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Vikar Heinrich König

Priester des Erzbistums Paderborn * 24. Juni 1900 [Frankfurt-]Höchst/Main + 24. Juni 1942 KZ Dachau

In Gelsenkirchen erinnert seit 1987 der Heinrich-König-Platz an einen Priester des Erzbistums Paderborn, der von 1935 bis 1941 an der dortigen Propsteikirche gewirkt hat und 1942 im KZ Dachau ums Leben gekommen ist. Heinrich König wurde am 24.6.1900 in Höchst, heute Frankfurt-Höchst, geboren. Er wuchs im Kreise von sechs Geschwistern auf, von denen drei früh verstorben sind. Das Erlebnis des Todes in der eigenen Familie war für ihn eine existentielle Erfahrung und hat sein persönliches Verhältnis zum Leid und zum Sterben tief geprägt. Die Familie verlegte später ihren Wohnsitz nach Unna, wo er das Gymnasium besuchte und 1918 das Abitur ablegte. Nach dem Abitur war er im letzten Kriegsjahr 1918 noch einige Monate Soldat. Das Berufsziel des Priesters vor Augen studierte er von 1919-1924 Philosophie und Theologie in Paderborn, Freiburg und Münster.

Während der Studienzeit lebte das Interesse an der Jugendbewegung, das ihn als Gymnasiast erfaßt hatte, wieder auf. Auf der Suche nach einer zeitgemäßen Form aus christlichem Geiste schloß er sich der kath. Studentenvereinigung „Hochland" an und nahm in den Jahren 1919-1921 an den Quickborntagen und Werkwochen auf der Jugendburg Rothenfels am Main teil. Weit stärker fühlte er sich jedoch vom „Apostolischen Bund" angezogen, auf den er 1922 aufmerksam wurde und dessen Leitbild einer sittlich-religiösen Erneuerung von Staat und Gesellschaft ihn faszinierte. Im Umkreis von P. Joseph Kentenich, dem Gründer der Schönstattbewegung, fand er, was er suchte: sein persönliches Ideal.

Vor die Frage gestellt, welcher Vereinigung er zukünftig angehören wolle, entschied er sich für eine Mitgliedschaft im „Apostolischen Bund". Neben der Idee des religiösen Apostolats sprach ihn die in der Schönstattgemeinschaft gepflegte Marienverehrung besonders an. Persönlich machte er sich das Wort des hl. Bernhard von Clairvaux zu eigen: „De Maria nunquam satis — Von Maria nie genug!" Auf seinen Vorschlag wurde es 1927 zum Leitwort der Paderborner Schönstattpriester. Zusammen mit elf Mitbrüdern aus der Diözese stellte er sich im August 1927 in der dortigen Gnadenkapelle in den Dienst Mariens.

K. wurde am 10.8.1924 in Paderborn zum Priester geweiht. Seine erste Seelsorgestelle führte ihn nach Hagen (Westfalen), wo er in dem Ortsteil Ernst in einem neuen Siedlungsgebiet eine Gemeinde gründen sollte. Der Vikar begann seine Tätigkeit dort gewissermaßen auf dem Sturzacker, aber innerhalb eines Jahrzehnts baute er in einem zu 70 % ev. Umland eine Gemeinde aus dem Nichts auf. Zwei Jahre lang fanden die Gottesdienste in einer Schulbaracke statt. Er selbst wohnte zunächst in einer Gartenlaube, bis er in ein notdürftig hergerichtetes, altes Fachwerkhaus einziehen konnte. Herausfordernder konnten die Startbedingungen für einen Neupriester nicht sein. K. ließ sich nicht entmutigen, sondern ging zuversichtlich und voll Vertrauen auf Gottes Hilfe ans Werk. In unermüdlichen Hausbesuchen sammelte er durch persönliche Ansprache nach und nach eine Gemeinde um sich. Auf gleiche Weise gelang ihm der Zugang zur Jugend. Seine Anstrengungen zeigten schon bald sichtbare Erfolge. Weitgehend in Eigeninitiative gingen im März 1926 Gemeindemitglieder an den Bau einer Kirche. Das Baumaterial wurde in einem nahegelegenen Steinbruch gewonnen. Unter Anleitung eines Architekten wurden die Ausschachtungs- und Maurerarbeiten in Selbsthilfe durchgeführt. Schon im November desselben Jahres feierte der Vikar in der dem Hl. Geist geweihten Kirche zum ersten Mal Eucharistie. Es sollten 30 Jahre vergehen, bis die Notkirche 1956 durch einen Neubau nach einem Entwurf von Dominikus Böhm ersetzt wurde.

Indem K. vor den Schwierigkeiten des Neubeginns nicht zurückschreckte, bewies er, welche Energien und Fähigkeiten er besaß. Seine große Stärke lag darin, daß er die Gabe besaß, auf die Menschen zuzugehen, und daß er so ihr Vertrauen zu gewinnen vermochte. Den Gläubigen in Hagen-Emst ist er über den Tod hinaus als „ein herzgewinnender Priester voll Güte und Seeleneifer" mit einem nüchternen Sinn für das Notwendige und Machbare in Erinnerung geblieben. Es war für ihn die erste große Bewährungsprobe im priesterlichen Dienst. Als er 1935 nach elfjähriger Tätigkeit in der Heilig-Geist-Gemeinde an eine neue Wirkungsstätte berufen wurde, hatte er ein Fundament gelegt, auf dem sein Nachfolger unter anderen Voraussetzungen weiter aufbauen konnte.

K. kam an die Propsteigemeinde in Gelsenkirchen, wo er die Stelle des ersten Vikars einnahm und zudem als Kolpingpräses mit der Männerseelsorge betraut wurde. Zusätzlich betätigte er sich in den Schönstattkreisen. Hier erlebte er die Verschärfung des Kirchenkampfes, die den Freiraum auch seines Wirkens immer mehr einengte, wenngleich er persönlich von Nachstellungen durch die Gestapo verschont blieb.

Ein vertrauliches Gespräch mit einem Fronturlauber im Sommer 1941 wenige Wochen nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurde ihm dann zum Verhängnis. Der Besucher war ein Mitglied des Kolpingvereins der Gemeinde und dem Präses gut bekannt. K. hegte deshalb keinen Argwohn. In aller Offenheit wurde über die Kriegslage, die Stimmung in der Bevölkerung und über die Predigten des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, zur Euthanasie und den Klösteraufhebungen gesprochen. Ohne zu ahnen, in welche Gefahr er sich brachte, äußerte K. in diesem Zusammenhang, daß Deutschland wegen der Schuld, die es auf sich geladen habe, den Krieg verlieren werde.

Es vergingen mehrere Wochen, ohne daß etwas geschah, bis ihn eine Anfrage der Gestapo zum Inhalt des Gesprächs erreichte. Wahrheitsgemäß bestätigte er, Zweifel an einem deutschen Sieg ausgesprochen zu haben. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß der Gestapo eine Anzeige gegen ihn vorlag. Am 30.9.1941 wurde er zu einem Verhör vorgeladen und nicht mehr freigelassen. Er verbrachte neun Wochen in Untersuchungshaft im Polizeigefängnis Gelsenkirchen und mußte mehrmals Vernehmungen über sich ergehen lassen. Die unbedachte Äußerung wie das ganze Gespräch mit dem Fronturlauber wurden ihm als „Wehrkraftzersetzung" ausgelegt.

Während der Untersuchungshaft war es ein Trost für ihn, daß die Mutter und seine Geschwister ihn besuchen durften. Eine seelsorgliche Betreuung wurde nicht gestattet; nicht einmal der Gefängnisgeistliche erhielt Zugang zu ihm. Um so größer war für K. die Freude, daß Erzbischof Lorenz Jaeger der Mutter des Vikars erlaubte, ihrem Sohn heimlich die Kommunion zu bringen. Seine Schwester Helma K. berichtet darüber: „Unmittelbar vor ihrem Besuch legte ein Priester vorsichtig die Hostie zwischen die Butterbrote in der Handtasche meiner Mutter, die mein Bruder sich dann selbst herausnahm. Er war immer allein in der Zelle. Darum kommunizierte er erst am anderen Morgen, hielt aber in der Nacht davor Anbetung." Für die Spendung des Bußsakraments wurde ebenfalls eine situationsbedingte Lösung gefunden. Während K. in der Zelle eine Gewissenserforschung vornahm, ging ein Priester zu einer fest vereinbarten Uhrzeit am Gefängnis vorbei und erteilte ihm die Absolution. Die Zelle wurde zu einem Ort des Gebetes und der Betrachtung. Neben dem täglichen Breviergebet und dem Rosenkranz wiederholte er die Exerzitien, an denen er im Frühjahr in Schönstatt teilgenommen hatte.

Die Untersuchungshaft ging in Schutzhaft über, was immer die Einweisung in ein KZ bedeutete. Die Hoffnung seiner Angehörigen auf Haftunfähigkeit wegen eines Gallenleidens erfüllte sich nicht. Ebenso wandte sich die Mutter vergeblich mit einem Gesuch um Freilassung an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Ohne ein Gerichtsverfahren wurde K. am 2.12.1941 nach Dachau abtransportiert. Wie viele andere vor und nach ihm wurde er im Priesterblock 26 untergebracht. Obwohl akute Gallenbeschwerden nicht vorlagen, wurde er kurze Zeit darauf operiert. Der Eingriff muß, ob mit Absicht oder aufgrund mangelnder chirurgischer Erfahrung des Arztes, sehr unsachgemäß erfolgt sein, denn die Nachbehandlung dauerte 3 bis 4 Monate.

Persönliche Zeugnisse des Opfergeistes, der K. beseelte, sind seine Briefe an die Mutter aus dieser Zeit. Sie lassen erahnen, woher er die Kraft gewonnen hat, das ihm zugefügte Leid zu ertragen. Ungeachtet der eigenen Bedrängnis fand er Worte des Trostes, um seine Angehörigen aufzurichten, wenn er zum Osterfest schrieb: „Jetzt kommt das schöne Osterfest, das Fest des neuen Lebens, der frohen Hoffnung. Ich habe mich selten so auf das Fest gefreut und wünsche, daß gleicher Glaube und noch größere Hoffnung in Euch lebendig werde." (Brief vom 8.3.1942) Ohne mit Gott zu hadern, nahm er sein Los an: „Man muß dem lieben Gott dankbar sein für jede Freude und jedes Leid, ob man friert oder schwitzt, hungert oder satt ist (...)."

Das Gebet ist die geistige Brücke, die ihn mit der Mutter und den Geschwistern verbindet. Das eigene Leid vergessend, findet er immer wieder tröstende Worte: „Morgens wenn wir aufstehen, sehen wir im Osten, d.h. wenn Du aus Deinem Zimmer nach links schaust, die Venus, den Morgenstern der Gottesmutter. Achte einmal darauf, und dann wollen wir uns im Geiste im Herzen der Gottesmutter finden. Sie ist der wegweisende Stern unseres Lebens." (Brief vom 2.5.1942)

Berichten von Mitgefangenen zufolge ist die Wunde nie richtig verheilt. K. wurde deshalb zu den im Lager üblichen Außenarbeiten nicht herangezogen, statt dessen wurde er zum Bettenbau für das Küchenpersonal eingesetzt. Da die Bettgestelle dreigeschossig angelegt waren, mußten Hocker übereinander gestellt werden, um die oberste Etage zu erreichen. Hierbei verlor er einmal das Gleichgewicht und stürzte so unglücklich, daß die Operationswunde wieder aufbrach. Trotz großer Schmerzen wurde er erst am Tage darauf mit einer schweren Bauchfellentzündung in das Lagerlazarett eingeliefert. Ärztliche Hilfe, sofern sie überhaupt geleistet worden ist, kam zu spät.

K. starb mit geistlichem Beistand am 24.6.1942, seinem 42. Geburtstage, im Jahr des großen Priestersterbens in Dachau. Entgegen der sonstigen Verfahrensweise wurde den Angehörigen gestattet, den Leichnam zu sehen; eine Freigabe wurde hingegen verweigert. Die Familie erhielt nur die Urne mit seiner Asche. Sie wurde beigesetzt in der Priestergruft auf dem kath. Friedhof in Gelsenkirchen. Am 18.3.1989 wurde sie von Kardinal Franz Hengsbach in die neu errichtete Gedenkstätte in der Propsteikirche überführt.

Mit seinem Tod besiegelte K. das Weihegebet, das er am 18.10.1939 in der Gnadenkapelle in Schönstatt gesprochen hat: „Herr, ich bin bereit, alles auf mich zu nehmen: Hunger, Kälte, Armut, Krankheit, Entbehrung, Qualen, Haft, Konzentrationslager und Tod — zu Deiner Ehre und zur sittlich-religiösen Wiedergeburt unseres Vaterlandes."

QQ: Erzbistumsarchiv Paderborn, Best. XXII, Parteipolitik, NSDAP, Verurteilte Priester der Erzdiözese Paderborn 1935-1942; Kommission für kirchliche Zeitgeschichte des Erzbistums Paderborn, Akten H. K.

Lit.: E. Hoffmann, Für mich das Mindeste. Dem Paderborner Schönstattpriester H. K. zum Gedächtnis (Vallendar 1968, Privatdruck); Weiler, 354; Baumjohann, 727; R. Padberg, Kirche und Nationalsozialismus am Beispiel Westfalen. Ein Beitrag zur Seelsorgekunde der jüngsten Zeitgeschichte (Paderborn 1984), H. König, Vikar H. K. — Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft (Dortmund 1989, Privatdruck); Wagener, Zeugen, 27-30; Hehl-Kösters, Priester4,1184f.

Peter Möbring