FÜNFUNDZWANZIGSTE ROSE

Reichtümer der Heiligung, die im Gebete und in der Betrachtung des Rosenkranzes eingeschlossen sind

Niemals wird jemand die wunderbaren Reichtümer der Heiligung begreifen, die in den Gebeten und Geheimnissen des heiligen Rosenkranzes enthalten sind. Diese Betrachtung der Geheimnisse des Lebens und des Todes unseres Herrn Jesu Christi ist für alle, die sich dieselben zunutze machen, die Quelle der wunderbarsten Wirkungen.

Heute will man Dinge, die auffallen, die Gemüter bewegen, die in der Seele tiefe Eindrücke hervorrufen. Was gibt es auf Erden Rührenderes als die wunderbare Geschichte unseres Erlösers, die sich in fünfzehn Bildern vor unseren Augen entrollt und uns die großartigen Szenen des Lebens, des Todes und der Glorie des Welterlösers vorführt?

Welche Gebete sind vorzüglicher und erhabener als das Gebet des Herrn und der Gruß des Engels? Darin sind alle unsere Wünsche, unsere Bedürfnisse eingeschlossen.

Die Betrachtung der Geheimnisse und der Gebete des Rosenkranzes ist die leichteste von allen, weil die Mannigfaltigkeit der Tugenden und Zustände Jesu Christi, die man betrachtet, den Geist wunderbar erfrischt und stärkt und die Zerstreuungen verhindert.

Die Gelehrten finden in diesen Formeln die tiefgründigste Lehre und die Kleinen die einfachsten Unterweisungen. Man muß durch diese leichte Betrachtungsweise hindurchgehen, bevor man sich bis zum höchsten Grad der Beschauung erhebt. Das ist der Gedanke des heiligen Thomas von Aquin und der Rat, den er uns gibt, wenn er sagt, wir müssen zuerst wie auf einem Kampffeld uns durch die Erwerbung aller Tugenden üben, deren vollkommenes Vorbild wir in den Geheimnissen des Rosenkranzes besitzen; denn dort, sagt der gelehrte Cajetan, erwerben wir uns die innige Vereinigung mit Gott, ohne welche die Beschauung nur eine Täuschung ist, durch welche die Seelen leicht irregeführt werden.

Wenn die falschen Mystiker unserer Tage oder Quietisten diesen Rat befolgt hätten, so wären sie nicht so schrecklich tief gefallen, noch hätten sie solches Ärgernis in der Frömmigkeit verursacht. Es ist eine besondere Täuschung des Teufels, zu glauben, man könne erhabenere Gebete verrichten als das Vaterunser und Ave Maria.

Widmet man sich diesen göttlichen Gebeten, so ist es, ich gestehe es, nicht immer notwendig, sie mündlich zu verrichten, das innerliche Gebet ist in gewissem Sinne vollkommener denn das mündliche, aber ich behaupte auch, daß es sehr gefährlich ist, um nicht zu sagen verderblich, auf eigenen Antrieb das mündliche Gebet des Rosenkranzes unter dem Vorwand vollkommener Vereinigung mit Gott zu unterlassen.

Die von feinem Stolze und vom Teufel getäuschte Seele, die innerlich alles tut, was sie kann, um sich zu dem erhabenen Grad der Beschauung der Heiligen zu erheben, verachtet und verläßt dafür ihre alten Gebetsweisen, die nur für gewöhnliche Seelen gut seien. Sie verschließt ihr Ohr eigenmächtig den Gebeten und dem Gruße eines Engels, ja selbst dem Gebete, das ein Gott verfaßt, geübt und empfohlen hat: Sic ergo vos orabitis: Pater noster... so sollt ihr beten: Vater unser... (Mt 6,9) und dadurch fällt sie von einer Täuschung in die andere und von Abgrund zu Abgrund.

Glaube mir, mein lieber Mitbruder, wenn du zu einer hohen Stufe des betrachtenden Gebetes gelangen willst, ohne dich selbst zu täuschen oder in die Täuschungen des Teufels zu fallen, die für die mystischen Seelen so häufig sind, so bete jeden Tag, wenn du kannst, den ganzen Psalter, oder wenigstens den Rosenkranz. Wer immer, ob Gerechter oder Sünder, mit frommer Ehrfurcht zu Maria seine Zuflucht nimmt, wird vom höllischen Feind weder betrogen noch verschlungen werden (spätere Beifügung des hl. Grignion)

Der hl. Katharina von Siena wurde folgendes geoffenbart: "Quicumque justus vel peccator recurrit ad eam cum devota reverentia, nullo modo decipitur vel devorabitur ab infemali daemone. "Wer immer, ob Gerechter oder Sünder, mit frommer Ehrfurcht zu ihr seine Zuflucht nimmt, wird vom höllischen Feinde weder betrogen noch verschlungen werden." (Katharina von Siena, Offenbarungen).

Bist du aber bereits durch die Gnade Gottes dahin gelangt, so bleibe der Übung des heiligen Rosenkranzes treu, wenn du dich auf dieser Stufe erhalten und durch die Demut darin höher steigen willst; denn niemals wird eine Seele, die ihren Rosenkranz täglich betet, in eine formelle Irrlehre fallen, noch vom Teufel getäuscht werden; das ist eine Behauptung, die ich mit meinem Blute unterschreiben würde.

Wenn aber Gott in seiner großen Barmherzigkeit mitten im Rosenkranz dich ebenso mächtig an sich zieht wie viele Heilige, so lasse dich von ihm ziehen, lasse Gott in dir wirken und beten und auf seine Weise den Rosenkranz verrichten und lasse es für diesen Tag bei diesem Rosenkranz bewenden.

Wenn du aber nur in der tätigen Beschauung oder im gewöhnlichen Gebete der Ruhe, der Gegenwart Gottes und der Liebe bist, so hast du noch weniger Grund, den Rosenkranz aufzugeben, und weit entfernt, durch dieses Gebet in der Betrachtung und in der Tugend zurückzuschreiten, wird es dir im Gegenteil eine wunderbare Hilfe und die wahre Jakobsleiter mit fünfzehn Sprossen sein, auf denen du von Tugend zu Tugend, von Licht zu Licht emporsteigen und ohne Täuschung leicht zum Vollalter Jesu Christi gelangen wirst.