SIEBENUNDVIERZIGSTE ROSE

Man soll den Rosenkranz täglich mit Glauben, Demut und Vertrauen beten

Trennet euch von den Bösen, auserwählte Seelen, und um euch aus der Mitte jener zu retten, die wegen ihrer Gottlosigkeit, Unandacht und Trägheit verlorengehen, verliert keine Zeit und betet oft den heiligen Rosenkranz mit Glauben, mit Demut, Vertrauen und Beharrlichkeit.

Wer ernstlich an das Gebot Jesu Christi denkt, daß man immer beharrlich beten soll, wie er uns das Beispiel gegeben hat; wer bedenkt, wie sehr wir das Gebet notwendig haben wegen unserer Finsternis, Unwissenheit und Schwachheit und wegen der Menge unserer Feinde, der wird sich gewiß nicht damit zufriedengeben, den Psalter jährlich einmal zu beten, wie die Bruderschaft des ewigen Rosenkranzes verlangt, oder allwöchentlich, wie es Vorschrift ist in der gewöhnlichen Rosenkranzbruderschaft, sondern er wird ihn jeden Tag ohne Ausnahme beten, wie die Bruderschaft des täglichen Rosenkranzes vorschreibt, obschon er dazu keine andere Verpflichtung hat als die, sein Heil zu wirken.

Erstens. Oportet, man muß, es ist nötig, semper orare, immer beten, et non deficere, und nicht nachlassen, zu beten (vgl. Lk 18,1)!

Das sind ewig gültige Worte Jesu Christi, die man glauben und üben muß unter Strafe der Verdammnis. Erklärt sie, wie ihr wollt, wenn ihr sie nur nicht im Sinn und Geiste der Welt erklärt, um sie dann auch im Sinn und Geiste der Welt zu üben. Jesus Christus hat uns die wahre Erklärung im Beispiel gegeben, das er uns hinterlassen: Exemplum dedi vobis, ut quemadmodum ego feci, ita et vos faciatis: "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so tut, wie ich getan habe." (Joh 13,15). Als ob ihm der Tag nicht genügt hätte, verwandte er auch noch die Nacht aufs Gebet: Erat pemoctans in oratione Dei: "Er verbrachte die ganze Nacht im Gebete zu Gott." (Lk 6,12).

Seinen Aposteln wiederholte er oft die zwei Worte: Vigilate et orate! Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet! Der Geist ist zwar willig, das Fleisch aber ist schwach (Mt 26,41), die Versuchung nahe und andauernd; wenn ihr nicht immer betet, werdet ihr unterliegen. Sie glaubten offenbar, was der göttliche Heiland ihnen sagte, sei nur ein Rat, sie legten seine Worte falsch aus, und darum fielen sie in Versuchung und Sünde, obwohl sie in der persönlichen Gesellschaft Jesu Christi waren.

Lieber Mitbruder, wenn du nach der allgemein herrschenden Ansicht und Gewohnheit leben willst, nämlich von Zeit zu Zeit in die Todsünde fallen und dann wieder beichten gehen, die groben und auffallenden Sünden meiden und die "anständigen" behalten, dann brauchst du nicht so viele Gebete, so viele Rosenkränze; ein kleines Gebetlein morgens und abends, einige Rosenkränze, die du als Buße bekommen, einige Gesätzchen an einem zierlichen Rosenkranz, wenn dir gerade die Laune kommt, mehr braucht es nicht, um als rechtschaffener Mensch zu leben. Wenn du weniger tätest, würde man dich für einen Freidenker halten, würdest du aber mehr tun, so würde man dich der Sonderlichkeit und Frömmelei zeihen.

Willst du jedoch wie ein wahrer Christ, der in Wahrheit seine Seele retten und in den Fußstapfen der Heiligen wandeln will, in gar keine schwere Sünde fallen, alle Schlingen des Teufels zerreißen und alle seine giftigen Pfeile unwirksam machen, dann mußt du immer beten, wie Jesus Christus gelehrt und befohlen hat. So mußt du wenigstens jeden Tag deinen Rosenkranz oder einige gleichwertige Gebete verrichten. Ich sage wenigstens, denn das ist alles, was du mit dem täglichen Rosenkranz erreichen kannst, nämlich alle Todsünden vermeiden und alle Versuchungen überwinden inmitten der Ströme der Bosheit dieser Welt, die oft die Tugendhaftesten mitreißen, inmitten der dichten Finsternis, die oft die Erleuchtetsten blendet, inmitten der bösen Geister, die erfahrener als je und wohl wissend, daß ihnen wenig Zeit bleibt (vgl. Apk 12,12), mit größerer Schlauheit und mehr Erfolg die Seelen versuchen.

O welches Gnadenwunder des heiligen Rosenkranzes, wenn du der Welt, dem Teufel, dem Fleisch und der Sünde entrinnst und in den Himmel kommst! Wenn du nicht meiner Behauptung glauben willst, so glaube doch deiner eigenen Erfahrung. Ich frage dich, ob du zu jener Zeit, da du nur wenige Gebete nach Art der Welt und nach der gewöhnlichen Weise übtest, dich vor schweren Fehlern hüten konntest und vor schweren Sünden, die dir nur infolge deiner Verblendung als leicht vorkamen?

Öffne also die Augen und bete immer, und um in Heiligkeit ohne Sünde, wenigstens ohne Todsünde zu leben und zu sterben, bete ohne Unterlaß. Bete deinen Psalter täglich, wie es alle Mitglieder bei der Gründung der Rosenkranzbruderschaft taten.

Als die Allerseligste Jungfrau dem heiligen Dominikus den Rosenkranz übergab, befahl sie ihm, denselben täglich zu beten und beten zu lassen. Auch nahm der Heilige niemand in die Bruderschaft auf, der nicht den Entschluß gehabt hätte, ihn täglich ganz zu beten. Wenn man jetzt in der gewöhnlichen Rosenkranzbruderschaft nur noch einen Psalter in der Woche verlangt, so geschieht das nur, weil der Eifer vermindert und die Liebe erkaltet ist. Man sucht zu erreichen, was man von einem lässigen Beter erreichen kann. Non fuit ab initio sic: "Im Anfang war es nicht so." (Mt 19,18).

Drei Dinge sind noch zu beachten.

1. Wenn du Mitglied der Bruderschaft des täglichen Rosenkranzes sein und an den Gebeten und Verdiensten ihrer Mitglieder Anteil haben willst, genügt es nicht, in die gewöhnliche Rosenkranzbruderschaft eingeschrieben zu sein oder nur einfach den Vorsatz zu fassen, jeden Tag den Psalter zu beten, sondern man muß überdies jemandem, der die Vollmacht hat, seinen Namen zum Einschreiben geben. Es geziemt sich, in dieser Meinung zu beichten und zu kommunizieren. Der Grund für das soeben Gesagte ist der, weil der gewöhnliche Rosenkranz den täglichen nicht umfaßt, wohl aber der tägliche den wöchentlichen.

2. Streng genommen ist es keine Sünde, nicht einmal eine läßliche, wenn man den Rosenkranz nicht jeden Tag oder nicht jede Woche oder selbst nicht jedes Jahr betet.

3. Wenn du wegen Krankheit oder wegen Erfüllung einer Standespflicht oder aus Notwendigkeit oder selbst aus unfreiwilliger Vergeßlichkeit den Rosenkranz nicht beten kannst, so verlierst du dadurch weder das Verdienst noch die Teilnahme an den Rosenkränzen der übrigen Mitglieder. Es ist somit nicht unbedingt nötig, daß du am folgenden Tag zwei Rosenkränze betest, um den einen zu ersetzen, den du ohne Schuld, wie ich voraussetze, unterlassen hast. Wenn dir indessen die Krankheit erlaubt, wenigstens einen Teil deines Rosenkranzes zu beten, dann mußt du dies tun.

Beati qui stant coram te semper: "Glückselig, die immer vor Dir stehen." (3 Kg 10,8) Beati, qui habitant in domo tua, Domine, in saecula saeculorum laudabunt te: "Glückselig, die in Deinem Hause wohnen, allezeit loben sie Dich." (Ps 83,5) Glücklich, o Herr Jesus, die Mitglieder der Rosenkranzbruderschaft, die dich täglich umgeben, sei es in deinem kleinen Häuschen zu Nazareth, sei es am Kreuze auf Kalvaria, sei es auf deinem Himmelsthrone, in Erwägung und Betrachtung deiner freudenreichen, schmerzensreichen und glorreichen Geheimnisse! O wie glücklich sind sie auf Erden wegen der besonderen Gnaden, die du ihnen mitteilst, und wie glückselig werden sie im Himmel sein, wo sie dich auf besondere Weise loben werden von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Zweitens muß man den Rosenkranz mit Glauben beten, nach den Worten Jesu Christi: Credite, quia accipietis, et fient vobis, alles, was ihr immer im Gebet erbittet, glaubet, daß ihr es erhalten werdet, so wird es euch werden! (Mk 11,24) Er wird zu dir sagen: Sicut credidisti, fiat tibi: wie du geglaubt hast, geschehe dir (Mt 8,13). Si quis indiget sapientia, postulet a Deo; postulet autem in fide nihil haesitans: wenn es einem an Weisheit gebricht, so erbitte er sie von Gott im Glauben, ohne zu zweifeln (vgl. Jak 1,6), indem er seinen Rosenkranz betet, und sie wird ihm gegeben werden.

Drittens muß man mit Demut beten wie der Zöllner; er kniete mit beiden Knien auf dem Boden und nicht mit dem einen in der Luft oder auf der Bank wie die stolzen Weltleute; er befand sich ganz hinten im Tempel und nicht im Heiligtume wie der Pharisäer; er hatte die Augen zu Boden gesenkt und wagte nicht, gen Himmel zu blicken, er schaute nicht erhobenen Hauptes hin und her wie der Pharisäer. Er schlug an die Brust, bekannte sich als Sünder und bat um Verzeihung: Propitius esto mihi peccatori: sei mir armem Sünder gnädig! (vgl. Lk 18,13) Und nicht wie der Pharisäer, der sich mit seinen guten Werken brüstete und die andern in seinen Gebeten verachtete. Hüte dich vor dem stolzen Gebete des Pharisäers, das ihn verstockter und schlechter machte; ahme dafür die Demut des Zöllners in seinem Gebete nach, wodurch er die Verzeihung seiner Sünden erlangte.

Hüte dich vor dem Wunsche nach dem Außergewöhnlichen, nach außerordentlicher Erkenntnis, nach Gesichten, Offenbarungen und andern wunderbaren Gnaden, die Gott manchmal den Heiligen beim Rosenkranzgebet verliehen hat. Sola fides sufficit, jetzt, da das Evangelium und alle Andachten und Übungen der Frömmigkeit fest genug begründet sind, genügt der Glaube allein.

In Trockenheit, Widerwillen und innerer Verlassenheit unterlasse nie den geringsten Teil deines Rosenkranzes; das wäre ein Zeichen von Stolz und Untreue. Als wackerer Kämpfer Jesu und Mariä bete vielmehr ganz trocken, ohne etwas zu sehen, zu fühlen, noch zu kosten, dein Vaterunser und Ave Maria, indem du die Geheimnisse so gut als möglich betrachtest.

Wünsche dir nicht Zuckerwerk zu deinem täglichen Brot, wie die Kinder; verlängere vielmehr manchmal deinen Rosenkranz, wenn du viel Mühe hast, ihn zu beten, um dadurch Jesus Christus in seiner Todesangst vollkommener nachzuahmen: Factus in agonia, prolixius orabat (Lk 22,43), auf daß man von dir sagen könne, was von Jesus Christus geschrieben steht, als er in der Todesangst betete: da betete er noch inständiger.

Viertens bete mit viel Vertrauen, das sich auf die unendliche Güte und Freigebigkeit Gottes und auf die Verheißungen Jesu Christi stützt. Gott ist eine Quelle des lebendigen Wassers, das unaufhörlich in das Herz der Betenden fließt.

Jesus Christus ist die Brust des Ewigen Vaters, ganz erfüllt von der Milch der Gnade und Wahrheit. Der Ewige Vater hat für uns Menschen kein sehnlicheres Verlangen, als uns die heilbringenden Wasser seiner Gnade und seines Erbarmens mitzuteilen, und er ruft: Omnes sitientes venite ad aquas: "Kommet zum Wasser, ihr Durstigen alle!" (Is 55,1) Kommet, trinket durch das Gebet von meinen Wassern! Und wenn man ihn nicht bittet, so beklagt er sich, daß man ihn verläßt: Me dereliquerunt fontem aquae vivae: "Mich, den Quell lebendigen Wassers, haben sie verlassen" (Jer 2,13).

Man bereitet Jesus Christus eine große Freude, wenn man ihn um seine Gnade bittet, ja eine größere Freude, als das Kind der Mutter bereitet, wenn es an ihrer vollen Mutterbrust trinkt. Das Gebet ist der Kanal der Gnade Gottes und die Brust Jesu Christi. Wenn man nicht, wie alle Kinder Gottes es tun sollen, durch das Gebet daraus trinkt, so beklagt er sich ganz liebreich: Usquemodo non petistis quidquam! Petite et accipietis (Joh 16,24); quaerite et invenietis; pulsate et aperietur vobis (Mt 7,7). Bis jetzt habt ihr mich um nichts gebeten. O bittet mich und ich werde geben, suchet bei mir und ihr werdet finden; klopfet an meine Tür, und ich werde euch öffnen! Um dir noch mehr Vertrauen zum Gebet einzuflößen, hat er sein Wort darauf gegeben, daß der Ewige Vater uns alles gewähren werde, um was wir ihn in seinem Namen bitten werden (vgl. Joh 16,23).