b) Märtyrer des Kolpingwerks

 

1-365

Vikar Heinrich Richter

Priester des Erzbistums Köln * 23. Dezember 1898 Köln-Mülheim + ca. 8. April 1945 KZ Buchenwald (Außenlager Ohrdruf)

 

1-365

Theodor Babilon

Geschäftsführer des Kolpinghauses Köln-Zentral * 26. Februar 1899 Köln + 11. Februar 1945 KZ Buchenwald (Außenlager Ohrdruf)

 

Präses Heinrich Richter und Geschäftsführer Theodor Babilon waren im Kolpinghaus International in Köln tätig. Sie waren Männer, die ihr Christ-Sein bedingungslos bekannten und vor einer satanischen Macht nicht einen Schritt zurückgewichen sind. Ihren Glauben an Jesus Christus haben sie durch einen grausamen und furchtbaren Tod eingelöst. Obgleich R. und B. ihr Leben hätten retten können, denn beiden wurde Fluchthilfe angeboten, haben sie das Angebot aus Liebe zu ihren Angehörigen ausgeschlagen. Denn das hätte Sippenhaft nach sich gezogen. Sie hätten ihr Leben aber auch retten können, wenn sie sich dem Willen der damaligen Machthaber gebeugt und ihren Glauben und ihr Bekenntnis zur Kirche verleugnet hätten. Aber beide wählten eher Gefängnis, KZ und schließlich den Tod als die Verleugnung ihrer Überzeugung. Deshalb sind sie zu Märtyrern, zu wahren Blutzeugen des Kolpingwerkes geworden. Der Grund ihrer Verhaftung war klar erkennbar. Man wollte durch ihre Vernichtung das Kolpingwerk und letztlich das Christentum und damit die kath. Kirche treffen.

Mancher Warnungen zum Trotz versammelte sich im Umfeld der Verbandszentrale ein meist wöchentlich sich treffender Kreis, zu dem auch R. und B. gehörten. Eine Intrige im Sommer 1944 reichte aus, um diesen Kreis in große Schwierigkeiten zu bringen: Aufgrund der schwierigen Finanzlage der Deutschen Kolpingsfamilie hatte B. der Gehaltsforderung des Metzgermeisters im Kölner Gesellenhaus nicht entsprechen können. Dieser ging zur Kreisleitung der NSDAP, um sich als Parteimitglied anzumelden und verriet zum Beweis seiner politischen Richtung den Gesprächskreis im Kolpinghaus.

R. und B. wurden am 15.8.1944 mit Leo Schwering und Karl Zimmermann anscheinend im Zusammenhang mit den Ereignissen um den 20.7.1944 als „Hochverräter" von der Gestapo verhaftet. Dazu Schwering in seinem Tagebuch: „Die Verhaftung zumal von Richter und Babilon muß als Versuch des Regimes begriffen werden, eine der letzten noch halbwegs intakten Bastionen des deutschen Verbandskatholizismus zu schleifen". Und an anderer Stelle lesen wir: „Das Verhör, dem wir unterzogen wurden, machte uns allen klar, daß es auf unser Leben abgesehen war und auf die Vernichtung des Kolpingwerkes. Umso energischer betrieb die Gestapo die Auslöschung der führenden Männer des Kolpingwerkes, von denen sie drei (Richter, Babilon und Zimmermann) in ihre Klauen gebracht hatte. Sie verwickelte uns u.a. in die Widerstandsbewegung des 20. Juli. Allein, die Anzeige, die wider uns bei der Gestapo lief, bewies nur, daß sie auf falscher Fährte war. Doch ließen uns die gestellten Fragen klipp und klar erkennen, daß wir, gleichviel wie wir sie beantworteten, verloren waren. Die Gestapo wollte und mußte es so haben, um ihr satanisches Werk zu vollenden".

Nachdem R. und B. zunächst im Keller der Gestapo in der Elisenstraße in Köln zu Verhören inhaftiert wurden, wurden sie am 19.8. in das KZ-Außenlager im Messegelände von Köln-Deutz überführt. Trotz intensivster Bemühungen des Generalpräses des Internationalen Kolpingwerkes, Theodor Hürth, und des Kölner Erzbischofs Joseph Frings konnte ihre Freilassung nicht erwirkt werden. Nach der endgültigen Zerstörung des KZ-Außenlagers Deutz durch Bombenangriffe wurden beide im Dezember 1944 in das Gefängnis Klingelpütz in der Innenstadt von Köln deportiert, wo ihnen der Kölner Stadtdechant Robert Grosche am 11.1.1945 einen Besuch abstattete; von dort ging es am 15.1.1945 in das KZ Buchenwald bzw. Ohrdruf in Thüringen. Dort sind sie wenige Wochen vor Kriegsende ums Leben gekommen.

Schwering, der durch glückliche Umstände der Deportation in ein KZ entging, schrieb R. und B.: „Euch war es bestimmt, den Kelch der Leiden bis zur Neige zu leeren. Wie oft habe ich den Versuch gemacht, irgendetwas über Euch zu erfahren! Jenseits des Klingelpütz verliert sich Eure Spur in der dunklen Tatsache, daß Ihr nach Buchenwald verschleppt wurdet!

Welche Schrecknisse zogen an Euch vorüber Niemand kann eine Antwort geben (...) Ereilte Euch nach Gottes Willen ein vorzeitiger Tod, so hat das katholische Deutschland und das Kolpingwerk mehr als einen Seligen — es hat zwei Blutzeugen für Jesus Christus".

 

Präses Richter wurde am 23.12.1898 in Köln-Mülheim geboren. Dort besuchte er auch das Gymnasium. Seine theologischen Studien absolvierte er an der Universität Bonn und im Priesterseminar zu Köln; er war Mitglied der Studentenverbindung Colonia. Am 5.3.1922 empfing er die Priesterweihe. Seine erste Anstellung als Kaplan erhielt er in [Wuppertal-] Elberfeld in der Pfarrei St. Joseph. Danach wurde er zum Kaplan an der Heilig-Geist-Pfarre und an St. Petrus Apostolus in Düsseldorf und zugleich zum Religionslehrer an den Städtischen Berufsschulen ernannt. Gleichzeitig war er auch Vizepräses der Düsseldorfer Kolpingsfamilie. 1929 kam er nach Köln in die Pfarrei St. Michael. Am 28.9.1931 erhielt er seine Berufung zum Vizepräses der Kolpingsfamilie Köln-Zentral und zum Vikar an der Minoritenkirche, der Grabeskirche Adolph Kolpings. Damit wurde er zugleich die „rechte Hand" von Generalpräses Theodor Hürth.

Der Präses war ein begeisterter und temperamentvoller Kämpfer für die gute Sache. Er liebte die Kunst und das Theater. Darum wandte er sich als Jugendseelsorger in Düsseldorf gegen die Aufführung eines Theaterstückes, das die niedrigsten Leidenschaften im Menschen ansprach. Mit Jugendlichen protestierte er während der Aufführung und zwang damit die Direktion zum Abbruch. Aufgrund seiner gradlinigen Haltung und Kämpfernatur war er später den Machthabern des Dritten Reiches und besonders der Geheimen Staatspolizei ein Dorn im Auge. Sein Freund und Leidensgenosse Leo Schwering schrieb dazu: „Heinz Richter war ein froher Mann, ein temperamentvoller Mann, ein Mensch von unmittelbarer Tatenlust, rasch entschlossen, feurig. Vor allem Priester. Schon in seiner Soutane fiel er überall auf. Das Kleid des Priesters war damals, in den schicksalsreichen Tagen, Symbol des Vertrauens. Richter kannte seine Sendung und Aufgabe. Und wie hat er sie gemeistert!"

Selbst im Gefängnis blieb R. seinem Leitwort treu: „Seid eher Täter als nur Hörer der Frohen Botschaft!" (vgl. Jak 1,22-25) So erbat er sich die Paulusbriefe und ließ sie scheinbar absichtslos auf den Tischen herumliegen. Noch einmal das Schwering-Tagebuch: „Unsagbar litt er unter der Trennung von seinen geistlichen Funktionen während der Haft. Das tägliche Breviergebet, daß er mit Regelmäßigkeit verrichtete, war dafür kein Ersatz. Nur einmal hat er, wie erzählt, im KZ als Priester seines Amtes walten dürfen."

Nach Monaten harter Haft in den oben beschriebenen Kölner Gefängnissen bzw. im KZ-Außenlager in Köln-Deutz und nach schweren Verhören, bei denen jeder körperliche und moralische Druck angewandt wurde, kam R. in das KZ Ohrdruf. Ein Leidensgenosse R.s berichtete: „In den letzten Tagen des März 1945 konnte er fast nicht mehr laufen. Er sagte mir immer, er müßte ins Lazarett. Ich sagte ihm nun dauernd: ,Beiß die Zähne zusammen, Heinz, und bleibe bei uns. Wenn du solltest ins Lazarett gehen und das Lager würde geräumt werden, so sehe ich schwarz für dich.' Er aber konnte nicht mehr. Einen Tag vor unserem plötzlichen Abmarsch von Ohrdruf habe ich Herrn Richter noch im Lazarett aufgesucht. Es war der 7. April. Er hoffte, daß er sich besser fühlte, in den nächsten Tagen wieder zu uns zu kommen. Am 8. April rückten wir morgens früh zur Arbeitsstelle aus. Um 10 Uhr ein plötzlicher Alarm, alles antreten und einrücken zum Lager. Im Lager erhielten wir eine armselige Marschverpflegung und wurden in Richtung Buchenwald in Marsch gesetzt. Mir ist wohl bekannt, daß Lazarettkranke von Ohrdruf nicht mitgekommen sind. Bis Buchenwald hatten wir einen Marsch von ca. 60 Kilometern. Solche Häftlinge, die auf dem Wege vor Erschöpfung zusammenbrachen, wurden erschossen."

Weiter heißt es: „In dem mir übersandten Totenzettel lese ich: in Buchenwald verstorben. Das stimmt nicht! Nach Buchenwald ist Herr Richter nicht mitgekommen. Selbst wenn er in letzter Minute noch aus dem Lazarett entlassen worden wäre, hätte er diesen Marsch wegen seiner Füße nicht ausgehalten, denn sonst hätte man ihn am Wege erschossen."

Nach diesen Mitteilungen kann R. also nur im Lager Ohrdruf oder auf dem Weg von dort nach Buchenwald ums Leben gekommen sein. Seine Leiche und sein Grab hat sich nirgendwo feststellen lassen, weil die „SS die Ermordeten mit Benzin übergossen und angebrannt haben."

 

Geschäftsführer B. wurde am 26.2.1899 als Sohn tiefgläubiger Eltern in der Kölner Innenstadt geboren. Zwei seiner Schwestern traten bei den Aachener Franziskanerinnen ein, ein Bruder wurde Diözesanpriester von Köln. Am 24.3.1919, eben erst als Frontkämpfer aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, trat er in die Dienste des Kolpingwerkes ein. 1932 wurde er als Geschäftsführer des Kölner Kolpinghauses berufen. Mit seiner Familie, dem Hausvorstand, den Mitgliedern der Kolpingsfamilie und mit seinen Freunden konnte er 1944 das Silberne Dienstjubiläum feiern. Er war ein besonnener Mann, der ganz in der Leitung des Kolpinghauses aufging. Das Haus genoß unter seiner vorbildlichen wirtschaftlichen Führung großes Ansehen in Köln und darüber hinaus. Menschlich gesehen hatte er es in der schwierigen Zeit des Dritten Reiches viel schwerer als sein priesterlicher Freund R., denn er trug Verantwortung für seine Frau und die vier Kinder (ein weiteres war im Alter von 10 Monaten gestorben). Der einzige Sohn, Theodor B. (1928-2004), wurde 1954 Diözesanpriester des Erzbistums Köln.

Schon seit dem ersten Aufkommen der NS-Partei wußte B. seine christliche Überzeugung mutig zu verteidigen. Klar und deutlich bekannte er sich zu Adolph Kolping und seinem Werk. So weigerte er sich 1937, das Verbot der „Doppelmitgliedschaft" anzuerkennen, das besagte, daß niemand in einem kath. Verband und zugleich in einer Einrichtung des NS Mitglied sein konnte. Darum wurde er durch ein Verfahren aus der DAF [Arbeitsfront] ausgeschlossen. Das sollte nicht ohne Folgen bleiben. Die Gestapo beobachtete ihn nun besonders.

B. muß ein Gefühl dafür gehabt haben, daß dem Kolpingwerk und auch ihm persönlich Schweres bevorstehe. In all den Jahren stand ihm seine Frau Margarethe zur Seite. Sie hat all seine Wege mitgetragen. Sie hat ihrem Mann nie einen Vorwurf gemacht. Die Kinder bezeugen, daß die Eltern nie einen Streit hatten in diesen Dingen. Seine letzte Lektüre war nach Mitteilung seiner Gattin das „Leben des Thomas Morus", jenes Glaubenshelden, der als Kanzler des Königs von England dessen Blut gier nicht entging, weil er seinen Glauben nicht verleugnete. Ein anderes Buch hat er immer wieder seinen Kindern empfohlen, die Meditationen „Ja, Vater" von P. Richard Graf. Bevor B. von der Gestapo verhaftet wurde, schrieb er an einen Freund die ahnungsvollen Worte: „Wenn nur die Sache Gottes siegt! Mag der einzelne auch zugrunde gehen!"

Nochmals Schwering: „Theodor Babilon war im Grunde eine sonnige Natur. Er verleugnete nicht seine Herkunft aus Köln und dem rheinischen Raum, obwohl die Familie, der er entstammte, eigentlich sauerländischen Ursprungs war. In seiner Lebenseinstellung war er stets Optimist und kein Pessimist. Er stand mit beiden Füßen mitten im Leben". Sein Sohn sagte, daß sein Vater öfters in Hitlers „Mein Kampf" gelesen und dann gesagt hätte:

„Ich erzähle euch keine Märchen — es wird al les so kommen, wie es in diesem Buch geschrieben steht". Am Wochenende wanderte er gern und teilte seinen beiden älteren Kindern mit, was er über die Geschichte und den Glauben nachgedacht hatte.

Als das KZ-Außenlager Köln-Deutz durch einen Luftangriff schwer zerstört wurde, war die Möglichkeit zur Flucht gegeben. Schwering berichtete diesbezüglich: „Der anständige Teil der Wachmannschaften drängte uns geradezu zur Flucht; und sie erklärten, daß sie nichts sehen würden. ,Macht, daß ihr fortkommt!' war die allgemeine Parole. Einige, die nichts zu verlieren hatten, haben sie sich zu eigen gemacht und sind davongekommen. Nicht so Babilon. Als wir in Richtung auf Mülheim in die Freiheit strebten, blieb er auf einmal stehen und sagte zu mir: ,Es geht nicht weiter! Ich kann nicht mehr! Wenn ich fliehe, wird die Gestapo sich an meiner Frau und meinen Kindern schadlos halten; sie werden die Sippe vernichten, wie sie es immer anstellen! Ich muß hier bleiben wegen der Meinen."

Wie stark die Liebe und Bindung an seine Familie war, brachte B. in einem erschüttern den Brief vom 8.10.1944 aus dem KZ-Außenlager Köln-Deutz an seine Familie zum Aus druck: „Dieses Alleinsein gibt mir Ruhe und Muße, immer wieder meine Gedanken bei Euch, meine Lieben, weilen zu lassen, immer bei Euch! Welch wunderbares schönes Wort! Wie sehnt sich mein Herz danach! Fast 8 Wochen bin ich Euch entrückt, hält man mich gefangen. Meine Seele möchte manchmal aufschreien vor Heimweh nach Euch und meiner Arbeit. Möchte aufschreien vor Sehnsucht nach der Teilnahme am heiligen Opfer und an der heiligen Kommunion.

Ich bitte Euch, vergeßt nicht, auch bei längerer Dauer unseres Opfers, uns in Eure täglichen Gebete einzuschließen. Alles Schwierige opfere ich immer wieder für Euch auf. Die Liebe hört nimmer auf.

Ein viel zu inniges Band der Liebe umschlingt uns ja alle. Ein Band der Liebe, das sich in manchen Stürmen des Lebens kraftvoll erprobt und bewährt hat. Ein Band der Liebe, das nicht nur Menschenhände gewoben und geschlungen haben, sondern Gott gesegnet und im Glück und Unglück immer wieder von neuem gesegnet und geweiht hat.

So laßt uns frohen Mutes der Zukunft entgegengehen, scheint sie auch düster und dunkel."

Nach der Zerstörung des Lagers in Köln-Deutz wurden die Häftlinge in das Kölner Gefängnis Klingelpütz verlegt — unter ihnen auch B. und R. Es kamen damals viele Gefangene an, die bei der Ardennenoffensive zu früh über die Ankunft der Amerikaner gejubelt hatten und dann denunziert worden waren. Weil die Wachmannschaften überfordert waren, übergab man B. das Lagerbuch. Er mußte die Namen der Häftlinge ein- und austragen. R. hatte die Hausapotheke zu versorgen. Mit den Tabletten für die Kranken konnte er auch dem einen oder anderen die hl. Kommunion reichen oder sogar die Beichte hören. Die Wache hörte dann für einen Augenblick weg. Bei einem erneuten Angriff fiel die Wasserleitung im Klingelpütz aus. B. ging von da an jeden Tag mit einer Wache, mit Häftlingen und einem Handkarren zum Kolpinghaus Wasser holen. Während die großen Tonnen gefüllt wurden, bot sich für B. die Gelegenheit, bei Pfr. Wachowski zu beichten und die hl. Kommunion zu empfangen. In dieser Zeit hatte Frau B. die Gelegenheit, ihren Mann im Klingelpütz zu besuchen. Beim zweiten Besuch war die Tochter Marianne mit dabei. Beim Abschied fiel ihr der Vater um den Hals, weinte bitterlich, und sagte: „Ich habe euch so viel von den Märtyrern erzählt. Wenn man selbst davor steht, ist es hart. Betet für uns, daß wir durchhalten. Vergiß nie: Gott ist die Liebe!" Beim dritten Besuch war der Sohn Theodor dabei, der vom Arbeitsdienst zurückgekommen war. R. hatte ihm gesagt: „Du kannst stolz sein auf Deinen Vater". Und: „Wir kommen hier nicht mehr lebendig heraus — Dein Vater weiß zuviel". Und der Vater sagte zu ihm: „Wenn ich noch einmal zu leben hätte, würde ich Priester werden". Er hatte bei R. gesehen, was ein Priester bewegen kann. Er sagte zum Abschied: „Junge, kümmere Dich um Mutter und Deine Geschwister!"

Ein vierter Besuch sollte nicht mehr zustande kommen. Am Dreikönigstag 1945 fuhr Frau B. mit ihrem Sohn Theodor — wie immer unter abenteuerlichen Umständen — nach Köln, um ihren Mann zu besuchen. Wie immer hatte sie Lebensmittel für die Wachleute dabei. Am Klingelpütz sagte man ihr: „Ihr Mann ist gestern mit Präses Richter mit dem letzten Transport in das KZ Buchenwald ,evakuiert' worden". Von der 10 Tage dauernden Fahrt nach Buchenwald ist ein kurzer Brief aus dem Zug geschmuggelt worden, und zwar an seine Cousinen in Neheim: „Wir sind auf der Fahrt nach Buchenwald — betet für uns und grüßt die Familie". Der ev. Pastor Paul Schneider (* 1897) war am 18.7.1939 im KZ Buchenwald um seines Glaubens willen gestorben.

Im Lagerbuch von Buchenwald war minutiös eingetragen: „Am 15.1. Ankunft der Häftlinge von Köln [mit Namen]. Am 16.1. Weitertransport nach Ohrdruf in ein Zweiglager". Der „Häftlings-Personal-Karte" von Weimar-Buchenwald zufolge war der Häftling Nr. 47 588 durch die „Stapo Köln" dorthin eingewiesen worden. In Ohrdruf verlieren sich jedoch alle Spuren. Das Lager ist von amerikanischen Einheiten erobert worden. Sie haben alles einplaniert, auch die Gräber. Im Sommer 1945 kam die Nachricht von einem Mithäftling, B. sei im Februar auf der Krankenstation an Gehirnhautentzündung gestorben. Dem Kölner Kirchenhistoriker Jakob Torsy zufolge soll dies am 11.2.1945 erfolgt sein.

Die beiden Kolpingmartyrer von Köln leben nicht nur in der Erinnerung der Zeitzeugen weiter. Kein Geringerer als Kardinal Joseph Höffner gedachte ihrer und aller Kölner Blutzeugen in einer Eucharistiefeier am 29.3.1974 in der Kölner Innenstadtkirche St. Georg, um sie dem Vergessen zu entreißen. Auf sie persönlich eingehend, betonte der Kölner Erzbischof: „Es ist ein Zeichen der Versöhnung, daß der Gestapomann, der einst Heinz Richter und Theodor Babilon ins Konzentrationslager gebracht hat, wenige Schritte von uns entfernt — im kleinen Friedhof von Sankt Georg — sein Grab gefunden hat. Der Sühnetod schließt uns alle zusammen, so daß wir in das Danklied der Kirche einstimmen können: ,Seht, durch das Holz des Kreuzes ist Freude gekommen in alle Welt"'.

In der Kölner Minoritenkirche erinnert eine Metalltafel an Priester und Laien der Kölner Kolpingsfamilie, die Opfer des NS-Regimes wurden. Unter einem Christuscorpus sind unter Zitierung von Joh 15,13 auch die Namen der beiden Kolpingmartyrer eingetragen. Im Gebäude „Kolping International" wurden Räume nach beiden Märtyrern benannt. Zur Erinnerung an B., der mit seiner Familie in Köln-Deutz wohnte, wurde im Deutzer Kolpinghaus eine Gedenktafel angebracht; unter einem Metallkopf B.s wird an dessen Mitgliedschaft in der Deutzer Kolpingfamilie erinnert. Im Geburtsort Köln-Mülheim gibt es einen „Präses-Richter-Platz", in Köln-Deutz eine „Theodor-Babilon-Straße".

WW E. Lilischkies — F. Lüttgen (Hrsg.), Kolping Köln-Zentral. Ausgewählte Dokumente über den kath. Gesellenverein/die Kolpingsfamilie Köln-Zentral aus den Jahren 1866 bis 1999 (Köln 1999).

QQ: AEK; Kardinal J. Höffner, ,Redet, damit wir euch sehen' = Sonderdrucke 22. Hrsg. vom Presseamt des Erzbistums Köln (Köln 31974); W. A. Becken, Die Wahrheit über das Konzentrationslager Buchenwald (Weimar 1945); Schwering, passim; EL-DE-Haus, NS-Dokumentationszentrum Köln, Köln; Privatarchiv Ba bilon, Bonn; Privatarchiv Dr. Helmut Moll, Köln; Privatarchiv Willy Meyer, Köln; Cilly Martin, in: „...vergessen kann man die Zeit nicht, das ist nicht möglich..." Kölner erinnern sich an die Jahre 1929-1945. Hrsg. von H. Matzerath (Köln 21985) 267f.; R. Grosche. Kölner Tagebuch 1944-46. Aus dem Nachlaß hrsg. von M. Steinhoff u.a. (Köln 21992) 88; mdl. Mitteilungen von Pfr. Theodor B., Bonn, und von Marlies B., Köln, 1997. und von den Zeitzeugen Johanna und Maria Wunsch, Köln, vom 4.11.1997; schriftl. Erinnerungsprotokoll von Pfr. i.R. Msgr. Gabriel Zander, Köln, vom 22.1.1998, und von Willi Gilleßen, Frechen, vom 11.4.1998.

Lit.: E. Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager (Frankfurt 1946) 275-280; B. Rid-der, Männer des Kolpingwerkes. Lebensbilder aus der hundertjährigen Geschichte des Kolpingwerkes (Köln 1955) 139-158; R. Steimel, Kölner Köpfe (Köln oj. [1958]) 339 bzw. 36; Köln, Widerstand, 388-393; Hehl, Katholische Kirche, 236; H.-A. Raem, Katholischer Gesellenverein und deutsche Kolpingsfamilie in der Ära des Nationalsozialismus = VKZG B 35 (Mainz 1982); Klein, 265f.; K.-P. Vosen, Ein Blutzeuge wider den Nazi terror — Bundesbruder Vizepräses H. R., in: K.Th.St.Y. Colonia (Hrsg.), 1898-1983. Festschrift zum 85. Stiftungsfest (Köln 1983) 15-21; Hegel, 630; Opfermann, Fulda, 71 bzw. 115; A. Aichelin, Paul Schneider. Ein ra dikales Glaubenszeugnis gegen die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus = Heidelberger Untersuchungen zu Widerstand, Judenverfolgung und Kirchenkampf im Dritten Reich. Bd. 6 (Gütersloh 1994); K. Dördelmann. Die Macht der Worte. Denunziation im nationalsoziali stischen Köln = Schriften des NS-Dokumentationszen-trums der Stadt Köln. Bd. 4 (Köln 1997); Torsy-Kracht 101 bzw. 62; Hehl-Kösters, Priester4, 779; Moll, Leben. 32f. bzw. 44f.

Heinrich Festing — Helmut Moll