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Kaplan Everhard Richarz

Priester des Erzbistums Köln

* 6. Juni 1904 [Niederkassel-]Mondorf

+ 13. Februar 1941 ebd.

 

Am 6.6.1904 wurde Everhard Joseph Richarz in [Niederkassel-]Mondorf bei Bonn geboren. Er wuchs zusammen mit den Schwestern Gertrud, Katharina und Josephine sowie den Brüdern Johann, Christian, Wilhelm und Peter in einer kath. Familie auf. Die Menschen des damals etwa 2 000 Einwohner großen Ortes waren zumeist Gemüsebauern, Korbmacher und Fabrikarbeiter. In seiner Kind- und Jugendzeit befand sich in Mondorf eine Synagoge mit einer Gemeinde von 20 Juden, zu der auch die

Juden aus den benachbarten Orten Rheidt, Bergheim und Sieglar gehörten; in der Reichskristallnacht brannte auch die Mondorfer Synagoge ab. Durch Stipendien und Zuwendungen konnte R. eine Klosterschule im niederländischen Sittard besuchen. Verwandte berichten, R. habe sich in dieser Zeit bereits einen Lungenriß zugezogen, der die spätere Erkrankung begünstigte. Nach Erlangung der Hochschulreife studierte R. - wiederum dank finanzieller Zuwendungen seiner Verwandten - Philosophie und Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, u.a. bei den Professoren Fritz Tillmann (Moraltheologie), Arnold Rademacher (Fundamentaltheologie), Heinrich Joseph Vogels (Neues Testament) und Wilhelm Neuß (Mittelalterliche und Neue Kirchengeschichte). Die Prüfungen schloß er mit guten Noten ab. Während seiner Bonner Studienzeit erhielt er im Theologenkonvikt Collegium Albertinum die für das Priestertum notwendige geistlich-spirituelle Grundlage. Im Erzbischöflichen Priesterseminar, das R. in [Bergisch Gladbach-]Bensberg besuchte, wurde er mit der Praxis seines späteren Berufes vertraut gemacht.

Während seiner Exerzitien im Jahre 1927 schrieb R. angesichts der immer stärker werdenden NS-Bewegung folgendes nieder: „Ein Theologe muß sich Gott ungeteilt hingeben, ganz weihen. Alles Schaffen hier auf Erden geht in Verbindung mit der Kirche. Unsere Zeit hat die Kirche, durch lange Jahre verborgen und verkannt, wieder ans Licht gebracht. Wir Theologen tragen immer eine innige Liebe zur Kirche (...). Entflammen wir in uns die katholische Freude am Schaffen der Kirche, die katholische Schwungkraft, die katholische Begeisterung. ,Komm Schöpfer Geist, stehe mir bei.' ,Restaure in Christo' (Wahlspruch Pius' X). Unter dieser Parole will ich mein Leben stellen, zu Gottes Ehre und des Nächsten Heil. - Er hat mich gerufen, seine Botschaft unter die Menschen zu tragen. Unsere ganze Persönlichkeit stellen wir in den Dienst dieses Erlösers (Jesus Christus). HERR nimm auf all mein Können, mein Tun, meinen Willen und meinen Verstand. Lass mich Handeln nach deinem Wohlgefallen.

Der Priester muß ein Mann das Gebetes sein, mehr noch als ein Mann der Arbeit. Es ist Pflicht des Priesters viel zu beten, insbesondere eine innige Andacht zum allerheiligsten Sakrament des Altares. Hier ist ja unser Führer bei uns. Hier können wir in mancher Stunde uns ruhig vor ihn knien. Auge in Auge. Beten wir hier ohne Worte. Zum göttlichen Führer und König unseres Lebens.

,Kindlein liebet einander' sagt immer wieder der heilige Johannes zu seinen Gläubigen in Ephesus (...). Draussen sind wir verpflichtet, daß wir Anhänger der Religion der Liebe sind. Gegen unsympathische Menschen, gegen Andersgläubige; gegen unsere Feinde. Verzeihen wir gerne den größten Beleidigern um der Liebe des Heilandes willen, auch den Verleumdern, auch denen, die gegen uns hetzen, uns tödlich hassen. Um der Liebe Christi willen ein gutes Wort, eine Tat der Liebe, ein freundlicher Gruss. Wir sind Christi Nachfolger als Priester an erster Stelle. Unsere Liebe zeigt sich im Gebet für unsere Feinde".

Am Abend vor der Priesterweihe schrieb R. in sein geistliches Tagebuch: „Wir werden teilnehmen am Priestertum Jesu Christi (...). Freude darüber, denn Gott rief uns. Er führte uns bis zu dieser Stätte und zu dieser Stunde. In meinem Leben könnte ich mit dem Finger weisen auf die Stunden, da der Herr mein besonderer Führer war. (...) Gib mir die Christusliebe, das verzehrende Feuer der Liebe." Am 12.3.1930 empfing er mit 19 weiteren Diakonen durch Weihbischof Dr. Joseph Hammels im Hohen Dom zu Köln die Priesterweihe. Das Ziel seines priesterlichen Wirkens erkannte er im Epheserbrief: „daß Christus durch den Glauben in den Herzen wohne" (Eph 3,17). Seine Primiz feierte R. in seiner Heimatpfarre St. Laurentius in [Niederkassel-]Mondorf.

Nach einer Übergangszeit als Rektor am Herz-Jesu-Kloster in Großkönigsdorf wurde R. am 9.9.1930 Kaplan an der Pfarre Herz Jesu in Essen-Steele; dort mußte er ab dem Jahre 1933 bereits die Verfolgung der Juden erleben. Von 1934 bis 1938 wirkte er als Kaplan an der Pfarre St. Stephan in Köln-Lindenthal. Seine Nichte, Gertrud Knipp, kann sich noch gut an seine kämpferischen Predigten in St. Stephan erinnern. Da R. die polnische Sprache gut sprach, betreute er auch Polen, die hier lebten oder tätig waren. In diesen Jahren der Glaubensbedrängnis legte R. offen ein Zeugnis des christlichen Glaubens ab, nicht nur in der Kirche, ebenso auch öffentlich bei Auftritten mit den Jugendlichen, weshalb er mehrmals verwarnt wurde und Geldstrafen zahlen mußte. „Christi Zeichen tragen unsere Sturmesfahnen, Kämpfer zu sein für Gott und sein Reich, mutig und freudig den Heiligen gleich. Wir sind bereit, rufen es weit, Gott ist der Herr auch unserer Zeit": Solche Bekenntnisse offenbarten Mut und Selbstbewußtsein der katholischen Jugend.

Das Auto des Kaplans, das für die nächtlichen Touren in die Niederlande fahrbereit gehalten werden mußte, stand, so erinnern sich Zeitzeugen, in der Garage der elterlichen Wohnung in [Niederkassel-]Mondorf. Als sein Bruder Wilhelm, von der Gestapo in Niederkassel vorgeladen, ihm bedeutete, er würde in den nächsten Tagen verhaftet, bereitete R. dessen und dessen Familie Flucht in die Niederlande vor, die am 30.1.1938 auch gelang.

Das Aufdecken all dieser Initiativen durch die Gestapo blieb freilich nicht aus. Der engagierte Seelsorger war bereits im Oktober 1938 Kaplan an St. Marien in Oberhausen geworden. Dem Zeitzeugen Ewald Weber zufolge hatte R. dort ein offenes Ohr für alle, die in jener Zeit unter verschiedenen Bedrängnissen litten; gleichwohl fürchtete sich R. nicht davor, daß seine Predigten von den Nazis belauscht würden. Doch bereits im Februar 1939 wurde R. mit seinen Brüdern Johann und Peter wegen Devisenvergehens, Wirtschaftssabotage sowie wegen Transferierung von Kapitalien jüdischer Familien in die Niederlande verhaftet. Zunächst saß er einige Wochen im Gefängnis beim Amtsgericht Oberhausen. Der Zeitzeuge Weber berichtet ferner, er und zwei seiner Freunde hätten durch eine Mittelsperson in Erfahrung gebracht, in welcher Zelle R. untergebracht war. Das vergitterte Fenster der Zelle sei vom Eingang der damaligen Paketpost aus sichtbar gewesen. Durch die Mittelsperson konnten die drei Jugendlichen ihrem Kaplan Nachrichten übermitteln. Demnach trafen sie sich über einen längeren Zeitraum hinweg abends um 19.15 Uhr am Eingang der Post. R. stellte zur gleichen Zeit seinen Schemel auf den Tisch und konnte von diesem erhöhten Standort aus seine Jugendlichen sehen. Da während dieser Zeit die Zelle erleuchtet war, konnten sie R. hinter dem Fenster erkennen. Durch eine Art Zeichensprache verständigten sie sich, wenn auch nur mit Mühe.

Nach dem Gefängnisaufenthalt in Oberhausen verbrachte R. ein knappes Jahr im Kölner Untersuchungsgefängnis Klingelpütz. Er wurde von seinen Brüdern getrennt untergebracht und sollte sie nie mehr wiedersehen. Sein Bruder Johann wurde in dem Devisenstrafprozeß zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt. Aus der Zeit im Kölner Klingelpütz sind eine Anzahl von Briefen erhalten geblieben. Aus dem Brief vom 2.10.1939, den R. an eine ihm bekannte Familie aus Köln-Nippes geschickt hatte, die er mit „meine lieben Nippeser" anredete, geht u.a. hervor, daß an einem Abend sehr viele Juden, es müssen wohl 150 gewesen sein, im dortigen Gefängnis angekommen seien. Jedoch räumte er einschränkend ein: „Was vorliegt, weiss ich nicht!"

Gegen Ende des Jahres 1939 wurde R. in das Gefängnis Berlin-Moabit verlegt. Von hier schrieb er am 18.3.1940 einen Osterbrief an seinen Vater und seine Geschwister. Im Laufe des Jahres zog er sich eine schwere Lungenentzündung zu, die sich im Herbst in der schlecht geheizten Zelle verschlimmerte. Da sich sein Gesundheitszustand nicht besserte, wurde durch einen Arzt Haftunfähigkeit festgestellt. Als Schwerkranker wurde er daher aus dem Gefängnis in das Dr.-Heim-Sanatorium nach Berlin-Buch überführt. Doch auch hier besserte sich sein Zustand nicht. Aufgrund der Tuberkuloseerkrankung und einer hinzugekommenen Lungenentzündung stand es um R. sehr kritisch. Möglicherweise waren an R. Tuberkuloseversuche unternommen worden. Im Januar 1941 erhielten seine Geschwister von einer Krankenschwester die Nachricht, ihren sterbenskranken Bruder nach Hause zu holen. Josephine R., die den Haushalt ihres Bruders geführt hatte, und ihre Schwester Katharina fuhren daher umgehend nach Berlin. Als sie ihren Bruder nach langer Zeit zum ersten Mal wiedersahen, waren sie über sein Aussehen sehr bestürzt. Aus dem jungen Kaplan war ein vom Tod gezeichneter Kranker geworden. Eine Krankenschwester des Sanatoriums begleitete R. mit seinen Geschwistern im Zug, der sie nach Hause brachte. Bei dieser Gelegenheit hat sie vermutlich ihre Schweigepflicht teilweise gebrochen und von den Tuberkuloseversuchen gesprochen. Vor der Abreise von Berlin erhielt R., vermutlich deshalb, damit er die lange Fahrt nach Hause überstünde, eine Spritze. Bereits 16 Stunden nach seiner Rückkehr ins Elternhaus starb R., „versehen mit den hl. Sakramenten" (Totenzettel), am 13.2.1941. Immer wieder hat der Kaplan Jesu Wort vor dessen Tod gebetet: „In Deine Hände will ich meinen Geist empfehlen" (vgl. Lk 23,46). Sterbend sprach er: „Nun gehe ich heim zu meinem Gott". Auf der Frontseite des Totenzettels steht geschrieben: „Der Tod ist das Tor zum Leben"; auf der Rückseite wird auf das Martyrium angespielt, wenn der Traktus aus der Messe für Verstorbene zitiert wird, wo es heißt: „In Freuden werden einst ernten, die unter Tränen jetzt säen! Weinend zogen sie aus, als ihren Samen sie streuten" (vgl. Ps 126,5-7). - In einer nicht mehr zu verifizierenden Erklärung nach 1945 heißt es: „Wahrscheinlich liegt gewaltsame Tötung durch bestimmte Spritzen vor". Auch der Bonner Kirchenhistoriker Eduard Hegel zählt R. zu den Kölner „Opfern unter den Diözesanpriestern".

Die Aufbahrung des Toten erfolgte in seinem Elternhaus in [Niederkassel-]Mondorf. Die große und herzliche Anteilnahme der Bevölkerung an den Exequien in der Pfarrkirche St. Laurentius war eine tiefe Genugtuung für die von den Nazis verfolgte Familie. Sein Grab befindet sich auf dem örtlichen Friedhof. Insbesonders Verwandte bewahren den tapferen Jugendseelsorger vor dem Vergessen.

Im September 1997 errichtete die Pfarrgemeinde St. Marien in Oberhausen eine Gedenktafel zur Erinnerung an den Kölner Diözesanpriester Dr. Joseph Cornelius Rossaint (1902-1991), der vom 3.8.1927 bis 18.6.1932 ebenda Kaplan gewesen war. Die Ergänzung „Diese Plakette dient auch als Erinnerung an alle Menschen unserer Gemeinde, die wegen ihres Widerstandes unter Verfolgung gelitten haben" hat - so ein Zeitzeuge - auch R. im Blick. Nicht nur zahlreiche Überlebende sind davon überzeugt, daß R. zu den Märtyrern des 20. Jh.s gezählt werden muß. Als Beispiel für viele gelte das Bekenntnis der Zeitzeugin Hildegard Terhorst, die in R. einen „Märtyrer unserer Kirche" erblickt.

QQ: Die Liturgie der Hl. Messe und der Sakramente; Die Taufe. Die Firmung; Das allerheiligste Sakrament des Altares; Das Sakrament der Busse; Das Sakrament der Weihe; Die letzte Ölung; Geschichte des Stundengebetes (Kollegniederschriften Wintersemester 1928); Matutin (in Kurzschrift); Niederschriften von den Exerzitien 1927 von P. Hoffmann SJ; Okt. 1928 im Priesterseminar, von P. Haggeney SJ; Text: Am Abend vor der Subdiakonatsweihe. 13.3.1.929; Exerzitien: Vor Empfang der Diakonatsweihe am 6.8.1929; AEK; Handbuch des Erzbistums Köln. 23. Ausgabe (Köln 1933); Briefe aus den Gefängnissen Klingelpütz, Köln, u. Berlin-Moabit (Pfarrarchiv Niederkassel-Mondorf); Landesarchiv Berlin, Staatsanwaltschaft Berlin, Rep. 58 Acc. 4005 (15 Aktenbände); mdl. Aussagen der Zeitzeugin Anneliese Sprenger, Köln, vom 8.1.1998, und des Zeitzeugen Ewald Weber, Oberhausen, vom 21.9.1998; schriftl. Mitteilungen der Verwandten Anni Hellmund, Troisdorf, vom 2.10.1998, Hans Sellmeier, Niederkassel, vom 4.10.1998, und Hildegard Terhorst, Essen, vom 23.7.1999.

Lit.: H.-J. Steinberg, Widerstand und Verfolgung in Essen 1933-1945 = Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung. B. Historisch-politische Schriften (Hannover 1969) 167-172; B. Wittschier, Kaplan E. R.

11941, in: Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln, Nr. 9 (1.3.1974) 18; Hehl, Katholische Kirche, 224; H. Linn, Die Synagogengemeinde Mondorf, in: ders., Juden an Rhein und Sieg (Ausstellung des Archivs des Rhein-Sieg-Kreises Mai-September 1983) (Siegburg 1983) 281-285; B. Wittschier, E. R. - Ein Märtyrer katholischer Judenhilfe, in: Theologisches 176 (1984) 5725f. (mit teilweise unrichtigen Angaben); Hegel, 630; N. Trippen, Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und die Verlegung des Seminars nach Bensberg (1918-1933), in: ders. (Hrsg.), Das Kölner Priesterseminar im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift zur Feier des 250jährigen Bestehens am 29. Juni 1988 = Studien zur Kölner Kirchengeschichte. Bd. 23 (Siegburg 1988) 134-158; G. Falkenberg, Das Collegium Alberti-num im Spannungsfeld zweier Weltkriege und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1912-1945, in: W. Evertz (Hrsg.), Im Spannungsfeld zwischen Staat und Kirche. 100 Priesterausbildung im Collegium Albertinum = Studien zur Kölner Kirchengeschichte. Bd. 26 (Siegburg 1992) 205-261; Puvogel - Stankowski, 606; K. H. Jahnke - A. Rossaint, Dr. Joseph Cornelius Rossaint (1902-1991). Aus seinem Leben und Werk (Frankfurt 1997); Hehl-Kö-sters, Priester4, 779; Moll, Leben, 30f.

Wolfram Krusenotto (+) - Helmut Moll