29. Betrachtung

Von dem Himmel

„Eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden." (Joh 16,20)

 

1. Punkt

Streben wir, mit Geduld die Trübsale dieses Lebens zu ertragen, indem wir sie Gott für die Leiden aufopfern, die Jesus Christus aus Liebe zu uns ausgestanden hat, und machen wir uns Mut und Hoffnung auf den Himmel. Alle unsere gegenwärtigen Ängste, Schmerzen, Verfolgungen, Besorgnisse werden ein Ende haben und uns, wenn wir das Heil erlangen, zur Quelle der Freuden und Wonne werden im Reiche der Seligen. So ermuntert uns der Herr: Eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden.(Joh 16,20) Betrachten wir also heute etwas von dem Himmel. Doch, was wollen wir von diesem Himmel sagen, da nicht einmal die aufs höchste erleuchteten Heiligen die Wonne uns begreiflich machen konnten, welche Gott seinen treuen Dienern vorbehält? David wußte davon nichts anderes zu sagen, als daß das Paradies ein überaus wünschenswürdiges Gut sei. Wie lieblich sind deine Wohnungen, o Herr der Heerscharen! (Ps 83,2) Aber, o heiliger Paulus! sage du uns doch etwas von dem, was du sähest, als du das Glück hattest, entzückt zu werden und das Paradies zu schauen; sage uns wenigstens nur einiges von dem, was du sähest. Nein, sagt der Apostel, es ist nicht möglich, zu erklären, was ich sah. Die himmlischen Freuden sind verborgene Worte, die kein Mensch aussprechen darf. (2 Kor 12,4) Sie sind so groß, daß man sie nicht erklären kann; nur genießen kann man sie. Ich kann euch nur so viel sagen, sprach der Apostel: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. (1 Kor 2,9) Kein Mensch auf Erden sah, hörte oder begriff die Schönheiten, die Eintracht, die Freuden, welche Gott jenen vorbereitet hat, die ihn lieben.

Gegenwärtig können wir die himmlischen Güter nicht begreifen, indem wir von ihnen keine Begriffe haben, sondern nur von den Gütern dieser Welt. Könnten die Pferde reden und wüßten sie, daß ihr Herr zu seiner Vermählung ein großes Gastmahl vorbereitet habe, gewiß würden sie sich einbilden, das Mahl würde in nichts anderem bestehen, als in gutem Heu, gutem Hafer und Gerste; denn die Pferde haben ja von einer anderen Nahrung keinen Begriff. Wir denken von den Gütern dieses Paradieses auf ähnliche Weise. Wir denken z.B., es ist schön, in einer Sommernacht den gestirnten Himmel zu betrachten; eine große Wonne ist es, im Frühlinge an einer Seeküste zu sein und im Meere bei großer Stille, die mit Gras bekleideten Felsen und die hin und her schießenden Fische aufhüpfen zu sehen; sehr ergötzlich ist es, sich in einem Garten zu befinden, der mit Früchten und Blumen prangt, und den frische Quellen durchfließen und der Gesang der Vögel belebt. O, ein Paradies! wird mancher sagen, o welch ein Paradies! Bei weitem anders aber sind die Güter des Himmels! Um nur von ferne etwas vom Himmel zu begreifen, stelle man sich vor, es sei der Wohnsitz eines allmächtigen Gottes, eines Gottes, der sich bestrebt, den Seelen, die er liebt, Freude zu bereiten! Der heilige Bernardus fragt: Willst du wissen, was es im Himmel gebe? Nichts ist da vorhanden, was du nicht willst; Alles ist da, was du verlangst. „Dort gibt es nichts, was mißfällt, und alles ist dort, was wohlgefällt."

O Gott! Was wird die Seele beim Eintritte in dieses Land der Glückseligkeit sagen? Bilden wir uns ein, es sterbe dieses Jungfräulein oder jener Jüngling, welcher der Liebe Jesu Christi sich geweihet hatte und nun, nachdem der Tod gekommen ist, diese Welt verläßt. Die Seele steht vor dem Gerichte; der Richter umarmt sie und erklärt ihr, sie sei selig. Da kommt ihr nun ihr heiliger Schutzengel voll Freundlichkeit und Wonne entgegen; sie dankt ihm für den geleisteten Beistand und der Engel spricht sodann zu ihr: Wohlan nun, meine schöne Seele, sei nur recht fröhlich, du bist ja selig; komm, das Angesicht deines Herrn zu schauen. Und sieh; schon eilt die Seele durch die Wolken, durch die Sphären und Sterne in den Himmel ein. O Gott! Was wird sie sagen, wenn sie das erste Mal in dies glückselige Vaterland tritt und den ersten Blick auf diese wonnenreiche Stadt wirft? Die Engel und Heiligen werden ihr entgegen kommen und jubelnd sie bewillkommen; welche Freude wird sie alsdann haben, wenn ihre Verwandten, die da schon früher in den Himmel gekommen sind, und ihre Schutzheiligen ihr entgegenkommen? Sie wird auf die Knie sinken wollen, um ihnen ihre Ehrfurcht zu bezeigen; allein diese Heiligen werden zu ihr rufen: Hüte dich, dies zu tun, denn ich bin ja dein Mitdiener. (Offb 22,9) Hierauf wird man sie hinführen, der allerseligsten Jungfrau Maria, als der Königin des Himmels, die Füße zu küssen. Welch zärtliche Liebe wird die Seele fühlen, wenn sie das erste Mal diese göttliche Mutter kennen lernt, die so große Hilfe geleistet, um sie selig zu machen; denn alsdann wird die Seele alle Gnaden erkennen, welche sie von Maria erhalten hatte, und nun wird sie sich in ihren liebevollen Armen geliebkost sehen! Hierauf wird die Seele von der Himmelskönigin selbst zu Jesus geführt werden, der sie wie eine Braut empfangen und zu ihr sprechen wird: Komme von dem Libanus, meine Braut, komme, du wirst gekrönt werden. (Hld 4,8) Sei nun fröhlich, meine Braut; vorbei sind die Tränen, die Leiden und Besorgnisse, empfange die ewige Krone, die ich durch mein Blut dir erworben habe. Sonach wird Jesus selbst zum Empfange des Segens zu seinem göttlichen Vater sie führen, der sie umarmen, segnen und zu ihr sagen wird: Gehe ein in die Freuden des Herrn. (Mt 25,21) Und mit der nämlichen Glückseligkeit wird er sie beglücken, die er da selbst genießt.

 

Anmutungen und Bitten

Siehe, o mein Gott! einen Undankbaren zu deinen Füßen. Du hattest ihn zwar für den Himmel erschaffen; allein er hat dir, elender Vergnügungen wegen oftmals ins Angesicht widerstrebt und lieber zur Hölle verdammt werden wollen. Doch, ich hoffe, du habest mir schon alle diese dir zugefügten Unbilden verziehen, die ich immer neuerdings bereuen, und bis zum Tode bereuen will, indem ich zugleich verlange, daß du sie immer wieder von neuem verzeihest. Aber o Gott! Wenn du mir auch Verzeihung gewährtest, so wird es doch immer wahr bleiben, daß ich mich erkühnte, dich, meinen Erlöser zu betrüben, der du dein Leben für mich geopfert hast, um mich in dein Reich aufnehmen zu können. Deine Barmherzigkeit, o mein Jesu! sei immerdar gelobt und gepriesen! denn mit übergroßer Geduld hast du mich ertragen, und anstatt mich zu strafen, hast du deine Gnaden, Erleuchtungen und Mahnungen noch vermehrt. Ich sehe, mein lieber Heiland, du willst mich wahrhaftig selig machen und in deinem Vaterlande haben, damit ich ewig dich liebe, du willst aber, daß ich vorher auf dieser Welt dich liebe. Nun wohlan, ich verlange dich zu lieben. Gebe es auch kein Paradies, so wollte ich dich dennoch, so lange ich lebe, aus allen Kräften lieben. Es genügt mir zu wissen, daß du, mein Gott, verlangst, von mir geliebt zu werden. Mein Jesu! Hilf mir mit deiner Gnade, verlaß mich nicht. Meine Seele ist ewig; darum werde ich entweder ewig dich lieben oder ewig dich hassen. Ach, ich begehre in Ewigkeit dich zu lieben und will dich in diesem Leben recht lieb haben, um dir im andern mit heißester Liebe zugetan zu sein! Verfüge mit mir, wie du willst, nur deiner Liebe beraube mich nicht und tue dann mit mir, was dir gefällt. Mein Jesu! deine Verdienste sind meine Hoffnung. O Maria! auf deine Fürbitte vertraue ich ganz und gar. Du bewahrtest mich vor der Hölle, als ich in Sünden war, jetzt da ich nach Gott mich sehne, wirst du mich um so eher selig und heilig machen.