29. Betrachtung

Von dem Himmel

 

2. Punkt

Nachdem die Seele in die Glückseligkeit Gottes eingegangen ist, wird es nichts mehr geben, was ihr zuwider wäre oder was sie betrüben könnte. Gott wird alle Tränen von ihren Augen wischen und der Tod wird nicht mehr sein; es wird weder Traurigkeit, noch Geschrei, noch Schmerzen hinfort sein; denn was zuvor war, ist vergangen. Und der auf dem Throne saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu. (Offb 21,4,5)

Im Himmel drückt keine Krankheit, keine Armut, keine Beschwerde mehr: es wechseln nicht mehr Tage und Nächte, stets heiterer Tag, ein beständiger, immer wonnevoller Frühling. Dort wütet keine Verfolgung und kein Neid mehr: in jenem Reiche der Liebe lieben sich alle gar zärtlich und jeder erfreut sich an dem Wohlsein des andern, als wäre es sein eigenes. Dort beugt keine Furcht mehr darnieder, denn nimmermehr kann die in der Gnade befestigte Seele sündigen und ihren Gott verlieren. Siehe, ich mache alles neu. Alles ist neu und alles erfreut und sättigt sie; Alles ist dort, was sie nur will. Sie wird nach Herzenslust dort jene vollkommen schöne Stadt beschauen können, die Stadt von vollkommener Schönheit. (Thren 2,15) Welch eine Wonne wäre es, eine Stadt zu sehen, wo das Pflaster der Wege von Kristall, die Paläste von Silber mit goldenen Dächern und alles mit Blumenkränzen geziert wäre. O, wie bei weitem schöner noch wird die himmlische Stadt sein! Welchen Anblick werden die Bürger dieser Stadt gewähren, die da alle königliche Kleider tragen, weil sie alle Könige sind: „So viele Bürger, eben so viele Könige." Wie erst wird Maria anzusehen sein, die schöner noch, als der ganze Himmel erglänzen wird! Wie endlich wird das göttliche Lamm, der Bräutigam Jesus anzuschauen sein? Kaum hatte die heilige Theresia eine Hand von Jesus Christus gesehen, so erstummte sie, ob so großer Schönheit. Der Geruch wird durch jene lieblichen Düfte befriedigt werden, welche ganz himmlische Wohlgerüche sind, und das Gehör mit himmlischem Wohlklange ergötzt werden. Der heilige Franciscus Seraphicus hörte einst von einem Engel einen einzigen Lautenton und wäre beinahe vor Lieblichkeit gestorben; welch eine Freude muß es erst sein, alle Heilige und Engel in ganzen Chören die Herrlichkeiten Gottes besingen zu hören? Sie werden dich ewig loben. (Ps 83,5) Wie lieblich aber vor allem wird aus Mariens holdem Munde das Lob Gottes erklingen? Die Stimme Maria im Himmel, sagt der heilige Franciscus Salesius, wird ertönen wie die Stimme einer Nachtigall im Gebüsche, die den Gesang aller übrigen Vögel daselbst weit übertrifft. Mit einem Worte, dort gibt es alle Ergötzungen, die man sich nur immer wünschen kann.

Allein diese bisher geschilderten Freuden sind die kleinsten Güter des Paradieses. Das Gut, welches eigentlich den Himmel ausmacht, ist das höchste Gut, welches Gott ist. „Alles, was wir erwarten, sagt der heilige Augustinus, besteht aus zwei Silben: Deus, d.h. Gott." - Der Lohn, welchen der Herr uns verspricht, besteht nicht bloß in jenen Schönheiten, in den Harmonien und anderen Freuden dieser glückseligen Stadt: die vorzüglichste Belohnung ist Gott selbst; denn dort sieht und liebt man Gott von Angesicht zu Angesicht. Ich selbst bin dein überaus großer Lohn. (Gen 15,1) Der heilige Augustinus sagt: „Ließe Gott sein Antlitz den Verdammten sehen, es würde selbst die Hölle augenblicklich verwandelt in das angenehme Paradies (Tom. 9. de tripl. habit.) Er fügt bei, wenn eine von diesem Leben abgeschiedene Seele freie Wahl hätte, Gott zu sehen und in die höllischen Qualen zu kommen oder ihn nicht sehen und von der Hölle befreit zu sein, so würde sie lieber Gott schauen und in jenen Peinen bleiben wollen. Diese Freude, Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen und zu lieben, können wir in diesem Leben nicht fassen; wohl aber können wir etwas davon ahnen aus der Erfahrung, welche lehrt, daß die göttliche Liebe schon in diesem Leben so süß ist, daß sie auf dieser Welt nicht nur die Seelen der Heiligen, sondern sogar auch ihre Körper über die Erde erhoben. Der heilige Philippus Neri wurde einst samt der Bank, an die er sich hielt, in die Luft erhoben. Der heilige Petrus von Alcantara wurde ebenfalls so gewaltsam emporgehoben, daß er einen Baum, den er umfaßte, entwurzelte und ihn mit sich fortriß. Ferner wissen wir, daß die heiligen Blutzeugen vor Süßigkeit der göttlichen Liebe sogar unter ihren Peinen jubelten. Da der heilige Vincentius gemartert wurde, redete er nach dem Berichte des heilige Augustinus auf solche Weise, als ob ein anderer gemartert würde und ein anderer spräche. Als der heilige Laurentius auf dem Roste gebraten wurde, spottete er des Tyrannen und sprach: Wende mich um und iß:" wohl, sagt der nämliche heilige Augustinus: denn von göttlicher Liebe erglühend, fühlte der heilige Laurentius gar nichts von diesem Feuerbrande. Welche Süßigkeit fühlt ferner schon ein Sünder hienieden, wenn er seine Sünden aufrichtig beweint! Daher sagte der heilige Bernardus: „Ist es schon so süß für dich zu weinen, wie süß wird es erst sein, deiner sich zu erfreuen?" Welche Wonne muß erst eine Seele fühlen, der beim Gebete die göttliche Liebe mit einem Lichtstrahle sich offenbart und das Erbarmen, welches Jesus mit ihr hatte und noch hat! Alsdann fühlt die Seele, daß sie zerschmelze und vor Liebe vergehe. Und doch sehen wir auf dieser Welt Gott nicht so, wie er eigentlich ist, wir sehen ihn hier nur wie im Dunkeln. Wir sehen jetzt gleichsam durch einen Spiegel im Dunkeln, alsdann aber von Angesicht zu Angesicht. (1 Kor 13,12) Gegenwärtig haben wir eine Binde vor den Augen und Gott steht hinter dem Vorhange des Glaubens und läßt sich nicht schauen; wie wird es sein, wenn die Binde von unseren Augen genommen und der Vorhang weggehoben wird, und wenn wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen werden? Da werden wir sehen, wie schön Gott ist, wie groß, wie gerecht, wie vollkommen und wie liebreich und liebenswürdig er ist!

 

Anmutungen und Bitten

Ach mein höchstes Gut! ich bin jener Elende, der sich von dir abgewendet und deiner Liebe entsagt hat. Ich wäre daher nicht würdig, dich zu sehen, noch dich zu lieben. Du aber bist es, der aus Erbarmen gegen mich kein Erbarmen mit sich selbst hatte, indem du dich verurteiltest, in Schmerzen und Schande auf dem schmachvollen Holze zu sterben. Dein Tod also gibt mir Hoffnung, einst dein Angesicht zu schauen, darob mich zu erfreuen und alsdann aus allen meinen Kräften dich zu lieben. Nun aber, da ich in Gefahr schwebe, dich für immer zu verlieren, nun, da ich finde, daß ich durch meine Sünden dich verloren habe, was soll ich in dem mir noch übrigen Leben tun? Soll ich fortfahren, dich zu beleidigen? Nein, mein Jesu, ich verfluche und hasse vom Grunde meines Herzens die dir zugefügten Beleidigungen: es ist mir höchst schmerzlich, dich beschimpft zu haben und ich liebe dich von ganzem Herzen. Wirst du wohl eine Seele verstoßen, die voll Reue ist und dich liebt? Nein, ich weiß gut, was du gesagt hast, daß du, mein geliebter Erlöser, niemand verstoßen könnest, der mit Reue zu deinen Füßen kommt: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht verstoßen. (Joh 6,37) Mein Jesu, ich verlasse alles und wende mich zu dir: ich umarme dich, ich drücke dich an mein Herz; umarme auch du mich und drücke mich an dein Herz. Ich wage es so zu reden; denn ich rede und unterhandle ja mit einer unendlichen Güte: ich spreche ja mit einem Gott, der aus Liebe zu mir freiwillig und gern gestorben ist. Mein teurer Heiland, gib mir Beharrlichkeit in deiner Liebe. Meine liebste Mutter Maria! erhalte mir diese Beharrlichkeit, um deiner Liebe zu Jesu Christo willen. Also hoffe ich, also sei es.