33. Betrachtung

Liebe zu Gott

 

2. Punkt

Gott hat nicht nur so viele schöne Geschöpfe für mich erschaffen, nein, damit war er noch nicht zufrieden: er hat sich sogar selbst uns dargegeben. Er hat uns geliebt und sich selbst uns dargegeben. (Gal 2,20) Es brachte uns die verfluchte Sünde um die göttliche Gnade und um den Himmel und machte uns zu Leibeigenen der Hölle. Allein Gottes Sohn wollte zum Erstaunen des Himmels und der Natur auf die Erde kommen und Mensch werden, um uns vom ewigen Tode zu erlösen und uns die göttliche Gnade und den verlorenen Himmel wieder zu erlangen. Müßte man sich nicht hoch verwundern, wenn irgend ein weltlicher Regent um der Würmer willen zum Wurme würde? Allein wie unendlich höher muß unsere Verwunderung steigen, wenn wir bedenken, daß ein Gott den Menschen zuliebe Mensch wird? Er hat sich selbst vernichtet, indem er die Gestalt eines Knechtes annahm. Er ward anderen Menschen gleich und zog ihre Gestalt an. (Phil 2,7) Ein Gott, mit Fleisch bekleidet! Und das Wort ist Fleisch geworden. (Joh 1,14) Doch unsere Verwunderung wird noch erhöht, wenn man erwägt, was alles dieser Sohn Gottes uns zu Liebe getan und gelitten habe. Es wäre zu unserer Erlösung ein einziger Tropfen seines Blutes oder eine Träne, eine einzige Bitte hinreichend gewesen; denn seine Bitte, als die Bitte einer göttlichen Person, wäre von einem unendlichen Werte und somit genügend gewesen, die ganze Welt und unzählige Welten selig zu machen. Doch nein, sagt Chrysostomus, was genügt hätte, uns zu erlösen, genügte nicht jener unermeßlichen Liebe, die Gott zu uns trug: „Was zur Erlösung hinreichend war, genügte nicht seiner Liebe." Er wollte uns nicht nur selig machen, sondern wegen seiner übergroßen Liebe zu uns wollte er auch von uns recht innig geliebt werden; und deshalb wählte er ein Leben voll der Leiden und Verachtungen, und den bittersten Tod, um nur die grenzenlose Liebe zu erkennen zu geben, mit der er zu dir entbrannt war. Er hat sich selbst erniedriget und ist gehorsam geworden bin in den Tod, ja, bis zum Tode des Kreuzes. (Phil 2,8) O Übermaß der göttlichen Liebe, welches die gesamte Erkenntnis aller Menschen und Engel bei weitem übersteigt! Ein Übermaß, wie es auch von Moses und Elias auf dem Berge Tabor genannt wurde, als sie vom Leiden Jesu Christi sprachen: Und sie redeten von seinem Übermaße, das er zu Jerusalem vollenden würde. (Lk 9,31) „Ein Übermaß des Schmerzes, ein Übermaß der Liebe!" sagt der heilige Bonaventura. Wäre der Erlöser nicht Gott gewesen, sondern nur einer von unseren Freunden und Verwandten, hätte er uns wohl einen größeren Beweis von seiner Liebe geben können, als den, daß er für uns starb? Niemand hat eine größere Liebe als diese, daß er sein Leben für seine Freunde gibt. (Joh 15,13)

Hätte der Sohn seinen eigenen Vater selig machen müssen, was hätte er aus Liebe zu ihm wohl mehr tun können? Wärest du, mein Bruder, Gott gewesen und der Schöpfer Jesu Christi, was hätte er für dich anderes tun können, als das Leben in einem Meere von Verachtungen und Schmerzen aufopfern? Hätte der geringste Mensch in der Welt das für dich getan, was Jesus Christus tat, könntest du wohl leben, ohne ihn zu lieben? Und was sagst du zu allen diesen? Glaubst du an die Menschwerdung und an den Tod Jesu Christi? Ja, du glaubst und liebst ihn doch nicht? Du kannst dich noch entschließen, etwas anderes zu lieben, als Jesum Christum? Zweifelst du etwa, ob er dich liebe? Er kam, sagt der heilige Augustinus, zu diesem Ende auf die Welt, um für dich zu leiden und zu sterben, und dadurch dir jene unermeßliche Liebe zu erkennen zu geben, die er zu dir trägt: „Deshalb ist Christus gekommen, damit der Mensch erkenne, wie sehr ihn Gott liebe." Vor der Menschwerdung hätte der Mensch noch zweifeln können, ob Gott ihn zärtlich liebe; wie sollte man aber nun nach der Menschwerdung und nach dem Tode Jesu Christi noch irgend einen Zweifel daran hegen können? Fürwahr, auf keine Weise hätte er uns die große Zärtlichkeit seiner Liebe besser an den Tag legen können, als dadurch, daß er sein göttliches Leben für uns opferte. Allein leider ist unser Ohr gewohnt, von Schöpfung, Erlösung, von einem Gott in der Krippe, von einem Gott auf dem Kreuzesholze reden zu hören, und weil sie daran gewohnt, bleiben wir dabei kalt und gefühllos. O heiliger Glaube, erleuchte uns doch!

 

Anmutungen und Bitten

O mein Jesu! du hast nicht mehr tun können, um mich in die Notwendigkeit zu versetzen, und ich sehe wohl, daß ich durch meinen Undank dich zwinge, mich zu verlassen. Deine Geduld sei immer gepriesen, die mich so lange ertrug. Fürwahr, ich verdiente eine für mich eigens geschaffene Hölle; doch dein Tod gibt mir Hoffnung. Ach, gib mir Licht, auf daß ich erkenne, wie sehr du, o unendliches Gut! geliebt zu werden verdienest und wie streng ich verbunden bin, dich zu lieben. Wohl wußte ich, daß du, mein Jesu, für mich gestorben bist, und wie konnte ich dennoch, o Gott! so viele Jahre deiner uneingedenk leben? O daß ich die verflossenen Jahre von Neuem wieder durchleben könnte, ich würde sie alle dir, meinem Herrn, weihen! Allein die verflossenen Jahre kehren nicht wieder; ach gib doch, daß ich wenigstens mein übriges Leben ganz in Liebe zu dir, und zu deinem Wohlgefallen zubringe. Mein teurer Erlöser! ich liebe dich aus ganzem Herzen; aber vermehre du diese Liebe in mir, und lasse mich gegen dich nicht mehr undankbar werden. Nein, nimmermehr will ich den Erleuchtungen widerstehen, die du mir schenkst. Du verlangst von mir geliebt zu werden; und ich verlange, dich zu lieben. Und wen anders sollte ich wohl lieben, als einen Gott, der eine unendliche Schönheit, eine unendliche Güte ist? - einen Gott, der für mich gestorben ist? - einen Gott, der mit Geduld mich ertragen hat, - der, wie ich es verdiente, die Strafen in Gnaden und Gunstbezeigungen umwandelte! - Ja, ich liebe dich, o unendlicher Liebe würdiger Gott! und ich seufze, und verlange nach nichts anderem, als ganz mit der Liebe zu dir beschäftiget zu leben, uneingedenk alles dessen, was nicht du bist. O unendliche Liebe meines Herrn! hilf einer Seele, welche sich sehnt, ganz dein zu sein. O große Mutter Gottes, Maria! bewirke durch deine Fürbitte, daß er mich ganz zu seinem Eigentume mache.