25. Betrachtung

Von dem allgemeinen Gerichte

 

2. Punkt

Sind die Menschen erstanden, so wird ihnen von den Engeln angekündet werden, sie sollen alle im Tale Josaphat sich versammeln, um dort gerichtet zu werden. In dem Tale des Verderbens werden Völker über Völker sein; denn nahe ist der Tag des Herrn. (Joel 3,14) Nachdem sie versammelt sein werden, kommen die Engel und werden die Ungerechten von den Gerechten scheiden: Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten absondern. (Mt 13,49) Die Gerechten werden zur Rechten stehen, die Verdammten aber wird man zur Linken stellen. Welchen Schmerz würde man empfinden, aus der Gesellschaft der Menschen oder aus der Kirche sich verstoßen zu sehen? Aber wie bei weitem größer wird der Schmerz dann sein, wenn man sich aus der Gesellschaft der Heiligen ausgestoßen sieht? Was meinst du, wie groß wird nicht die Beschämung der Bösen sein, wenn sie nach ihrer Absonderung von den Gerechten sich verlassen sehen werden? (Auct. Op. imperf. hom. 54) Der heilige Chrysostomus sagt, wenn die Verdammten auch keinen anderen Schmerz hätten, so würde diese Beschämung allein hinreichen, ihre Hölle auszumachen. „Und hätten sie auch nichts anderes zu leiden, so würde diese ihre Beschämung hinlänglich sie bestrafen." (In Mt Kap. 24) Der Sohn wird von seinem Vater, der Mann von seinem Weibe, der Herr von seinem Diener getrennt werden; Einer wird aufgenommen, der andere aber verlassen werden. (Mt 24,40) Sage mir mein Bruder, was denkst du? welcher Ort wird dir zuteil werden? Möchtest du nicht zur Rechten dich befinden? Mein Lieber, verlaß nun den Weg, der zur Linken dich führt.

Auf dieser Erde hält man für glücklich die Fürsten und die Wohlhabenden; die Heiligen aber, welche in Armut und Demut leben - verachtet man. O ihr treuen Liebhaber Gottes? seid ja nicht traurig, wenn ihr euch in dieser Welt verachtet und geplagt sehet: Eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden. (Joh 16,20) Dann werdet ihr die wahrhaft Glücklichen genannt werden, und ihr werdet die Ehre haben, zu Mitgliedern des Hofstaates Jesu Christi erklärt zu werden. O welch einen schönen Anblick wird dann gewähren ein heiliger Petrus von Alcantara, der wie ein Auswürfling verachtet ward - ein heiliger Johannes von Gott, den man wie einen Narren behandelte - ein heiliger Petrus Cölestinus, der, wegen seiner Verzichtleistung auf die päpstliche Würde, in einem Kerker starb! O in welchen Ehren werden dann so viele andere Glaubenshelden erglänzen, welche einst von den Henkern zerfleischt worden? Alsdann wird Gott jedem sein gebührendes Lob erteilen. (1 Kor 4,5) Im Gegenteile aber, in welch schauerlichen Gestalt werden erscheinen ein Herodes, ein Pilatus, ein Nero, und so viele andere Große der Welt, die der Verdammnis anheimfielen! O ihr Liebhaber der Welt: im Tale erwarte ich euch, im Tale des Gerichtes. Dort werdet ihr ohne Zweifel andere Gesinnungen annehmen; dort werdet ihr eure Torheit beweinen. Ach ihr Elenden, die ihr nun auf der Schaubühne der Welt eine kurz Zeit euch brüstet — beim Trauerspiele des Gerichtes werdet ihr die Rolle der Verdammten spielen müssen! Die Auserwählten werden also zur Rechten gestellt werden, ja, zur Vergrößerung ihrer Herrlichkeit werden sie sogar, nach des Apostels Versicherung, in die Luft über die Wolken erhoben werden, um Jesu Christo mit den Engeln entgegenzuziehen, wann er von dem Himmel kommen wird: Wir werden mit ihnen in den Wolken durch die Luft Christo entgegen geführt werden. (1 Thess 4,16) Die Verdammten aber, als eben so viele Böcke zur Schlachtbank bestimmt, werden zur Linken verwiesen werden, um ihren Richter zu erwarten, welcher seine Feinde öffentlich vor aller Augen verdammen wird.

Und siehe, schon öffnen sich die Himmel, es kommen die Engel, dem Gerichte beizuwohnen, und tragen die Zeichen des Leidens Jesu Christi voran. Wenn der Herr zum Gerichte kommt, sagt der heilige Thomas, werden das Kreuz und die anderen Leidenswerkzeuge vorgezeigt werden. (Opusc. 2. c.) Vor allem wird das heilige Kreuz erscheinen: Und alsdann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen ... alsdann werden alle Geschlechter auf Erden heulen. (Mt 24,30) Cornelius a Lipide sagt: o wie werden dann die Sünder beim Anblicke des Kreuzes heulen, weil sie im Leben ihres ewigen Heils nicht achteten, welches dem Sohne Gottes so viel kostete! „Heulen werden jene, die ihr Heil, das Christo so teuer zu stehen kam, vernachlässigt haben." Hierauf werden, sagt der heilige Chrysostomus, die Nägel über dich Klage führen; es werden die Wundmale wider dich sprechen; das Kreuz Christi wider dich zeugen. (Hom. 20. in Matth.) Es werden diesem Gerichte gleichsam als Beisitzer auch die heiligen Apostel und ihre Nachfolger beiwohnen, die mit Jesu Christo zugleich die Völker richten werden: Die Gerechten werden leuchten, sie werden die Völker richten. (Weish 3,7,8) Auch die Königin der Heiligen und der Engel, Maria die allerseligste Jungfrau, wird sich einfinden, um dem Gerichte beizusitzen. Zuletzt wird der ewige Richter selbst erscheinen auf einem herrlichen und strahlenden Throne. Und sie werden des Menschen Sohn auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit kommen sehen. (Mt 24,30) Vor seinem Angesichte werden die Völker sich entsetzen. (Joel 2,6) Das Angesicht Jesu Christi wird die Auserwählten erfreuen, den Gottlosen aber größere Pein verursachen, als selbst die Hölle. Erträglicher, sagt der heilige Hieronymus, wären den Verdammten die Qualen der Hölle, als die Gegenwart Christi. Die heilige Theresia betete: „Mein Jesu, verhänge über mich alle Leiden, nur laß nicht zu, daß ich an jenem Tage dein erzürntes Angesicht schauen müsse." Und der heilige Basilius: „Diese Beschämung übersteigt jedwede Pein." Dann wird in Erfüllung gehen, was der heilige Johannes vorhersagte, daß die Verdammten die Berge beschwören werden, sie möchten über sie zusammenfallen, und vor dem Angesichte sie bedecken: Zu den Bergen aber werden sie sagen: Fallet über uns und verberget uns vor dem Angesichte dessen, der auf dem Throne sitzt und vor dem Zorne des Lammes. (Offb6,16)

 

Anmutungen und Bitten

O Lamm Gottes! o mein lieber Erlöser! der du auf die Welt kamst, nicht um zu strafen, sondern um die Sünden zu vergeben, ach verzeihe mir alsobald, ehe noch jener Tag kommt, an welchem du mein Richter sein wirst! O Lamm, welches mit so großer Geduld mich ertragen hat! Der Anblick deines erzürnten Angesichtes wäre, wenn ich zu Grunde gehen sollte, für mich die Hölle meiner Hölle. Ach, verzeihe mir, ich bitte dich noch einmal, verzeihe mir alsogleich! Ziehe mit deiner mitleidigen Hand mich aus dem Abgrunde heraus, in den ich durch meine Sünden geraten bin. Es reuet mich, dich, o höchstes Gut! beleidiget und so oft beleidiget zu haben. Ich liebe dich, mein Richter, der du mich so sehr geliebt hast. Ach, um der Verdienste deines Todes willen, gib mir eine so große Gnade, daß sie im Stande ist, mich aus einem Sünder in einen Heiligen umzuändern. Du gabst die Versicherung, denjenigen zu erhören, der dich bittet: Rufe zu mir und ich will dich erhören. (Jer 33,3) Nicht um irdische Güter bitte ich dich, nein, ich verlange deine Gnade, deine Liebe und nichts anderes. Erhöre mich, mein Jesu, um jener Liebe willen, die du zu mir trugst, da du am Kreuze für mich starbst. Mein geliebter Richter, ich bin ein Verbrecher, jedoch einer, der dich mehr liebt als sich selbst. Erbarme dich meiner! Maria, meine Mutter, eile und komme mir alsbald zu Hilfe; jetzt ist noch Zeit, da du mir helfen kannst. Du verließest mich nicht, als ich uneingedenk deiner und meines Gottes dahinlebte; komme mir jetzt zu Hilfe, da ich entschlossen bin, dir immer dienen zu wollen und meinen Herrn nicht mehr zu beleidigen. O Maria! du bist meine Hoffnung.