Traktat über das Fegfeuer

Hl. Catharina von Genua — Die Theologin des Fegfeuers

 

Vorbemerkung zum „Traktat über das Fegfeuer“

 

Er wird hier aus dem Manuskript D, verglichen mit dem Manuskript Dx und A, wie sie P. Umile Bonzi OFMCap im II. Band (S. 321 — 354) seines Werkes „S. Caterina Fieschi‑Adorno“ 1962 erstmals veröffentlicht hat, ins Deutsche übersetzt. Der ganze Traktat über das Fegfeuer trägt in diesen Manuskripten, weil er darin noch nicht verselbständigt ist, sondern noch das 41. Kapitel der Lebensbeschreibung („Vita“) der heiligen Catharina von Genua bildet, die nach der Lebensbeschreibung überleitende Vorbemerkung:

„Wie sie (Catharina) durch den Vergleich mit dem göttlichen Feuer, das sie in ihrem Herzen fühlte und das ihre Seele läuterte, innerlich sah und begriff, wie es mit den Seelen im Fegfeuer steht, die geläutert werden, bevor sie vor das Antlitz Gottes in jenem seligen Leben zugelassen werden können.“

In den Manuskripten ist der nun folgende Traktat über das Fegfeuer noch nicht in Kapitel eingeteilt und noch nicht mit Kapitelüberschriften versehen; der besseren Übersicht wegen übernehmen wir im folgenden aber aus der gedruckten Ausgabe des Traktates aus dem Jahre 1551 die Einteilung in 17 Kapitel.

 

I. Kapitel

 

Diese heilige Seele (nämlich Catharina von Genua) befand sich noch im Fleische, als sie in das Fegfeuer der Läuterung feuriger Gottesliebe versetzt wurde. Dieses Feuer versengte in jener Seele alles und läuterte alles, was sich in ihr noch im Zustand, geläutert werden zu können, befand. Es sollte dies dazu geschehen, damit sie sogleich beim Austritt aus diesem irdischen Leben vor das Angesicht dieses süßen Gottes geführt werden könne. Sie begriff mittels dieses Liebesfeuers in ihrer Seele, wie es um die Seelen jener Gläubigen am Ort des Fegfeuers steht, die von jenem „Rost“ der Sündenmakel, von dem sie in diesem Erdenleben noch nicht gereinigt worden sind, geläutert werden.

Und so wie sie selbst im Feuer der göttlichen Liebe mit dieser göttlichen Liebe geeint war und mit all dem zufrieden war, was da in ihrer Seele bewirkt wurde, gerade so begriff sie den Zustand der Seelen, die im Fegfeuer sind.

Und sie sagte: Die Seelen, die im Fegfeuer sind, können gar kein anderes Verlangen haben als nur dies, an jenem Ort der Läuterung zu sein; und zwar wegen der Anordnung Gottes, der das in gerechter Weise so verfügt hat.

Diese Seelen können sich nicht mehr auf sich selbst zurückwenden und können nicht sagen: „Ich habe diese und jene Sünde begangen, für die ich es verdiene, hier zu sein;“ sie können auch nicht sagen: „Ich möchte, ich hätte diese Sünden nicht begangen, so daß ich jetzt in das Paradies eingehen könnte;“ sie können auch nicht sagen: „Jener kommt schneller als ich von hier heraus;“ oder: „Ich werde schneller als jener von hier herauskommen;“ sie können auch keinerlei Erinnerung, weder im Guten noch im Schlechten, an sich selbst oder an andere haben. Aber sie haben eine ganz große Zufriedenheit über die Anordnung Gottes, in der er all das, was Ihm gefällt und solange es Ihm gefällt, wirkt. Darum können sie nicht mehr an sich selber denken. Sie sehen nur noch die so große Güte und Wirksamkeit Gottes, der dem Menschen so viel Barmherzigkeit erweist, um ihn zu sich zu führen, so daß sie weder Schmerz noch Glück sehen, das ihnen in ihrer Eigentlichkeit zustoßen könnte; wenn sie dies sehen könnten, wären sie nicht in der reinen, lauteren Liebe.

Sie können nicht einmal sehen, daß sie in jenen Fegfeuerleiden wegen ihrer Sünden sind, noch können sie solche Schau in ihrem Geiste festhalten, denn das wäre eine aktive Unvollkommenheit, die an jenem Ort (der Läuterung) nicht mehr bestehen kann, weil man ja dort nicht mehr aktiv sündigen kann.

Die in ihnen vorhandene Ursache für ihr Fegfeuer sehen sie nur ein einziges Mal, nämlich beim Scheiden aus diesem Leben; hernach sehen sie diese nie wieder, weil das eine Eigentümlichkeit in ihnen wäre.

Und da sie in der Liebe sind und sich von dieser nicht mehr durch aktuelle Sündenschuld abwenden können, darum können sie nichts mehr wollen und wünschen als nur das reine Wollen der reinen Liebe; und da sie im Feuer der Läuterung sind, sind sie in der göttlichen Anordnung, die reine Liebe ist, und sie können in keiner Weise mehr von dieser abweichen, weil sie der Fähigkeit beraubt sind, aktiv zu sündigen und Verdienste zu erwerben.

 

II. Kapitel

 

Ich glaube nicht, daß es eine Zufriedenheit gibt, die mit jener einer Seele im Fegfeuer verglichen werden kann, außer jener Zufriedenheit, die die Heiligen im Paradies haben. Und jeden Tag wächst diese Zufriedenheit in diesen Seelen durch Gottes entsprechende Einwirkung; diese Zufriedenheit wächst, weil jeden Tag das Hindernis für die entsprechende göttliche Einwirkung abnimmt.

Der Rost der Sünde ist dieses Hindernis; das Feuer verzehrt den Rost; so tut sich die Seele immer mehr für die entsprechende Einwirkung Gottes auf. Und wie ein zugedeckter Gegenstand, der in der Sonne liegt, nicht der Bestrahlung durch die Sonne ausgesetzt ist, was nicht Schuld der Sonne ist, die ja immerfort strahlt, sondern Schuld der Decke, mit der jener Gegenstand zugedeckt ist; je weniger jene Sache mit der Decke bedeckt ist, desto mehr ist sie der Sonne ausgesetzt, desto stärker wird die Bestrahlung; so ähnlich ist es mit dem Rost der Sünde. Er ist gleichsam die Decke, mit der die Seelen im Fegfeuer zugedeckt sind. Er wird durch das Feuer verzehrt. Und je mehr er verzehrt wird, desto mehr kann die Seele der Bestrahlung durch die wahre Sonne, die Gott ist, entsprechen. Umso mehr wächst aber auch die Zufriedenheit (in der Seele im Fegfeuer), je mehr der Rost (der Sünde) abnimmt und sie aufgedeckt wird für die entsprechende Einwirkung (Gottes); das eine also wächst, das andere nimmt ab, bis es beendet ist. Es fehlt jedoch nicht der Schmerz, es fehlt die Zeit für das Verbleiben in diesem Schmerz.

Was den Willen betrifft, so können sie (die Seelen im Fegfeuer) nie sagen, daß jene Schmerzen sind, so sehr sind sie zufrieden mit der Anordnung Gottes, mit der ihr Wille in reiner Liebe vereint ist.

Anderseits haben sie im Gegensatz zu dieser Zufriedenheit des so (mit der Anordnung Gottes) geeinten Willens doch einen so heftigen Schmerz, daß keine Zunge ihn schildern und kein Verstand auch den kleinsten Funken davon begreifen könnte; diesen Funken hat Gott mir gnadenhaft gezeigt, aber ich kann ihn nicht mit meiner Zunge schildern.

Und diese Schau, die der Herr mir gewährte, ist niemals mehr aus meinem Geist geschwunden. Ich werde davon das sagen, was ich sagen kann; und verstehen wird es der, den es der Herr verstehen läßt.

 

III. Kapitel

 

Die fundamentale Ursache aller Schmerzen und Leiden ist die Sünde, die Erbsünde und die persönliche aktuelle Sünde. Gott hat die Seele rein, lauter und frei von jeder Sündenmakel und mit einem sicheren, beseligenden Drang (Instinkt) auf Ihn hin erschaffen. Dieser Drang wird durch die Erbsünde vermindert. Kommt dazu dann noch die persönliche aktuelle Sünde, so nimmt dieser Drang noch mehr ab. Je mehr aber in der Seele dieser Drang abnimmt, desto schlechter wird die Seele, weil Gott sich ihr entsprechend weniger mitteilen kann. Weil nun aber alles Gute, das es geben kann, nur in der Teilhabe an Gott besteht, der sich den Geschöpfen entsprechend mitteilt, und zwar den vernunftlosen Geschöpfen so, wie Er es will und verfügt hat — es wird ihnen nie daran fehlen —, der vernunftbegabten Seele aber mehr oder weniger, je nachdem Gott sie vom Hindernis der Sünde gereinigt vorfindet, so ergibt sich nun folgendes: Wenn sich eine Seele dem Zustand nähert, in welchem sie ursprünglich von Gott rein und lauter geschaffen worden ist, so wird jener beseligende Drang wieder freigelegt und wächst mit solcher Vehemenz und solcher Glut der Liebe, die diese Seele zu ihrem letzten Ziel hinzieht, daß es ihr unerträglich erscheint, noch weiter gehindert sein zu müssen.

Und da die Seelen, die im Fegfeuer sind, ohne Sündenschuld sind, so gibt es bei ihnen kein Hindernis zwischen Gott und ihnen außer jenem Schmerz, in welchem sie noch zurückgehalten werden, wodurch jener Drang hin zu Gott noch nicht seine Vollkommenheit erlangen kann. Und da sie mit größter Klarheit einsehen, wie viel ein Hindernis bei Gott bedeutet, und einsehen, daß jener Drang gemäß dem notwendigen Gesetz der Gerechtigkeit zurückgehalten wird, so wächst dadurch in ihnen ein so heftiges Feuer, das ähnlich dem der Hölle ist, von der Schuld abgesehen. In den Verdammten macht dieses Feuer den Willen schlecht, da ihm Gott seine Güte nicht entsprechend mitteilt. Darum verharren diese Seelen in jenem Willen der Verzweiflung und der Bosheit, der gegen den Willen Gottes gerichtet ist.

 

IV. Kapitel

 

Daraus ersieht man, was offenkundig ist, daß der gegen den Willen Gottes gerichtete verkehrte Wille das ist, was die Sündenschuld ausmacht. So lange dieser (in seiner Verkehrtheit) böse Wille andauert, dauert die Sündenschuld an. Und da jene, die in der Hölle sind, mit einem solchen bösen Willen aus diesem Erdenleben ins Jenseits hinübergegangen sind, ist ihre Schuld nicht nachgelassen, sie kann auch gar nicht nachgelassen werden, weil sie ja ihren Willen nicht mehr ändern können, mit dem sie aus diesem Erdenleben geschieden sind, nämlich mit einem solchen bösen Willen.

Jener Schritt (des Hinübergangs aus dem Diesseits ins Jenseits) verfestigt nämlich die Seele entweder im Guten oder im Bösen, je nachdem worin sie sich nach ihrem überlegten Willen befindet, wie geschrieben steht: „Wo Ich dich antreffe“, nämlich in der Todesstunde, im Willen zur Sünde oder in der Reue über die Sünde, „da werde Ich dich richten.“ Bei diesem Gericht gibt es keine Vergebung mehr, denn nach dem Tod ist der freie Wille nicht mehr wandelbar; er ist in dem fixiert, worin er sich im Augenblick des Todes befand.

Jene Seelen, die sich in der Hölle befinden, sind im Augenblick des Todes mit dem Willen zu sündigen angetroffen worden; so tragen sie nun endlos Schuld und Strafe in sich. Dabei ist die Strafe nicht einmal so groß, wie sie es verdient hätten, dennoch ist die Strafe, die sie abzubüßen haben, endlos.

Die Seelen im Fegfeuer aber haben an sich nur die Strafe, nicht aber die Sündenschuld, die ja in ihnen durch die Reue getilgt worden ist. Darum ist ihre Strafe nicht endlos, sondern begrenzt und endlich und wird, was die Zeit betrifft, wie gesagt, immer geringer. O Elend über alles Elend, das um so größer ist, je weniger es von der menschlichen Blindheit beachtet wird! Ich sage, daß die Strafe der Verdammten der Schwere nach nicht unendlich ist, weil die süße Güte Gottes die Strahlen ihrer Barmherzigkeit auch noch in die Hölle hineinsendet; der Mensch, der in der Todsünde stirbt, verdient an sich eine unendliche Strafe, die unendlich lange dauert. Aber Gott hat in seiner Barmherzigkeit nur die Dauer der Strafe unendlich gemacht, die Schwere der Strafe aber begrenzt. Gerechterweise hätte Gott eine viel schwerere Strafe verhängen können, als er wirklich verhängt hat.

Siehe, wie gefährlich die Sünde, die aus Bosheit geschieht, ist! Der Mensch bereut sie nämlich nur ganz schwer; und wenn er sie nicht bereut, bleibt die Sündenschuld für immer und sie dauert so lange, als der Mensch im Willen zur begangenen oder zur begehenden Sünde verbleibt.

 

V. Kapitel

 

Die Seelen im Fegfeuer aber haben in allem ihren Willen dem Willen Gottes gleichförmig. Darum wirkt Gott auf ihren mit seiner Güte gleichförmigen Willen entsprechend ein. Und darum sind sie, was ihren Willen betrifft, zufrieden, da dieser ihr Wille (was die Sündenschuld angeht) gereinigt ist, sowohl von der Erbsünde als auch von persönlicher aktueller Sünde.

Was die Sündenschuld angeht, sind diese Seelen so gereinigt, daß sie rein sind wie damals, als Gott sie erschuf, denn sie sind mit Reue über alle ihre begangenen Sünden und mit dem Willen, nicht mehr zu sündigen, hinübergegangen. Auf Grund dieser Reue vergab Gott sofort die Sündenschuld. So verblieb ihnen nur der Rost und die Häßlichkeit, wie sie durch die Sünde in der Seele verursacht wurden. Davon aber werden sie nun gereinigt im Feuer der jenseitigen Läuterung.

Und da diese Seelen ganz und gar von jeder Sündenschuld gereinigt und dem Willen nach mit Gott geeint sind, sehen sie Gott klar gemäß dem Grad des Erkennens, den Gott ihnen gewährt; und sie sehen, was es Bedeutsames um den Genuß Gottes ist und daß die Seele gerade dazu erschaffen worden ist. So finden sie sich in einer ganz innig verbindenden Gleichförmigkeit mit ihrem Gott. Auf Grund dieser Gleichförmigkeit zieht sie der Drang, den die Seele zu Gott hin hat, so sehr zu Ihm hin, daß man keine Ausdrücke, Bilder oder Vergleiche aufzeigen kann, die fähig wären, diese ganze Angelegenheit so zu erklären, wie der Geist es tatsächlich fühlt und im inneren Gefühl begreift.

 

Vl. Kapitel

 

Trotzdem will ich ein Gleichnis anführen, das sich meinem Geist dargeboten hat: Wenn es auf der ganzen Welt nur ein einziges Brot gäbe, das allen Geschöpfen den Hunger stillen müßte, und wenn die Geschöpfe schon durch den bloßen Anblick dieses Brotes satt würden, und wenn der Mensch, der, solange er gesund ist, den Drang zum Essen hat, durch das Nicht-Essen weder krank würde noch sterben müßte, es würde dennoch in ihm der Hunger nach diesem Brot immer mehr wachsen, weil eben dieser Drang in ihm da ist; und wenn er weiß, daß nur jenes Brot ihn sättigen kann, und daß in ihm, wenn er dieses Brot nicht hat, der Hunger nicht gestillt werden kann, so würde er in einer unerträglichen Qual verbleiben. Je näher aber der Mensch diesem Brot käme, ohne es jedoch sehen zu können, desto mehr würde das natürliche Verlangen danach in ihm entbrennen, das ja durch seinen Drang ganz und gar auf dieses Brot hingerichtet ist und in welchem seine einzige Befriedigung bestünde; und wenn er die Gewißheit hätte, niemals dieses Brot sehen zu dürfen, so hätte er in diesem Augenblick die vollendete Hölle. Diese vollendete Hölle haben nun die verdammten Seelen, die jeder Hoffnung beraubt sind, je das wahre Brot, Gott, den wahren Heiland, zu schauen.

Die Seelen im Fegfeuer aber haben diesen Hunger, weil sie dieses Brot, durch das allein sie gesättigt werden können, noch nicht sehen, aber sie haben die Hoffnung, es einmal zu sehen und von ihm ganz und gar gesättigt zu werden. Darum sind sie, solange der Hunger nach diesem Brot in ihnen noch nicht gestillt ist, in der schmerzlichen Qual und Pein.

 

VII. Kapitel

 

Außerdem sehe ich auch dies noch ganz klar: wie die reine Geistseele keinen anderen Ort für Ruhe findet als nur in Gott, da sie ja dafür geschaffen worden ist, so gibt es für jene Seele, die im Zustand der Sünde ist, keinen anderen Ort als nur die Hölle, weil Gott diesen Ort für sie bestimmt hat. Darum geht die Seele in jenem Augenblick, da sie vom Leib getrennt worden ist, an den für sie bestimmten Ort, und zwar ohne einen anderen Führer zu haben als nur die Natur der Sünde; das ergibt sich für die Seele, die sich im Augenblick ihrer Trennung vom Leib im Zustand der Todsünde befindet.

Und ich sage so: Wenn eine solche Seele bei jenem Schritt (aus dem Diesseits ins Jenseits) nicht von dieser göttlichen Anordnung getroffen würde, die aus Gottes Gerechtigkeit kommt, so würde sie in eine noch viel schmerzlichere Hölle geraten, denn sie würde sich dann außerhalb jener Anordnung befinden, die an der Barmherzigkeit Gottes Anteil hat, durch die verfügt wird, daß die Seele keine so schmerzliche Strafe erleidet, als sie tatsächlich verdienen würde. Da diese Seelen demnach keinen passenderen und keinen für sie weniger schmerzlichen Ort finden, stürzen sie sich gemäß der Anordnung Gottes, wie schon gesagt worden ist, dort hinab als an den für sie verfügten Ort.

So ist es nun auch bezüglich des Fegfeuers: Die vom Leib getrennte Seele, die sich noch nicht in jener Reinheit befindet, in der sie erschaffen worden war, stürzt sich, da sie das Hindernis, das sie in sich hat, erkennt und darum weiß, daß dieses Hindernis nur mittels des Fegfeuers behoben werden kann, sogleich freiwillig dort hinein.

Und wenn sie diese göttliche Anordnung nicht vorfände, die bewirkt, jenes Hindernis in ihr zu beseitigen, so würde für diese Seele in jenem Augenblick eine Hölle entstehen, die viel schlimmer wäre als dieses Fegfeuer, da sie sehen müßte, daß sie ihr Ziel, das Gott selber ist, wegen des vorhandenen Hindernisses nie erreichen kann, wo doch dieses Ziel so viel bedeutet, daß im Vergleich dazu das Fegfeuer, wenngleich es, wie gesagt, der Hölle ähnlich ist, dennoch wie ein Nichts wäre.

 

VIII. Kapitel

 

Ich behaupte auch noch dies: Ich sehe, wie vonseiten Gottes das Paradies kein verschlossenes Tor mehr hat, denn wer eintreten will, der tritt auch wirklich ein, Gott ist ja lauter Barmherzigkeit und steht mit seinen uns entgegengestreckten Armen da, um uns in seine Herrlichkeit aufzunehmen.

Aber ich sehe auch, daß die göttliche Wesenheit von solcher Reinheit und Lauterkeit ist, und zwar weit mehr, als sich der Mensch überhaupt vorstellen kann, so daß die Seele, die eine so minimale Unvollkommenheit an sich hätte, als der kleinwinzigste Splitter groß ist, sich so schnell als möglich in tausend Höllen stürzen würde, um ja nicht mit diesem ganz minimalen Makel in seiner Gegenwart zu erscheinen.

Da sie aber sieht, daß das Fegfeuer dazu bestimmt ist, diese Makel zu beheben, so stürzt sie sich da hinein und es scheint ihr, große Barmherzigkeit darin anzutreffen, sich von dem in ihr vorhandenen Hindernis auf diese Weise befreien zu können. Von welcher Bedeutung die Läuterung im Fegfeuer ist, kann eigentlich keine Zunge schildern und kein Herz erfassen außer der Tatsache, daß das Fegfeuer eine ähnlich schmerzliche Strafe ist wie die Hölle; und doch sehe ich zugleich, das die Seele, die in sich eine solche Makel verspürt, die Qual des Fegfeuers als Barmherzigkeit Gottes entgegennehmen würde im Vergleich zu jener Makel, die sie in ihrer Liebe behindert.

Es scheint mir auch, daß die schmerzliche Strafe jener die im Fegfeuer sind, eigentlich mehr darin besteht, zu sehen, daß die Seele noch etwas an sich hat, das Gott mißfällt und das sie freiwillig gegen eine so große Güte Gottes begangen hat, als in irgendeinem anderen Schmerz, den sie im Fegfeuer zu erleiden hat. Und das kommt, wie ich sage, daher, daß die Seele im Gnadenstand ist und die wahre Bedeutung erkennt, die dem Hindernis zukommt, das sie noch nicht Gott nahekommen läßt.

 

IX. Kapitel

 

Alle diese Dinge, von denen bisher die Rede war, sind so, wie ich ihrer in meinem Geiste versichert worden bin, soweit ich es in diesem Leben verstehen kann, so überwältigend, daß jede Sicht dieses Lebens, jedes Wort, jedes Gefühl, jede Vorstellung, jede Gerechtigkeit, jede Wahrheit mir mehr Lüge als Wahrheit zu sein scheint. Ich bin von den Worten darüber, an deren Stelle ich keine kräftigeren finde, eher verwirrt als befriedigt und sage darum lieber nichts weiter mehr.

Alle diese Dinge, von denen ich gesprochen habe, sind im Vergleich zu dem, was ich in meinem Geist fühle, nichts, weil ich eine so große Gleichförmigkeit Gottes mit der Seele sehe, daß er ihr, wenn er sie in jener Reinheit sieht, in der er sie geschaffen hat, eine bestimmte Anziehungskraft verleiht, und einen solch verbindenden Liebesblick auf sie wirft und sie an sich bindet und an sich zieht in einem solchen Feuer der Liebe, das genügen würde, die Seele, die doch unsterblich ist, aufzulösen. Und diese göttliche Anziehungskraft bewirkt, daß die Seele so in ihren Gott umgestaltet wird, daß man meinen könnte, sie sei überhaupt nichts anderes als Gott. Er zieht sie beständig an sich und entflammt sie immer mehr und läßt darin nicht nach, bis er sie zu jenem Seinszustand gebracht hat, von dem sie ihren Ausgang genommen hat, das heißt zu jener lauteren Reinheit, in der sie geschaffen worden ist. Wenn die Seele kraft der inneren Schau sich von Gott durch ein so großes Feuer der Liebe angezogen fühlt, so zerfließt sie ganz in der Glut dieser feurigen Liebe ihres süßen Gottes, die sie in ihren Geist einströmen fühlt. Wenn sie dann in jenem göttlichen Licht sieht, wie Gott nie aufhört, sie an sich zu ziehen und sie liebevoll zu ihrer totalen Vollendung zu führen, und zwar mit so viel Sorge und Umsicht, und das alles nur aus lauter Liebe, wenn also die Seele das sieht und ihr Gott in seinem Lichte zeigt, daß sie sich in jenem Hindernis befindet, auf Grund dessen sie noch nicht dieser Anziehungskraft der einigenden Liebe Gottes, die er ihr zuwendet, folgen kann; und wenn die Seele dann auch noch einsieht, was es für sie bedeutet, noch zurückgehalten zu werden und das göttliche Licht noch nicht schauen zu können; und wenn dazu noch jener Drang in der Seele kommt, die ohne Hindernis sein möchte, um sich von dieser einigenden Liebe anziehen zu lassen, so sage ich, daß die Erkenntnis all dieser vorhin genannten Dinge das ist, was jene schmerzliche Qual erzeugt, die die Seelen im Fegfeuer erleiden.

Nicht als ob diese Seelen ihrer schmerzlichen Strafe, auch wenn sie überaus groß ist, besonderes Gewicht beimessen würden, es hat für sie viel mehr zu bedeuten, daß sie in sich noch jene Gegensätzlichkeit zum Willen Gottes vorfinden, den sie doch ganz klar von jener äußersten lauteren Liebe gegen sie entflammt sehen, die sie so stark mit jenem verbindenden Liebesblick anzieht, als habe sie überhaupt nichts anderes zu tun.

Darum würde die Seele, wenn sie noch ein weiteres Fegfeuer über diesem vorfände, in welchem sie noch schneller von diesem Hindernis befreit werden könnte sich sogleich mit dem Ungestüm jener Liebe, die zwischen Gott und der Seele Gleichförmigkeit herstellt, da hineinstürzen.

 

X. Kapitel

 

Ich sehe auch, daß von jener göttlichen Liebe zur Seele hin gewisse Strahlen und Blitze ausgehen, die so feurig und durchdringend sind, daß es scheint, sie müßten nicht nur den Leib, sondern auch die Seele, wenn das möglich wäre, vernichten.

Diese Strahlen bringen zwei Wirkungen in der Seele hervor: Die eine besteht darin, daß sie reinigt, die andere, das sie vernichtet.

Das Gold wird, je mehr man es einschmilzt, umso edler; du könntest es so lange schmelzen, bis in ihm gar jede Unvollkommenheit vernichtet wäre. Das Feuer ist jene Kraft, die in den materiellen Dingen diese Wirkung hervorbringt. Aber die Seele kann man nicht in Gold vernichten, sondern nur in sich selbst; und je mehr du sie reinigst, desto mehr wird sie in sich selbst vernichtet; und in Gott bleibt die Seele gereinigt.

Wenn das Gold bis zu 24 Karat gereinigt ist, wird es durch das Feuer nicht mehr weiter verzehrt, so sehr du es auch steigern magst, denn das Feuer kann das Gold nicht mehr verzehren, nur die Unvollkommenheit des Goldes verzehrt es.

So macht es auch das göttliche Feuer in der Seele. Gott hält sie so lange in das läuternde Feuer, bis dieses jede Unvollkommenheit in ihr aufgezehrt und sie zur Vollkommenheit geführt hat, jede Seele nach ihrer Weise.

Und wenn die Seele so geläutert ist, bleibt sie ganz in Gott, ohne irgendetwas noch weiter für sich selbst zu sein, denn die Läuterung der Seele besteht in der Entäußerung von uns in uns; unser wahres Sein ist ja Gott, der die Seele zur Läuterung von 24 Karat führt. Von da an ist die Seele dann leidensunfähig, weil es in ihr nichts mehr gibt, das aufgezehrt werden könnte. Selbst wenn die geläuterte Seele weiter in das Feuer hineingehalten würde, so wäre das für sie nicht mehr schmerzlich, es wäre vielmehr nur noch das Feuer der göttlichen Liebe, das für die Seele nichts anderes mehr bedeutet als das ewige Leben. Die Seele wäre nun frei von jeder Gegensätzlichkeit, wie das bei den zur Heiligkeit gelangten Seelen der Fall ist, und zwar schon im diesseitigen Leben, sofern es in diesem Zustand überhaupt noch möglich wäre, im Leibe zu verbleiben. Ich glaube nämlich nicht, daß Gott solche Seelen noch auf Erden belassen würde; nur durch ganz große göttliche Einwirkung wäre dies möglich.

 

Xl. Kapitel

 

Die Seele ist mit der Bestimmung zu all jener Vollkommenheit erschaffen worden, deren sie fähig war. Sie hätte dahin kommen müssen durch eine Lebensführung, wie sie ihr aufgetragen war, ohne sich mit Sünde zu beflecken. Aber als sie sich dann mit der Erbsünde befleckt hatte und auch noch durch persönliche Tatsünden, da verlor die Seele ihre (außernatürlichen und übernatürlichen) Gnadengaben und war nun tot und konnte jetzt nur noch durch Gott wieder zum Leben erweckt werden.

Als die Seele dann mittels der Taufe wieder zum Leben erweckt worden war, blieb in ihr die Neigung zum Bösen zurück, die zur persönlichen Tatsünde geneigt macht und zu ihr hinführt, wenn nicht Widerstand geleistet wird. Durch die persönliche Tatsünde aber verfällt die Seele auf's neue dem Tod.

Dann aber erweckt Gott sie noch einmal zum Leben durch eine ganz besondere weitere Gnade. Die Seele bliebe nämlich jetzt so besudelt und in sich gekehrt, daß nun, um sie zu ihrem ersten Zustand zurückzubringen, all jene göttlichen Tätigkeiten notwendig sind, ohne die die Seele nie mehr zu jenem ersten Zustand zurückkehren könnte, in welchem Gott sie geschaffen hat.

Wenn sich nun die Seele auf dem Weg befindet, zu jenem ersten Zustand zurückzukehren, so ist der glühende Drang, sich in Gott zu verwandeln, in ihr so groß, daß das ihre Läuterung bewirkt. Nicht als ob die Seele die Läuterung als Läuterung ins Auge fassen könnte, aber jener Drang in ihr, der ungemein glühend und doch zugleich behindert ist, bildet eben ihre Läuterung.

Dieser letzte Akt der Liebe ist es, der dieses Werk ohne die Mitwirkung des Menschen vollbringt. Denn der Mensch fände in der Seele so viele verborgene Unvollkommenheiten vor, daß er, wenn er sie sehen könnte, in Verzweiflung geriete. Dieser letzte Akt der Liebe aber verzehrt alle Unvollkommenheiten. Und erst dann, wenn sie verzehrt sind, zeigt sie Gott der Seele, damit sie das göttliche Wirken erkenne, das in ihr jenes göttliche Feuer entzündet, durch das all jene Unvollkommenheiten verzehrt werden, die noch zu verzehren sind.

 

XII. Kapitel

 

Wisse, daß das, was der Mensch in sich für Vollkommenheit hält, vor Gott ein Mangel (Defekt) ist. Mit all dem, was der Mensch unter dem Schein der Vollkommenheit tut, wie immer er es sieht, hört, versteht, will oder im Gedächtnis hat, in all dem befleckt er sich. Denn wenn eine Tätigkeit vollkommen sein soll, muß sie gewirkt werden in uns ohne uns, was den innersten Beweggrund betrifft; und die Tätigkeit Gottes muß in Gott ohne den Menschen sein.

Das ist jene Tätigkeit, die Gott in jenem letzten Stadium der Einwirkung auf die Seele durch die reine, lautere Liebe aus sich allein wirkt. Diese Einwirkung Gottes auf die Seele ist so durchdringend und glühend, daß der Leib, der die Seele umschließt, zu vergehen scheint; es ist, wie wenn die Seele in einem gewaltigen Feuer stünde und bis zum Tod nie mehr Ruhe bekäme. Die Liebe Gottes, die in die Seele überströmt, gibt ihr aber (nach dem, wie ich es sehe) eine solche Zufriedenheit ein, wie man dies gar nicht schildern kann. Diese Zufriedenheit aber nimmt den Seelen, die im Fegfeuer sind, nicht einen Funken der schmerzlichen Pein. Gerade dadurch, daß die Liebe in ihnen noch behindert ist, entsteht ja in ihnen die schmerzliche Pein. Und diese Pein ist um so schmerzlicher, je vollkommener die Liebe ist, zu der Gott die Seele fähig macht. So haben die Seelen in der Läuterung des Fegfeuers zugleich allergrößte Zufriedenheit (und Freude) und allergrößte Pein, und das eine hebt das andere nicht auf.

 

XIII. Kapitel

 

Wenn die Seelen mittels der Reue sich läutern und reinigen könnten, so würden sie in einem einzigen Augenblick von all ihrer Sündenschuld gereinigt; solche Glut der Reue entstünde in ihnen durch jene Erkenntnis, die sie von der Bedeutung jenes Widerstandes haben, der sie noch nicht mit ihrem letzten Ziel, mit Gott, der die Liebe ist, eins werden läßt. Und das sollst du als gewiß annehmen: Von der Abzahlung der Schuld wird jenen Seelen auch nicht die kleinste Kleinigkeit erlassen, da es so von der göttlichen Gerechtigkeit verfügt worden ist. So sieht dies von seiten Gottes her aus. Von seiten der Seele aber ist es so, daß sie keine freie Willensentscheidung mehr treffen kann und daß sie nichts anderes mehr sehen kann als nur das, was Gott will; sie möchte auch gar nichts anderes mehr sehen, denn sie ist so festgelegt.

Und wenn den Seelen von jenen Menschen, die noch in der Welt sind, ein Almosen gemacht würde, um ihre Zeit (der Läuterung) abzukürzen, so können sie sich nicht mehr mit Affekt umwenden, um das zu sehen, sondern sie überlassen es Gott, was auf seine Art bezahlt wird. Wenn sie sich dem noch zuwenden könnten, so wäre das ein Eigensein, das ihnen die Sicht auf das göttliche Wollen entziehen würde; das aber wäre die Hölle.

 

XIV. Kapitel

 

So stehen die genannten Seelen in der Läuterung des Fegfeuers unbewegt all dem gegenüber, was Gott ihnen gibt an freudiger Zufriedenheit oder an schmerzlicher Pein. Sie können sich nie mehr auf sich selber zurückwenden, so sehr ist in ihnen ihr Wille zu innerst umgeformt in den Willen Gottes; seine Anordnung befriedigt sie.

Und würde eine solche Seele, die noch eine Stunde der Läuterung vor sich hätte, bereits in die Anschauung Gottes versetzt, so würde ihr damit eine größere Pein als die von zehn Fegfeuern zugefügt. Denn sie könnte jene höchste Gerechtigkeit und reinste Güte, die Gott ist, noch nicht ertragen; es wäre auch auf seiten Gottes unpassend. Für jene Seele aber wäre es ganz unerträglich, wenn sie sehen müßte, daß Gott noch nicht voll Genugtuung geleistet wäre, auch wenn nur so viel wie das geringste Zucken mit der Augenwimper zur genugtuenden Läuterung fehlen würde. Um diesen letzten Rostfleck loszuwerden, ginge die Seele lieber noch in tausend Höllen, wenn sie die Wahl hätte, als in der Gegenwart Gottes noch nicht ganz und gar gereinigt und geläutert zu erscheinen.

 

XV. Kapitel

 

Da ich diese Dinge im göttlichen Lichte sah, kam mir das Verlangen, einen so gewaltigen Schrei auszustoßen, daß sich alle Menschen auf dieser Erde entsetzen würden, denn ich würde ihnen sagen: O ihr Erbarmungswürdigen, die ihr euch in dieser Welt so blenden laßt, daß ihr für die so ungeheuer bedeutsame und wichtige Notwendigkeit, wie ihr sie einmal vorfinden werdet, keinerlei Vorkehrungen trefft? Ihr alle haltet euch gedeckt durch die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit, von der ihr sagt, sie sei doch so groß. Aber seht ihr denn nicht, daß die so große Güte Gottes euch zum Gericht gereichen wird, weil ihr gegen seinen Willen gehandelt habt? Gerade seine Güte müßte euch dazu verpflichten, all das zu tun, was er will, und sollte in euch nicht die Hoffnung wecken, Böses (ungestraft) tun zu dürfen. Denn auch Gottes Gerechtigkeit kann nicht ausgeschaltet werden; ihr muß einmal in irgendeiner Weise vollkommen Genugtuung geleistet werden.

Baue nicht darauf, daß du sagst: „Ich werde beichten und dann einen vollkommenen Ablaß gewinnen und werde so in jenem (entscheidenden) Augenblick von allen meinen Sünden gereinigt und dann (sicher) gerettet sein.“ Bedenke, daß eine solche Beichte und Reue, wie sie für das Gewinnen des vollkommenen Ablasses nötig sind, so schwer zu verwirklichen sind, daß du, wenn du das wüßtest, vor Furcht zittern und eher darüber gewiß sein würdest, das alles nicht mehr erlangen zu können als noch zu erlangen.

 

XVI. Kapitel

 

Ich sehe jene Seelen, die in der schmerzlichen Pein der Läuterung im Fegfeuer sind, mit der Einsicht in zwei innere Vorgänge: Die erste Einsicht ist die, daß sie gerne jene schmerzliche Pein erleiden. Ja, es scheint ihnen sogar, Gott erweise ihnen dadurch ganz große Barmherzigkeit im Vergleich zu dem, was sie verdient hätten, zumal sie nun einsehen, was Gott bedeutet. Denn wenn Gottes Güte nicht seine Gerechtigkeit durch seine Barmherzigkeit gemildert hätte, da seine Barmherzigkeit der Gerechtigkeit Genugtuung leistete mit dem Blute Jesu Christi, so würde eine einzige (Tod‑)Sünde tausendfach die ewige Hölle verdienen. Darum sehen sie ein, daß ihnen große Barmherzigkeit erwiesen wurde; sie erleiden deshalb die schmerzliche Pein des Fegfeuers gerne und sie möchten nicht auf ein einziges Quantum davon verzichten, weil es ihnen scheint, daß sie es gerechterweise verdienen, und daß es so gut angeordnet ist; sie können sich darum auch über Gott nicht beklagen und es ist, so weit es auf den Willen ankommt, so, wie wenn sie schon im ewigen Leben wären. Der andere Vorgang ist eine gewisse Zufriedenheit mit der Anordnung Gottes. Sie sehen ja diese Anordnung Gottes von seiner Liebe und Barmherzigkeit gegen die Seelen verfügt.

Diese beiden Einsichten prägt Gott jenen Seelen in einem Augenblick ein; und da sie im Gnadenstand sind, erfassen sie dieselben, wie sie sind, gemäß ihrer Fähigkeit. Darum geben ihnen diese beiden Einsichten eine große Befriedigung, die ihnen niemals fehlt, die in ihnen vielmehr ständig wächst durch die immer größer werdende Annäherung an Gott.

Beide Vorgänge erkennen die Seelen aber nicht in sich und durch sich selbst, sondern in Gott; auf Ihn richten sie ihre Aufmerksamkeit viel mehr als auf die schmerzliche Pein, die sie erleiden, weil sie Ihm die größte Wertschätzung entgegenbringen. Denn jede noch so geringe Erkenntnis, die man von Gott haben kann, übertrifft jede Pein und jede Freude, die den Menschen erfassen können. Obgleich aber die Erkenntnis Gottes Pein und Freude übertrifft, so nimmt sie den Seelen (im Fegfeuer) dennoch keinen Funken, sei es von der Zufriedenheit, sei es von der schmerzlichen Pein.

 

XVII. Kapitel

 

Die Art der Läuterung, die ich bei den Seelen im Fegfeuer sehe, fühle ich auch in meiner Seele, ganz besonders in den letzten zwei Jahren. Jeden Tag sehe und fühle ich das noch klarer; denn ich sehe meine Seele in diesem Leib wie in einem Fegfeuer wohnen, das jenem Fegfeuer gleichförmig ist. Es geschieht das zwar nur in dem Ausmaß, wie es der Leib ertragen kann, ohne zu sterben, doch ständig wachsend und wachsend, bis es so weit ist, daß er dennoch stirbt.

Ich sehe meinen Geist all jenen geistigen Dingen entfremdet, die ihm noch Erquickung verschaffen könnten, nämlich Fröhlichkeit, Freude und Trost. Mein Geist kann kein geistiges Ding mehr verkosten, weder im Willen, noch im Verstand, noch im Gedächtnis, worauf er sagen könnte: Ich ergötze mich mehr an diesem als an jenem Ding. Mein Innerstes ist so unbeweglich geworden und so belagert, daß ihm all jene Dinge, die das geistliche und leibliche Leben erquicken, nach und nach allesamt genommen werden... Der Geist hat in sich den Trieb, sich von allem zu befreien, was seiner Vervollkommnung hinderlich sein könnte, und zwar mit solcher Grausamkeit, daß er es ertragen würde, in die Hölle versetzt zu werden, um zu seinem Ziel zu gelangen.

Darum räumt er alles weg, was den inneren Menschen erquicken könnte, und er belagert ihn so sorgfältig, daß auch nicht das minimalste Splitterchen durchkommen könnte, ohne von ihm bemerkt und verabscheut zu werden...

Was nun den äußeren Menschen betrifft, so bleibt auch er, da der Geist ihm nicht zustimmt, so belagert, das er nichts mehr auf dieser Erde findet, wodurch er noch ergötzt werden könnte gemäß dem menschlichen Trieb. Es bleibt ihm kein anderer Trost als nur Gott, der all das aus Liebe und großer Barmherzigkeit tut, um seiner Gerechtigkeit Genugtuung zu verschaffen. Diese Einsicht gibt der Seele große Zufriedenheit und großen Frieden. Aber diese Zufriedenheit vermindert jedoch nicht die schmerzliche Pein und auch nicht die Belagerung. Es könnte ihm jedoch so große Qual angetan werden, daß er von dieser göttlichen Anordnung wegkommen möchte; er trennt sich nicht vom Gefängnis und versucht nicht einmal, hinauszukommen, bis Gott alles getan hat, was notwendig ist. Meine Zufriedenheit finde ich darin, daß Gott Genugtuung geleistet wird; ich könnte keine schmerzlichere Pein finden als diese, aus Gottes Anordnung herauszutreten, so sehr erkenne ich sie als gerecht und voll Barmherzigkeit an.

Und sie sagt: Alle diese Dinge sehe und berühre ich, aber ich weiß keine Worte zu finden, die geeignet wären, das auszudrücken, was ich sagen möchte. Das, was ich gesagt habe, fühle ich innerlich, geistigerweise in mir wirken.

Das Gefängnis, in welchem mir zu sein vorkommt, ist die Welt; die Fesseln sind der Leib. Die im Gnadenstand befindliche Seele aber erkennt, was es bedeutet, davon beraubt zu sein oder durch irgendein Hindernis zurückgehalten zu werden, so daß sie noch nicht zu ihrem Ziel gelangen kann. Das verursacht der Seele große schmerzliche Pein, zumal sie von zartem Wesen ist und von Gott gnadenhaft eine solche Würde empfing, so daß sie ihm durch Teilhabe (an seiner göttlichen Natur) ähnlich geworden ist, das heißt, er möchte sie eins mit sich durch Teilhabe an seiner Güte. Und wie es für Gott unmöglich ist, von irgendeiner schmerzlichen Pein getroffen zu werden, so geschieht es auch den Seelen, die sich ihm nähern: je mehr sie ihm nahekommen, desto mehr empfangen sie von seiner Eigenheit.

Darum ist die Verzögerung, die die Seele erfährt, die Ursache ihrer schmerzlichen Pein; diese Verzögerung und diese schmerzliche Pein entstellen die Seele in jener Eigenheit, die ihr von Natur aus eigen ist. Gnadenhaft sind sie ihr gezeigt worden; und da sie sie nicht haben kann, aber ihrer fähig ist, bleibt sie in der schmerzlichen Pein, die so groß ist wie ihre Ehrfurcht vor Gott. Diese Ehrfurcht ist aber um so größer, je mehr sie ihn erkennt und schätzt. Je mehr sie ohne Sünde ist, desto mehr erkennt und schätzt sie ihn, am meisten, wenn die Seele ganz in Gott gesammelt ist; sie hat dann keine Behinderung mehr und erkennt ihn ohne Irrtum.

Und wie der Mensch, der sich lieber töten läßt, als daß er Gott beleidigen würde, zwar das Sterben, das ihm eine schmerzliche Pein bereitet, die Erleuchtung durch Gott ihm aber einen Eifer eingibt, der ihn die Ehre Gottes höher schätzen läßt als den leiblichen Tod, so schätzt die Seele, die die Anordnung Gottes erkennt, diese göttliche Anordnung mehr als alle inneren und äußeren Qualen, so schrecklich sie auch sein können. Denn Gott, für den sie dies alles tut, übersteigt alles, was sich ausdenken und fühlen läßt.

Da die Beschäftigung mit Gott, die er der Seele verleiht — und wäre sie auch noch so gering —, sie ganz in Beschlag nimmt, so daß sie nichts anderes mehr achten kann, so verliert sie jedes Eigensein und sie sieht und spricht und kennt weder Unheil noch Schmerz mehr in sich selbst; doch erkennt sie dies alles, wie schon gesagt, in einem Augenblick, nämlich beim Scheiden aus dieser Welt. Schließlich begreifen wir am Ende, daß Gott alles, was des Menschen ist, vernichtet und das Fegfeuer die Seele reinigt und läutert.


 

Schlußüberlegungen zur Fegfeuerlehre der heiligen Catharina

 

Wenn man nach der Lektüre des „Traktats über das Fegfeuer“ überlegt, worin das Wesen des Zustandes der Armen Seelen im Fegfeuer in der Sicht der hl. Catharina von Genua besteht, so ist folgendes zu sagen:

Die Seele hat das furchtbare Gericht Gottes glücklich hinter sich gebracht; sie konnte, weil im Gnadenstand befunden, vor dem ewigen Richter bestehen. In der ersten Begegnung mit dem göttlichen Richter ist die Seele durch das Licht der ewigen Wahrheit erleuchtet worden. Sie erkennt einerseits die unendliche Güte Gottes, seine strenge Gerechtigkeit, seine wahrhaft göttliche Reinheit und Heiligkeit, anderseits aber auch die Tatsache, daß sie selbst noch nicht würdig ist, vor dem Angesicht ihres Herrn und Geliebten zu erscheinen. Auf seiten Gottes gibt es zwar kein Hindernis für den Eintritt der Seele in die ewige Seligkeit als nur seine unendliche, ganz vollkommene und absolut reine und heilige Wesenheit, die im Kontrast steht zu der noch vorhandenen Unvollkommenheit der Seele, die in ihrer Liebe zu Gott, dem höchsten und liebenswürdigsten Gut, noch gehemmt ist und noch behindert wird in der ersehnten, über alles beglückenden Vereinigung mit Gott. Die im Erdenleben begangenen Sünden sind zwar vergeben, aber sie haben in der Seele Wunden zurückgelassen, „Rostflecken“ gleichsam, die noch aus dem Gold der von Gott ganz rein und schön geschaffenen Seele herausgebrannt werden müssen. Eine geheimnisvolle Kraft zieht zwar die im Gnadenstand ins Jenseits hinübergegangene Seele zu Gott hin, gleichzeitig aber wird sie durch eine innere Kraft noch von Gott zurückgehalten. Aus dieser Verzögerung der Vereinigung der Gott liebenden, im Gnadenstand befindlichen Seele mit dem liebenden, aber sie ganz rein und vollkommen erwartenden Gott entsteht in der Seele eine Art Feuer, das zwar dem in der Hölle ähnlich und doch von diesem wieder ganz verschieden ist. Dieses Feuer reinigt und läutert die Seele von allem „Rost der Sünde“. Wenn man eine Art Psychologie der Seelen im Fegfeuer entwerfen sollte, könnte man etwa folgendes skizzieren:

1. Es gibt in den Armen Seelen schmerzvollste Pein und dennoch zugleich heilige Freude:

Die Ursache der schmerzvollen Pein ist eine dreifache:

a) das Wissen darum, noch etwas an sich zu haben, das Gott mißfällt,

b) das Wissen darum, daß Gottes Liebe die Seele schon bei sich im ewigen Glück haben möchte, daß aber in ihr noch jenes Hindernis vorhanden ist, das durch die Sünde der Vereinigung mit Gott entgegengestellt wurde,

c) das Wissen darum, daß die Erlangung der beseligenden Anschauung Gottes, die von der Seele so glühend herbeigesehnt wird und ihr schon gewiß ist, durch sie selbst noch eine Verzögerung erfährt.

Eigenartig ist, daß die schmerzliche Pein der Seelen im Fegfeuer nicht etwa mehr und mehr abnimmt, sondern in der Sicht der hl. Catharina von Genua immer stärker und stärker wird, je mehr es der Befreiung aus dem Fegfeuer entgegengeht: Die immer mehr wachsende Erkenntnis Gottes, mit der wachsende Sehnsucht, Ihn zu schauen, und wachsende Liebe verbunden sind, verstärkt den Schmerz über die Verzögerung der Anschauung Gottes.

Zusammen mit schmerzvollster Pein gibt es in den Seelen aber ganz große Freude. Auch diese wächst immer mehr, je mehr es Gott entgegengeht. Quelle der Freude in den Armen Seelen ist neben der zweifelsfreien Gewißheit, das ewige Heil sicher zu erlangen, das Wissen darum, daß der liebende Gott in großer Barmherzigkeit die Läuterung der Seele verfügt hat, um so seiner Gerechtigkeit Genugtuung zu verschaffen.

2. Es gibt in den Armen Seelen im Fegfeuer eine ganz große Gottesliebe. Diese Liebe zu Gott, der mit sanfter Gewalt die von Ihm geliebte Seele an sich zieht, bringt in der Seele im Fegfeuer eine sechsfache Wirkung hervor:

a) Diese Liebe bewirkt eine Umgestaltung der Seele, die immer mehr Gott ähnlich wird.

b) Diese Liebe bewirkt völlige Ergebung in die vom liebenden Gott für sie getroffene Anordnung und damit eine immer vollständigere Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes.

c) Diese Liebe adelt die Seele, die von jedem Egoismus frei wird, sich selbst ganz vergißt, dem Leiden gegenüber ganz indifferent wird, vielmehr sich sogar immer stärker nach dem läuternden Leiden sehnt.

d) Diese Liebe reinigt die Seele immer mehr: Den von Gott ausgehenden reinigenden Strahlen des Feuers göttlicher Liebe antwortet die Seele mit immer intensiverer Gegenliebe. So wird die Seele von allen Rostflecken begangener Sünden frei.

f) Diese Liebe vernichtet schließlich alles in der Seele, was noch unvollkommen in ihr ist.

g) Diese Liebe weckt in der von falscher Eigenliebe völlig frei gewordenen Seele ganz große Freude, die der Vorgeschmack der ihr zuteil werdenden ewigen Freude der beseligenden Anschauung Gottes ist. Weil sich die Seele ganz und gar vergessen hat und ganz von Gott beschlagnahmt ist durch die Liebe, erträgt sie auch die schmerzvollste Pein des Fegfeuers mit größter Freude.

Aus allen Überlegungen der hl. Catharina von Genua über das Fegfeuer spürt man heraus, daß hier jede ungute Materialisierung des Ortes (sofern man überhaupt davon sprechen kann) und des Zustandes des Fegfeuers fehlt; sie sieht alles vergeistigt im Feuer der Liebe, das von Gott, der die Liebe selber ist, ausgeht und das in der noch nicht ganz reinen, noch nicht ganz vollkommenen und der lautersten Reinheit und Heiligkeit Gottes noch nicht voll entsprechenden Seele vollkommene Läuterung schafft.


 

Lebensabriß der heiligen Catharina

 

15.6.1447 in Genua geboren als letztes von fünf Kindern des bei ihrer Geburt schon verstorbenen Vaters Giacomo Fieschi und der Mutter Francesca Di Negro.

1460 äußert sie mit 13 Jahren den festen Willen, dem Beispiel ihrer älteren Schwester Limbania folgen und in das Augustiner-Chorfrauen‑Kloster S. Maria delle Grazie in Genua eintreten zu wollen; sie erhält nicht die Erlaubnis.

13.1.1463 wird sie im Alter von erst 16 Jahren mit Giuliano Adorno vermählt.

1463 bis 1468: die fünf traurigen Ehejahre.

1468 Bis 1473: die fünf mondänen Ehejahre.

22.3.1473: Versuch, eine Generalbeichte abzulegen, sie wird von der Liebe Gottes überwältigt; erste Vision des blutüberronnenen Gekreuzigten.

24.3.1473: Generalbeichte, Bekehrung, Beginn eines neuen Lebens. Es folgen die Jahre harter Buße und des Einsatzes für die Kranken.

1476: Bekehrung des Gemahls der hl. Catharina Giuliano Adorno.

1476 bis 1497: Josefsehe Catharinas mit Giuliano Adomo.

1482 fäng Catharina mit ihrem Gemahl in der Nähe des Spitals Pammatone zu wohnen an.

1490 bis 1496 ist Catharina Rektorin des Spitals Pammatone.

1493: Pest in Genua, die 80 Prozent der Bevölkerung hinwegrafft; Catharina zieht sich bei der Pflege der Pestkranhen selbst die Pest zu, kommt aber mit dem Leben davon; es beginnt die geistliche Freundschaft mit Ettore Vernazza.

10.1.1497: Catharinas Gemahl Giuliano Adorno stirbt; die Witwe Catharina, die durch 25 Jahre ohne geistliche Leitung (nur von Gott selbst geführt) gelebt hat, komme nun unter die geistliche Leitung des Priesters Cattaneo Marabotto; Freunde, geistliche Söhne und Töchter sammeln sich um Catharina, urn ihre geistlichen Gespräche zu hören und niederzuschreiben.

1506 bis 1510: Catharina leidet unter einer natürlich nicht erklärbaren Krankheit.

14./15. September 1510: Catharina stirbt.

1512: 18 Monate nach ihrem Tod wird ihr Leichnam exhumiere; er war noch ganz unverwest; er blieb acht Tage lang zur Verehrung ausgesetzt; dabei erfolgten wunderbare Heilungen.

1610: Beginn des Seligsprechungsprozesses.

1675: Seligsprechung Catharinas durch Papst Clemens X.

16.6.1737: Heiligsprechung Catharinas zusammen mit Vinzenz von Paul, Franz Regis und Juliana Falconieri durch Papst Clemens XII.

1908: Friedrich von Hügel analysiere die sogenannten Werke der. hl. Catharina (Vita — Trattato del Purgatorio — Dialogo tra anima, corpo, amor proprio, spirito, umanità e Dio; alle drei Werke sind nach Fr. v. Hügel das Resultat einer zwischen 1495 und 1551 langsam voranschreitenden Erarbeitung aus den Gesprächen der hl. Catharina durch Ettore und Battestina Vernazza, Cattaneo Marabotto, Angelo Carletti u. a.

1944: Pius XII. ernennt die hl. Catharina von Genua zur zweiten Patronin der Krankenhäuser Italiens.

1962: P. Umile Bonzi da Genova OFMCap publiziert sein zweibändiges Werk „Santa Caterina Fieschi Adorno: Volume 1: Teologia mistica di S. Caterina da Genova, Volume II: Edizione critica dei Manoscritti Cateriniani“ mit neuesten Forschungsergebnissen über Leben und Werk der hl. Catharina von Genua, wobei die Forschungsergebnisse von Friedrich von Hügel teilweise korrigiert, teilweise ergänzt wurden.


 

Schreiben der päpstlichen Glaubenskongregation zu Fragen der Eschatologie

 

... Die Verantwortlichen (in der Kirche) müssen allem große Aufmerksamkeit schenken, was im allgemeinen Bewußtsein der Gläubigen eine allmähliche Verfälschung und eine fortschreitende Auflösung irgendeiner Wahrheit des bei der Taufe abgelegten Glaubensbekenntnisses verursachen könnte, besonders wenn diese Wahrheit für den Gesamtzusammenhang des Glaubens notwendig und mit bestimmten wichtigen, zum Leben der Kirche dazugehörigen Bräuchen unlösbar verbunden ist.

Es scheint uns nun notwendig und dringend, vor allem auf eine dieser Wahrheiten die besondere Aufmerksamkeit derer zu lenken, denen Gott die Förderung und den Schutz des Glaubens zur Aufgabe gemacht hat, damit Gefahren abgewendet werden, die diesen Glauben in den Herzen der Gläubigen bedrohen könnten.

Es geht um den Glaubensartikel vom ewigen Leben und damit um alles, was sich nach dem Tod (jedes Menschen) ereignen wird. Bei der Darlegung dieser Lehre darf nichts verkürzt werden, sie darf auch nicht unvollkommen oder unsicher erfolgen, soll sie nicht den Glauben und das Heil der Gläubigen gefährden.

Sicher entgeht ja niemand die Bedeutung dieses letzten Artikels unseres Glaubensbekenntnisses. In ihm werden nämlich Ziel und Zweck des Heilsplanes Gottes ausgesprochen, dessen Entfaltung im Glaubensbekenntnis beschrieben wird.

Wenn es (nach dem Tod) keine Auferstehung (und kein ewiges Leben) gibt, dann fällt das ganze Glaubensgebäude, wie der hl. Paulus im 15. Kapitel des 1. Korinterbriefes nachdrücklich betont, zusammen. Wenn für uns Christen nicht ganz sicher feststeht, was Sinn und Inhalt der Worte vom Ewigen Lebens ist, dann zerrinnen die Verheißungen des Evangeliums sowie die Bedeutung der Schöpfung und Erlösung und sogar die Bedeutung des Erdenlebens, das ja dann jeglicher Hoffnung beraubt wird (vgl. Hebr 11,1).

Wie könnte man die Not und Angst übersehen, die heute viele bezüglich dieser Frage (nach dem ewigen Leben) bedrängen? Wer würde nicht beobachten, wie sich hier in den Herzen vieler ein immer tieferer Zweifel breitmacht? Wenn es auch glücklicherweise meistens noch so ist, daß der Christ noch keinen positiven Zweifel hegt, so vermeidet er es doch nicht selten, über sein Geschick nach dem Tod nachzudenken, weil er Fragen vorauszuahnen beginnt, die zu beantworten er sich scheut: Gibt es überhaupt etwas nach dem Tod? Bleibt von uns, wenn wir gestorben sind, etwas erhalten? Oder erwartet uns etwa das Nichts. Dieser (psychische) Zustand ist teilweise auf den Einfluß zurückzuführen, den die heute weithin in der Öffentlichkeit ausgetragenen theologischen Kontroversen ungewollt auf die Christen ausüben. Der größere Teil der Gläubigen vermag nämlich weder den genauen Gegenstand noch das Gewicht dieser Kontroversen zu erfassen.

So wird heute tatsächlich über die Existenz der Seele und die Bedeutung des Lebens nach dem Tod diskutiert und man fragt sich, was denn zwischen dem Tod des Christen und der allgemeinen Auferstehung geschieht. Durch all das werden die Gläubigen verwirrt, zumal sie ihre gewohnte Sprechweise und die ihnen vertrauten Begriffe nicht mehr wiederfinden.

Es geht hier nun keineswegs darum, die theologische Forschung einzuschränken oder gar zu verhindern. Der Glaube der Kirche braucht sie ja und sie muß sich das Studium der Theologen zunutze machen. Dennoch darf deshalb keineswegs die Pflicht vernachlässigt werden, rechtzeitig den Glauben der Christen gerade in Bezug auf jene Wahrheiten zu bekräftigen, die da heute in Zweifel gezogen werden.

Es ist nun unsere Absicht, die Natur und die verschiedenen Aspekte dieser doppelten, schwierigen Aufgabe in dieser komplexen Situation zusammenfassend in Erinnerung zu rufen.

Vor allem müssen jene, die einen (kirchlichen) Lehrauftrag haben, klar unterscheiden, was nach dem Urteil der Kirche zum Wesen des Glaubens gehört. Die theologische Forschung darf kein anderes Ziel haben, als dies tiefer zu erforschen und zu entfalten.

Die Päpstliche Glaubenskongregation, der die Förderung und der Schutz der Glaubenslehre obliegt, möchte hier in Erinnerung rufen, was die Kirche im Namen Jesu Christi lehrt, vor allem das, was zwischen dem Tod des Christen und der allgemeinen Auferstehung geschieht:

1. Die Kirche glaubt an die Auferstehung der Toten (vgl. das Apostolische Glaubensbekenntnis).

2. Die Kirche versteht diese Auferstehung so, daß sie den ganzen Menschen betrifft; dabei ist dies für die Auserwählten nichts anderes als die Ausweitung der Auferstehung Jesu Christi selbst auf die Menschen.

3. Die Kirche hält an der Fortdauer und Subsistenz eines geistigen Elements (des Menschen) nach dem Tod fest. Dieses geistige Element, das mit Bewußtsein und (freiem) Willen ausgestattet ist, besteht (nach dem Tod des Menschen) weiter als das „Ich des Menschen“, dem zwischenzeitlich (interim) der ergänzende Teil des Leibes fehlt („interim sui corporis complemento carens“). — Um dieses Element zu bezeichnen, verwendet die Kirche den Ausdruck „Seele“, der sich durch den Gebrauch in der Heiligen Schrift und in der Tradition fest eingebürgert hat. — Obwohl die Kirche nicht übersieht, daß dieser Ausdruck („Seele“) in der Heiligen Schrift verschiedene Bedeutung hat, ist sie doch der Auffassung, daß es keinen wirklich stichhaltigen Grund dafür gibt, diesen Ausdruck abzulehnen, zumal ja irgendein sprachlicher Ausdruck zur Stütze des Glaubens der Christen einfach notwendig ist.

4. Die Kirche lehnt jede Denk‑ und Sprechweise ab, durch die ihre Gebete, die Beerdigungsriten und der Totenkult ihren Sinn verlieren und unverständlich würden; denn all das stellt in seiner Substanz einen „Locus theologicus“ dar.

5. Die Kirche erwartet gemäß der Heiligen Schrift „die Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus in Herrlichkeit“ (Dei Verbum I, 4). Diese ist jedoch nach dem Glauben der Kirche als unterschieden und abgesetzt von der Situation des Menschen unmittelbar nach seinem Tod zu verstehen.

6. Die Kirche schließt in ihrer Lehre über das Schicksal des Menschen nach seinem Tod jede Erklärung (als unrichtig) aus, die die Bedeutung der Aufnahme Mariens in den Himmel (mit Seele und Leib) in jenem Punkt auflösen würde, der Maria allein zukommt: daß nämlich die leibliche Verherrlichung der seligsten Jungfrau Maria eine Vorwegnahme jener Verherrlichung ist, die für alle übrigen Auserwählten bestimmt ist.

7. Die Kirche, die am Neuen Testament und an der Überlieferung treu festhält, glaubt an die Seligkeit der Gerechten, die einmal bei Christus sein werden; die Kirche glaubt ebenso, daß den Sünder eine ewige Strafe so trifft, daß er der (beseligenden) Anschauung Gottes beraubt wird, und daß die Auswirkung dieser Strafe das ganze Sein des Sünders erfaßt. — Was aber die Auserwählten betrifft, so glaubt die Kirche, daß vor der (beseligenden) Anschauung Gottes eine Läuterung stattfinden kann, die jedoch von der ewigen Höllenstrafe der Verdammten grundverschieden ist. Das meint die Kirche, wenn sie einerseits von der Hölle, anderseits vom Fegfeuer, von der jenseitigen Läuterung spricht. Wenn man über das Geschick des Menschen nach seinem Tod spricht, so muß man sich ganz besonders vor einer Darstellungsweise hüten, die sich ausschließlich auf willkürliche Phantasievorstellungen stützt. Übertreibungen sind auf diesem Gebiet ein nicht geringer Grund für die Schwierigkeiten, denen hier der christliche Glaube heute oft begegnet. Anders ist es mit jenen Bildern, die wir in der Heiligen Schrift verwendet finden; sie verdienen besondere Ehrfurcht. Man muß ihren tieferen Sinn verstehen und man muß vermeiden, sie allzusehr abzuschwächen, weil das oft die Wirklichkeit selbst, die in diesen Bildern angedeutet wird, verflüchtigen würde.

Weder die Hl. Schrift noch die Theologen bieten uns genügend Licht, um das künftige Leben nach dem Tod des Menschen richtig zu beschreiben. Die Christen müssen auf jeden Fall die folgenden zwei Punkte festhalten:

a) Einerseits müssen sie an die grundsätzliche Fortdauer des gegenwärtigen Lebens in Christus im künftigen Leben in der Kraft des Hl. Geistes glauben; die Liebe ist nämlich das Gesetz im Reiche Gottes und unsere auf Erden geübte Liebe wird das Maß für unsere Teilnahme an der Herrlichkeit Gottes im Himmel sein;

b) anderseits müssen sie deutlich wissen, daß sich unsere Situation zwischen dem gegenwärtigen und dem künftigen (jenseitigen) Leben grundlegend ändert, weil der Ordnung des Glaubens die Ordnung des vollen Lichtes folgt und wir mit Christus sein und Gott schauen werden (vgl. 1. Joh 3, 2); in diesen Verheißungen und in diesen wunderbaren Geheimnissen besteht wesentlich unsere Hoffnung. Wenn unsere Vorstellungskraft nicht bis dorthin vorzudringen vermag, so gelangt doch unser Herz aus eigenem Antrieb und zu innerst dorthin.

Nachdem wir diese Glaubenswahrheiten ins Gedächtnis gerufen haben, sei es jetzt noch gestattet, die wichtigsten Aspekte der Seelsorge zu erläutern, die unter den heutigen Verhältnissen nach den Normen der christlichen Klugheit zu erfolgen hat: Die mit diesen (eschatologischen) Fragen verbundenen Schwierigkeiten legen den Theologen, deren Aufgabe ganz sicher unerläßlich ist, schwere Verpflichtungen auf. Sie haben aber ebenso auch ein Anrecht auf unsere Ermutigung und auf jenen Freiheitsraum, den ihre Methoden berechtigterweise fordern.

Was uns Bischöfe betrifft, so müssen wir den Christen unablässig die Lehre der Kirche in Erinnerung rufen, die sowohl für das christliche Leben als auch für das Forschen der Gelehrten die Grundlage bildet; wir müssen uns ferner darum bemühen, daß die Theologen unsere seelsorglichen Anliegen teilen, damit ihre Studien und Forschungen unter den Gläubigen, deren Glaube heute mehr denn je zuvor Gefahren ausgesetzt ist, nicht leichtfertig verbreitet werden...

Dieses Schreiben an die Bischöfe, das in der ordentlichen Versammlung der Päpstlichen Glaubenskongregation beschlossen wurde, hat Papst Johannes Paul II. in einer dem unterzeichneten Kardinalpräfekten gewährten Audienz gebilligt und dessen Veröffentlichung angeordnet.

 

Gegeben zu Rom am Sitz der Glaubenskongregation, den 17. Mai 1979

Franz Kardinal Seper, Präfekt

Fr. Hieronymus Hamer OP, Titular‑Erzbischof von Lorium, Sekretär


 

Kurze Erläuterung der sieben Thesen im Schreiben der Glaubenskongregation

 

Über das letzte Ziel des Menschen im ewigen Leben im Himmel und über die zuvor vielleicht nötige jenseitige Läuterung im Fegfeuer hat das II. Vatikanische Konzil im 7. Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ (Artikel 48‑51) und Papst Paul VI. in seinem „Credo des Gottesvolkes“ gesprochen. Dieser Papst wies dabei auch auf die Möglichkeit der Verfehlung des letzten Ziels in der ewigen Verdammnis der Hölle hin (Art. 21‑23). Dennoch fand sich die Päpstliche Glaubenskongregation am 17. Mai 1979 genötigt, in einem Schreiben an die Bischöfe der Weltkirche ausdrücklich noch einmal auf Fragen der Eschatologie hinzuweisen und den Glauben an das ewige Leben im Himmel, an die Möglichkeit der ewigen Verfehlung des ewigen Heils in der Hölle und an die Möglichkeit der jenseitigen Läuterung im Fegfeuer zu bekräftigen und in Schutz zu nehmen. Warum wohl? Weil viele Menschen heute mehr noch als vor fünfzehn Jahren von den Fragen gequält werden, ob es denn überhaupt ein Leben nach dem Tod gebe oder ob uns mit dem Tod das pure Nichts erwarte. — Überdies verunsichern manche moderne theologische Hypothesen auf eschatologischem Gebiet die noch gläubigen Christen. So leugnet der französische Dominikaner Jacques Pohier in seinem Buch „Quand je dis Dieu“ (Wenn ich Gott sage) das Weiterleben nach dem Tod, die Auferstehung der Toten und das ewige Leben bei Gott als Berufung des Menschen. Andere moderne katholische Theologen reden vom Ganztod des Menschen und der darauf sofort folgenden Auferstehung.

So war es an der Zeit, daß das Kirchliche Lehramt die Glaubenswahrheiten von der Fortdauer der unsterblichen Geistseele nach dem Tod, von der etwa nötigen jenseitigen Läuterung der Seele im Fegfeuer, von der allgemeinen Auferstehung, von Himmel und Hölle gegen alle falschen Ansichten verteidigte.

Die Glaubenskongregation tat dies im Schreiben an die Bischöfe vom 17. Mai 1979 in sieben Sätzen oder Thesen:

1. Der erste Satz legt für alle endzeitlichen (eschatologischen) Wahrheiten das Fundament: „Die Kirche glaubt an die Auferstehung der Toten“. P. Hünermann schreibt: „Dieser Satz nimmt das dritte Stück des Glaubensbekenntnisses auf. In ihm wird das Ziel der Heilsveranstaltung Gottes, das Ziel der ganzen Offenbarung genannt. Wenn Gott im ersten Artikel des Glaubens Bekenntnisses als Schöpfer bekannt wird, wenn im zweiten Artikel Jesus Christus als der Erlöser genannt wird, dann zielt doch der Sinn von Schöpfung wie der Sinn der Erlösung dahin, daß die Menschen zu Gott gelangen.“ Dies bekennen wir in dem Satz: „Wir glauben an die Auferstehung der Toten“. Insofern sagt das Schreiben der Glaubenskongregation zu Recht: Bricht man diesen Schlußstein aus dem Glaubensbekenntnis heraus, dann ist der Glaube im ganzen sinnlos. Damit greift die Glaubenskongregation das Wort des hl. Paulus aus dem 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes auf: „Denn falls keine Toten auferweckt werden, so ist auch Christus nicht auferweckt worden, dann ist euer Glaube unsinnig. Dann seid ihr noch in euren Sünden... Wenn wir weiter nichts sind als Leute, die nur in diesem Leben ihre Hoffnung auf Christus gesetzt haben, so sind wir die Bedauernswertesten unter allen Menschen.“ — Den Anfang der sieben Sätze bildet also der Bekenntnissatz: „Die Kirche glaubt an die Auferstehung der Toten“. An diesen Satz schließen sich drei weitere Thesen unmittelbar an.

2. Der zweite Satz lautet: „Die Kirche versteht diese Auferstehung so, daß sie den ganzen Menschen betrifft; dies ist für die Auserwählten nichts anderes als die Ausweitung der Auferstehung Christi selbst auf den Menschen.“

Dies ist eine sehr nüchterne Aussage. Es wird dabei nur gesagt: Die Auferstehung bezieht sich auf den „ganzen Menschen“. Über das „Wie“ wird nichts gesagt. Das Schweigen über das „Wie“ von Auferstehung, Himmel, Hölle, Fegfeuer ist kennzeichnend für das ganze Schreiben der Glaubenskongregation. Dafür wird eine ausdrückliche Begründung gegeben: Ewiges Leben im Jenseits von Raum und Zeit ist wesentlich unvorstellbar, nicht begreifbar. Deswegen wird ausdrücklich davor gewarnt, Phantasievorstellungen zu entfalten. Es wird im ganzen Schreiben vom Diesseits her gesprochen. Von hier aus werden Glaube, Hoffnung und Liebe artikuliert. Weil wir als Glaubende das Unterpfand der Auferstehung Jesu Christi besitzen, darum können wir sagen: Die Auferstehung betrifft den ganzen Menschen. Aber wir können nichts über das „Wie“ sagen. Es ist lediglich möglich zu sagen: Die Auferstehung von uns Menschen meint Teilhabe an der Auferstehung Jesu Christi, Ausweitung seines Geheimnisses auf uns alle.

3. Der Kern des dritten Satzes lautet: „Die Kirche hält an der Fortdauer und Subsistenz eines geistigen Elements (des Menschen) nach dem Tod fest. Dieses geistige Element, das mit Bewußtsein und (freiem) Willen ausgestattet ist, besteht (nach dem Tod des Menschen) weiter als das Ich des Menschen, dem zwischenzeitlich der ergänzende Teil seines Leibes fehlt“. Dieser dritte Satz stellt eine Folgerung aus den vorausgehenden zwei Sätzen dar: Wenn wir nämlich an die Auferstehung der Toten glauben und diese Auferstehung (wie bei Christus) den ganzen Menschen betrifft, dann muß es eine Kontinuität, eine Fortdauer des Menschen (nach seinem Tod) geben, weil man ja sonst gar nicht von der Auferstehung dieses konkreten Menschen reden könnte, wenn die hypothetische Behauptung vom Ganztod des Menschen stimmte und er höchstens in der Erinnerung Gottes fortleben würde. Man könnte dann höchstens von einer neuen Erschaffung eines anderen Menschen, niemals aber von einer Auferstehung dieses konkreten Menschen reden.

Zur Bezeichnung des fortdauernden geistigen Elementes des Menschen nach seinem Tod wird im Schreiben der Glaubenskongregation, wie bisher üblich, der Ausdruck „Seele“ gebraucht. Es wird erwähnt, daß der Begriff „Seele“ in der Hl. Schrift und in der Philosophie unterschiedlich gebraucht wird. All das interessiert im Grunde nicht. Wichtig ist die Feststellung der Kontinuität des Menschen als Postulat aus dem Glauben an seine Auferstehung: Das mit Bewußtsein und Willen ausgestattete geistige Element am Menschen existiert nach dem Tod weiter als vorübergehend vom Leib getrennte Seele, bis sie in der Auferstehung wieder mit ihrem Leib vereint wird. — Mit der Fortdauer der im Tod vom Leib getrennten Seele ist auch die Möglichkeit gegeben, daß die Seele noch einer Läuterung und Reinigung im Jenseits unterzogen werden kann. Jene, die heute vom Ganztod des Menschen und von der sofort nach dem Tod folgenden Auferstehung (die keine wahre Auferstehung, sondern eine Neuschaffung wäre) reden, müssen notwendigerweise die jenseitige Läuterung (Fegfeuer) leugnen oder diese in den Tod selbst hineinverlegen, was den Konzilsdefinitionen von Lyon, Florenz und Trient widerspricht, die die jenseitige Läuterung ausdrücklich als erst nach dem Tod (post mortem) erfolgend hinstellen.

4. Eine letzte Konsequenz aus dem ersten Satz zieht dann noch der vierte Satz: „Die Kirche lehnt jede Denk‑ und Sprechweise ab, durch die ihre Gebete, die Beerdigungsriten und der Totenkult ihren Sinn verlieren und unverständlich würden“. Die Kirche schützt damit ihre eigene Praxis, in der sich nicht bloß der Glaube an die Auferstehung der Toten artikuliert, sondern auch der Glaube an die Möglichkeit einer jenseitigen Läuterung und der Glaube an die Möglichkeit, den Seelen in der jenseitigen Läuterung durch das Gebet, durch das Meßopfer, durch gute Werke und durch den Ablaß zu Hilfe zu kommen, wie das von der apostolischen Zeit an, ja eigentlich schon im Alten Bund (vgl. 2 Makk 12, 40—46: „... Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten.“) geschah. In der Ordnung des Betens der Kirche zeigt sich die Ordnung des Glaubens der Kirche („Lex orandi — lex credendi“).

Auf die ersten vier Sätze, die zusammengehören, folgt im Schreiben der Glaubenskongregation ein zweiter Komplex, der in zwei Sätzen entfaltet wird. Wiederum steht am Anfang ein Glaubenssatz aus dem dritten Glaubensartikel:

5. Der fünfte Satz lautet: „Die Kirche erwartet gemäß der Hl. Schrift die Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus in Herrlichkeit“.

Die Wiederkunft des Herrn bezieht sich auf alle Menschen, auf die ganze Welt. In ihr wird Jesus Christus als der Herr für alle definitiv offenbar. Dies ist nicht etwa mit der Situation des hier und jetzt Sterbenden bezw. Gestorbenen ineins zu setzen. Hier ist eine Differenz zwischen dem Kommen des Herrn zum persönlichen Gericht in der Todesstunde des einzelnen Menschen und dem Kommen des Herrn in Herrlichkeit zum allgemeinen oder Jüngsten Gericht festzuhalten. Es wird im Schreiben der Glaubenskongregation nicht gesagt, wie diese Differenz zu denken ist. Es wird mit äußerster Zurückhaltung lediglich der Unterschied genannt.

6. Der sechste Satz bezieht sich auf die durch Papst Pius XII. am 1. November 1950 feierlich definierte leibliche Aufnahme Mariens in die himmlische Herrlichkeit am Ende ihres Erdenlebens. Es müsse — so wird uns gesagt — bei jeder näheren Erläuterung des Schicksals des einzelnen Menschen nach seinem Tod darauf geachtet werden, daß es bei Mariens leib—seelischer Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit zwar nicht um eine Ausnahme, wohl aber um eine Vorausnahme des allen Auserwählten bestimmten vollendeten Glückes im Himmel geht. Hatten damals, als Pius XII. das Dogma von der leiblichen Aufnahme in den Himmel verkündete, manche Theologen größte Bedenken dagegen vorgebracht, so tun heute die Vertreter der Ganztodtheorie so, als ob alle Menschen sogleich nach erfolgtem Tod der Auferstehung gewürdigt würden und Mariens Endbegnadigung also gar kein besonderes Privileg darstellte. Dem gegenüber erklärt die Glaubenskongregation: „Die Kirche schließt in ihrer Lehre über das Schicksal des Menschen nach seinem Tod jede Erklärung (als unrichtig) aus, die die Bedeutung der Aufnahme Mariens in den Himmel in jenem Punkt auflösen würde, der Maria allein zukommt: das nämlich die leibliche Verherrlichung der seligsten Jungfrau Maria eine Vorausnahme jener Verherrlichung ist, die für alle übrigen Auserwählten bestimmt ist.“

7. Der siebte Satz befaßt sich schließlich mit Himmel, Hölle und Fegfeuer. Man hat wohl mit Recht bemerkt, daß dieser Satz das Beachtlichste an diesem Lehrschreiben sei, weil hier nicht mehr eine himmlische „Erdkunde“ entworfen werde: „Es werden keine Stadtpläne vom Jenseits vorgelegt, auf denen drei Orte verzeichnet sind. Es werden vielmehr Sachverhalte anthropologischer Art genannt“. Es heißt: „Die Kirche glaubt, indem sie am Neuen Testament und an der Überlieferung treu festhält, an die Seligkeit der Gerechten“. Diese Seligkeit der Gerechten wird der Himmel genannt. Die Kirche glaubt weiter daran, daß jene Menschen, die in der völlig frei und bewußt begangenen unbereuten Todsünde gestorben und so definitiv in der Sünde verblieben sind, die beseligende Anschauung Gottes für immer und ewig entbehren müssen. Dies nennt sie die Hölle. Die Kirche glaubt weiter, daß es für die im Tod umkehrbereiten Sünder im Jenseits noch die Möglichkeit der Läuterung und Reinigung gibt. Das nennt sie Fegfeuer. Himmel, Hölle, Fegfeuer werden also auf den Menschen bezogen. Es sind Aussagen über Zustände des Menschen. Das ist das Entscheidende.

Nun folgt im Schreiben der Glaubenskongregation noch die Begründung für die Möglichkeit der gemachten Aussagen in den sieben Sätzen: Es gibt nach dem Glauben eine fundamentale Kontinuität unseres Lebens hier und jetzt in das künftige, jenseitige Leben hinein. Diese Kontinuität ist gewährleistet durch den Hl. Geist und die Liebe: Der Hl. Geist, der jetzt in uns lebt und wirkt, ist derselbe hier und dort. Die Liebe, die den Christen hier und jetzt beflügelt, ist das eine Maß des Reiches Gottes in diesem wie im künftigen Leben. Wenn aber das diesseitige gläubige Leben schon diese Würde besitzt und von Gottes ureigenem Geist durchwaltet ist und unter dem einen Maß der Liebe steht, dann ist es möglich und notwendig, zu sagen: Der Gerechte wird in Ewigkeit beim Herrn leben. Er ist ja schon hier beim Herrn. Das sind Gedanken, wie sie ganz stark im Leben der hl. Catharina von Genua und in ihrem Traktat über das Fegfeuer anklingen. — Umgekehrt gilt: Die Sünde ist Abkehr von Gott. Wer freiwillig und bis in den Tod hinein in der Sünde bleibt und bleiben will, verriegelt sich selbst den Zugang zu Gott. Denn wenn Gott die Menschen so liebt, daß Er um ihretwillen Mensch wurde und sich für sie am Kreuze hingab, dann ist es für Ihn nicht belanglos, was Menschen tun. Wenn Gott sich so aufs Spiel setzt, dann steht auch der Mensch radikal auf dem Spiel. Daraus ergibt sich die Möglichkeit eines ewigen Gerichtes für den Menschen. Dieses Gericht beginnt hier und jetzt. — Schließlich gilt aber auch: Wenn Gott den Menschen unendlich liebt, dann hält Er ihm seine Chance offen bis in den Tod, ja sogar noch nach dem Tod. Davon spricht das Wort vom Fegfeuer. So sind Himmel, Hölle, Fegfeuer im Grunde vorstellungsmäßige Formulierungen, die auf orthafte Weise das sagen, was in uns begonnen hat und vollendet werden wird. Und wieder kann man sagen, daß dies ganz stark im Leben und in der Lehre der hl. Catharina von Genua zum Ausdruck kommt.


 

Gebet für die Armen Seelen

 

Heiligste Dreifaltigkeit, allmächtiger Gott, einmal hast Du den heiligen Pfarrer von Ars die Schönheit einer menschlichen Seele schauen lassen. Es war wie eine alle menschliche Fassungskraft übersteigende Explosion von Schönheit und Licht und Johannes Maria Vianney wäre auf der Stelle gestorben, hättest Du ihn nicht am Leben erhalten.

Wie ist es möglich, daß die menschliche Seele so schön ist? Ganz einfach deshalb, weil jede Seele ein Gedanke von Dir ist, ein Abglanz Deiner Schönheit und weil Du sie nach Deinem Bild und Gleichnis erschaffen hast, keine gleich wie die andere, jede mit unverkennbaren Merkmalen und Vorzügen.

Wie schnell verliert der Mensch, von der Erbsünde geschwächt, seine Unschuld, wie läßt er sich hin‑ und herreißen zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und Teufel und wie oft endet er in Widerspruch und Verstrickung und schwerer Schuld. Doch immer wieder reichst Du uns Deine verzeihende Hand, wir dürfen nach dem Fall wieder aufstehen und Deine Vergebung erfahren. Aber auch nachdem Du uns verziehen hast, bleibt uns die Reinigung vom Rost der Sünde und die Bezahlung aller unserer Schuld nicht erspart. Nach den Worten des Apostels werden wir gereinigt „wie durch Feuer“ (1 Kor 3, 13) und nach den Worten Deines Sohnes gibt es vom Ort der Reinigung kein Zurück, „bis der letzte Heller gezahlt ist“ (Mt 5, 26). Die Seelen im Fegfeuer wissen um Deine unendliche Vollkommenheit, sie wissen, daß Du die Sünde haßest. Keine Seele würde es wagen, selbst wenn sie könnte, vor Dich hinzutreten, wenn noch der kleinste Makel der Sünde an ihr wäre. Die Sehnsucht nach Dir brennt sie wie Feuer und sie selber drängen darauf, im Feuer Deiner Liebe geläutert zu werden, wie das Erz im Feuer geläutert wird.

Vater im Himmel, Jesus, Dein Sohn, hat uns erlaubt, Dich Abba, lieber Vater zu nennen. Du wohnst in unzugänglichem Licht. Du liebst Deine Kinder und Du hast Deinen Sohn dahingegeben, um uns zu retten. Vater, erbarme Dich der Armen Seelen im Fegfeuer. Für sie opfern wir Dir durch das schmerzvolle und Unbefleckte Herz Mariens das Kostbare Blut Deines Sohnes auf. Wir bitten Dich durch die Verdienste Deines Sohnes, verkürze die Zeit ihrer Läuterung, trockne ab ihre Tränen, wie es in der Heiligen Schrift verheißen ist, und birg sie für immer in Deinem Schoß.

Jesus, Sohn des Vaters, Du bist Mensch geworden aus der Jungfrau Maria, Du bist unser Bruder geworden und bist hingegangen, um uns im Hause Deines Vaters eine Wohnung zu bereiten. Erbarme Dich der Armen Seelen im Fegfeuer, wasche sie in Deinem Blut, tilge ihre Verfehlungen durch Deine Verdienste und bekenne ihre Namen vor Deinem Vater und vor allen Engeln und Heiligen des Himmels.

Heiliger Geist, der Du vom Vater und vom Sohne ausgehst, Du bist die dritte Person in der Gottheit. Der Vater hat uns erschaffen, der Sohn hat uns erlöst und Du, Heiliger Geist, hast uns geheiligt. Deshalb ist das Fegfeuer vor allem Dein Werk, Du Feuer der göttlichen Liebe. Wir empfehlen die Seelen im Fegfeuer der Glut Deiner Liebe, Du reinigst sie, weil Du sie liebst, Du heiligst sie, weil Du sie so schön machen willst, wie der Vater sie ausgedacht hat. Heiliger Geist, um der Ehre Gottes willen, beschleunige das Werk Deiner Heiligung und Vollendung, und mache aus ihnen seine neue Schöpfung. (Galater 6, 15). Über jede Seele, die im Glanz neu erworbener Unschuld in die Herrlichkeit des Himmels eingehen darf, freuen sich alle Engel und Heiligen. Heiligste Dreifaltigkeit, Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, wir, die pilgernde Kirche auf Erden, bitten Dich für die Leidende Kirche im Fegfeuer, für unsere Brüder und Schwestern im Reinigungsort. Erhöre unser Gebet, damit sie für uns eintreten können bei Dir.

Arnold Guillet

„Wir glauben an die Gemeinschaft der Christgläubigen: derer nämlich, die hier auf Erden pilgern; derer, die nach Abschluß des Erdenlebens im Jenseits geläutert werden; und derer, die die himmlische Seligkeit schon genießen; sie alle bilden zusammen die eine Kirche.“

Papst Paul Vl.

im „Credo des Gottesvolkes“

 

Hilferuf zu den Engeln

 

Jesus, unser Herr, die Nacht vor Deinem Leiden verbrachtest Du am ÖIberg im Garten Gettsemani. Vor Deinen Augen sahst Du die Sünden der ganzen Welt — eine Last, die Dich zermalmte und Dir das Blut aus den Poren preßte. Die Jünger schliefen und hatten nicht die Kraft, in dieser schwersten Stunde mit Dir zu wachen. Nur Dein himmlischer Vater ließ sich rühren und sandte Dir einen Engel, um Dich zu trösten und zu stärken in Deiner Todesnot.

Herr, sieh unsere Brüder und Schwestern im Fegfeuer. Sie leiden mehr, als ein Mensch auf dieser Erde leiden kann, und Du willst, daß wir uns ihrer Not und Bedrängnis erbarmen. Du gibst uns Gelegenheit, etwas für sie zu tun, mit ihnen zu wachen, für sie zu beten, ein Opfer für sie zu bringen, einen Verzicht für sie zu leisten, vor allem aber dürfen wir das heilige Meßopfer für sie darbringen, ja, wir dürfen sogar unseren Schutzengel zu ihnen senden, damit er sie in der Kraft Deines Blutes tröste und stärke. Wie der Vater barmherzig war mit Dir, seinem Sohn am Ölberg, so will er, daß auch wir barmherzig seien mit der leidenden Kirche im Fegfeuer.

Jesus, erinnere Dich Deiner Verlassenheit am ÖIberg. Erinnere Dich daran, wie es Dir wohltat, als der Engel Deines himmlisches Vaters Dich stärkte und aufrichtete. Lehre uns barmherzig und vollkommen zu sein wie Dein Vater und erfülle die Armen Seelen mit dem gleichen Trost, den Du am Ölberg empfangen hast.

Maria, Königin der Engel, erbarme Dich Deiner leidenden Kinder im Fegfeuer. „Sende Ihnen Deine Engel zu Hilfe.“

Heiliger Erzengel Michael,

Heiliger Erzengel Gabriel,

Heiliger Erzengel Raphael,

Ihr neun Chöre der Engel, Ihr Seraphim und Cherubim, Ihr Throne und Herrschaften, Ihr Fürstentümer und Gewalten, Ihr Kräfte, Ihr Erzengel und Engel, im Namen Gottes und im Namen Eurer Königin, unserer himmlischen Mutter Maria, bitten wir Euch, eilt unseren Brüdern und Schwestern im Fegfeuer zu Hilfe. Sie leiden große Qual, sie dürsten nach dem ewigen Gott mehr als der Hirsch dürstet nach der Wasserquelle. Stärkt sie und führt sie ein Stück weiter auf dem Weg ins himmlische Vaterland.

Arnold Guillet

 

Lehrentscheid des Konzils von Trient

 

Erleuchtet vom Heiligen Geist, schöpfend aus der Heiligen Schrift und der alten Überlieferung der Väter, hat die katholische Kirche auf den heiligen Konzilien und zuletzt auf diesem von Trient gelehrt: Es gibt einen Läuterungsort, und die dort festgehaltenen Seelen finden eine Hilfe in den Fürbitten der Gläubigen, vor allem aber in dem Gott wohlgefälligen Opfer des Altares. So ergeht die Vorschrift der Heiligen Kirchenversammlung an die Bischöfe: sie sollen eifrig sorgen, daß die gesunde Lehre vom Läuterungsort, so wie sie von den Kirchenvätern und Konzilien überliefert ist, von den Christgläubigen geglaubt, festgehalten, gelehrt und überall gepredigt werde. Keinen Platz aber dürfen in den volkstümlichen Predigten vor dem weniger gebildeten Volk schwierige und spitzfindige Fragen haben, die die Erbauung nicht fördern und meistens auch die Frömmigkeit nicht mehren. Gleicherweise sollen sie Unsicheres und der Falschheit Verdächtiges nicht verbreiten und behandeln lassen. Was aber nur einer Art Neugier dient oder dem Aberglauben oder nach schmählichem Gewinn aussieht, sollen sie verbieten als Ärgernis und Anstoß für die Gläubigen. Trient 1563 (DS 1820)

 

Auszug aus:

Ferdinand Holböck

Die Theologin des Fegfeuers

Hl. Catharina von Genua

Christiana-Verlag ISBN 3-7171-0769-0