Trübsal und ich werde dich erretten!“ (Ps 49, 15) Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ (Joh 6, 37)

„Wache auf! Warum schläfst du, Herr? Wache auf und verwirf uns nicht auf immer! Warum wendest du ab dein Angesicht, vergisst unsere Armut und unsere Trübsal?“ (Ps 43, 23 f.)

„Gott, der du stark bist über alles, erhöre die Stimme derer, die keine andere Hoffnung haben, und befreie mich von meiner Furcht!“ (Esth 14, 19)

„Uns aber rette durch deine Hand und hilf mir, die keine andere Hilfe hat, als dich, Herr, der du Wissenschaft von allem hast!“ (Esth 14, 14)

„Gedenke, oh Herr, unser, und zeige dich in der Zeit unserer Trübsal!“ (Esth 14, 12)

„Hilf uns, Gott, unser Heiland, und um der Ehre deines Namens willen, erlöse uns!“ (Ps 78, 9)

„Wache auf, Herr, hilf uns, und erlöse uns um deines Namens willen!“ (Ps 43, 26)

„Ich schonte meines heiligen Namens .... Nicht euretwillen tue ich es, sondern um meines heiligen Namens willen.“ (Ez 36, 21 ff.)

Herr, sprich also zu mir, wie du einst zu deinem Volke sprachst. Ich weiß sehr wohl, dass mein Gebet in Ewigkeit nicht erhört wird, wenn du auf mich allein siehst. Nicht um meinetwillen, sondern um deiner selbst willen flehe ich dich an, höre und höre mich! Erinnere dich deines Versprechens: „Um was immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, das will ich tun, damit der Vater in dem Sohne verherrlicht werde. Wenn ihr mich um etwas bittet in meinem Namen, das will ich tun.“ (Joh 14, 13 f.) Höre auf mich und hilf mir, nicht so fast um eines meiner Verdienste zu belohnen, als vielmehr deinen heiligen Namen zu verherrlichen! Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre!

 

Nach der Kommunion

Woher geschieht mir dies, dass mein Herr zu mir kommt?

„Denn dieser ist Gott, unser Gott in Ewigkeit, und immer und ewig.“ (Ps 47, 15)

„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“

„Mein Herr und mein Gott.“

„Herr, ich glaube; hilf meinem Unglauben!“

„Herr, vermehre meinen Glauben!“

„Hochpreiset meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlocket in Gott, meinem Heilande.“ (Lk 1, 46 f.)

„Denn er hat gesättigt die arme Seele, die hungernde Seele gesättigt mit Gütern.“ (Ps 106, 9)

„Lobsinget unserem Gott, lobsinget! Lobsinget unserem König, lobsinget!“ (Ps 46, 7)

„Lobsinget unserem Gott all seine Diener und die ihr ihn fürchtet, klein und groß!“ (Offb 19, 5)

„Würdig bist du, oh Herr, unser Gott, zu empfangen Preis, Ehre und Kraft.“ (Offb 4, 11)

„Amen! Lob und Herrlichkeit, und Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Kraft sei unserem Gott in alle Ewigkeit. Amen!“ (Offb 7, 12)

„Steht es wohl um dich und um deinen Mann und um deinen Sohn?“ (2. Reg 4, 26)

Unser Herr ist uns gleich in allem. Bei unseren Besuchen erkundigen wir uns nach den Angehörigen unseres Freundes. So tut auch er. Seine Teilnahme erstreckt sich auf alles, was uns angeht, auf alle, die uns teuer sind, auf alle, deren Leben mit dem unsrigen verknüpft ist und deren Glück gewissermaßen von der Art und Weise unseres täglichen vertrauten Umganges mit ihnen im Familienkreise abhängt. „Steht es wohl um sie? Und wenn nicht, woran liegt es? Sage mir alles, was sie betrifft“, spricht er. Er will, dass wir ihm die Bitte vortragen, obgleich er sie bereits weiß, und zwar besser, als wir sie ausdrücken können. Er sah in die traurigen Herzen der zwei Jünger auf dem Weg nach Emmaus und doch wollte er ihren Kummer von ihnen selbst erfahren. „Weißt du nicht, was geschehen ist“, fragten sie. Und er sprach zu ihnen: „Was?“ Er liebt das Vertrauen, das Teilnahme und Hilfe bei ihm sucht, das ihn hierher und dorthin führt. „Komm, Herr, und sieh!“ Ein Freund muss um die Hoffnungen, Pläne, ja auch um die Verdrießlichkeiten der befreundeten Familie wissen. Dass eine Unterredung gelungen, ein Unternehmen gescheitert ist, dass ein Missverständnis uns schmerzt, dass diese Anordnung nicht passt und jene auf unüberwindliche Hindernisse stößt — all das muss der Freund erfahren; er muss ein aufmerksames Ohr haben.

Keiner kann in dieser Hinsicht unserem Herrn gleichkommen. Wir mögen stundenlang mit ihm reden, wir mögen immer wieder auf die alte Geschichte zurückkommen, er ermüdet dennoch nicht.

Ja, werden sicher manche von uns einwenden, der Herr hört uns zu — doch er ist stumm, mit keiner Silbe antwortet er, durch kein Zeichen beweist er Teilnahme oder Mitleid. Wie kann unter solchen Umständen ein Gespräch weitergeführt werden?

Gewiss, das ist eine Schwierigkeit, doch viele von uns geben Zeugnis für die Stimme, die sich deutlich in der Tiefe der Seele vernehmen lässt. Licht, Trost, Kraft — das ist seine Antwort auf ein geduldiges, beharrliches Gebet. Wir vernehmen keinen Laut, wir vermissen die Annehmlichkeit der menschlichen Stimme; doch nicht Annehmlichkeit sollen wir im Gebete suchen, sondern Hilfe; Hilfe ist dem Gebete versprochen. Setzen wir den Fall, es würde jenen, die eine Klage vor den  Gerichtshof zu bringen haben, gesagt, der Richter sei bereit, ihnen den Vorteil seines Rates zukommen zu lassen und sichere Ihnen Erfolg zu unter der Bedingung, dass sie ihm ihre Angelegenheiten vortragen, würde diese Bedingung zu hart gefunden werden? Wenn den Bettlern der Zutritt zu einem reichen Manne gestattet würde, der sich bereit erklärt hat, ihnen zu helfen, und zwar unter der Bedingung, dass sie ihm ihre Nöte vortragen sollten und dass es ihm freistünde, auf die von ihm gewollte Art und Weise und zu der von ihm bestimmten Zeit zu helfen — würde diese Bedingung die Bettler abhalten, das Haus des reichen Mannes und die Treppen zu seiner Türe zu belagern?

Wenn in den Dingen dieser Welt Einigkeit stark macht, wenn das Zusammenwirken einer der Hauptfaktoren des Erfolges im Geschäftsgange ist und der Rat der Sachkundigen eine Wohltat, die bis aufs Äußerste nutzbar gemacht wird, warum sollte weniger Eifer auf die Sicherstellung der ewigen Angelegenheiten verwendet werden?

Oh Kinder dieser Welt, welch fortwährender Vorwurf seid ihr für die Kinder des Lichtes? Wie blind und töricht trotz all unseres Glaubens und all unserer Klugheit erweisen wir uns, wenn es sich um die Dinge der Ewigkeit und der Seele handelt. Natürlich sehnen wir uns nach einem tröstenden, aufmunternden Wort unseres Königs, unseres Richters, unseres göttlichen Freundes im Tabernakel. Aber es ist nicht an uns, Bedingungen zu stellen, durch welche seine Gunst gewonnen wird. Sollten wir nun, weil das Gebet beschwerlich ist, und das wird wohl niemand leugnen, der es geübt hat, Verzicht auf dasselbe leisten?

„Das Gebet“, sagt Faber, „ist nicht ein Vergnügen oder ein selbstsüchtiger, süßer Zeitvertreib — das Gebet ist das demütige Knien des Geschöpfe zu den Füßen seines Schöpfers.“

Für die meisten Menschen ist das Gebet keine Leichtigkeit. Dann und wann mag es ja eine erträgliche Pflicht, eine Linderung sein, gar oft aber ist es eine harte Arbeit, manchmal sogar eine wirkliche Seelenpein. Doch, was liegt daran, wenn wir durch diese Arbeit und diese Seelenpein die für die Gegenwart erforderliche Hilfe und den freien, segensvollen Verkehr mit unserem himmlischen Vater, unserem Erlöser, unserem Freund, unserem Bruder gewinnen, jenen Verkehr, der in alle Ewigkeit fortdauern soll?

Einstweilen ruht sein Auge auf uns, indem es mitleidsvoll die ermüdende Arbeit des „Gebetes des Glaubens“ beobachtet. Wenn sich an jenes demütige, vertrauensvolle Gebet die Verheißung knüpft: „Bittet und ihr werdet empfangen“, wer ist imstande, uns die vermehrte Kraft jenes Gebetes zu zeigen, das, wie das seinige im Ölgarten, inmitten von Furcht, Angst und Trauer ausharrt? „Und als ihn Todesangst überfiel, betete er länger.“ (Lk 22)

Oh mein Heiland und mein Vorbild, vereinige meine Angst mit der deinigen! Unterstütze jederzeit mein schwaches Gebet durch die Kraft deines eigenen! Gib ihm die Kraft, die dein Gebet, angesichts des herannahenden Leidens, hatte! Gib ihm jenes Vertrauen, das alles den Händen des Vaters überlässt, indem es alle seine Anordnungen als gut, als überaus gut und unendlich liebevoll annimmt! Lass es sprechen: „Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe. Ja, Vater, denn so hat es dir wohlgefallen!“

 

Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix