24. Betrachtung

Von dem besonderen Gerichte

„Wir müssen alle vor dem

Richterstuhle Christi offenbar werden."

(Kor 5,10)

 

1. Punkt

Betrachten wir das Erscheinen vor dem Richter, die Anklage, die Untersuchung und das Urteil. Was fürs Erste das Erscheinen der Seele vor dem Richter betrifft, so ist es eine allgemeine Meinung der Gottesgelehrten, daß das besondere Gericht im nämlichen Augenblicke, da der Mensch den Geist aufgibt, stattfinde, und daß die Seele gerade dort, wo sie sich vom Leibe trennt, von Jesu Christo gerichtet werde, welcher zur Schlichtung ihrer Sache keinen andern schicken, sondern persönlich kommen werde. Des Menschen Sohn wird zu einer Stunde kommen, da ihr es nicht vermeinet. (Lk 12,40) „Liebreich wird er den Guten, furchtbar den Bösen erscheinen", sagt der heilige Augustinus. Welcher Schrecken wird den überfallen, der den Erlöser das erste Mal sehen und ihn erzürnt sehen wird! Wer wird vor seinem Zorne bestehen? (Nah 1,6)

Bei dieser Betrachtung zitterte P. Ludovicus da Ponte so sehr, daß auch die Zelle, die er bewohnte, davon erbebte. Da der ehrwürdige P. Juvenalis Ancina den Hymnus: „Tag des Zorns" singen hörte und an den Schrecken dachte, den die Seele haben wird, wenn sie vor dem Gericht erscheinen muß, entschloß er sich, die Welt zu verlassen: und tat es auch wirklich. Die zürnende Miene des Richters wird ein Vorspiel deiner Verdammung sein. Des Königs Zorn ist des Todes Vorbote. (Spr 16,14) Der heilige Bernardus sagt, die Seele werde, wenn sie damals Jesum erzürnt sieht, mehr leiden, als wenn sie in der Hölle selbst wäre. „Lieber noch möchte sie in der Hölle sein."

Man sah manchmal Verbrecher kalten Schweiß vergießen, wenn sie vor dem weltlichen Richter standen. Als Piso mit dem Kleide eines Missetäters angetan vor dem Rate erschien, fühlte er sich so beschämt, daß er sich selbst tötete. Erwäge, wie peinlich es für ein Kind sei oder für einen Untertan, seinen Vater oder Fürsten heftig erzürnt zu sehen! O welch eine bei weitem noch größere Qual wird beim Anblicke Jesu Christi jene Seele haben, die ihn in ihrem Leben verachtete! Sie werden mich, den sie durchstochen haben, sehen. (Zach 12,10) Die Seele wird jenes Lamm Gottes, welches so viel Geduld mit ihr im Leben hatte, damals ganz entrüstet sehen, ohne Hoffnung, es besänftigen zu können; sie wird Berge und Felsen beschwören, sie sollten über sie zusammenstürzen, um sie vor der Wut des erzürnten Lammes zu verbergen: Sie rufen zu den Bergen und Felsen: Fallet über uns und verberget uns vor des Lammes Zorn. (Offb 6,16) Der heilige Lukas sagt, da er von dem Gerichte redet: Dann werden sie des Menschen Sohn sehen. (Lk 21,27) O wie peinlich wird der Anblick des Richters in Menschengestalt für den Sünder sein; Denn bei dem Anblicke dieses Menschensohnes, der für sein Heil gestorben ist, wird er die Vorwürfe über seine Undankbarkeit noch tiefer empfinden. Nachdem der Heiland in den Himmel gefahren war, redeten die Engel die Jünger also an: Dieser Jesus, der vor euch in den Himmel ist aufgenommen worden, wird, so wie ihr ihn in den Himmel fahren gesehen, wiederkommen. (Apg 1,11) Der Richter wird also mit den nämlichen Wundmalen kommen zum Gerichte, mit welchen er von der Welt geschieden ist: „Eine große Freude für die, welche ihn anschauen, ein großer Schrecken für jene, die ihn erwarten werden", bemerkt Rupertus. Diese Wunden werden den Gerechten erfreulich, furchtbar aber den Sündern. Als Joseph zu seinen Brüdern sprach: „Ich bin Joseph, den ihr verkauft habt", verstummten diese, sagt die Schrift, und es versagte ihnen die Stimme: Seine Brüder konnten nicht antworten, denn sie waren vom Schrecken ganz getroffen. (Gen 45,3) Und, was wird wohl der Sünder dann Jesu Christo erwidern können? Wird er etwa Mut haben, um Erbarmung zu bitten, da er gerade ganz vorzüglich darüber wird Rechenschaft ablegen müssen, daß er die ihm dargebotene Barmherzigkeit im Leben verachtete und zurückstieß. „Wie wirst du dich erkühnen, fragt Eusebius von Emessa, um Barmherzigkeit zu bitten, da du vorzüglich wegen Verachtung der Barmherzigkeit wirst gerichtet werden?

Was wird also geschehen? fragte der heilige Augustinus; wohin wird der Sünder fliehen, wenn er über sich den erzürnten Richter hat, unter sich das schauerliche Totenreich, zu seiner Rechten die Sünden als seine Kläger, zur Linken die bösen Geister, die ihn zum Richtplatze schleppen, von Innen die Folter des Gewissens; o weh, von allen Seiten angegriffen — wohin wird der Sünder fliehen?

 

Anmutungen und Bitten

O mein Jesu! immer will ich dich Jesus, meinen Heiland nennen; Trost und Mut gewährt mir dein Name, indem ich mich erinnere, daß du mein Retter seiest, der für mich gestorben ist, um mich selig zu machen. Siehe mich zu deinen Füßen; ich bekenne, daß ich eben so viel Höllen verdiene, als ich dir Beleidigungen durch meine Todsünden zufügte. Ich verdiene nicht Verzeihung; doch du bist ja gestorben, um mir Verzeihung zu erwerben: „Gedenke guter Jesu, gedenk des Weges voll Beschwerden und lasse drum mir Gnade werden." Verzeihe mir, mein Jesu! alsobald, bevor du noch mich zu richten kommst. Dann werde ich dich nicht mehr um Barmherzigkeit bitten können; jetzt aber kann ich dich darum bitten und hoffe sie auch. Zu jener Zeit werden deine Wundmale mich schrecken: jetzt aber flößen sie mir Vertrauen ein. Mein lieber Erlöser! es reuet mich über alles Übel, deine unendliche Güte beleidiget zu haben. Ich nehme mir vor, lieber jedes Leiden, jeden Verlust anzunehmen, als deine Gnade zu verscherzen. Ich liebe dich aus meinem ganzen Herzen. O habe doch Mitleid mit mir: Erbarme dich meiner, o Gott! nach deiner großen Barmherzigkeit. O Maria, Mutter der Barmherzigkeit! Fürsprecherin der Sünder! erhalte mir einen großen Schmerz über meine Sünden, Verzeihung derselben und Barmherzigkeit in der göttlichen Liebe. Ich liebe dich, meine Königin und vertraue auf dich.