28. Betrachtung

Gewissensbisse der Verdammten

 

2. Punkt

Der heilige Thomas lehrt, der größte peinliche Vorwurf der Verdammten werde darin bestehen, daß sie nun einsehen, wie sie wegen eines eitlen Nichts sich in den Abgrund stürzten, und wie leicht sie dagegen die himmlische Herrlichkeit hätten erwerben können, wenn sie nur gewollt hätten. „Es wird sie vorzüglich schmerzen, daß sie wegen eines Nichts verdammt wurden, und das ewige Leben gar leicht hätten erlangen können." Der zweite Gewissensbiß wird also darin bestehen, daß sie an das Wenige denken, womit sie sich hätten retten können. Dem heiligen Humbertus erschien ein Verdammter und sagte zu ihm: Der größte Schmerz, der in der Hölle ihn plagte, wäre gerade der Gedanke an das Wenige, weswegen er verdammt wurde, und an das Wenige, das er zu tun gehabt hätte, um selig zu werden. Der Elende wird also sagen: Hätte ich mir doch den Anblick dieses Gegenstandes versagt, hätte ich nur diese Menschenfurcht besiegt; hätte ich diese Gelegenheit geflohen, diesen Gefährten, diesen Umgang, so wäre ich nicht verdammt worden. Hätte ich doch wöchentlich gebeichtet; hätte ich die Kongregation und die geistlichen Vereine fleißig besucht, täglich dieses oder jenes Buch gelesen; hätte ich mich Jesu Christo und Maria anempfohlen, so wäre ich nicht wieder gefallen. So oft nahm ich mir vor, es zu tun, allein ich tat es nicht oder ich fing es an zu tun, und unterließ es dann wieder - und darum bin ich zu Grunde gegangen.

Die Qualen dieses Vorwurfes werden vergrößert durch die Erinnerung an die Beispiele, die er an seinen übrigen guten Freunden und Gefährten gehabt, und noch mehr an die Gaben, die ihm Gott zu seiner Heiligung verliehen hatte; und zwar natürliche Gaben, als: gute Gesundheit, Glücksgüter, Anlagen, die ihm Gott gegeben hatte, um sie gut anzuwenden und heilig zu werden; und übernatürliche oder Gaben der Gnade, als: so viele Erleuchtungen, Einsprechungen, Ermahnungen, Aufforderungen und so viele zur Verbesserung des verübten Bösen verliehene Jahre; nun aber muß er einsehen, daß in seinem jämmerlichen Zustande, in den er geraten ist, keine Zeit mehr zur Abhilfe sei. Er wird hören, was der Engel des Herrn mit einem Schwure beteuernd ausruft: Und der Engel, den ich stehen sah, schwur bei dem, der da von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt, daß keine Zeit mehr sein werde. (Offb 10,5,6)

O wie grausam werden alle diese erhaltenen Gnaden gleich Dolchstichen das Herz des Verdammten durchbohren, wenn er sehen wird, daß nun die Zeit vorüber sei, wo seinem ewigen Verderben hätte abgeholfen werden können! Heulend, gleich den übrigen verzweifelten Genossen, wird er jammern: Die Ernte ist vorüber, der Sommer hat ein Ende, und wir sind nicht errettet worden. (Jer 8,20) Er wird sagen: O hätte ich mir doch jene Mühe für Gott gegeben, welche ich anwendete, um verdammt zu werden! ich wäre ein großer Heiliger geworden; jetzt aber habe ich davon nichts als Gewissensbisse und eine Pein, die mich in Ewigkeit quälen wird! — Ach, dieser Gedanke wird den Verdammten mehr peinigen, als das Feuer und alle übrigen Qualen der Hölle, indem er zu sich selber sagen muß: Ich hätte für immer können glücklich werden, und nun bin ich unglücklich — für immer!

 

Anmutungen und Bitten

Ach, mein Jesu! Wie konntest du mich so lange ertragen? Ich kehrte dir oftmals den Rücken zu, du aber unterließest dennoch nicht, mir nachzugehen. Ich habe dich so oft beleidigt, und du hast mir verziehen; ich beleidigte dich zu wiederholten Malen, und du vergabst mir auf ein neues. Ach, laß mich teilnehmen an jenem Schmerze, den du im Garten Gethsemani über meine Sünden getragen und dadurch einen blutigen Schweiß vergossen hast. Es reuet mich, mein lieber Erlöser, deine Liebe so schlecht vergolten zu haben. O ihr, meine verfluchten Vergnügungen, ich verabscheue und verfluche euch; ihr brachtet mich um die Gnade meines Herrn. Mein geliebter Jesu! jetzt liebe ich dich über alles; ich entsage allen verbotenen Gelüsten und will lieber sterben, als dich wieder beleidigen. Ach, um jener Liebe willen, womit du mich am Kreuze geliebt und dein göttliches Leben für mich aufgeopfert hast, gib mir Licht und Stärke, den Versuchungen zu widerstehen und bei dir Hilfe in meinen Anfechtungen zu suchen! O Maria, meine Hoffnung! du vermagst alles bei Gott; erflehe mir die heilige Beharrlichkeit, erlange mir, daß ich mich nicht mehr von seiner heiligen Liebe trenne.