29. Betrachtung

Von dem Himmel

 

3. Punkt

Der größte Kummer jener Seelen, die Gott auf dieser Welt lieben und in Trostlosigkeit sind, besteht in der Furcht, daß sie ihn nicht recht lieben und von Gott nicht recht geliebt werden. Der Mensch weiß nicht, ob er der Liebe oder des Hasses würdig sei. (Eccl 9,1) Im Himmel aber ist die Seele versichert, daß sie Gott liebe, und von Gott geliebt werde; sie sieht, daß sie glückselig in die Liebe ihres Herrn versunken sei, und daß sie der Herr wie eine teure Tochter umarmt halte, mit der Gewißheit, daß sich diese Liebe in Ewigkeit nie auflösen werde. Diese Liebesbrunst der Seele entzündet sich noch mehr durch die deutliche Erkenntnis, wie groß die Liebe Gottes war, da er für uns Mensch wurde und starb; durch die Erkenntnis, welche Liebe er uns erwies durch Einsetzung des allerheiligsten Sakraments, indem sich da Gott einem Wurme zur Speise hingibt. Deutlich wird dann die Seele durch die sämtlichen Gnaden erkennen, welche er ihr spendete, indem er von so vielen Versuchungen und Gefahren des Verderbens sie befreite; sie wird auch einsehen, daß jene Trübsale, Verfolgungen und Verluste, welche sie Unglücke und Strafen Gottes nannte, lauter Züge seiner Liebe und göttlichen Vorsichtigkeit gewesen sind, um sie in den Himmel einzuführen. Sie wird besonders die Langmut Gottes bewundern, indem er sie trotz so vieler Sünden ertrug, und seine Erbarmungen die er ihr erwies, indem er ihr so viel Licht, Einladungen und liebevolle Mahnungen gab. Von jener glückseligen Höhe herab wird sie viele Seelen in der Hölle sehen, die wegen weniger Sünden, als sie begangen hatte, verdammt wurden; sich selbst aber wird sie jubelnd gerettet fühlen, im Besitze Gottes mit der gewissen Versicherung, dies höchste Gut in alle Ewigkeit nicht mehr verlieren zu können. Der Selige wird daher diese Seligkeit ununterbrochen genießen, die ihm zugleich in jedem Augenblicke der ganzen Ewigkeit stets neu sein wird, als genösse er sie in diesem Augenblicke das erstemal. Immer wird er sich nach dieser Freude sehnen, und immer wird er sie inne haben; immer zufrieden und immer darnach dürstend; immer darnach dürstend und doch immer gesättigt. Und so ist es; denn das Verlangen im Paradiese verursacht kein Leid, und der Besitz verursacht keinen Überdruß. Kurz, so wie die Verdammten volle Gefäße des Zornes sind, so sind die Seligen volle Gefäße der Freude, so zwar, daß sie nichts mehr zu wünschen übrig haben. Die heilige Theresia sagt: auch auf dieser Welt, wann Gott eine Seele in den Weinkeller, das heißt in den Genuß seiner göttlichen Liebe einführt, macht er sie glückselig trunken, so daß sie die Neigung zu allen irdischen Sachen verliert. Treten aber die Auserwählten in das Paradies ein, o, um wie viel vollkommener werden sie, wie David sagt: vom Überflusse deines Hauses trunken werden! (Ps 35,9) Dann wird es geschehen, daß die Seele, wenn sie ihr höchstes Gut unverhüllt sieht und umfängt, so von Liebe berauscht werden wird, daß sie sich glücklicherweise in Gott verlieren und an nichts anderes mehr denken wird, als wie sie dieses unendliche Gut, das sie besitzt, würdig loben und preisen möge.

Drücken uns also die Kreuze dieses Lebens, so ermutigen wir uns mit der Hoffnung auf den Himmel, damit wir sie geduldig ertragen. Als der Abt Zosimus die heilige Maria von Ägypten am Ende ihres Lebens fragte, wie sie doch so viele Jahre in dieser Wüste habe aushalten können, antwortete sie: „Mit der Hoffnung auf das Paradies." Als dem heiligen Philippus Neri die Kardinalswürde angeboten wurde, warf er sein Biret in die Luft und rief: O Paradies, o Paradies! Hörte der Franciscaner Bruder Egidius nur das Wort „Himmel" aussprechen, so wurde er schon vor Entzücken in die Luft erhoben. Werden wir von den Armseligkeiten dieser Welt geängstigt, so wollen auch wir die Augen zum Himmel erheben und in Sehnsucht mit den Worten uns trösten: O Himmel, o Himmel! Bedenken wir, daß einst, sofern wir Gott treu bleiben, diese unsere Leiden, diese Armseligkeiten und Besorgnisse ein Ende haben, und wir in jenes glückselige Vaterland eingelassen und vollkommen glücklich sein werden, so lange Gott Gott sein wird. Sehet, schon warten auf uns die Heiligen, es harret Maria und Jesus auf uns mit der Krone in der Hand, um uns zu Königen jenes Reiches zu machen.

 

Anmutungen und Bitten

Mein lieber Heiland, du hast mich gelehrt, dich zu bitten: Zukomme uns dein Reich. So bitte ich dich demnach, es möge dein Reich auch in meine Seele kommen, so zwar, daß sie ganz dein Eigentum werde, und sie dich, o höchstes Gut! besitze. O mein Jesu! du unterließest nichts, um mich zu retten, und dir meine Liebe zu gewinnen; mache mich demnach selig; und mein ganzes Glück wird darin bestehen, dich in diesem und in dem anderen Leben stets zu lieben. Ich kehrte dir so oft den Rücken, und dessen ungeachtet lassest du mich wissen, daß du in dem Himmel in alle Ewigkeit mit solcher Liebe mich umfassen werdest, als hätte ich niemals dich beleidigt; soll ich nun, da ich dies weiß, etwas anderes als dich lieben können, indem ich doch sehe, daß du mir, obwohl ich so oft die Hölle verdiente, den Himmel geben willst? Ach, mein Herr, hätte ich dich doch nie beleidigt! O, würde ich wieder geboren, jeden Augenblick wollte ich dich lieben! Allein, was geschehen ist, das ist schon geschehen. Nun kann ich nichts anderes tun, als diesen Rest meines Lebens dir widmen. Ja, dir schenke ich mich ganz und gar; gänzlich widme ich mich deiner Liebe. Weichet aus meinem Herzen, ihr irdischen Neigungen, räumet meinem Gott den Platz, denn ganz will er es besitzen. Wohlan denn, nimm völligen Besitz von mir, mein Erlöser, meine Liebe, mein Gott! Von nun an will ich nur bedacht sein, dir zu gefallen. Unterstütze mich durch deine Gnade, dies hoffe ich von deinen Verdiensten. Vermehre in mir immer mehr deine Liebe, und das Verlangen, dir wohlzugefallen. O Paradies, o Paradies! Wann, o Herr! werde ich dich denn einmal von Angesicht zu Angesicht schauen, und mich mit dir vereinigen, ohne Furcht, dich wieder zu verlieren? Ach, mein Gott! strecke aus über mich deine rettende Hand, damit ich dich nicht mehr beleidige. O Maria! wann werde ich mich endlich im Himmel zu deinen Füßen sehen? Hilf mir doch, meine Mutter! laß mich nur nicht verdammt, und von dir und deinem Sohne entfernt werden.