SECHSTE ROSE

Der Psalter Mariä

Seit der Zeit, da der heilige Dominikus diese Andacht einführte, bis zum Jahre 1460, wo der selige Alanus de Rupe sie durch himmlischen Befehl erneuerte, nennt man sie den Psalter Jesu und Mariä, weil er ebenso oft den Engelsgruß enthält als der Psalter Davids Psalmen, und weil die einfachen und unwissender Leute den Psalter Davids nicht beten können, finden sie im Beten des heiligen Rosenkranzes eine ebenso große, ja noch eine viel reichere Frucht als beim Beten der Psalmen Davids:

1. Weil der Psalter Mariä eine edlere Frucht besitzt, nämlich das menschgewordene Wort, während der Psalter Davids dieses nur ankündigt.

2. Wie die Wahrheit das Vorbild und der Körper den Schatten, so übertrifft der Psalter Mariä den Psalter Davids, der nur dessen Schatten und Vorbild war.

3. Weil die heiligste Dreifaltigkeit den Psalter Mariä oder den aus dem Vaterunser und Ave Maria bestehenden Rosenkranz unmittelbar verfaßt hat.

Vernimm, was der gelehrte Johannes von Karthago hiezu bemerkt:

Sapientissimus Aquensis ad Imperatorem Augu- stissimum Maximilianum libro quem conscripsit de Rosacea corona erudite dixit: Salutandae Mariae ritus novitiis inventis haudquaquam adscibitur: si quidem, cum ipsa paene Ecclesia pullulavit: nam, cum inter ipsa nascentis Ecclesiae primordia, perfectiores quoque fideles tribus illis Davidicorum Psalmorum quinqua- genis, divinas laudes assidue celebrarent: ad rudiores quoque, qui modo arctius divinis vacabant, pii moris aemulatio est derivata..., rati id, quod erat, cuncta illorum Psalmorum Sacramenta coelesti hoc elogio delitescere; siquidem eum, quem psalmi venturum concinunt, hunc iam adesse haec formula nunciavit; sicque trinas salutationum quinquagenas... Mariae psalterium appellare coeperunt, oratione utique Dominica in singulas decades ubique praeposita, pro- ut a Psalmidicis observari ante adverterunt.

Das heißt auf Deutsch:

Der weise Lehrer von Aix-la-Chapelle schreibt in seinem Buch "Die Krone des Rosenkranzes", das er dem Kaiser Maximilian gewidmet hat: "Man kann nicht sagen, daß der Englische Gruß eine neue Erfindung sei, denn er hat sich mit der Kirche selbst verbreitet. So beteten in den Anfängen der Kirche die gebildeten Gläubigen zum Lobpreis Gottes die dreimal fünfzig Psalmen Davids. Bei den einfachen Gläubigen aber, die Mühe hatten, dem liturgischen Gebet zu folgen, entstand so ein heiliger Wettstreit... Sie überlegten sich (was auch tatsächlich zutrifft), daß in diesem himmlischen Lobpreis (dem Rosenkranz) alle göttlichen Geheimnisse der Psalmen enthalten sind. Und dies besonders, da jene Psalmen das als zukünftig besingen, währenddem dieses Gebet Ihn begrüßt, der schon gekommen ist. So begannen sie die dreimal fünfzig Begrüßungen "Psalter Mariae" zu nennen, wobei sie jedem Zehner das Gebet des Herrn voranstellten, so wie sie es gesehen hatten bei jenen, die die Psalmen beteten."

Der Psalter oder Rosenkranz Mariä ist in drei Rosenkränze von je fünf Gesetzen eingeteilt:

1. um die drei Personen der heiligsten Dreifaltigkeit zu ehren;

2. um das Leben, den Tod und die Glorie Jesu Christi zu ehren;

3. um die triumphierende Kirche nachzuahmen, der streitenden Kirche zu helfen und die leitende zu unterstützen;

4. um die drei Teile des Psalters nachzuahmen, deren erster sich auf das Leben der Reinigung, der zweite auf das Leben der Erleuchtung und der dritte auf das Leben der Vereinigung bezieht;

5. um uns während des Lebens mit Gnaden, im Tode mit Frieden und in der Ewigkeit mit Glorie zu erfüllen.