30. Betrachtung

Von dem Gebete

„Bittet, und es wird euch gegeben werden ....

denn jeder, der bittet, empfängt."

(Lk 11,9 und 10)

 

1. Punkt

Nicht nur in dieser, sondern auch in tausend anderen Stellen des alten und neuen Bundes verspricht Gott, den zu erhören, der ihn bittet. Rufe zu mir, und ich will dich erhören (Jer 33,3); wende dich zu mir, und ich werde dich erhören. Rufe mich an......ich will dich erretten (Ps 49,15); rufe mir, und ich will vor Gefahr dich retten. Wenn ihr in meinem Namen um etwas bitten werdet, das werde ich tun (Joh 24,14); alles, was du von mir durch meine Verdienste verlangen wirst, will ich tun. Was immer ihr wollt, bittet darum, und es wird euch gegeben werden (Joh 15,7); begehrt, so viel ihr wollt; bittet nur, und es wird euch zuteil werden. Und viele andere ähnliche Stellen. Daher sprach Theodoretus, das Gebet ist zwar nur eines, und dennoch bringt es alles zustande: „Obwohl das Gebet eine einzige Sache ist, so vermag es dennoch alles." Der heilige Bernardus sagt, lasset uns bitten, so wird er uns entweder die verlangte Gnade erweisen oder eine noch nützlichere geben: „Entweder wird er geben, was wir verlangen, oder das, was er weiß, daß es uns nützlicher sei." (Serm. 5 in fer. 4. Ciner.) Zum Beten ermuntert uns der Prophet durch die Versicherung, daß Gott gegen jene, die ihn zur Hilfe rufen, voll Barmherzigkeit sei: Du, o Herr! bist liebreich und sanft, und von großer Barmherzigkeit gegen alle, die dich anrufen. (Ps 85) Noch mehr Mut macht uns der heilige Jakobus, indem er sagt: Bedarf jemand von euch der Weisheit, so begehre er sie von Gott, der allen im Überflusse gibt und uns nichts vorwirft. (Epist 1) Dieser Apostel sagt, wird der Herr gebeten, so breite er die Hände aus und gebe mehr, als man von ihm verlangt: Er gibt allen im Überfluß und wirft nichts vor und wirft uns die Unbilden nicht vor, die wir ihm antaten; bittet man ihn um etwas, scheint er aller ihm zugefügten Beleidigungen zu vergessen.

Der heilige Johannes Klimakus versichert uns, das Gebet zwinge gewissermaßen Gott, uns zu verleihen, so viel wir verlangen: „Das Gebet tut Gott auf fromme Weise Gewalt an." Gewalt - aber eine Gewalt, die ihm lieb ist und die er von uns wünscht. „Diese Gewalt ist Gott angenehm!" schrieb Tertullianus. Und mit Recht, denn Gott hat, wie der heilige Augustinus spricht, ein größeres Verlangen, uns Wohltaten zu erweisen, als wir, sie zu erhalten: „Er will dir mehr Guttaten spenden, als du zu empfangen verlangst." Und die Ursache davon ist, weil Gott seiner Wesenheit nach eine unendliche Güte ist. „Gott, dessen Natur Güte ist!" schreibt der heilige Leo; und deswegen hat er den innigsten Wunsch, seiner Güte uns teilhaft zu machen. Daher sagt die heilige Maria Magdalena von Pazzis, Gott sei jener Seele, die ihn bittet, gleichsam verpflichtet, indem sie ihm auf diese Weise den Weg eröffnet, seinen Wunsch zu befriedigen und seine Gnaden uns auszuspenden. Und David sagte, diese Güte des Herrn im schnellen Erhören desjenigen, der ihn bittet, habe ihm zu erkennen gegeben, daß er sein wahrer Gott sei: An was immer für einem Tage ich dich angerufen habe, siehe, da habe ich erfahren, daß du mein Gott bist. (Ps 55, 10) Mit Unrecht klagen einige, bemerkt der heilige Bernardus, daß der Herr sie verlasse; mit allem Rechte aber beklagt sich der Herr, daß viele ihn verlassen, indem sie nicht zu ihm kommen, ihn um Gnaden zu bitten: „Viele beschweren sich, es fehle ihnen an Gnade; allein viel billiger würde die Gnade sich beschweren, daß es ihr an vielen fehle." Und gerade hierüber scheint einst der Erlöser bei seinen Jüngern Klage geführt zu haben, indem er sagte: Bisher habt ihr um nichts in meinem Namen gebeten; verlanget, und ihr werdet erhalten, damit eure Freude vollkommen werde. (Joh 14,24) Beklaget euch nicht über mich, schien er zu sagen, wenn ihr nicht ganz glücklich gewesen seid; klaget vielmehr über euch selbst, daß ihr nicht Gnaden von mir begehrt habt: bittet mich darum von heute an, und ihr werdet zufrieden werden. Hieraus machten die alten Mönche in ihren Unterredungen den Schluß, es gebe keine nützlichere Übung, ums selig zu werden, als immer zu beten und zu sagen: Herr, hilf mir! Herr, merke auf meine Hilfe! Der ehrwürdige P. Paulus Segneri sagte von sich selbst, er habe in seinen Betrachtungen anfangs sich damit beschäftigt, Anmutungen zu erwecken; als er aber hernach die Wirksamkeit des Bittgebetes erkannte, so habe er sich meistenteils darin zu üben aufzuhalten gesucht. Laßt uns auch dasselbe tun; wir haben ja einen Gott, der uns überaus lieb hat und für unser Heil besorgt, und daher immer bereit ist, den zu erhören, welcher ihn bittet. Die Fürsten dieser Welt, sagt Chrysostomus, geben nur wenigen Gehör; Gott aber hört jeden an, der es verlangt: „Die Ohren des Fürsten stehen wenigen offen, Gottes Ohren aber allen, die nur wollen." (Lib. 2. de Orat. ad Deum.)

 

Anmutungen und Bitten

Ewiger Vater, ich bete dich an und danke dir für die Wohltaten, die du mir erwiesen hast. Ich danke dir, daß du mich erschaffen und durch Jesum Christum erlöset hast; daß du zum Christentume mich berufen und meiner gewartet hast, als ich in Sünden war; und daß du so oft mir verziehen hast. Ach, mein Gott, nimmermehr wäre ich gefallen und hätte dich nimmer beleidigt, hätte ich mich in Versuchungen stets zu dir geflüchtet. Ich danke dir für das Licht, womit du mich erkennen ließest, daß mein ganzes Heil darin bestehe, dich um Gnaden zu bitten und anzuflehen. Siehe demnach, ich bitte dich im Namen Jesu Christi um einen heftigen Schmerz über meine Sünden; ich bitte dich um die heilige Beharrlichkeit in deiner Gnade; ich bitte dich um einen glückseligen Tod; ich bitte dich um den Himmel und vor allem um die allergrößte Gabe - um Liebe zu dir und um eine vollkommene Ergebung in deinen heiligsten Willen. Ich weiß wohl, daß ich diese Gnaden nicht verdiene; allein du versprachst ja, dem sie zu geben, der dich durch die Verdienste Jesus Christi darum bittet; ich bitte dich also darum durch die Verdienste Jesu Christi und durch selbe hoffe ich sie auch. O Maria! Deine Bitten erhalten alles, was sie verlangen; bitte doch für mich.