123. BISTUM SPEYER

Diözesanpriester

 

 1-664

Pfarrer Wilhelm Caroli

Priester des Bistums Speyer

* 7. April 1895 Saarlouis

+ 22.723. August 1942 KZ Dachau

„Der Pfaffenhaß feierte Triumphe", schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg ein Geistlicher aus der Pfalz, der das KZ Dachau überlebt hatte. Im „Todessommer" 1942 starben täglich mehrere der inhaftierten Priester. Einer von ihnen war Pfr. Wilhelm Caroli, von 1926 bis 1937 Seelsorger in Rheingönheim bei Ludwigshafen.

C. stammte aus der Diözese Trier. Geboren wurde er am 7.4.1895 in Saarlouis (Saarland) als Sohn der kath. Eheleute Adolf und Katharina C. Die Volksschule und die ersten Klassen des Gymnasiums besuchte C. in seiner Geburtsstadt. 1912 zog er mit seiner Mutter - der Vater, ein Gerichtsobersekretär, war 1905 gestorben - zu seinem Bruder August, der Pfarrer von Kürrenberg (Kr. Mayen) war. Damit war ein Wechsel an das Gymnasium in Mayen verbunden, wo er im März 1914 die Reifeprüfung ablegte.

An Ostern 1914 trat C. in das Bischöfliche Priesterseminar in Trier ein und folgte somit dem Vorbild seiner beiden älteren Brüder August und Adolf, die sich ebenfalls zum Priestertum berufen wußten. Im Mai 1915 wurde der Priesteramtskandidat zum Militärdienst eingezogen. Ab Januar 1916 kam er als Sanitäter an der Ostfront zum Einsatz. Nach 18 monatigem Aufenthalt im Osten wurde C, seit März 1916 Sanitätsunteroffizier, wegen einer Halsdrüsenschwellung wieder in die Heimat nach Trier zurückverlegt. Bereits während des Lazarettaufenthaltes nahm er wieder sein Theologiestudium auf, das er allerdings nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht wie vorgesehen in Trier beenden konnte. C. mußte die kirchliche Ausbildungseinrichtung 1920 verlassen, nachdem er beim Mittagessen in einer Probepredigt seine Professoren auf treffend-witzige Art und Weise charakterisiert hatte. Nach diesem Vorfall wechselte er in die Diözese Speyer und wurde am 12.3.1921 im Speyerer Dom von Bischof Dr. Ludwig Sebastian (1917-1943) zum Priester geweiht. Von 1921 bis 1924 wirkte er als Kaplan an St. Dreifaltigkeit in Ludwigshafen, anschließend in Grünstadt und Kusel. Ende 1926 wurde dem 31jährigen Geistlichen die Pfarrei Rheingönheim-St. Joseph, eine Arbeitergemeinde bei Ludwigshafen, übertragen. Ab 1927 war C. außerdem Redakteur, von 1928 bis 1933 Schriftleiter des „Katholischen Kirchenblattes" Ludwigshafen.

Als Seelsorger in Rheingönheim versuchte C, seine Gemeinde zu einer lebendigen Gemeinschaft zusammenzuschweißen. Vor allem auf dem Gebiet des damals sehr vielfältigen kirchlichen Vereinslebens entfaltete der Pfarrer große Aktivitäten. So rief er eine Theatergruppe ins Leben, leitete den Cäcilienverein und gründete eine DJK-Fußballabteilung. In der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung engagierte sich C. als Ortspräses von Rheingönheim sowie Bezirkspräses von Speyer. Zeitzeugen erinnern sich daran, daß er sich besonders um die Arbeitslosen kümmerte, sie etwa an Bauern weitervermittelte. Auch die kirchliche Bildungsarbeit war ihm ein wichtiges Anliegen.

Eindeutig war die Haltung des engagierten Seelsorgers gegenüber der in der Pfalz immer stärker aufkommenden NSDAP. Im „Katholischen Kirchenblatt" unterzog er die politischen und weltanschaulichen Grundlagen des NS einer scharfsinnigen Kritik, die unter anderem eine unmißverständliche Ablehnung des Antisemitismus beinhaltete. So hieß es in der Ausgabe vom 22.1.1933: „Hitler verkehrt in Berlin viel im Hause eines italienischen Vertreters. Dessen Frau ist reinrassige Jüdin. Dieser überreichte Hitler jüngst einen Strauß roter Rosen und küßte ihr dabei die Hand. Ob zum erstenmal? So handelt der Führer jener Bewegung, die den wüstesten Antisemitismus in Deutschland treibt. Ob der große Führer nun eingesehen hat, daß der Antisemitismus, genau wie so mancher andere Punkt seines Programmes, ein ganz grauser Blödsinn ist?"

Es war daher kein Wunder, daß die pfälzische NSDAP sofort nach der Veränderung der politischen Machtverhältnisse gegen den Geistlichen vorging. Im März 1933 teilte die NSDAP-Ortsgruppe Rheingönheim dem Pfarrer mit: „Die Art, wie Sie ihre Stellung als Seelsorger zum Kampf gegen unsere Bewegung mißbraucht haben, ist uns nicht verborgen geblieben. (...) Neuerliche Vorkommnisse beweisen uns, daß Sie ihre Wühltätigkeit mit unrichtigen Argumenten gegen uns fortsetzen. Im Interesse des religiösen und politischen Friedens in unserer Gemeinde verwarnen wir Sie." Im Sommer 1933 gehörte C. zu den Opfern der antikirchlichen Ausschreitungen, die in der ganzen Pfalz wüteten. Der Pfarrer wurde in der Nacht zum 27.6.1933 auf der Straße zusammengeschlagen und mußte in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Für die Gauleitung stand fest, daß sie C. als Pfarrer von Rheingönheim nicht länger akzeptieren konnte. Denn die Ortsgruppenleitung mußte eingestehen, daß durch das Wirken des Pfarrers ihre Bemühungen, die Katholiken für den Nationalsozialismus zu gewinnen, zum Scheitern verurteilt waren. Angesichts des gewalttätigen Drucks legte Bischof Sebastian dem Geistlichen einen Stellenwechsel nahe. Dazu war C. jedoch im Gegensatz zu anderen pfälzischen Pfarrern, die sich in ähnlichen Situationen zu diesem Schritt entschlossen, unter keinen Umständen bereit.

Die Hartnäckigkeit des Pfarrers reizte die Rheingönheimer NSDAP um so mehr, ihre Macht zu demonstrieren. Am 6.9.1933 löste das Bezirksamt Ludwigshafen die DJK-Ortsgruppe und den kath. Arbeiterverein Rheingönheim sowie die aus Mitgliedern beider Vereine gebildete Trommlerabteilung auf, da sie „Pflegestätten des Geistes der Ablehnung" seien. Im November 1933 drangen SA-Leute gewaltsam in die Pfarrkirche ein und hißten die Hakenkreuzfahne auf dem Kirchturm.

In den Folgemonaten trat eine gewisse Beruhigung der Verhältnisse ein, da die NSDAP aufgrund der für Januar 1935 geplanten Abstimmung über die Wiedereingliederung des Saargebietes in das Deutsche Reich an einem erträglichen Verhältnis zur kath. Kirche interessiert war. Der Fall C. war allerdings nur aufgeschoben. Im Sommer 1935 kam es zu einer zweiten gewalttätigen Aktion gegen den Pfarrer. Auslöser war die Einladung zu einem Jugendsonntag, in der C. geschrieben hatte: „Für Euch selbst sind solche Veranstaltungen in Tagen, da Euer hl. Glaube so sehr bedroht ist, nicht nur von großem Nutzen, sondern direkt notwendig."

Die ns Machthaber faßten diese Formulierung als Provokation auf. Ein SS-Scharführer veranlaßte am Abend des 8.7.1935 eine Demonstration gegen C, an der sich 800 bis 1 000 Personen beteiligten. C. hatte schon zuvor von der geplanten Demonstration erfahren und wollte seinen Gegnern keine Gelegenheit geben, ihn in „Schutzhaft" nehmen zu lassen. Daher verließ er die Gemeinde, beauftragte jedoch zuvor Mitglieder des Kath. Jungmännervereins und des Cäcilienvereins Rheingönheim, beim Erscheinen der Demonstranten die Kirchentüren zu verschließen und die Kirchenglocken zu läuten. Am Abend drangen dann einige der durch das Glockengeläut zusätzlich erregten Demonstranten in Pfarrhaus und Kirche ein, zerschlugen und verbrannten Mobiliar und mißhandelten die von C. instruierten Katholiken. Sieben der verprügelten Männer wurden in „Schutzhaft" genommen und verloren ihre Arbeit. Die Anklage der Oberstaatsanwaltschaft Frankenthal gegen 11 Teilnehmer der Demonstration wegen Landfriedensbruchs führte zu keiner Bestrafung. Das Verfahren wurde eingestellt, da das Landgericht Frankenthal zu der Auffassung kam, „daß sich die Täter zu der Straftat durch Übereifer im Kampfe für den nationalsozialistischen Gedanken haben hinreißen lassen".

Zwei Tage nach der Demonstration verpflichtete das Bezirksamt Ludwigshafen C., sich von Rheingönheim fernzuhalten und keine gottesdienstlichen Handlungen dort vorzunehmen. Der Pfarrer verzog ins benachbarte Mundenheim, von wo aus er die Pfarrei offiziell weiter führte. Für das Bischöfliche Ordinariat waren die Zustände in Rheingönheim endgültig unhaltbar geworden. C. mußte durch einen Kaplan vertreten werden, verweigerte aber dennoch weiterhin einen Verzicht auf die Pfarrstelle und damit die von der Kirchenführung gewünschte Ermöglichung einer geregelten Seelsorge.

Im Sommer 1937 machte der NS-Staat C. den Prozeß. Das Sondergericht Frankenthal verurteilte den Geistlichen am 16.6.1937 wegen fortgesetzten Vergehens gegen das Reichsflaggengesetz, gegen das Heimtückegesetz, wegen übler Nachrede, falscher Anschuldigung und Beleidigung zu acht Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 50 Reichsmark. In dem Urteil hieß es: „Bei der Bemessung der Strafhöhe wurde strafverschärfend berücksichtigt, daß der Angeklagte zu jenen Vertretern des politischen Katholizismus gehört, die sich immer und immer wieder den Anordnungen des nationalsozialistischen Staates entgegenstellen und den Kampf gegen den Staat auf politischem Gebiet mit verbissener Hartnäckigkeit führen." Die Gestapo Neustadt hatte dem Geistlichen bereits am 7.4.1937 ein Aufenthaltsverbot für die Pfalz und das Saarland erteilt und ihm damit die Möglichkeit genommen, in der Diözese Speyer als Geistlicher zu wirken. Ein Angebot der Staatsanwaltschaft, er solle auf die Pfarrstelle Rheingönheim verzichten, dann werde der Prozeß niedergeschlagen, hatte C. abgelehnt.

Da es aussichtslos erschien, daß C. jemals wieder unter der NS-Herrschaft nach Rheingönheim zurückkehren könnte, entschloß sich das Bischöfliche Ordinariat, ihm auf dem Weg eines kanonischen Prozesses seine Pfarrstelle zu nehmen. Bischof Sebastian leitete im August 1937 das Versetzungsverfahren ein. Dabei berief er sich auf kirchenrechtliche Bestimmungen (CIC, cc. 2147ff.), die die Entfernung eines Priesters aus seinem Amt aus Gründen einer gedeihlichen Seelsorge auch dann zuließen, wenn sich der Geistliche nichts zuschulden hatte kommen lassen. Sebastian enthob C. im Oktober 1937 seines Amtes, nachdem der Geistliche einer erneuten Aufforderung zur freiwilligen Resignation nicht nachgekommen war. Der Rekurs C.s wurde im Februar 1938 zurückgewiesen, ebenso sein Rekurs beim Heiligen Stuhl im Juni 1938.

Nach Verbüßung der Haftstrafe zog C. in die Diözese Trier, wo er in den Pfarrhäusern seiner Brüder in Kell und Kürrenberg Aufnahme fand. Ab 1939 wohnte der Geistliche in Kottenheim (Kr. Mayen). Auch hier erregte er Ärger bei der NSDAP. Nach einer Predigt über die Euthanasie wurde er im Oktober 1941 wegen „Kanzelmißbrauchs" verhaftet und kam nach Koblenz in „Schutzhaft". Am 18.2.1942 wurde er ins KZ Dachau überstellt, wo er in der Nacht vom 22. auf den 23.8.1942 an den Folgen eines schweren Darmkatarrhs starb. Die Leiche wurde eingeäschert, die Urne der Familie übergeben.

Über den Tod C.s gibt ein Bericht des Schallodenbacher Geistlichen Friedrich Seitz näheren Aufschluß. Pfr. Seitz, der ebenfalls zum Speyerer Diözesanklerus zählte, war selbst in Dachau inhaftiert und beschrieb seine Erlebnisse 1946 in einer Serie im „Pilger", der Kirchenzeitung für das Bistum Speyer:

„Zur Arbeit sandte man die Priester auf die Plantage hinaus. Dieser Betrieb diente dem Anbau von Heilkräutern und war ein Millionen-Unternehmen der SS. Im Frühjahr fing es an. Pflügen: sechs Mann an den Pflug gespannt und ,auf geht's'. Graben, Wasser schleppen, jäten - alles im Tempo, ohne Unterhaltung mit dem Nachbarn, ohne Sitzen oder ein wenig Ausschnaufen. Die Capos auf der Plantage waren die Henkersknechte im Dienste der SS gegen uns Priester. Der Pfaffenhaß hat in diesem Jahre 1942 auf der Plantage Triumphe gefeiert in der Verbrüderung zwischen SS und Capos. Dazu häufige und schwere Gewitter. Dabei mußten wir durch und durch naß in der Plantage bleiben. Hat es in dem Alpenvorland aber geregnet, wird es auch gleich kalt. Mit nassen Kleidern stand man dann noch am Abend eine Stunde beim Appell. Das Endergebnis: Erkältung und Durchfall. Im privaten Leben ist dem bald mit Hausmedizin abgeholfen, aber in Dachau wurden diese Kinderkrankheiten zu Todeskrankheiten. Dazu das Essen, Kraut und wieder Kraut, für Darm- und Magen-Erkältung Gift. Nichts blieb bei den Menschen. 14 Tage Krankheit, schließlich Blutruhr, nach drei Tagen Kreislaufstörung und - Tod. (...) Aus unserer Diözese starb am 23. August 1942 Wilhelm Caroli, früher Pfarrer von Rheingönheim, den Katholiken von Ludwigshafen wohl bekannt. Ein Kämpfer in Wort und Schrift! Was mußte er alles erdulden! Mißhandlungen, Gefängnis, Gauverbot, schließlich KZ. In einer Predigt hatte er vor Eifler Bauern über die Euthanasie gesprochen und den Bauern in anschaulicher Schilderung, wie er es meisterhaft verstand, klargemacht. Die Folge: Anzeige, Verhaftung, Schutzhaft in Koblenz und im Sommer 1942 Verschickung nach Dachau. Nur einige Monate war er dort und der körperlich starke Mann brach zusammen. Krankheit, wie oben geschildert! Er wog noch so 90 Pfund. Männer in der Vollkraft der Jahre, die draußen Berge versetzten, waren in Dachau schwach wie Kinder."

Die Urne mit den sterblichen Überresten des Pfarrers wurde am 24.11.1996 in eine Vorkapelle der Rheingönheimer Pfarrkirche überführt. Seitdem trägt diese Kapelle den Namen des wortgewaltigen Pfarrers, den die Nationalsozialisten nur durch die Einweisung nach Dachau zum Schweigen bringen konnten.

WW: Heiligendes Mutteramt. Ein Handbuch für die katholische Mutter (Paderborn o.J. [1940]).

QQ: BA Pd, Best.51.01,22238,18-41; 22268,160; 22281; 139-142; Archiv des Bistums Speyer, PA, W. C; Archiv des Bistums Speyer, Neueres Archiv, 28/10, Karton 1 (C); Karton 8 (Ludwigshafen-Rheingönheim); Münch, 33-40; Abele-Boberach, Nrn. 4887,4956, 5090, 5185.

Lit.: E. Wetzler, Die Katholische Kirche und der Nationalsozialismus in Ludwigshafen 1933-1945. Bd. 1: Die Geistlichen = Schriften des Diözesan-Archivs Speyer. Bd. 11/1 (Speyer 21994) 46-52; 182-202; Th. Fandel, Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz 1930-1939 = VKZG. B. 76 (Paderborn u.a. 1997) 417-429; Hehl-Kösters, Priester4, 1371f.

Thomas Fandel