31. Betrachtung

Von der Beharrlichkeit

 

3. Punkt

Nun kommen wir zum dritten Feinde, welcher der schlimmste von allen ist, nämlich das Fleisch: und wir wollen sehen, wie wir uns dagegen verteidigen müssen. Fürs erste durch das Gebet, doch hievon haben wir schon oben betrachtet. Zweitens durch Vermeidung der Gelegenheit, und diese wollen wir jetzt wohl erwägen.

Der heilige Fiernardinus von Siena sagt, der allerwichtigste Rat, ja sogar die Stütze der Religion sei jener Rat, die sündhaften Gelegenheiten zu fliehen: „Unter den Räten Christi ist einer der hervorstechendsten, und gleichsam die Grundlage der Religion, dieser: fliehe die Gelegenheit zur Sünde." (1 Toma Serm. 21. art. 3 cap. 3) Es bekannte einst der Teufel, durch Beschwörungen gezwungen, die widerlichste Predigt sei ihm die Predigt von der Flucht der Gelegenheit. Und mit Recht; denn der Teufel macht sich über alle Vorsätze und Versprechungen lustig, die ein büßender Sünder macht, so lange derselbe nicht auch die Gelegenheit zur Sünde verläßt. Die Gelegenheit ist vorzüglich in Betreff der sinnlichen Lüste wie eine Binde vor den Augen und läßt den Menschen weder seine gemachten Vorsätze mehr sehen, noch auch die erhaltenen Erleuchtungen oder die ewigen Wahrheiten; kurz, sie macht, daß man alles vergißt und gleichsam blind wird. Die erste Ursache des Falles unserer ersten Eltern bestand eben darin, daß sie die Gelegenheit nicht flohen. Gott hatte ihnen unter anderem sogar verboten, die verbotene Frucht zu berühren: Gott hat uns geboten, daß wir nicht davon essen und sie auch nicht berühren. (Gen 3,3) Allein die unbehutsame Eva sah, nahm und aß. Zuerst fing sie an, die Frucht näher zu beschauen, dann nahm sie selbe in die Hand und - aß davon. Wer freiwillig in die Gefahr sich begibt, wird darin zu Grunde gehen: Wer die Gefahr liebt, wird darin umkommen. (Eccl 3,27) Der heilige Petrus sagt: Der Teufel geht herum und sucht, wen er verschlinge. Was tut er also, um wieder in eine Seele einzukehren, aus der er bereits vertrieben worden ist? fragt der heilige Cyprianus. Er geht hin und forscht, ob er nicht irgend eine Gelegenheit finde: „Er forscht, ob es nicht vielleicht etwas gebe, wodurch er eindringen könnte." Läßt sich die Seele verleiten, zur sündhaften Gelegenheit zu gehen, so wird der Feind ohne Zweifel in dieselbe wieder einkehren und selbe verschlingen. Ferner bemerkt der Abt Guerricus: Lazarus sei gebunden auferstanden; „er ging an Händen und Füßen gebunden hervor", und indem er also aufstand, starb er wieder. Wehe dem, will dieser Schriftsteller sagen, der von der Sünde zwar aufsteht, allein, von der Gelegenheit gebunden aufsteht. Dieser wird, wenn er schon aufsteht, dennoch wieder sterben. Wer also selig werden will, muß nicht nur die Sünde, sondern auch die Gelegenheit zu sündigen aufgeben; er muß meiden z.B. jenen Freund, jenes Haus, jenen Briefwechsel usf.

Doch du wirst sagen: jetzt habe ich das Leben schon geändert und ich beabsichtige mit dieser Person nichts Böses, ja ich fühle nicht einmal eine Versuchung. Ich antworte: In Mauritanien gibt es, wie man erzählt, gewisse Bärinnen, die gegen die Affen auf die Jagd ausgehen. Wenn nun die Affen die Bärinnen erblicken, so flüchten sie sich auf die Bäume; aber was tut die Bärin? Sie streckt sich unter dem Baume aus und stellt sich tot; sieht sie dann, daß die Affen herabgestiegen sind, so steht sie auf, ergreift und frißt sie. Gerade so geht der böse Feind zu Werke; er verblendet uns, damit wir wähnen, die Versuchung sei schon ganz vorüber; begibt sich aber die Person hernach in die Gelegenheit, dann läßt er die Versuchung aufstehen, und sie verschlingt ihn. O wie viele unglückliche Seelen gibt es nicht, welche oft beteten, kommunizierten und die man heilig nennen konnte; sie wurden aber eine Beute der Hölle, weil sie sich in die Gelegenheit begaben! In der Kirchengeschichte wird folgendes berichtet: Eine heilige Frau, welche so barmherzig war, daß sie die Blutzeugen begrub, fand einst einen, der noch nicht verschieden war; sie trug ihn in ihr Haus und er genas. Was geschah? Durch die nahe Gelegenheit verloren diese zwei Heiligen, wie man sie allerdings nennen konnte, zuerst die Gnade Gottes, sodann auch den Glauben.

Der Herr befahl dem Isaias zu predigen, jeder Mensch sei Heu: Rufe, alles Fleisch ist Heu. (Jes 40,6) Hier macht der heilige Chrysostomus die Bemerkung und sagt: ist es wohl möglich, daß das Heu nicht brenne, wenn man Feuer dazu legt? „Lege Feuerfunken auf das Heu und dann wage zu behaupten, daß das Heu nicht brenne." Und ebenso unmöglich, spricht Cyprianus, ist es, im Feuer zu stehen und von den Flammen nicht ergriffen zu werden. Unmöglich ist es, von Flammen umgeben zu werden, ohne zu brennen. (De sing. Cler.) Unsere Stärke, warnt der Prophet, ist wie der ins Feuer geworfene Strohhalm: Und eure Stärke wird wie Stoppeln sein. (Jes 1,31) Ebenso, sagt Salomon, wäre jener töricht, welcher behaupten würde, er könne auf einer Glut einhergehen, ohne sich zu brennen. Kann wohl ein Mensch auf glühenden Kohlen einhergehen, ohne seine Fußsohlen zu verbrennen? (Spr 6,27, 28) Gleichfalls töricht wäre jener, der sich in die Gelegenheit begeben würde, in der Meinung, nicht zu fallen. Man muß vor der Sünde fliehen, wie vor einer Schlange: Fliehe vor der Sünde, wie vor dem Angesichte einer Schlange. (Eccl 21,2) Man muß nicht nur den Biß einer Schlange fürchten, sagt Gualfridus, man muß sich fürchten, nicht nur sie zu berühren, sondern auch ihr zu nahe zu kommen: „Fliehe sowohl die Berührung, als auch die Annäherung." Indessen erwiderst du: jenes Haus, jene Freundschaft, ist mir zu meinem Fortkommen verhilflich. Wohl siehst du aber ein, daß jenes Haus der Weg zur Hölle für dich sei: ihr Haus ist der Weg zur Hölle (Spr 7,27), so gibt es keinen Ausweg, du mußt es durchaus verlassen, wenn du selig werden willst. Wäre es auch dein rechtes Auge, sagt der Herr, so mußt du es ausreißen und weit von dir werfen. Wenn dich dein rechtes Auge ärgert, so reiß es aus und wirf es von dir. (Mt 5,29) Man merke das Wort: von dir; man muß es nicht nahe vor sich hin, sondern weit hinaus werfen, das heißt: man muß sich jeder Gelegenheit entreißen. Der heilige Franziskus von Assisi sagte, der böse Feind versuche die geistlichen Personen, die sich Gott gewidmet haben, auf eine andere Art, als er jene versucht, die ein böses Leben führen. Er sucht sie im Anfange nicht sogleich mit einem Stricke zu binden, er bindet sie nur mit einem Haare; dann bindet er sie mit einem Faden, hernach mit einer Schnur, hierauf mit einem Stricke, und so reißt er sie endlich in die Sünde mit sich fort. Wer also von dieser Gefahr frei sein will, schneide gleich anfangs jenes Haar ab, er vermeide jede Gelegenheit, diese Begrüßungen, jene Geschenke, jene Briefchen und dergleichen. Und was insbesondere das Laster der Unkeuschheit betrifft, so wird es für den, der daran gewohnt war, nicht genug sein, die nächsten Gelegenheiten zu fliehen; er muß auch die entfernteren fliehen; flieht er nicht auch diese, so wird er wieder fallen.

Wer wirklich selig werden will, muß den festen Entschluß fassen und ihn stets erneuern, von Gott nicht mehr sich trennen zu wollen und er wiederhole deshalb recht oft den Spruch der Heiligen: „Man verliere alles, nur Gott nicht." Es genügt jedoch nicht der bloße Vorsatz, ihn nicht mehr verlieren zu wollen, man muß auch die Mittel ergreifen, um diesen Verlust sicher abzuwenden. Das erste Mittel ist die Flucht der Gelegenheiten; wovon schon oben die Rede war. Das zweite ist der oftmalige Gebrauch der heiligen Sakramente der Beichte und Kommunion. In einem Hause, in welchem man oft auskehrt, herrscht die Unreinlichkeit nicht. Durch die Beichte erhält man die Seele rein und man erlangt durch sie nicht nur Nachlassung der Sünden, sondern auch Hilfe zum Widerstande gegen die Anfechtungen. Die Kommunion aber heißt mit Recht das Himmelsbrot; und so wie der Leib ohne irdische Speise nicht leben kann, eben so wenig kann die Seele ohne diese himmlische Speise leben. Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esset und sein Blut nicht trinket, so werdet ihr das Leben nicht in euch haben. (Joh 6,54) Wer hingegen dies Brot oft genießt, der ist versichert, daß er in Ewigkeit leben werde! Wer von diesem Brote essen wird, der wird in Ewigkeit leben. (Joh 6,52) Daher nennt der Kirchenrat von Trient die Kommunion eine Arznei, welche von den läßlichen Sünden uns frei macht und vor den tödlichen sichert: „ein Gegenmittel, wodurch wir von den täglichen Fehlern befreit und vor Todsünden bewahret werden." (Trid. Sess. 13, cap. 2) Das dritte Mittel ist die Betrachtung oder das innerliche Gebet. Gedenke an deine letzten Dinge und du wirst in Ewigkeit nicht sündigen. (Eccl 7,40) Wer die ewigen Wahrheiten, den Tod, das Gericht, die Ewigkeit vor Augen hat, wird nicht in die Sünde fallen. Gott erleuchtet uns in der Betrachtung: Gehet zu ihm hin und ihr werdet erleuchtet werden. (Ps 33,6) Dort spricht er zu uns und läßt uns wissen, was wir zu vermeiden und was wir zu tun haben: Ich will sie in die Wüste führen und ihr ins Herz reden. (Os 2,14) Die Betrachtung ist ferner jener schöne Ofen, worin die göttliche Liebe sich entzündet. In meiner Betrachtung hat sich ein Feuer entzündet. (Ps 38,4) Um sich endlich in der Gnade Gottes zu bewahren, ist es, wie schon öfters erinnert wurde, unumgänglich notwendig, immer um die dazu erforderlichen Gnaden zu bitten und zu flehen; wer aber das innerliche Gebet nicht übt, wird schwerlich bitten, flehen, und wenn man nicht betet, wird man zu Grunde gehen.

Man muß also unerläßlich die Mittel zur Erlangung der Seligkeit anwenden und einen geordneten Lebenswandel führen. Morgens beim Aufstehen übe die christlichen Tugenden der Danksagung, der Liebe, der Aufopferung und des Vorsatzes, nebst der Bitte zu Jesu und Maria, daß sie dich an diesem Tage vor Sünden bewahren wollen. Hierauf mache die Betrachtung und höre die Heilige Messe. Untertags hernach eine geistliche Lesung, den Besuch des allerheiligsten Sakramentes und der göttlichen Mutter. Abends den Rosenkranz und die Gewissenserforschung. Unter der Woche öftere Kommunion nach Rat des Beichtvaters, den man beständig beibehalten soll. Sehr nützlich wäre es auch, jährlich einmal in irgend einem Kloster die geistlichen Übungen vorzunehmen. Man muß auch die allerheiligste Jungfrau Maria mit einer besonderen Andacht, durch Fasten an jedem Sonnabende, verehren. Sie nennt sich die Mutter der Beharrlichkeit und verspricht solche dem, der ihr dient. Die mir dienen, werden nicht sündigen. (Eccl 24,30) Vor allem muß man Gott immer um die heilige Beharrlichkeit bitten und vorzüglich zur Zeit der Versuchungen, denn damals soll man unaufhörlich die heiligen Namen Jesu und Maria anrufen, so lange die Versuchung dauert. Wenn du es so machest, wirst du gewiß selig und wenn du es nicht so machst, gewiß verworfen werden.

 

Anmutungen und Bitten

Mein lieber Erlöser! ich danke dir für die Erleuchtungen, die du mir gibst und für die Mittel, die du mir anzeigst, um mich selig zu machen. Ich verspreche dir, sie standhaft in Ausübung zu bringen. Hilf mir, daß ich dir treu bleibe. Ich sehe ein, daß du mich selig machen willst, und ich will selig werden, vorzüglich, um dem Wunsche deines Herzens, das mein Heil so sehnlich wünscht, zu willfahren. Nein, mein Gott, ich will deiner Liebe, die du zu mir hegst, nicht mehr Widerstand leisten. Diese Liebe war es, die mich mit so großer Geduld ertrug, während ich dich beleidigte. Du forderst mich zur Gegenliebe auf und sieh, ich wünsche nichts anders, als dich zu lieben. Ich liebe dich, o unendliche Güte, ich liebe dich, o unendliches Gut! Ach, daß ich dich innigst liebte! Um der Verdienste Jesu Christi willen, laß mich nicht mehr undankbar gegen dich sein! mache, daß ich entweder aufhöre dir undankbar zu sein oder laß mich mein Leben beschließen. Herr! du hast das gute Werk begonnen, vollende es auch: Bestätige dies, o Gott! was du in uns gewirket hast. Gib mir Licht, gib mir Stärke, gib mir Liebe. O Maria! die du die Bewahrerin der Gnadenschätze bist, komm mir zu Hilfe, erkläre mich für deinen Diener, wie ich es sein will, und bitte Jesum für mich. Meine Seligkeit hängt vorerst ab von den Verdiensten Jesu Christi, dann aber auch von deiner milden Fürsprache.