30. Betrachtung

Von dem Gebete

 

2. Punkt

Betrachten wir ferner die Notwendigkeit des Gebetes. Der heilige Johannes Chrysostomus sagt, so wie der Leib ohne Seele tot ist, so ist auch die Seele ohne Gebet tot. Er sagt ferner, wie das Wasser den Pflanzen vonnöten ist, damit sie nicht verdorren, so ist das Gebet uns nötig, damit wir nicht zu Grunde gehen. „Nicht minder als die Bäume des Wassers, bedürfen wir des Gebetes." (Tom. 1. Hom.77) Gott will uns alle selig machen: Er will, daß alle Menschen selig werden. (1 Tim 2,4) Er trägt Geduld um euretwillen, weil er nicht will, daß jemand verloren gehe, sondern daß sich alle zur Buße bekehren. (2 Petr 3,9) Er will aber, daß wir die zu unserer Seligmachung nötigen Gnaden von ihm verlangen; weil wir einerseits die göttlichen Gebote nicht halten, und ohne den wirklichen Beistand des Herrn nicht selig werden können, und andererseits weil er uns nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge die Gnaden nur dann geben will, wenn wir ihn darum bitten. Deswegen sagt der heilige Kirchenrat von Trient, Gott lege nicht unmögliche Gebote auf; denn entweder gibt er uns die nächste und wirkliche Gnade, um sie zu halten, oder er gibt uns die Gnade, ihn um die wirksame Gnade zu bitten: „Gott befiehlt nichts Unmögliches, sondern durch seine Gebote ermahnt er dich zu tun, was du vermagst, und das zu verlangen, was du nicht vermagst, und er hilft, auf daß du es vermögest." (Sess. 6.C.11) Indessen lehrt der heilige Augustinus, daß Gott mit Ausnahme der ersten Gnaden, als da sind: die Berufung zum Glauben oder zur Buße, alle übrigen Gnaden und vorzüglich die Beharrlichkeit nur dem verleihe, welcher darum bittet: „Es ist gewiß, daß Gott auch jenen, die nicht beten, etwas gebe, wie z.B. den Beruf zum Glauben, das Übrige aber nur denjenigen, die darum bitten, vorbereitet haben, wie z.B. die Beharrlichkeit bis ans Ende." (De dono persever. cap.16) Aus diesem schließen die Gottesgelehrten mit dem heiligen Basilius, mit dem heiligen Augustinus, dem heiligen Johannes Chrysostomus, dem heiligen Clemens von Alexandria und anderen, daß das Gebet den Erwachsenen unumgänglich notwendig sei, so daß es jedem unmöglich ist, ohne Gebet selig zu werden. Und man muß dies, sagt der hochgelehrte Lessius, für eine Glaubenswahrheit halten: „Es ist für Glaubenssache zu halten, daß den Erwachsenen das Gebet zur Seligkeit notwendig sei, wie man aus der Schrift ersieht." (De Just. lib. 2 cap. 37 num. 9)

Sehr klar sind in dieser Hinsicht die Schriftstellen: Man muss allezeit beten. (Lk 18,1) Betet, auf daß ihr nicht in Versuchung fallet. (Lk 22,40) Bittet, und ihr werdet empfangen. (Joh 16,24) Betet ohne Unterlass. (1 Thess 5,16) Nun drücken die obbesagten Worte: „man muß, betet, bittet" nach dem allgemeinen Ausspruche der Kirchenlehrer mit dem heiligen Thomas (part. qu. 39 art. 3) ein Gebot aus, das unter einer schweren Sünde verbindet, besonders in drei Fällen: erstens, wenn der Mensch in Sünden lebt; zweitens, wenn er in Todesgefahr sich befindet; drittens, wenn er in großer Gefahr schwebt, eine Sünde zu begehen; und für gewöhnlich behaupten die heiligen Lehrer, wer einen oder höchstens zwei Monate lang nichts betet, der sei von der Todsünde nicht frei zu erklären. (Siehe Lessius in der angeführten Stelle) Die Ursache hievon ist: weil das Gebet ein Mittel ist, ohne welches wir den zu unserer Seligkeit nötigen Beistand nicht erhalten können.

Bittet, und ihr werdet empfangen. Wer bittet, der empfängt; wer also nicht bittet, sagt die heilige Theresia, der erhält nichts. Und vor ihr sprach der heilige Jakobus: Ihr habt nichts, weil ihr um nichts bittet. (Jak 4,2) Vorzüglich aber ist zur Erlangung der Tugend der Enthaltsamkeit das Gebet notwendig: Und da ich wusste, daß ich nicht enthaltsam sein konnte, wenn es mir von Gott nicht gegeben würde, so trat ich zu dem Herrn und bat ihn. (Weish 8,21) Laßt uns also hieraus folgenden Schluß ziehen: Wer betet, wird gewiß selig; wer nicht betet, wird gewiß verdammt. Alle, die selig geworden sind, wurden durch das Gebet selig. Alle, die verdammt worden sind, wurden verdammt, weil sie nicht beteten, und dies wird sie in der Hölle am meisten zur Verzweiflung bringen, daß sie durch das Gebet, so leicht hätten selig werden können, nun aber keine Zeit mehr sei, es zu tun.

 

Anmutungen und Bitten.

Ach mein Erlöser! wie konnte ich doch so dahinleben, ohne deiner zu gedenken? Du warst bereit, mir alle Gnaden zu verleihen, um die ich dich bitten würde, du wartetest nur auf meine Bitten; allein ich dachte nur an die Befriedigung meiner Sinne, indem mir wenig daran lag, deiner Liebe und deiner Gnaden beraubt zu werden. Herr! vergiß aller meiner Undankbarkeit, und erbarme dich meiner; verzeihe mir alle Beleidigungen, die ich dir zufügte, und gib mir Standhaftigkeit: gib mir die Gnade, dich immer um deine Hilfe zu bitten, damit ich dich, o Gott meiner Seele! nicht mehr beleidige. Laß mich hierin nicht so nachlässig sein, wie ich es vorher war. Gib mir Licht und Stärke, mich dir stets anzuempfehlen, vorzüglich dann, wann die Feinde mich versuchen, dich neuerdings zu beleidigen. Erweise mir, mein Gott, diese Gnade um der Verdienste Jesu Christi und jener Liebe willen, die du zu mir hast. Ich habe dich, meinen Herrn! genug beleidigt; nun aber will ich dich in dem mir übrigen Leben lieben. Gib mir deine heilige Liebe; diese wird mich stets erinnern, um Beistand dich zu bitten, wenn ich mich in Gefahr befinde, dich durch die Sünde zu verlieren. Maria! meine Hoffnung, von dir hoffe ich die Gnade, dir und deinem Sohne in meinen Anfechtungen mich immer anzuempfehlen. Erhöre mich, meine Königin! um deiner Liebe zu Jesu willen, erhöre mich.