32. Betrachtung

Von dem Vertrauen auf den Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria

„Wer mich findet, findet das Leben

und wird vom Herrn das Heil erlangen."

(Spr 8,35)

 

1. Punkt

Wie viel haben wir nicht der Barmherzigkeit unseres Gottes zu verdanken, indem er uns Maria zur Fürsprecherin gab, die durch ihre Bitten alle Gnaden, die wir nur wünschen, uns zu erlangen vermag? O überaus wunderbare Gütigkeit unseres Gottes! ruft der hl. Bonaventura aus, die seinen Schuldnern dich, o Frau! zur Sachwalterin gibt, damit du, was immer du willst, ihnen zu erlangen vermögest! (In Salve Reg.) O Sünder! — Meine Brüder, finden wir uns schuldig vor der göttlichen Gerechtigkeit und wären wir auch durch unsere Sünden bereits zur Hölle verdammt, o so verzweifeln wir dennoch nicht; laßt uns fliehen zu dieser göttlichen Mutter und uns unter ihren Schutzmantel begeben, und sie - wird uns retten. Wir brauchen nur den guten Willen, unser Leben zu ändern: einen guten Willen und ein großes Vertrauen auf Maria, und wir werden in Sicherheit sein. Und warum? Weil Maria unsere Fürbitterin ist, und zwar eine Fürbitterin, welche mächtig und barmherzig ist und welche alle selig zu machen verlangt.

Wir wollen Maria zuerst betrachten als eine mächtige Fürsprecherin, die beim Richter zu Gunsten ihrer Verehrer alles vermag. Dies ist ein besonderer Vorzug, welcher ihr von eben diesem Richter, der ihr Sohn ist, verliehen wurde. „O großes Vorrecht, wodurch Maria bei ihrem Sohne so überaus mächtig ist!" (S. Bonav. in Spec. Lect.6) Johannes Gerson sagt (Tract. sup. Magn.): Die seligste Jungfrau verlange von Gott nichts, ohne es auch wirklich zu erhalten, und sie sende als Königin ihre Engel aus, um ihre Diener zu erleuchten, sie rein und vollkommen zu machen. Daher lässt die Kirche, um uns Vertrauen zu dieser großen Fürsprecherin einzuflößen, sie uns mit dem Ehrennamen: „Mächtige Jungfrau!" anrufen. Du mächtige Jungfrau! bitte für uns. Und weshalb ist denn der Schutz Maria so vielvermögend? Weil sie Gottes Mutter ist. „Das Gebet der Gottesgebärerin - sagt der heilige Antonius - hat etwas Gebietendes an sich, daher ist es unmöglich, daß es nicht erhört werden sollte." (Part. 4 tit.25.c. 17 §4) Die Bitten Mariä haben, weil sie seine Mutter ist, eine gewisse gebietende Macht bei Jesu Christo, und deshalb ist es nicht möglich, daß sie, wenn sie bittet, nicht Gehör finde. Daher spricht der heilige Gregorius, Erzbischof von Nicomedia, unser Erlöser erhöre alle ihre Bitten, um sich, sozusagen, seiner gegen diese Mutter ihm obliegenden Verbindlichkeiten zu entledigen, weil sie das menschliche Dasein ihm gab: „Dein Sohn erfüllt deine Bitten, gleichsam als zahlte er seine Schuld dadurch ab." (Oreat. de exitu Mariae) Und so lesen wir auch in den hinterlassenen Schriften des heiligen Theophilus, Bischofs von Alexandria: „Der Sohn genehmiget die Bitten seiner Mutter, denn er will alles, was sie von ihm verlangt, zugestehen, um so die Wohltat zu belohnen, die er von ihr erhielt, indem sie ihm ihr Fleisch gegeben hat." Darum rief der heilige Blutzeuge Methodius aus: „Erfreue dich, die du deinen Sohn zum Schuldner hast! Denn wir alle sind Gottes Schuldner, dein Schuldner aber ist er selbst!" (Orat. Hyp. Dom.) Frohlocke, o Maria! frohlocke, du hast das Glück, deinen Sohn zum Schuldner zu haben; wir aber sind alle seine Schuldner.

Deswegen sagt Cosmas von Jerusalem, die Hilfe Maria sei allvermögend: „Allmächtig ist deine Hilfe, o Maria!" Und fürwahr, bestätiget der heilige Laurentius, sie ist allvermögend, denn es ist billig, daß die Mutter an der Macht ihres Sohnes Anteil habe; der Sohn also, welcher allmächtig ist, macht die Mutter allmächtig: „Da aber die Macht des Sohnes und der Mutter eben dieselbe ist, so ist die Mutter durch ihren allmächtigen Sohn allmächtig geworden." (Lib. 4 de laud. Virg.) Der Sohn ist von Natur aus allmächtig, die Mutter ist es durch die Gnade; das heißt, sie erhält durch ihre Bitten, so viel sie verlangt, gemäß jenen berühmten Worten: „Was Gott durch seine Macht vermag, das bewirkest du, o Jungfrau, durch deine Bitte." Und eben dies wurde der heiligen Brigitta geoffenbart. (Rev. üb. 1. Cab. 4) Eines Tages hörte die Heilige Jesum im Gespräche mit Maria zu dieser also sagen: „Verlange von mir, was du immer willst; denn keine deiner Bitten kann fruchtlos sein." Meine Mutter, begehre von mir, so viel du willst; denn keine deiner Bitten kann von mir unerhört bleiben. Und dann fügte er die Ursache bei: „Denn weil du mir auf Erden nichts versagtest, so will auch ich dir im Himmel nichts versagen. Du schlugst mir auf der Welt nichts ab, so ist es denn billig, daß auch ich dir jetzt, da du bei mir im Himmel bist, nichts abschlage."

Kurz, es gibt keinen, und wäre er auch noch so lasterhaft, den Maria durch ihre Fürsprache nicht retten könnte. „Du hast eine unübertreffliche Macht," sagt der heilige Gregorius von Nicomedia, „so daß nicht einmal die Menge der Sünden ihre Huld übertrifft; nichts auch widersteht deiner Macht, denn dein Schöpfer hält deine Ehre für seine eigene." (Orat. de exitu B. V.) O Mutter Gottes! nichts kann deiner Macht widerstehen; denn dein Schöpfer schätzt ja deine Ehre für seine eigene. Alles vermagst du, also spricht der heilige Petrus Damianus zu ihr, weil du sogar die Verzweifelten zu retten vermagst: „Nichts ist dir unmöglich, da du sogar die Verzweifelten zur Hoffnung der Seligkeit wieder aufrichten kannst." (Serm. 1. denativ. B.V.)

 

Anmutungen und Bitten

Meine liebe Königin und Mutter Maria! Mit dem heiligen Germanus will ich dir zurufen: „Du bist allmächtig, um die Sünder selig zu machen, und bedarfst keiner weiteren Empfehlung bei Gott, weil du die Mutter des wahren Lebens bist." (Serm. 3. in dorn. B. V.) Fliehe ich also zu dir, o meine Frau, so können mir alle meine Sünden die Hoffnung der Seligkeit nicht benehmen. Du erlangst durch deine Bitten, so viel du verlangst; bittest du also für mich, so werde ich gewiß selig werden. Ach, bitte für mich Elenden! Mit dem heiligen Bernardus will ich zu dir rufen: „O große Mutter Gottes! dein Sohn hört dich und alles gewährt er dir, um was du ihn bittest; so rede denn für mich, o Frau! denn dein Sohn hört dich, und was du immer begehrest, das wirst du erlangen." Es ist wahr, ich bin ein Sünder; allein ich verlange mich zu bessern, und ich rühme mich, einer aus deinen besonderen Dienern zu sein. Ich bin zwar deines Schutzes unwürdig, allein ich weiß, daß du noch niemand verlassen hast, der auf dich sein Vertrauen setzte. Du kannst und willst mich selig machen, denn ich vertraue auf dich. Als ich verloren und deiner uneingedenk dahinlebte, gedachtest du meiner und erhieltst mir die Gnade, daß ich wieder in mich ging; um wie viel mehr muß ich nun Hoffnung fassen, da ich mich deinem Dienste gewidmet habe und auf dich hoffe und vertraue? O Maria! bitte für mich und mache mich heilig. Erhalte mir die heilige Beharrlichkeit, erflehe mir eine inbrünstige Liebe zu deinem Sohne und zu dir, meiner so liebenswürdigen Mutter. Ich liebe dich, meine Königin, und ich hoffe dich immer zu lieben. Liebe auch du mich und mache mich durch deine Liebe aus einem Sünder zu einem Heiligen.