59. Kapitel

Von der fühlbaren Gottverbundenheit und der Trockenheit

Die fühlbare Gottverbundenheit wird entweder von der Natur oder dem bösen Feind oder der Gnade verursacht.

Aus ihren Früchten kannst du ihren Ursprung erkennen. Denn wenn sie keine Besserung deines Lebenswandels bewirkt, dann mußt du befürchten, daß sie vom bösen Feind oder der Natur herrührt, und dies umso mehr, je angenehmer, süßer und stürmischer sie sich äußert, namentlich dann, wenn sie von einer gewissen Selbstbespiegelung begleitet ist.

Empfindest du in deiner Seele die Süße der geistlichen Freude, dann forsche nicht lange nach ihrer Herkunft und verlaß dich auch nicht auf dieselbe. Ebenso laß dir auch das Bewußtsein von deiner Armseligkeit nicht rauben. Bemühe dich mit doppeltem Eifer, dein Herz von jeder, selbst geistlichen Bindung frei zu halten und Gott und sein Wohlgefallen allein zu suchen. Auf diese Weise wirst du das süße Gefühl - mag es nun von der Natur oder dem bösen Feinde stammen - in eine Gnade umwandeln.

Auch die Trockenheit der Seele geht aus drei Ursachen hervor:

Erstens: Vom bösen Feind, der die Seele in Lauheit versetzen und vom begonnenen religiösen Leben in weltliche Unterhaltungen und Vergnügungen zurückwerfen will.

Zweitens: Von uns selbst infolge unserer Schuld, Erdhaftigkeit und Nachlässigkeit.

Drittens: Von der Gnade:

- entweder zu unserer Mahnung, noch energischer von jeder Anhänglichkeit, die nicht nach Gott strebt, und von aller Beschäftigung, die nicht auf ihn abzielt, abzulassen;

- oder zu unserer Belehrung durch die Erfahrung, daß alles Gute in uns von Gott kommt; damit wir seine Gnade künftig höher schätzen und demütiger und sorgfältiger bewahren; daß wir durch völligen Verzicht auf uns selbst, ja auf allen geistlichen Trost, an dem wir mit Leidenschaft hängen, umso inniger mit seiner göttlichen Majestät vereint werden und unser Herz, das der Herr für sich allein besitzen will, nicht teilen;

- oder endlich zu unserem Besten, weil er uns gerne mit all unseren Kräften unter dem Beistand seiner Gnade kämpfen sieht.

Fühlst du also in deinem Innern Trockenheit, dann geh in dich und sieh nach, welcher Fehler dir die fühlbare Gottverbundenheit entzogen hat. Eröffne den Kampf gegen ihn, aber nicht um die fühlbare Gnade wieder zu erlangen, sondern um alles Gott Mißfällige in dir auszumerzen.

Entdeckst du aber keinen Fehler, so ist deine fühlbare Gottverbundenheit die wahre Gottverbundenheit, die in der bereitwilligen Hingabe an den Willen Gottes besteht.

Unterlaß auch um keinen Preis deine geistlichen Übungen! Fahre mit allem Eifer darin fort, so nutzlos und fad sie dir auch erscheinen mögen. Trinke willig den bitteren Kelch der Trockenheit, den der Wille Gottes dir in Liebe darreicht.

Und sollte die Trockenheit mitunter von so großer und so dichter Finsternis des Geistes begleitet sein, daß du weder ein noch aus weißt, so laß dich nicht entmutigen! Harre ruhig unter dem Kreuze aus und suche keinen irdischen Trost, wenn auch die Welt oder ein Geschöpf ihn dir anbieten würden.

Verbirg vor jedermann deine Leiden, mit Ausnahme deines Seelenführers, dem du dich anvertrauen sollst, nicht um deine Pein zu lindern, sondern um dich unterweisen zu lassen, wie du sie nach dem Willen Gottes tragen mußt.

Versuche auch nicht, durch Kommunionen, Gebete oder andere geistliche Übungen vom Kreuze herabzusteigen, sondern schöpfe aus ihnen die Kraft, dich zur größeren Ehre des Gekreuzigten im Kreuze zu erfreuen.

Und bist du infolge der Dunkelheit deines Gemütes nicht imstande, dich wie sonst der Betrachtung und dem Gebet zu widmen, so betrachte so gut, als du es eben vermagst.

Und was du mit deinem Gefühl nicht auszurichten vermagst, suche mit dem Willen und dem Wort zu erreichen, indem du dir und dem Herrn eindringlich zuredest. Wunderbare Wirkungen wirst du damit erzielen und neues Leben und neuen Mut wird dein Herz daraus schöpfen.

In solcher Lage magst du mit dem Psalmisten sprechen:

„Warum bist du traurig, meine Seele, und warum verwirrst du mich? Hoffe auf Gott, denn ich werde ihn immer noch preisen; ihn, das Heil meines Angesichtes und mein Gott" (Ps 42, 5).

 „Warum, o Herr, hast du dich zurückgezogen so weitab, siehst nicht her, da es doch Zeit ist, in der Drangsal?" (Ps 10,1).

„Verlaß mich nicht gänzlich!" (Ps 118, 8).

Erinnere dich jener heilsamen Unterweisung, die der Herr seiner geliebten Sara, der Gemahlin des Tobias, eingab, und bediene dich ihrer, indem du ausrufst: „Das aber hält jeder für gewiß, der dich verehrt, daß sein Leben, wenn er erprobt ist, gekrönt werden wird, und daß er, wenn er der Züchtigung unterworfen gewesen, zu deiner Barmherzigkeit wird kommen dürfen. Du hast kein Gefallen an unserem Verderben; denn nach dem Sturme schaffst du Stille und nach dem Weinen und Wehklagen flößest du Frohlocken ein. Dein Name, o Gott Israels, sei gepriesen in Ewigkeit!" (Tob 3, 21-23).

Erinnere dich auch deines Erlösers, der zu seiner größten Qual von seinem himmlischen Vater in seiner Menschheit verlassen war. Trage mit ihm das Kreuz und bete aus tiefstem Herzen: „Dein Wille geschehe" (Mt 26, 42).

Handelst du auf diese Weise, dann werden deine Geduld und dein Flehen die Opferflammen deines Herzens zum Throne Gottes emportragen, und du wirst in der Tat mit Gott verbunden sein. Denn die wahre Gottverbundenheit besteht - wie gesagt - in einer lebhaften und entschlossenen Willensbereitschaft, dem Heiland auf seinem Wege mit dem Kreuze auf den Schultern nachzufolgen, wohin er uns zu sich einlädt und ruft: Gott um Gottes willen zu suchen und zuweilen auch Gott um Gottes willen zu lassen.

Würden viele, die sich dem geistlichen Leben widmen, und namentlich Frauen, ihren Fortschritt nicht nach der fühlbaren Gottverbundenheit messen, so wären sie nicht von sich selbst, noch vom bösen Feinde hintergangen worden. Sie würden nicht kampfunfähig und sogar undankbar über eine so große Wohltat, die ihnen der Herr erweist, trauern, sondern eifriger und sorgfältiger seiner göttlichen Majestät dienen, die alles zu ihrer Ehre und zu unserem Heile anordnet und zuläßt.

Auch darin irren sich manche Seelen, die sich sonst vor jeder Gelegenheit zur Sünde ängstlich und vorsichtig hüten, daß sie mutlos und verzagt werden und sich dem Gedanken hingeben, als ob sie Gott verlassen und sich weit von ihm entfernt hätten, wenn sie mitunter von häßlichen, gemeinen und abscheulichen Gedanken und noch schrecklicheren Vorstellungen geplagt werden. Es dünkt ihnen ein Ding der Unmöglichkeit, daß der göttliche Geist in einem Herzen weilen könne, das von derartigen Gedanken voll ist.

So bleiben sie niedergeschlagen, geraten schier in Verzweiflung und kehren wieder ins Weltliche zurück, nachdem sie alle ihre guten Übungen aufgegeben haben.

Sie erfassen die Gnade nicht, die ihnen der Herr erweist. Er läßt es in seiner Güte ja zu, daß sie von solchen Quälgeistern angefochten werden, um sie zur Selbsterkenntnis zu führen und damit sie sich ihm in ihrer Hilfsbedürftigkeit nähern. Undankbar klagen sie darüber, wofür sie sich eigentlich seiner unendlichen Güte gegenüber erkenntlich zeigen sollten.

Bei derartigen Vorfällen sollst du nichts weiter tun, als dich in die Betrachtung deiner verkehrten Neigung vertiefen. Gott will eben, daß dir zu deinem Heile bewußt wird, wie schnell du selbst für die schlimmsten Sünden zu haben bist und daß du ohne seinen Beistand ins größte Verderben stürzen würdest. Hieraus schöpfe eine starke Zuversicht und ein festes Vertrauen auf seine Hilfe, die er dir gewähren wird. Er tut dir ja die Gefahr kund und will dich durch dein Gebet und die Zu flucht zu ihm immer näher an sich ziehen. Sei ihm dafür von Herzen dankbar!

Sei auch überzeugt, daß solche Quälgeister und gemeine Gedanken viel besser durch geduldiges Ertragen und kluges Ausweichen als durch allzu heftigen Widerstand vertrieben werden.