XXX.

EBENSO FREIGEBIG WIE TREU

 

„Er ist ebenso freigebig in seinen Versprechungen wie treu im Erfüllen.“

 

Bei einer Freundschaft

setzt man voraus, daß alle Versprechungen ehrlich gemeint sind und auch der ehrliche Wille zur Erfüllung da ist. Bei treuen Freunden werden selbst schwierige und opfervolle Versprechungen treu eingehalten und erfüllt.. Wie sollte dann der treueste Freund, der Heiland, mit Seinen Versprechungen uns bloß hinhalten? Als selbstverständliche Folgerung ergibt sich aus Seiner Freundschaft, daß Er ebenso freigebig wie treu ist.

Wären wir alle — zumal wir Priester und Ordensleute — nicht die vollendetsten Narren, wenn wir unser Leben auf Jesus einstellen würden und dann betrogen wären? Niemand ist so töricht, daß er sein ganzes Leben in Opfer und Entsagung hinbringt, um dann am Schluß den Selbstbetrug zu erkennen. Die größten Geister der Heiligengeschichte, der Priester- und Papstgeschichte, der Ordensgeschichte sind uns Zeugen dafür, daß wir nicht leichtfertig dieser Freundschaft mit Christus vertrauen.

 

So hat Jesus im Urwald

einen Engel als Boten gesandt, um einer Schwester Seine Freigebigkeit zu bezeigen.

„Es war Hochsommer in Zentralafrika 1918. Unbarmherzig sandte die Tropensonne ihre heißen Strahlen hernieder. Schwester Nivarda ist in eigenartiger Stimmung. Sie weiß selbst nicht recht, wie ihr ums Herz ist. Sie geht mit den Kindern etwas abseits vom Wege zum bekannten Ruheplätzchen. Ein umgefallener Baumstamm dient als Ruhebank. Durch die dichten Baumkronen dringt kein Sonnenstrahl. Kein Menschenlaut weit und breit; nur das Zwitschern der Vögel und das Murmeln des Waldbaches. Sogar auf die Naturkinder macht die Erhabenheit des Urwaldes unbewußt einen Eindruck, so daß man sie dort selten laut schreien oder lachen hört.

So auch die zwei kleinen Begleiterinnen unserer Schwester. Sie liegen gemütlich im Grase, sich halblaut unterhaltend und in die riesig hohen Baumwipfel hinaufschauend. Länger als sonst rastet die Schwester. Das übliche Viertelstündchen ist längst vorüber. Was sinnt sie denn heute gar so lange?

Als sie sich zur Hast niedersetzte, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf . . . Wie ruhig und friedlich war es doch hier im stillen Walde! Draußen tobte der Weltkrieg.

Daheim war ein krankes Mütterlein. Schon mehrere Jahre war es elend und leidend gewesen, und seit zwei Jahren kam keine Nachricht mehr. Lebte es noch oder war es heimgegangen? Warum kehrten doch heute die Gedanken immer zu der kranken Mutter zurück? Tränen traten der Schwester in die Augen, und ihre Lippen flüsterten: ,Mutter, wenn du nicht mehr unter den Lebenden weilst, dann bist du mir näher als im Leben; nun weißt du, wohin dein Kind gewandert ist.’

Die Schwester hebt lauschend den Kopf. Merkwürdig! Ist es doch, als höre sie in weiter Ferne Glockengeläute. So läuten in Afrika keine Glocken, und doch klingen sie so bekannt. Ja, so war es im Heimatdorfe, wenn zusammengeläutet wurde. Aber nicht freudig klingen sie, nein, es sind die ernsten Totenglocken. Sie begleiten jemanden zu Grabe. Wer mag das sein? Die Mutter? — Ja, so muß es sein: so werden die Glocken läuten, wenn die Mutter zum Friedhof getragen wird. Sie glaubt, den Leichenzug zu sehen, den Vater und Geschwister trauernd begleiten. Die Glocken erzählen es. Sie läuten lange, bis der Sarg in die Erde gesenkt ist. Sie läuten in der Heimat und klingen dem fernen Kinde im Urwalde.

Briefe stehen unter strenger Zensur, nicht so Glockenklänge und Mutterliebe. Die Schwester horcht immer noch. Ganz deutlich glaubt diese sie zu hören, die große, schwere Glocke der Heimatkirche; die zwei kleineren fallen ein. Eine Zeitlang, dann wird es still, die Glocken haben ausgeläutet. Die Mutter weilt nicht mehr auf Erden. Heiße Tropfen rieseln der Schwester durch die Finger. Sie wacht auf von ihrem Sinnen und Träumen durch die Frage der Kinder: ,Schwester, warum weinst du? Komm, wir wollen weitergehen, sonst triffst du die Kinder nicht mehr in der Schule.’ Eilig stand sie auf und ging ihres Weges weiter. Sie sagte den Kindern zur Erklärung, sie habe an ihre kranke Mutter gedacht, von der sie nicht wisse, ob sie lebe oder gestorben sei. Die Kinder fühlten das mit, und so wurde die weitere Strecke ziemlich schweigsam zurückgelegt.

Das Herz der Schwester war voll Trauer, und doch entbehrte es nicht des Trostes und der Freude. Die Mutter hat ausgelitten. Nun hatte sie beim lieben Gott den Lohn für alle Leiden und Opfer empfangen. So schwer war es ihr geworden, daß ihr Kind Missionsschwester werden und so weit fortziehen sollte! . . .

Fast zwanzig Jahre waren darüber verflossen, nun war alles vorüber... auch der Mutter Schmerz. Oder war alles Geschaute nur ein Traum, eine Sinnestäuschung? ...

Gerade ein Jahr später kam aus der Heimat ein Brief für Schwester Nivarda mit der Nachricht, ihre Mutter sei an jenem Tage zu Grabe getragen worden. Also hatten wirklich die Totenglocken geklungen.

Welche Güte und Herablassung Gottes, welche Aufmerksamkeit des Heilandes für eine Seele, die sich ihm ganz geschenkt! Um einer einfachen Missionsschwester den Tod ihres alten Mütterleins noch am gleichen Tag anzuzeigen, trägt Gottes liebende Vaterhand Glockenklänge weit fort über das sturmbewegte Europa, tief hinein in das Innere des dunklen Erdteils ...

Dieser eine Zug. göttlicher Liebe und Aufmerksamkeit wurde hier mitgeteilt. Hunderte und Tausende von solchen Liebesgaben Gottes bleiben begraben in den beglückten Herzen, denen sie galten . . .

 

Manche Priester

haben schon denkwürdige Fälle erlebt, die an jene unerwarteten, wunderbaren Bekehrungen erinnern, die der hl. Pfarrer Vianney erfahren durfte.

Ein junger Mann war todkrank in einem Krankenhaus. Alle Versuche, ihn zur Beicht zu bewegen, schienen erfolglos zu sein. Der Hausgeistliche hielt mit den Krankenschwestern eine Novene. Am 9. Tag ließ der junge Mann den Priester rufen und bekehrte sich. Seine Schwester — eine besonders edle Seele — hatte sich für all ihre Opfer nur dies eine ausgebeten: die Bekehrung ihres Bruders. Jesus war treu in der Erfüllung des Wunsches.

Ein Gymnasiast auf Abwegen hatte einen Freund, der für ihn betete. Es war nicht umsonst. Durch ein gutes Buch bekehrte er sich.

Ein Priester stand in größter Gefahr, zu sündigen. Einige frühere Seelsorgsschützlinge taten sich zusammen, um einen Gebetssturm für seine Rettung zu entfachen. Mit größtem Vertrauen erwarteten sie, daß Jesus sie erhöre. Und Er hat sie erhört.

Ein Ordenskandidat hatte die heftigsten Versuchungen, sein ganzes Streben und Bußleben aufzugeben. „Bist du nicht ein Narr“ — sagte er sich — „du entsagst und die anderen — deine ehemaligen Freunde — genießen.“ Die Versuchungen steigerten sich von Tag zu Tag, so daß sein Oberer gar sehr um ihn fürchtete. Es stand nicht bloß sein Ordensberuf, sondern sogar seine Glaubensfestigkeit auf dem Spiel. In dieser Bedrängnis erinnerte der junge Ordenskandidat Jesus daran, daß Er um der Liebe Seines Herzens willen es nicht zulassen könne, daß der böse Feind siege, weil er vor seinem Eintritt ein bestimmtes großes Opfer gebracht hatte, um dafür die Gnade der Beharrlichkeit zu erlangen. Kaum hatte er Jesus daran erinnert, da wich die Versuchung von ihm. Jesus war getreu.