25. Betrachtung

Von dem allgemeinen Gerichte

 

3. Punkt

Doch siehe, schon beginnt das Gericht. Man eröffnet die Prozeßakten, nämlich das Gewissen eines jeden einzelnen Menschen. Man setzt sich zu Gericht und schlägt die Bücher auf. (Dan 7, 10) Zeugen gegen die Ungerechten werden fürs erste die bösen Feinde sein, welche nach der Meinung des heiligen Augustinus sagen werden: Gerechtester Gott, befiehl, daß jener, der nicht dir angehören wollte, mir zukomme. Fürs zweite wird das Gewissen eines jeden Zeuge sein, indem ihr Gewissen ihnen Zeugnis gibt. (Röm 2,15) Ferner werden sogar die Mauern jenes Hauses, wo die Sünder Gott beleidigten, um Rache schreien: Es werden die Steine aus der Mauer rufen. (Hab 2, 11) Zeuge wird endlich der Richter selbst sein, der bei allen ihm zugefügten Unbilden zugegen war: Ich bin Richter und Zeuge, spricht der Herr. (Jer 29,23) Der heilige Paulus sagt, der Herr werde alsdann an das Licht bringen, was in der Finsternis verborgen ist. (1 Kor 4, 5) Er wird sogar die geheimsten und schändlichsten Sünden der Gottlosen, die im Leben sogar vor den Beichtvätern verheimlicht wurden, nun vor aller Menschen Augen aufdecken. Ich will vor deinem Angesichte deine Schandtaten zeigen. (Nah 3, 5) Die Sünden der Auserwählten aber, meint der Magister Sententiarum nebst anderen, werden dazumal nicht offenbar, sondern verborgen bleiben, gemäß dem, was David sagte: Selig sind die, denen ihre Missetaten vergeben und deren Sünde bedeckt worden. (Ps 31,1) Dagegen werden die Sünden der Gottlosen, wie der heilige Basilius sagt, alle insgesamt sich dem Blicke darstellen, wie auf einem Gemälde: „Mit einem einzigen Blicke wird man sämtliche Sünden wie auf einem Gemälde ersehen." (Lib. 1, de vera Virg.) Der heilige Thomas bemerkt (Opus 60): Wenn schon im Garten Gethsemani auf die Worte Jesu Christi: „Ich bin es!" alle Soldaten, die ihn zu ergreifen kamen, zu Boden fielen, was wird erst dann geschehen, wenn er, auf seinem Richterstuhle sitzend, zu den Verdammten rufen wird: „Sehet, ich bin es, den ihr verachtet habt?" Was wird er als Richter tun, da er jenes tat, als er sich selbst dem Gerichte überlieferte?

Höre! Schon kommt es zum Urteilsspruche. Vorerst wird Jesus Christus zu den Auserwählten sich wenden und diese süßen Worte sprechen: Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmet Besitz von dem Reiche, das von Anbeginn der Welt euch bereitet ist. (Mt 25,34) Als dem heiligen Franziskus von Assisi geoffenbart wurde, daß er zur Seligkeit vorherbestimmt wäre, konnte er sich vor Trost nicht fassen. Wie groß muß nun die Freude sein, aus dem Munde des Richters selbst zu vermehren: Kommet, ihr gesegneten Kinder, kommet in das himmlische Reich, wo es keine Leiden mehr gibt und keine Furcht; ihr seid ja schon selig und werdet in Ewigkeit es sein. Ich segne jenes Blut, das ich für euch vergossen, ich segne jene Tränen, welche ihr über euere Sünden geweinet; laßt uns nun in das Paradies hinaufziehen, wo wir in alle Ewigkeit wohnen werden! Auch die allerheiligste Gottesgebärerin Maria wird ihre Verehrer segnen und einladen, mit ihr in den Himmel zu kommen, und so werden die Auserwählten unter dem Gesange: „Alleluja, Alleluja!" siegreich in das Paradies einziehen, um davon Besitz zu nehmen, und Gott in Ewigkeit zu besitzen, zu loben und zu lieben.

Die Verdammten hingegen werden zu Jesus sich wenden und zu ihm sagen: Und was haben denn wir Arme zu tun? Ihr, wird der ewige Richter erwidern, ihr? Gehet hinweg von mir, ihr Verfluchte, in das ewige Feuer. (Mt ibid.) Gehet hinweg von mir, entfernt euch, ich will euch weder sehen noch hören. Ihr Verfluchten, fort von mir, fort in die Verdammnis, denn ihr habt meinen Segen verschmäht. Und wohin, o Herr! sollen diese Elenden gehen? In das Feuer, in die Hölle, um an Seele und Leib zu brennen. Und auf wie viele Jahre, auf wie viele Jahrhunderte? Wie, Jahre — Jahrhunderte? Nein, in ein Feuer, welches ewig ist, und brennen wird, so lange Gott - Gott sein wird. Nach diesem Ausspruche werden die Gottlosen, sagt Ephrem, von den Engeln, von den Heiligen und von ihren Verwandten, ja selbst von der göttlichen Mutter Abschied nehmen: „Lebet wohl, ihr Gerechte! Lebe wohl, o Kreuz! Lebe wohl, o Himmel! Lebet wohl, Väter und Kinder, denn wir werden keinen von euch mehr sehen. Lebe auch du wohl, o Gottesgebärerin Maria!" (Eph. de variis torm. inf.) Und es wird sich inmitten des Tales ein großer Abgrund eröffnen, wohinein die Teufel und Verdammten insgesamt hinunterstürzen; und sie werden hinter sich, o Gott! hinter sich die Pforten sich schließen hören, die nie, nie, ja in alle Ewigkeit nimmermehr eröffnet werden. - O verfluchte Sünde, zu welch unglücklichem Ende wirst du eines Tages so viele arme Seelen bringen! O unglückliche Seelen, denen ein so beweinenswürdiges Ende bevorsteht.

 

Anmutungen und Bitten

Ach, mein Heiland und Gott! Welcher Ausspruch wird mich einst treffen? Wenn du, mein Jesus, jetzt über meinen Wandel Rechenschaft fordern würdest, was könnte ich dir zur Antwort sagen, außer: ich verdiene tausend Höllen! Ja fürwahr, mein Erlöser, tausend Höllen verdiene ich; doch wisse, daß ich dich liebe und daß ich dich mehr liebe als mich selbst; über die dir zugefügten Unbilden aber habe ich einen solchen Schmerz, daß ich wünschte, lieber jedes Übel gelitten, als dich beleidiget zu haben. Du verdammst, o mein Jesu, die verstockten Sünder, nicht aber jene, die Reue haben und das Verlangen, dich zu lieben. Siehe mich reumütig zu deinen Füßen, lasse mich hören, daß du mir verzeihest. Doch du ließest es mich schon durch den Propheten hören: Bekehret euch zu mir, so werde ich mich zu euch kehren. (Zach 1,3) Ich entsage nun allem; auf alle Freuden und Güter der Welt verzichte ich, ich wende mich wieder zu dir und umarme dich, mein geliebter Erlöser. Ach, nimm mich auf in dein Herz und von dort aus entzünde mich mit deiner Liebe; entflamme mich aber in dem Grade, daß ich nicht mehr daran denke, von dir mich zu entfernen. Mein Jesu, mache mich nur selig, und meine Seligkeit bestehe in einer immerwährenden Liebe zu dir und in beständigem Lobe deiner Erbarmungen. Den Erbarmungen des Herrn will ich in Ewigkeit Lob singen. Maria, meine Hoffnung, meine Zuflucht und meine Mutter, hilf mir doch und erhalte mir die heilige Beharrlichkeit. Nie ist jemand verloren gegangen, der seine Zuflucht zu dir nahm. Dir empfehle ich mich; nun so erbarme dich meiner.