VI.

JETZT BEWÄHRT SICH DAS ALLES GLÄNZEND

 

Wie kommt es doch,

daß ein Großteil der Katholiken die wunderbare Größe ihrer Religion nicht kennen, die Erhabenheit ihrer Kirche nicht schätzen? Wird etwa zu wenig von den Schönheiten unseres Glaubens gesprochen, zu wenig gepredigt?

Nein. Daran fehlt’s nicht. Der tiefere Grund für diese betrübliche Erscheinung liegt wohl in dem Mangel an religiösem Nachdenken und religiösem Nachleben.

Kein Kaufmann kann es zu etwas bringen, wenn er nicht geschäftlich nachdenkt, mag man ihm auch von großartiger Geschäftslage im Großhandel vorplaudern. Er selbst muß geschäftsmäßig denken. Er muß die ganze Geschäftslage überprüfend betrachten, muß einen „Blick dafür haben“, wie man sagt. Ein richtiger Geschäftsmann ist in ständigem geschäftlichen Nachdenken und Betrachten begriffen. Ist es des Innenlebens und des Endziels (des Himmels) unwürdig, wenn wir diesen Vergleich mit der rührigen Geschäftswelt gebrauchen, nachdem der Heiland selbst von einem Handel spricht: „Mit dem Himmelreich verhält es sich wie mit einem Kaufmann, der edle Perlen suchte. Als er aber eine überaus kostbare Perle fand, ging er hin, verkaufte all seine Habe und kaufte sie“ (Matth. 13, 45).

Wenn nun auch das Innenleben keinesfalls mit Geschäftspraxis oder Berechnungskunst in strengem Sinn verglichen werden kann, so bleibt doch das eine wahr:

Das religiöse Nachdenken ist seit den Tagen des hl. Ignatius von Loyola in bestimmte Bahnen gelenkt worden, die sich als sehr wirksam erwiesen haben. „Betrachtung“ nennen wir dieses geordnete Nachdenken.

Wenn wir auch in dieser mehr volkstümlich gehaltenen Darlegung eine einfachere Betrachtungsart wählten, so können gute „Kraftwagenlenker“ des inneren Lebens ruhig ihre (meinetwegen die ignatianische oder eine andere) Betrachtungsmethode beibehalten. Nicht so sehr auf die Methode kommt es an, als vielmehr darauf, daß gearbeitet, geglüht und gehämmert wird.

Das brauchen wir.

Bevor wir den eigentlichen Gang der Betrachtung erörtern, wollen wir uns die Frage beantworten: Warum eigentlich betrachten? Warum den religiösen Geist in Bahnen zwängen? Genügt denn nicht das einfache Nachdenken? Ist die Betrachtung denn so ausschlaggebend?

Wenn zu einer vorsorglichen Hausfrau plötzlich ein Besuch kommt, etwa eine Stunde nach dem Mittagessen, da schon alles aufgeräumt ist, oder spät abends für einen lieben Gast, der „hereingeschneit“ kommt, noch eine ordentliche Mahlzeit hergerichtet werden soll, so kommt diese gute Frau nicht in Verlegenheit. Lächelnd geht sie zu ihrem Vorratsschrank in der Vorratskammer. Dort findet sie allerlei Eingekochtes. Eine stattliche Anzahl von Einweckgläsern füllt die Regale und die Aufschriften besagen, daß man binnen einer Viertelstunde — wie völlig frisch — eingewecktes Fleisch, Bohnen, Erbsen, allerlei Gemüse und anderes dem erstaunten Gast auf den Tisch setzen kann. Seit Monaten schon stehen diese geheimnisvollen Gläser bereit, und was sie bergen, kann nicht verderben. „Luftdicht abgeschlossen!“ erklärt schmunzelnd die Hausfrau. Und so trefflich hält sich alles, daß Aroma und Wohlgeschmack nach erneutem Erwärmen einem ganz neu zubereiteten Gericht nicht nachstehen.

Das, was einer solchen Hausfrau einer anderen gegenüber den Vorsprung gibt, die nichts vorsieht und vorsorgt — die sofortige Bereitschaft —, das spielt auch bei der Betrachtung eine ausschlaggebende Rolle.

Wasser, das nicht abgekocht ist, hält sich nicht, wird abgestanden, schal, schlecht, faul, widerlich. Glaubensinhalte, Glaubenswahrheiten, die nicht in der Seele durchgekocht, durchgearbeitet werden, verdunsten oder werden abgestanden, werden in den Augen der Weltmenschen schal, schlecht, ungenießbar, unbrauchbar. Mit den Giftbazillen des Weltgeistes vermischt, werden sie in ein ganz anderes Evangelium verwandelt — in das „Evangelium der Welt“ —, werden sie faul, moderig, schimmelig, und schließlich wirft man sie in solchem Zustand hinaus in die Kehrichttonne.

Und es ist und bleibt wahr: Wer in seiner Seele die wertvollen Glaubensschätze, die Gaben des Gartens Gottes, nicht für sich zubereitet, kocht, genussfertig macht, der hat kein Leben in sich. Wer nun nicht bloß von der Hand in den Mund lebt und kümmerlich mit schnellem Gaskocher der sonntäglichen „Jägermesse“ und einem kurzen Fünfminutenvortrag sich durchschlägt, sondern richtig diese innere Kochkunst betreibt und etwa gar noch Einweckgläser bereit hält, nämlich die Betrachtung, die Unterredung mit Gott versteht, der muß ein anderer Christ werden — und er wird auch ein anderer.

Für die Stunde der Versuchung ist da schon gesorgt. Auf Regal 3 des Vorratsschrankes steht das Glas — schön säuberlich in drei- bis vierfacher Auflage, das Einweckglas mit der Aufschrift: „Gegen die Versuchungen“. Gestern, vorgestern erst hat man’s gekocht, d. h. in der Betrachtung den Vorsatz darauf eingestellt und gefestigt, stahlhart gemacht? „Das darf mir nicht wieder Vorkommen.“ Und siehe, die Medizin steht schon bereit und die Sünde geht vorüber — die Vorschau, Ausschau und Umschau hat sich wieder einmal bewährt. Man erinnert sich an die Worte des Heilandes vom Weltgewinnen und Seelenschaden, vom Kreuztragen und seiner Jüngerschaft. Jetzt bewährt sich das alles glänzend, denn im Nu hat die Seele schon bereitete Stärkung und Nahrung.

Es kommen über junge Seelen Stunden und Gelegenheiten, in denen nur prinzipienfeste, grundsatzfeste Charaktere sich ganz tapfer halten. Diese Grundsatzfestigkeit fliegt aber nicht etwa so von selbst an wie ein Wollbäuschchen im Wind. Das will alles erarbeitet sein — eben durch das „Kochen“ der Seele in der Betrachtung.

So sehen wir also, daß auch hier die Vorarbeit eine wichtige Aufgabe hat. Diese und jene Wahrheit wird irgendeinmal praktisch, soll angewendet werden. Wer nicht vorgearbeitet, „vorgekocht“ hat, versagt. Warum bessern sich im allgemeinen unsere Durchschnittschristen trotz oftmaliger Beichte und Kommunion oft auffallend wenig oder gar nicht? Weil der Herd von einem richtigen Kochen gar nichts weiß und die Seele ohne Rezepte den plötzlichen Seelenerkrankungen und Anfällen gegenüber wehrlos ist.

Da eigentlich sieht man so recht, dass ein System der seichten Frömmigkeit gegebenenfalls versagt und versagen muß. Nur die Unterredung mit Gott stärkt wie ein Freundeswort. Darum haben wir uns bereits ganz eingehend und gründlich mit der Sprache des inneren Lebens befaßt.

Viele Christen haben nur die Gebetbuchfrömmigkeit. Das nenne ich aber kein freies Reden, sondern eher nur ein Buchstabieren.

Warum hat uns das kleine Geheimnis so glücklich gemacht? Weil es zum erstenmal das freie Sprechen mit Gott angebahnt hat. Gott sei Dank!