SECHSUNDZWANZIGSTE ROSE

Der Rosenkranz, ein erhabenes Gebet

Hüte dich wohl, den Eigensinn jener frommen Seele von Rom nachzuahmen, deren Geschichte so oft erzählt wird. Es war eine so fromme und eifrige Person, daß sie durch ihr heiliges Leben die strengsten Ordensleute der Kirche Gottes beschämte. Als sie den heiligen Dominikus um Rat fragen wollte und bei ihm gebeichtet hatte, legte er ihr als Buße einen einzigen Psalter auf und gab ihr den Rat, ihn täglich zu beten. Sie entschuldigte sich und sagte, sie habe ihre wohlgeordneten Übungen, gewinne täglich die Stationsablässe von Rom, trage das härene Bußkleid, das Cilizium, geißle sich mehrmals in der Woche, faste soviel und verrichte noch andere Bußwerke. Der heilige Dominikus drängte und drängte sie, seinen Rat zu befolgen, sie aber wollte nichts davon wissen. So verließ sie den Beichtstuhl und nahm beinahe Ärgernis am Vorgehen des neuen Seelenführers, der ihr eine Andacht beibringen wollte, an der sie keinen Geschmack finden konnte. Plötzlich ward sie im Gebete entrückt und sah ihre Seele vor dem höchsten Richter erscheinen.

Der heilige Erzengel Michael legte in die eine Waagschale alle ihre Bußwerke und anderen Gebete und in die andere Schale alle ihre Sünden und Unvollkommenheiten. Er hob die Schale in die Höhe: die Waagschale mit den guten Werken schnellte empor und konnte die Schale mit den Sünden und Unvollkommenheiten nicht aufwiegen. Ganz erschreckt rief sie um Erbarmen und wandte sich an die Himmelskönigin, ihre Fürsprecherin, welche in die Schale mit den guten Werken den einzigen Psalter fallen ließ, den sie als Buße gebetet hatte, und dieser war so schwer, daß er sowohl all ihren Sünden, wie auch allen ihren guten Werken das Gleichgewicht hielt. Gleichzeitig wurde sie von Maria getadelt, daß sie sich geweigert habe, dem Rate ihres Dieners Dominikus zu folgen und den Psalter täglich zu beten. Wieder zu sich gekommen, ging sie und warf sich dem Heiligen zu Füßen, erzählte ihm, was ihr begegnet, bat ihn um Verzeihung wegen ihrer Ungläubigkeit, versprach, den Psalter jeden Tag zu beten und gelangte dadurch zur christlichen Vollkommenheit und zur ewigen Glorie.

Lernet daraus, mystische Seelen, die Kraft, den Preis und die Wichtigkeit dieser Andacht des Rosenkranzes mit Betrachtung der heiligen Geheimnisse erkennen.

Wer ist im Gebete höher emporgestiegen als die heilige Maria Magdalena, welche siebenmal des Tages von den Engeln in den Himmel entrückt wurde und die in der Schule Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter selbst gewesen war? Und doch, als sie eines Tages Gott um ein besonderes Mittel bat, um in seiner Liebe zu wachsen und zur höchsten Vollkommenheit zu gelangen, kam der hl. Erzengel Michael von Gott gesandt zu ihr, um ihr zu sagen, er wisse kein anderes Mittel, als vor einem Kreuze, das er ihr vor die Höhle pflanzte, die schmerzhaften Geheimnisse zu betrachten, deren Verwirklichung sie einst mit eigenen Augen geschaut hatte.

Möge dich das Beispiel des heiligen Franz von Sales, dieses großen Seelenführers seines Jahrhunderts, der bei all seiner großen Heiligkeit sich durch ein Gelübde verpflichtete, den Rosenkranz alle Tage seines Lebens zu beten, zum Beitritt in die Rosenkranzbruderschaft bewegen!

Der heilige Karl Borromäus betete ihn auch täglich und empfahl seinen Priestern und Klerikern in den Seminarien, sowie dem ganzen Volke die Andacht sehr.

Der heilige Pius V., einer der größten Päpste, die die Kirche regiert haben, betete den Rosenkranz jeden Tag.

Der heilige Thomas von Villanova, Erzbischof von Valencia, der heilige Ignatius von Loyola, der heilige Franz Xaver, der heilige Franz Borgias, die heilige Theresia, der heilige Philipp Neri und mehrere andere große Männer, die ich übergehe, haben sich durch diese Andacht ausgezeichnet. Folget ihrem Beispiel, eure Seelenführer werden sich darüber freuen, und wenn sie sehen, welche Früchte ihr daraus ziehet, so werden sie die ersten sein, die euch dazu ermuntern.