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Vikar Wilhelm Oberhaus

Priester des Erzbistums Paderborn * 31. Januar 1902 Herford (Westfalen) + 20. September 1942 KZ Dachau

Wilhelm Oberhaus wurde am 31.1.1902 als Sohn des Fabrikanten Eduard O. und seiner Ehefrau Friederike, geborene Honkamp, im westfälischen Herford geboren. Er wuchs zusammen mit zwei Geschwistern auf. Im Alter von 11 Jahren verlor er seine Mutter, die an einem schweren Leiden verstarb. In der Pfarrkirche St. Johannes Baptist, seiner Taufkirche, ging er 1914 zur Erstkommunion und wurde dort 1915 auch gefirmt.

Nach dem Besuch der Volks- und Realschule in Herford, der Oberrealschule in Bielefeld sowie einem kurzzeitigen Privatunterricht in den alten Sprachen Latein und Griechisch wechselte er 1921 an das Bischöfliche Knabenseminar in Heiligenstadt (Eichsfeld). Hier bestand er 1927 das Abitur. In demselben Jahr begann er mit dem Studium der Theologie an der Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn. Seine Freisemester führten ihn 1929 nach Freiburg und Graz. 1931 schloß er die theologischen Studien ab und empfing am 1.4.1933 in Paderborn die Priesterweihe.

Erste Erfahrungen in der Seelsorge sammelte O. vertretungsweise im Bistum Meißen in den Gemeinden Würzen und Aue. Im Herbst 1933 kehrte er in das Erzbistum Paderborn zurück und erhielt eine Vikarsstelle in der Pfarrei St. Clemens in Dortmund-Hombruch. Dort bildeten die Jugendarbeit und der Religionsunterricht in den Schulen Schwerpunkte seiner Tätigkeit. Es waren Aufgabenbereiche, die der politischen Agitation und Reglementierung durch die NS-Behörden in besonderer Weise ausgesetzt waren. Zusammenstöße konnten unter den gegebenen Bedingungen gar nicht ausbleiben. Es genügte schon ein Protest gegen Übergriffe der städtischen Verwaltung, um in das Blickfeld der Gestapo zu geraten. Ein gegen ihn im Frühjahr 1935 eingeleitetes Verfahren „wegen Beleidigung des Leiters der Staatspolizeistelle Dortmund" ging mit einer Verwarnung noch glimpflich aus, brachte ihm aber einen Aktenvermerk ein, auf den später immer wieder zurückgegriffen wurde. Von da an trug er das Stigma eines politisch aufsässigen Priesters. Es blieb nicht bei diesem Vorfall.

Reichsjugendführer Baidur von Schirach hatte in Verbindung mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht das Jahr 1935 zum „Jahr der Ertüchtigung" erklärt. Entsprechend verstärkte die HJ ihren Druck auf die konfessionelle Jugendarbeit mit dem Ziel, sie völlig zum Erliegen zu bringen. Den staatlichen Pressionen stellten sich die Bischöfe mit einem gemeinsamen Hirtenbrief zum „Erziehungs- und Schulsonntag" am 4.5.1935 entgegen. In deutlichen Worten nahmen sie darin Stellung zu den aktuellen Fragen der Jugenderziehung und riefen die Eltern auf, sich ihrer Verantwortung um die sittliche und religiöse Erziehung ihrer Kinder bewußt zu bleiben.

In Dortmund-Hombruch äußerte sich die Jahresparole der Reichsjugendführung darin, daß verstärkt an den Schulen für das Jungvolk und die HJ geworben wurde, wobei vor allem Lehrer sich hervortaten. Als Religionslehrer wußte O. um die Vorgänge und kannte auch die agierenden Lehrpersonen. Er richtete deshalb im Anschluß an die Verlesung des Hirtenbriefes eine eindringliche Warnung an die Eltern und ermahnte sie zur Wachsamkeit gegenüber den schädlichen Einflüssen der HJ und des Landjahres. Seine offene Sprache mißfiel einigen Kirchenbesuchern, die ihn anzeigten.

Diesmal kam es am 7.2.1936 zu einem Prozeß vor dem für politische Straftaten zuständigen Sondergericht in Dortmund. Die erhaltenen Akten geben einen Einblick in den Gang der Verhandlung. Die Anklage stützte sich auf die Aussagen der Denunzianten, denen von seiten des Gerichts eine größere Glaubwürdigkeit beigemessen wurde als den Erklärungen des Vikars. Einer der Zeugen, von Beruf Lehrer, hatte die Predigt wohl als Kritik an seiner Person aufgefaßt. Die Urteilsbegründung bietet in dem Zusammenhang aufschlußreiche Hinweise über die Hintergründe der Denunziation. Sie enthüllt, mit welchen Methoden gearbeitet wurde. Es heißt darin: „Bis etwa Ostern 1935 war in Dortmund-Hombruch das Verhältnis zwischen Kirche und Schule gut, jedenfalls waren Störungen erkennbar nicht eingetreten. Nach den Osterferien 1935 setzte eine stärkere Werbung für das Jungvolk und die Hitlerjugend ein, die in erster Linie von den Lehrern darunter dem Zeugen Lange betrieben wurde. Die Lehrer hatten ihrer vorgesetzten Dienststelle monatlich über den Erfolg ihrer Werbung zu berichten und wetteiferten in der Werbung unter den Schülern. Um Schülern, die die Beiträge zum Jungvolk nicht aufbringen konnten, den Beitritt zu ermöglichen, übernahmen Lehrer in einzelnen Fällen nach Art von Patenschaften die Zahlung."

Es liegt auf der Hand, daß O. sich Feinde unter den Lehrern und in der Gemeinde machte, wenn er solche Praktiken öffentlich kritisierte. Das politisch linientreue Gericht nahm an der Selbstentlarvung keinen Anstoß. Es bewertete die Predigt als „gehässige und hetzerische Äußerungen über Anordnungen und Einrichtungen leitender Persönlichkeiten des Staates und der NSDAP" und erblickte in ihnen Verstöße gegen das „Heimtückegesetz" vom 20.12.1934 und den „Kanzelparagraphen". Eine humane Regung scheint es dennoch empfunden zu haben. Es billigte dem Angeklagten Strafmilderung zu und blieb mit drei Monaten Gefängnis unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Der Vikar verbüßte die Strafe im Gefängnis Bochum.

Um ihn vor weiteren Konfrontationen am Ort zu bewahren, wurde er zum 6.10.1938 in den Ostteil der Erzdiözese als Pfarrvikar nach Bockwitz bei Liebenwerda in Sachsen versetzt. Für O. bedeutete es eine erhebliche Umstellung von einer Großstadtpfarrei in eine räumlich weit verzweigte Diasporagemeinde. Er lebte sich jedoch schnell ein und entfaltete am neuen Wirkungsort über zweieinhalb Jahre eine fruchtbare seelsorgliche Tätigkeit. Ein unglücklicher Vorfall beendete jäh sein dortiges priesterliches Wirken. Wieder war es ein Zusammenstoß mit der HJ; der Vorfall war so geringfügig wie banal, O. kostete er das Leben.

Am 13.2.1941 fanden nachmittags zeitgleich und in demselben Schulgebäude Religionsunterricht und eine BDM-Gruppenstunde statt. Eine 13jährige Schülerin war dem Religionsunterricht ferngeblieben und nahm statt dessen an der BDM-Runde teil. O. setzte es durch, daß sie dann doch in seinen Unterricht kam. Von ihm nach dem Grund des Fernbleibens befragt, gab sie patzige Antworten, worauf der Vikar ihr in einer momentanen Anwallung von Zorn eine oder zwei Ohrfeigen verabreichte. Obgleich es sich um eine damals übliche und rechtlich zulässige Züchtigungsmaßnahme handelte, war es ohne Zweifel eine unkontrollierte, pädagogisch bedenkliche und der Situation in keiner Weise angemessene Spontanhandlung.

Vergeblich bemühte sich der Vikar um eine gütliche Verständigung mit den Eltern. Unnachgiebig erstatteten sie Anzeige. Am 26.2.1941 wurde er von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Nach Aufenthalten in den Gefängnissen in Liebenwerda, Torgau und Halle an der Saale fand am 29.5.1941 vor dem Amtsgericht in Elsterwerda die Prozeßverhandlung statt. Die Anklage legte ihm „Körperverletzung in zwei Fällen" zur Last. Tatsächlich ging es gar nicht um einen einfachen strafrechtlichen Tatbestand, sondern die Anklage erhielt wegen der BDM-Veranstaltung von Anfang an eine politische Dimension. Mit dem Vorwurf, die Jungmädel-Uniform, das „Ehrenkleid des Führers", mißachtet zu haben, bestimmte die Staatsanwaltschaft die Richtung des Verfahrens. Der Staatsanwalt verstieg sich zu der Behauptung: „Damit hat der Hetzpriester Oberhaus die nationalsozialistischen Embleme geschändet und den Führer und die Partei beleidigt."

Wie die Urteilsbegründung erkennen läßt, schloß das Gericht sich der Argumentation der Anklagevertretung an: „Das Gericht hat aber die Überzeugung erlangt, daß die Schläge des Angeklagten gar nicht dem Verhalten des Kindes galten, sondern auf die Einstellung des Angeklagten zum BDM und die Teilnahme des

Kindes am Jungmädeldienst zurückzuführen sind (...). In den Schlägen brachte er seine der weltlichen Erziehungseinrichtung feindliche Einstellung zum Ausdruck." Zusätzlich strafverschärfend wirkte sich die Vorstrafe aus dem Jahre 1936 aus. Wegen der Körperverletzung allein wäre es laut Urteilsbegründung bei einer geringfügigen Geldstrafe geblieben, „wegen seiner staatsfeindlichen Einstellung und Betätigung" aber verurteilte das Gericht den Vikar unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu sechs Monaten Gefängnis.

Regulär endete die Gefängnishaft am 26.8.1941; O. wurde jedoch nicht entlassen, sondern verblieb weiterhin in Schutzhaft. Bemühungen des Bischofs Heinrich Wienken vom Commissariat der Fuldaer Bischofskonferenz, beim Reichssicherheitshauptamt und bei zuständigen Regierungsstellen in Berlin eine Freilassung zu erreichen, blieben erfolglos.

Am 10.10.1941 wurde O. in das KZ Dachau überführt. Vor seinem Abtransport verabschiedete er sich von einem geistlichen Mitbruder, Pfr. Karl Josef Eckardt, mit den Worten: „Ich gehe den Weg, den Gott mir diktiert, mehr tue ich nicht! Betet für mich, daß Gottes "Wille an mir geschehe und sein Reich — auch in Ungerechtigkeiten — sich weiter mehre." In Dachau erhielt er die Häftlingsnummer 27 826 und wurde dem Priesterblock 26 zugeteilt. In den Augen seiner Peiniger galt er als besonders renitent. Seine Akte enthält den Vermerk: „Der Schutzhäftling Oberhaus ist ein Wiederholungszersetzer am Ideengut des Nationalsozialismus (..)."

Einen authentischen Bericht über den Leidensweg des Vikars hat Benediktinerpater Maurus Münch, Subprior der Abtei St. Matthias in Trier, nach dem Kriege in einem Brief an dessen Vater gegeben. Beide trafen mit demselben Transport im Lager ein und waren Stubengefährten. In den täglichen Begegnungen mit ihm wurde P. Maurus Zeuge, wie die unmenschlichen Haftbedingungen die Gesundheit des Vikars in kurzer Zeit zugrunde richteten. Seinem Bericht zufolge überstand O. den strengen Winter 1941/42 trotz stundenlanger Appelle im Freien und der unzureichenden Ernährung ohne eine schwere Erkrankung. Ungeachtet der schikanösen Behandlung war er „immer guter Dinge und (...) allen ein lieber Kamerad". Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich aber zusehends, als von März 1942 an ganztägige Arbeitseinsätze in den Plantagen bei gleichzeitiger Kürzung der Essensrationen erfolgten. Infolge der ständigen Unterernährung breitete sich unter den Häftlingen die Hungerruhr aus, von der auch O. erfaßt wurde. Die fehlende medizinische Versorgung beschleunigte den Krankheitsverlauf. Ende August 1942 war er „ein vom Tode gekennzeichneter Mann".

Kraft und Trost in seinem Leid empfing O. in der täglichen Eucharistiefeier im Kreise der geistlichen Mitbrüder und im Gebet. P. Mauras bezeugt: „Kein Wort der Klage kam über seine Lippen. Er bewahrte die Haltung als Mensch und Priester bis zum äußersten." Versehen mit den Sakramenten, begab er sich am 19.9.1942 in das Krankenrevier. Er starb am Tage darauf. Sein Leichnam wurde wie üblich eingeäschert. Die Aschenurne wurde am 24.10.1942 in Herford nach einem Trauergottesdienst in der Pfarrkirche St. Johannes Baptist unter großer Anteilnahme von Priestern und Gläubigen beider Konfessionen in der Familiengruft beigesetzt.

Seit 1987 trägt eine Schule in Herford seinen Namen. In Hombruch bei Dortmund erinnert am Haus der Bezirksverwaltung seit 1991 eine Gedenktafel an mehrere Gegner der Nationalsozialisten aus dem Stadtbezirk. Die Inschrift lautet wie folgt:

„Den ermordeten Widerstandskämpfern aus dem Stadtbezirk Hombruch ein ehrendes Gedenken — stellvertretend

(...)

Wilhelm Oberhaus (1901-1942), katholischer Priester, Jugendseelsorger, Vikar der St. Clemens-Gemeinde, ermordet am 20.9.1942 im Konzentrationslager Dachau" (Puvogel-Stankowski, 521).

QQ: Erzbistumsarchiv Paderborn, Best. XXII, Parteipolitik, NSDAP, Verurteilte Priester der Erzdiözese Paderborn 1935-1942; Kommission für kirchliche Zeitgeschichte des Erzbistums Paderborn, Akte W. O.

Lit.: Kempner, Priester, 314f.; Weiler, 490; Baumjohann, 730, 745f.; L. Jüngst, W. O. Ein Lebensbild (Herford 1987); Puvogel-Stankowski, 521; Wagener, Zeugen, 38-42; Hehl-Kösters, Priester4,1201.

Peter Möhring