25. Betrachtung

Von dem allgemeinen Gerichte

„Man wird erkennen, daß der Herr Recht schafft." (Ps 9,17)

 

1. Punkt

Gegenwärtig gibt es, wenn man tiefer betrachtet, keine Person auf der Welt, die so sehr verachtet wäre, als Jesus Christus. Auf den gemeinsten Mann nimmt man mehr Rücksicht, als auf Gott; denn man befürchtet, derselbe möchte, wenn er sich allzusehr beleidiget sähe, in Zorn geraten und sich rächen; allein Gott fügt man Unbilden zu und fügt sie ihm wiederholt und oft zu, ohne sich im mindesten zu scheuen - gleichsam als könnte Gott nicht Rache nehmen, wann er wollte: Und sie hielten den Allmächtigen für ein ohnmächtiges Wesen. (Job 22,17) Deswegen bestimmte aber der Erlöser einen Tag, welches der Tag des allgemeinen Gerichtes sein wird, von der Schrift geradezu der Tag des Herrn genannt, wo Jesus Christus als jenen großen Herrn sich kund geben wird, der es ist: Man wird erkennen, dass der Herr Recht schafft. (Ps 9,17) Daher heißt dieser Tag nicht mehr Tag der Barmherzigkeit und der Verzeihung, sondern dieser Tag ist der Tag des Zorns, der Tag der Trübsale und der Angst: der Tag des Jammers und des Elends. (Zef 1,13); und so ist es auch; denn mit Recht wird dann der Herr die Ehre sich wieder verschaffen, welche die Sünder auf dieser Welt ihm zu rauben strebten. - Laßt uns sehen, wie das Gericht dieses großen Tages erfolgen werde.

Ehe der Richter kommt, wird Feuer vor ihm hergehen. (Ps 96,3) Es wird Feuer vom Himmel kommen, das die Erde und alle Dinge dieser Erde verbrennen wird. Die Erde samt allen Dingen, die darauf sind, wird verbrannt werden. (2 Petr 3,10) Also werden Kirchen, Paläste, Dörfer, Städte, Königreiche, ja alles zu einem Haufen Asche werden. Dieser durch die Sünden verpestete Wohnplatz muß durchs Feuer gereiniget werden. Siehe, ein solches Ende werden nehmen alle Reichtümer, alle Pracht und alle Vergnügen der Welt. Nachdem die Menschen gestorben sein werden, wird die Posaune ertönen und es werden alle auferstehen. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen. (1 Kor 15,52) Der heilige Hieronymus sagt (in Mt Kap. 5) „So oft ich über den Tag des Gerichtes betrachte, erzittere ich; immer scheint jene Posaune in meinen Ohren zu erschallen: Stehet auf, ihr Toten! kommet zum Gerichte!" Auf den Schall dieser Posaune werden die schönen Seelen der Seligen hervorgehen und mit ihren Leibern sich vereinigen, womit sie Gott in diesem Leben gedient haben; aber auch die unglückseligen Seelen der Verdammten werden von der Hölle heraufsteigen, um in jene verfluchten Körper zu fahren, womit sie Gott beleidiget haben.

O wie groß wird dann der Unterschied sein zwischen den Leibern der Seligen und jenen der Verdammten! Herrlich erscheinen die Seligen, blendendweiß und glänzender als die Sonne: Alsdann werden die Gerechten wie die Sonne leuchten. (Mt 13,43) O glückselig, wer immer in diesem Leben sein Fleisch abzutöten weiß; wer die verbotenen Gelüste ihm versagt und, um es mehr im Zaume zu halten, auch die erlaubten Sinnengenüsse ihm nicht gestattet und es so streng hält, wie es die Heiligen taten. O wie zufrieden wird man hierüber dann sein, wie es ein heiliger Peter von Alcantara war, der der heiligen Theresia sich offenbarend ausrief: „O glückselige Buße, die du mir eine so große Herrlichkeit verschafft hast!" Dagegen werden die Leiber der Gottlosen abscheulich, schwarz und stinkend erscheinen. O welche Pein wird dann der Verdammte haben, wenn er mit seinem Leibe sich wieder vereint! Verfluchter Leib! wird die Seele sagen, um dich zu befriedigen, bin ich zu Grunde gegangen. Und der Leib wird ihr entgegnen: verdammte Seele! du hattest die Vernunft; warum hast du mir jene Gelüste gestattet, welche dich und mich nun in alle Ewigkeit ins Verderben stürzten?

 

Anmutungen und Bitten

Ach mein Jesu und mein Erlöser! der du eines Tages mein Richter sein wirst: vergib mir, ehe dieser Tag herankommt. Wende dein Angesicht nicht von mir hinweg. Jetzt bist du mir noch Vater; als Vater nimm dein Kind in deine Gnade auf, das mit Reue zu deinen Füßen wieder zurückkehrt. Mein Vater, ich bitte dich um Verzeihung; ich habe dich mit Unrecht beleidiget, ich habe dich mit Unrecht verlassen; du verdientest jene schnöde Behandlung von mir wahrlich nicht. Es reuet mich, es schmerzt mich von ganzem Herzen; verzeihe mir! kehre nicht ab von mir dein Angesicht, wende deine Augen nicht von mir hinweg, verstoß mich nicht, wie ich es verdiente. Erinnere dich an das Blut, das du für mich vergossen hast, und habe mit mir Erbarmen! Der heilige Thomas von Villanova sagte: „ Gern unterziehe ich mich dem Gerichte desjenigen, der für mich gestorben ist, und, um mich ja nicht verdammen zu müssen, zum Kreuzestode sich verdammen ließ." Und dies sagte vor ihm der heilige Paulus: Wer wird uns verdammen? Christus Jesus, der gestorben ist? (Röm 8) Mein Vater, ich liebe dich und will in Zukunft nicht mehr von deinen Füßen weichen. Vergiß der Unbilden, die ich dir antat und gib mir eine inbrünstige Liebe zu deiner Güte. Ich wünsche dich mehr zu lieben, als ich dich vorher beleidigte; hilfst du mir aber nicht, so kann ich dich nicht lieben. Hilf mir, mein Jesu, hilf und laß mich dankbar gegen deine Liebe leben, damit ich mich an jenem Tage im Tale Josaphat unter der Zahl deiner Liebhaber sehen möge. O Maria! meine Königin und Fürsprecherin, hilf mir jetzt; denn gehe ich verloren, so kannst du mir an jenem Tage nicht mehr helfen. Du bittest ja für alle, so bitte denn auch für mich, da ich mich rühme, dein treuer Diener zu sein, und da ich auf dich ein so großes Vertrauen habe.