36. Betrachtung

Von der Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes

„Das Leben kommt von seinem Willen." (Ps 29,6)

 

1. Punkt

Unser ganzes Heil und die ganze Vollkommenheit besteht in der Liebe zu Gott. Wer Gott nicht liebt, bleibt im Tode. (1 Joh 3, 14) Die Liebe ist das Band der Vollkommenheit. (Kol 3,14) Die Vollkommenheit der Liebe aber besteht darin, daß wir unseren Willen mit dem göttlichen Willen gleichförmig machen: denn dies ist die vorzüglichste Wirkung der Liebe, wie Areopagita sagt, daß sie den Willen der Liebenden vereinige, so daß sie nur ein Herz und nur einen Willen haben. Insofern gefallen also Gott unsere Werke, unsere Bußübungen, Kommunionen, Almosen, als sie dem göttlichen Willen gemäß sind; denn sonst sind sie nicht tugendhaft und strafwürdig. Um uns diese Lehre durch sein Beispiel zu zeigen, war es ein Hauptzweck, weshalb unser Heiland vom Himmel kam. Siehe, was er bei seinem Eintritte in die Welt sprach, wie der Apostel schreibt: Schlachtopfer und Gaben hast du nicht gewollt, aber du hast mir einen Leib zubereitet. Da sprach ich: Ich komme deinen Willen zu vollziehen. (Hebr 10,5,7) Du, mein Vater, verschmähest die Schlachtopfer der Menschen, du willst, daß ich durch meinen Tod diesen Leib opfere, den du mir gabst; siehe, ich bin bereit, deinen Willen zu tun. Und dasselbe bezeugte er oftmals, indem Er sagte, er wäre auf die Welt gekommen, um den Willen seines Vaters zu erfüllen: Ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht meinen Willen zu vollziehen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. (Joh 6,38) Und dies auch wollte er uns als Kennzeichen seiner großen Liebe zum Vater darstellen, indem wir sehen, daß er in den Tod ging, um seines Vaters Willen zu gehorchen. Damit die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe, und wie mir der Vater geboten hat, so tue ich. Stehet nun auf und lasst uns von hinnen gehen. (Joh 14,31) Und daher will er auch nur diejenigen als die Seinigen erkennen, welche den göttlichen Willen tun: Denn wer immer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist, der  ist mein Bruder, meine Schwester und Mutter. (Mt 12,50) Und dies war eben daher auch das einzige Ziel und die Richtschnur aller Heiligen bei allen ihren Werken, nämlich die Erfüllung des göttlichen Willens. Der selige Suso sagte: „Lieber will ich mit Gottes Willen ein elender Erdwurm, als nach meinem Willen ein Seraph sein." Und die heilige Theresia: „Wer sich im Gebete übt, soll sich vor allem bestreben, seinen Willen dem göttlichen Willen gleichförmig zu machen; und er soll versichert sein", fügte sie bei, „daß hierin die höchste Vollkommenheit bestehe, wer diese am vorzüglichsten übt, wird von Gott die größten Gaben erhalten und im inneren Leben große Fortschritte machen." Die Seligen des Himmels lieben Gott deswegen vollkommen, weil sie mit dem göttlichen Willen ganz gleichförmig sind. Darum lehrte uns Jesus Christus um die Gnade bitten, daß wir den Willen Gottes auf Erden so vollziehen möchten, wie ihn die Heiligen im Himmel vollziehen. Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden. Wer nach dem Willen Gottes handelt, wird ein Mensch nach dem Herzen Gottes werden, wie Gott mit Recht den David nannte: Ich habe einen Mann nach meinem Herzen gefunden, der allen meinen Willen tun wird. (1 Sam 13,14) Und warum? weil David immer bereit war, das auszuführen, was Gott verlangte: Bereit ist mein Herz, o Gott, bereit ist mein Herz. (Ps 107,2) Und er bat den Herrn um nichts anderes, als ihn zu lehren, seinen Willen zu vollziehen: Lehre mich, deinen Willen tun. (Ps 142,9)

O von welch großem Werte ist nicht ein einziger Akt der vollkommenen Ergebenheit in den Willen Gottes, hinreichend ist er, um eine Seele selig zu machen! Als der heilige Paulus noch als Saulus die Kirche Gottes verfolgte, erschien ihm Jesus, erleuchtete und bekehrte ihn. Der Heilige tat hierauf nichts anderes, als daß er sich völlig bereit darbot, den göttlichen Willen zu befolgen; Herr, was willst du, daß ich dir tue? (Apg 9,6) Und siehe, alsogleich erklärte ihn Jesus Christus als ein Gefäß der Auserwählung und als den Weltapostel: Dieser ist mir ein Werkzeug, das ich auserwählt habe, meinen Namen unter den Völkern auszubreiten. Wenn einer fastet, Almosen gibt, sich für Gott abtötet, so gibt er Gott nur einen Teil von sich; wer ihm aber seinen Willen schenkt, der schenkt ihm alles. Und dies ist auch alles, was Gott von uns begehrt, nämlich das Herz, den Willen: Mein Sohn, gib dir mein Herz. (Spr 23,26) Die Vollziehung des göttlichen Willens sei daher das Ziel aller unserer Wünsche, unserer Andachtsübungen, Betrachtungen, Kommunionen u.s.w. Dies muß das Ziel von allen unseren Bitten sein, nämlich jene Gnade von Gott zu erlangen, daß nur das von uns geschehe, was Gott will. Und hierin müssen wir die Fürbitte unserer heiligen Fürsprecher und vorzüglich der allerseligsten Jungfrau Maria anrufen, daß sie uns helfen, dem Willen Gottes in allen Dingen uns zu ergeben, und ganz besonders in jenen, die unserer Eigenliebe zuwider sind. Der heilige Johannes von Avila sagte: Ein einziges „Gott sei gelobt" in Widerwärtigkeit gesprochen, ist mehr wert, als tausend Danksagungen in Freuden.

 

Anmutungen und Bitten

Ach mein Gott! mein ganzes Unheil bestand vormals darin, daß ich mich nicht deinem Willen gleichförmig machen wollte. Jetzt aber verabscheue ich und verfluche tausend Mal jene Tage und Augenblicke, wo ich, um meinen Willen zu tun, deinem Willen widerstrebte. O Gott meiner Seele! ich schenke ihn dir nun ganz und gar; nimm ihn auf, o mein Herr! und feßle ihn mit deiner Liebe, so zwar, daß er dir nicht widerspenstig werden kann. Ich liebe dich, unendliche Güte, und aus Liebe zu dir opfere ich mich ganz auf. Verfüge mit mir und mit allem dem, was mein ist, wie es dir gefällt, ich ergebe mich deinem heiligen Willen in allem. Herr, bewahre mich nur von dem Unglücke, etwas gegen deinen Willen zu tun und mache dann mit mir, was und wie du willst. Ewiger Vater, Jesu Christo zu Liebe erhöre mich! Mein Jesu, erhöre mich um der Verdienste deines Leidens willen! Und du, o heiligste Jungfrau Maria! hilf mir und erlange mir die Gnade, daß ich in allem an mir den göttlichen Willen befolge, denn darin besteht mein ganzes Heil, und ich bitte dich um nichts weiter mehr.