XXVI.

VON EINER GROSSARTIGEN, NOBLEN GESINNUNG

 

„Laß mich dir sagen, was Er mir jetzt tut: Er befriedigt alle meine Bedürfnisse. Er gibt mir mehr, als ich erbitten kann. Er errät alle meine Wünsche im voraus. Er bittet mich, mehr zu verlangen.“

 

Man hat zwar bisher

viel von der Liebe des Heilandes gesprochen und geschrieben.

Aber trotzdem war dieses Wort noch zu allgemein. Ich meine, wir müßten diese Liebe mit noch treffenderen Worten kennzeichnen. Und da wir im deutschen Sprachgebrauch von einem noblen Menschen der Gesinnung nach sprechen, so glaubte ich, dieses Kapitel mit obiger Überschrift versehen zu müssen.

Der Heiland ist uns gegenüber wirklich von einer großartigen, noblen Gesinnung.

Die Evangelien sind erfüllt von dem Wunsche Jesu, uns gegenüber sich nobel zu zeigen und dadurch auch kundzutun, daß wir noble Menschen zueinander sein sollten und erst recht großmütig gegen Jesus.

Der feinsinnige Konvertit Benson geht diesen Spuren nach und meint: „Wohl gab es glanzvolle Momente im Leben Jesu, wo der in der menschlichen Natur verhüllte Gott in Glorie aufflammte; Augenblicke, in denen sogar die Gewänder, die Er trug, in Seiner Göttlichkeit glühend erstrahlten; Momente göttlicher Energie, wo das Licht der Welt blinde Augen wieder dem erschaffenen Lichte öffnete, wo Ohren, taub für irdische Laute, die göttliche Stimme hörten, wo die Toten ihre Gräber erbrachen, um auf Ihn zu schauen, der ihnen einst das Leben gegeben und es ihnen nun neu geschenkt hatte. Und es gab erschütternde und schreckliche Minuten, als der Gottmensch in der Wüste versucht wurde und am Kreuz aus übermenschlicher Trostlosigkeit rief: „Warum hast Du mich verlassen?“

Am allerklarsten sprechen doch die Evangelien zu uns von Seiner Menschlichkeit und, wir dürfen hinzufügen, von Seiner hoheitsvollen, herablassenden Güte; von dem menschlichen Wesen, das Seinesgleichen um Beistand anrief, das nicht nur versucht wurde so wie wir, sondern in allen Einzelheiten uns gleich wurde. „Jesus liebte Martha und ihre Schwester Maria und Lazarus.“ (Joh. 2, 5) „Jesus sah ihn an und liebte ihn“ (Mark.10, 21). Er liebte ihn mit einem anderen Gefühl als jener göttlichen Liebe, die alles liebt, was sie erschaffen hat. Er liebte ihn mehr um des Ideals willen, das gerade Lazarus wohl noch erreichen konnte als deshalb, weil er wie die anderen Menschen einfach existierte: Er liebte ihn so, wie ich meinen besten Freund liebe und wie dieser mich liebt.

Es sind dies Momente, welche vielleicht vor allen anderen Jesus Christus der Menschheit so lieb gemacht haben, diese Augenblicke, in denen er sich wirklich als einer der Unsrigen zeigte. Dann, wenn Er „erhöht“ wird — nicht in der Herrlichkeit triumphierender Göttlichkeit —, sondern am Holz der Schmach, dann zieht Er uns zu sich. Wir lesen von den Werken Seiner Macht mit staunender Anbetung; aber wenn wir lesen, wie Er ermattet am Brunnen saß, während Seine Freunde Speise holten; wie Er sich im Garten in todeswehem Vorwurf an die wandte, von denen er Trost erhofft hatte: „Wie? Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit Mir wachen?“; wenn Er sich noch einmal wendet und zum letzten Male den mit dem geheiligten Namen nennt, der Ihn auf ewig eingebüßt hat: „Freund, wozu bist du gekommen?“, dann begreifen wir, was Ihm lieber war als die Anbetung aller Engel in der Glorie des Himmels. „Es waren Ihm wertvoller: Güte, Liebe und Mitleidsgefühle, auf die nur Freundschaft ein Anrecht gibt.“

Schöner und besser hätte Benson die Noblesse, Güte und Menschenfreundlichkeit des Heilandes nicht schildern können.

 

Er errät meine Wünsche im voraus

1.  „Ich las vor kurzem ein verborgenes Leben, „Paula Reinhart“ von Jörgensen. Wie doch diese gekämpft, gebetet, geopfert und gesühnt hat! Das hat mich sehr ergriffen. Ich kam mir so klein und nichtig vor. Eine solche Liebesreue ergriff mich, weil ich den Heiland viel zu wenig liebe. Ich mußte viel weinen, weil ich Seiner unendlichen Liebe so wenig Gegenliebe erweise. Aber ich denke, der Heiland hat mich trotzdem lieb; denn Er erweist mir eine Aufmerksamkeit nach der anderen, gerade als ob Er sonst nichts zu tun hätte, als jeden stillen Wunsch zu erfüllen. Wenn auch scheinbar manches ganz gegen meinen Willen geht, macht nichts. Sobald wir uns ergeben, beugen, kommt alles, wie wir es wünschen. Er hat uns unseren guten Seelsorger genommen, aber sofort einen anderen guten Führer finden lassen. Auf der einen Seite müssen wir viel entbehren, auf der anderen Seite gibt Er uns so reichlich, daß wir nicht genug danken können. Würdig sind wir alles dessen nicht, aber bedürftig. —

Nun habe ich bald alles überwunden. Man muß lernen, mit Jesus allein glücklich zu sein. Das ist mir in letzter Zeit zu meinem Geheimnis geworden.“

2.  Als Erfüllung von Wünschen kann man es auch auffassen, wenn man leiden darf. Das verstehen zwar viele nicht oder wollen es wenigstens nicht verstehen. Aber es ist doch so:

„Ich leide viel, bin aber unaussprechlich glücklich dabei. Ich will ja meinem Heiland ganz geopfert sein und eine schöne, reine Seele werden. Ich bin bereits in ständiger, geistiger Trockenheit. Es kamen auch bisweilen heftige Versuchungen gegen die heilige Reinheit, gegen die Gottesliebe und gegen den heiligen Glauben. Es war mir oft furchtbar, daß ich mir nicht mehr zu helfen wußte, aber durch eine gute Seelenführung bin ich wieder über alles hinweggekommen. Ich bat nicht um Trost, sondern nur darum, daß ich Jesus verherrlichen und eine schöne, edle Seele werden darf.

Schon lange trug ich in mir den Wunsch, Jesus etwas Besonderes geben zu dürfen, aber ich wußte nicht, was. Da hat neulich mein Seelenführer mir den Vorschlag gemacht, ob ich mich nicht Jesus als Sein Opfer weihen möchte. Freudig habe ich zugestimmt, und ich ersehe daraus, daß Jesus im voraus meine Wünsche errät und erfüllt, soweit Er kann. Hochwürden, das ist doch sehr nobel vom Heiland!“

„Neulich fuhren wir mit dem Rade zu einer Freundin. Auf dieser Fahrt hat uns der Heiland so viel Aufmerksamkeiten erwiesen, daß wir nur staunen mußten. Auf der Hälfte des Weges brach ein furchtbares Gewitter los. Blitz folgte auf Blitz. Der Wind wirbelte entsetzlich viel Staub auf, so daß wir keine zehn Schritte voraus etwas sehen konnten. Es hätte uns so leicht ein Unglück zustoßen können, weil immer Radfahrer uns entgegenkamen. Aber Jesus beschützte uns. Meine Freundin fürchtete sich sehr. Ich hatte keine Angst und erneuerte im Herzen das Gelübde der Hingabe. Es kam eine so große, innerliche Freude über mich, daß ich auch hätte sterben mögen, wenn es mich getroffen hätte. Schließlich kamen wir wohlbehalten an. Kaum waren wir unter dem schützenden Dach, da prasselte ein gewaltiger Regen nieder, der uns sonst bis auf die Haut durchnäßt hätte. Nicht ein Tropfen hatten wir mitbekommen. Und die Seelenfreuden, die uns erst dort bei der Freundin erwarteten! Diese leuchtenden Augen, dieses Edle, Feine, Vornehme in ihrem Wesen, in ihrem Auftreten, in ihrem Sprechen! Es ging eine so heilige Strahlung von ihr aus, daß wir unwillkürlich Ehrfurcht haben mußten vor diesem lebendigen Tabernakel; denn das ist sie.

Der Heiland hatte alle unsere Wünsche erraten und erfüllt. Eine ganze Woche habe ich hernach nur noch Dankgebete dafür verrichtet.“

 

Er bittet mich, mehr zu verlangen.

Ein Priesterkandidat hat das in folgende Worte gefaßt: I

„Ich bin ein Kind der Vorsehung. Das ist klar und deutlich bewiesen. Ein ganzes Buch ließe sich füllen damit, was mir Jesus für ein Entgegenkommen gezeigt hat. Wenn ich könnte, würde ich es tun. Es war oft direkt auffallend. In die ganze Welt hinaus und in jedes zagende Herz hinein möchte ich es rufen, wie unendlich gut der Heiland mit jenen ist, die sich ganz Seiner väterlichen Leitung überlassen. Von der kleinen Theresia habe ich es gelernt, mich ganz in die Arme Gottes zu werfen, und seitdem bin ich so selig wie noch nie!

Ich glaube, daß es nirgends eine so zaghafte, mutlose Seele gibt, wie die meine. Aber der Heiland in Seiner namenlosen Güte und Seiner Langmut hat es fertig gebracht. Er hat mich in Güte direkt überwunden. Ich habe schon viel von Ihm erhalten, viel von Ihm erbeten, aber Er scheint damit nicht zufrieden zu sein, sondern immer noch mehr soll ich verlangen. Direkt kühn darf ich sein im Fordern, meinte Er, wenn ich nur großmütig Ihn liebe.

Ich darf — um mit Benigna zu sprechen — ein Räuber Seiner Schätze werden. Das will doch viel heißen. Die Freundschaft mit Christus erfüllt mich in einer unaussprechlichen Seligkeit.“

 

Freunde!

Mit brennendem Herzen haben wir nun die verschiedenen Zeugnisse gelesen und auf uns einwirken lassen. Jedenfalls haben sie besser als alle Theorie gezeigt, was Freundschaft mit Christus heißt, welche Noblesse in dieser Freundschaft beiderseits zutage tritt und wie diese freundschaftliche Liebe bis zur seligen Torheit werden kann. Wir brauchen uns dessen nicht zu schämen, da ja der heilige Paulus auch diese Torheit als das folgerichtige Ergebnis der innigsten Freundschaft mit Christus rechtfertigt.

So bewirkt die Noblesse des Heilandes auch bei uns, daß wir feinfühlig für Ihn werden.