30. Betrachtung

Von dem Gebete

 

3. Punkt

Betrachten wir endlich die Eigenschaften des Gebetes. Viele beten und erhalten nichts, weil sie nicht beten, wie man beten soll. Ihr bittet und erlanget nichts, weil ihr schlecht betet. (Jak 4,3) Um gut zu beten, ist erstens Demut erforderlich. Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen aber gibt er seine Gnade. (Jak 4,6) Gott erhört die Bitten der Stolzen nicht, keineswegs aber weist er die Bitten der Demütigen ab, ohne sie zu erhören. Das Gebet des Demütigen wird durch die Wolken dringen, es wird auch nicht abweichen, bis der Allerhöchste es anschaut. (Eccl 35,21) Und dies geschieht, wenn sie auch bisher Sünder gewesen wären: Ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz wirst du, o Gott, nicht verachten. (Ps 50) Zweitens, ist Vertrauen erforderlich. Niemand hat auf den Herrn gehofft und ist zu Schanden geworden. (Eccl 2,11) Deswegen lehrte uns Jesus Christus; wir sollen, wenn wir Gott um Gnaden bitten, ihn nichts anders nennen, als Vater! „Vater unser!", damit wir ihn mit jener Zuversicht bitten, mit der sich ein Kind an seinen Vater wendet. Wer demnach mit Zuversicht bittet, der erhält alles. Alles, was ihr in eurem Gebete verlanget, glaubet nur, daß ihr es erlangen werdet, so wird es euch gegeben werden. (Mk 11) Und wer kann wohl fürchten, sagt der heilige Augustinus, daß ihm das fehlschlagen solle, was ihm von der Wahrheit selbst, welche Gott ist, versprochen wird? „Wer fürchtet etwa, getäuscht zu werden, wenn die Wahrheit etwas verheißt?" - Gott ist ja nicht, wie die Menschen, sagt die Schrift, die versprechen und dann nicht Wort halten, weil sie entweder lügen, wenn sie versprechen oder weil sie hernach ihren Willen ändern. Gott ist nicht wie ein Mensch, daß er lüge, und nicht wie eines Menschen Sohn, daß er sich verändere. Er hat es also gesagt - und wird er es nicht tun? (Num 23,19) Und wozu würde denn der Herr, sagt der heilige Augustinus, uns so dringend auffordern, um Gnaden zu bitten, wenn er sie uns nicht verleihen wollte? Er würde uns ja nicht zureden, daß wir bitten sollen, wenn er nicht geben wollte. (De Verb. Dom. Serm. 4) Durch seine Verheißung verpflichtet er sich, die Gnaden uns zu verleihen, um die wir ihn bitten. „Durch das Versprechen machte er sich zum Schuldner." (S. Aug. ibid. Serm. 2)

Aber, ich, wird jemand sagen, ich bin ja ein Sünder und deswegen verdiene ich nicht erhört zu werden. Allein der heilige Thomas antwortet, zur Erlangung der Gnaden, um die wir bitten, komme es nicht auf unsere Verdienste, sondern auf die göttliche Barmherzigkeit an: „das Gebet stützt sich bei Erlangung der Gnaden nicht auf unsere Verdienste, sondern auf die göttliche Barmherzigkeit." (2.2. qu. 178. art. 2 ad 1) Jeder, der bittet, empfängt. (Lk 11,10) Der Verfasser des unvollendeten Werkes erklärt dieses also: „Jeder, er mag gerecht oder Sünder sein." (Hom. 18) Und hierin benahm uns unser Erlöser selbst jede Furcht, indem er sagt: Wahrlich, wahrlich sage ich euch, was ihr immer meinen Vater in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben. (Joh 16,23) als wollte er sagen: „Sünder! wenn ihr kein Verdienst habt, so habe ich es doch bei meinem Vater; bittet also in meinem Namen und ich verspreche euch, ihr werdet bekommen, so viel ihr begehret." Hiebei muß man jedoch verstehen, daß dies Versprechen nicht für zeitliche Gnaden, für Gesundheit, für Glücksgüter und dergleichen gegeben sei; denn diese Gnaden versagt uns öfter der Herr mit Recht, indem er sieht, sie würden uns zum ewigen Heile nur schädlich sein. Was dem Kranken nützlich sei, das weiß der Arzt besser als der Kranke; so äußert sich der heilige Augustinus (tom. 3, c. 212) und er setzt bei, Gott schlage dem einen aus Barmherzigkeit dasjenige ab, was er einem andern aus Zorn zugesteht: „Gott versagt aus Gnade das, was er aus Zorn gewährt." Daher müssen wir die zeitlichen Güter immer nur bedingungsweise verlangen, nämlich unter der Bedingung, wenn sie zum Heile unserer Seele gereichen. Die geistlichen Gnaden hingegen, wie z.B. die Verzeihung der Sünden, die Beharrlichkeit die göttliche Liebe und dergleichen, muß man durchaus mit der festen Zuversicht nach Gewährung, begehren. Wenn ihr, die ihr doch böse seid, sagt Jesus Christus, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, um wie viel mehr wird euer Vater denen den guten Geist geben, die ihn darum bitten? (Lk 11,13)

Vor allem aber ist endlich das Ausharren im Gebete nötig. Cornelius a Lapide sagt über Lukas (Kap. 11): „Der Herr will, daß wir im Gebete bis zum Ungestüm ausharren." Und dies deuten jene Schriftsteller an: Man muss allzeit beten. (Lk 18,1) Wachet also und Betet zu jeder Zeit. (Lk 21,36) Betet ohne Unterlass. (1 Thess 5,17) Dies bedeuten auch jene wiederholten Worte: Bittet und es wird euch gegeben werden; suchet und ihr werdet finden; klopfet an und es wird euch aufgetan werden. (Lk 11,9) Hinsichtlich des Gebotes wäre es genug gewesen zu sagen: Bittet; doch nein, der Herr wollte uns zu verstehen geben, wir sollten es machen, wie die armen Leute, welche so lange nicht aufhören zu bitten und vor der Türe stehen zu bleiben und zu klopfen, bis sie ein Almosen bekommen. Hier ist zu bemerken, daß die Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende eine besondere Gnade ist, die man nur durch beständiges Gebet erlangt. Diese Beharrlichkeit können wir uns keineswegs verdienen, allein durch das Gebet verdient man sie gewissermaßen: „Diese Gabe Gottes kann man nur bittweise, daß heißt, durch demütiges Bitten erlangen." (De dono persev. Cap.6) Laßt uns also immer bitten und laßt uns nicht aufhören zu bitten, wenn wir selig werden wollen. Und wer Beichtvater oder Prediger ist, der unterlasse ja nicht zum Gebete zu ermahnen, wenn er will, daß die Seelen zur Seligkeit gelangen. Und wie der heilige Bernardus ermahnt, so wollen wir auch immer Maria um ihre Hilfe bitten: „Verlangen wir Gnade und verlangen wir sie durch Maria; denn, was sie sucht, findet sie und man kann nicht getäuscht werden. (Serm. de Aquaeduct.)

 

Anmutungen und Bitten

Mein Gott, ich hoffe, du habest mir bereits verziehen: allein meine Feinde werden nicht aufhören, mich bis zum Tode zu bekämpfen; hilfst du mir nicht, so werde ich wieder ins Verderben stürzen. Ach, ich bitte dich um der Verdienste Jesu Christi willen um die heilige Beharrlichkeit. Laß mich nur nicht von dir getrennt werden. Und um die nämliche Gnade bitte ich für alle jene, die sich jetzt in deiner Gnade befinden. Ich bin voll des Vertrauens auf dein Versprechen, daß du mir die Beharrlichkeit geben werdest, wenn ich dich stets um dieselbe bitten werde. Aber ich befürchte eines, nämlich daß ich es unterlasse, in meinen Versuchungen zu dir zu fliehen, und so neuerdings zurückfalle. Darum bitte ich dich um die Gnade, daß ich um dies zu bitten nie unterlasse. Mache, daß ich mich in den Gelegenheiten des Rückfalls immer dir anempfehle und die heiligsten Namen Jesu und Maria immer zu Hilfe rufe. Mein Gott! dies nehme ich mir vor und dies hoffe ich zu tun mit deiner Gnade. Erhöre mich doch Jesu Christo zu Liebe. O Maria, meine Mutter! erflehe mir, daß ich in den Gefahren, Gott zu verlieren, stets zu dir und deinem Sohne meine Zuflucht nehme.