23. Betrachtung

Täuschungen, die der böse Geist den Sündern einflüstert

 

3. Punkt

Ich bin ja jung, spricht abermals ein anderer; Gott hat Nachsicht mit der Jugend; später werde ich mich Gott schon übergeben. Dies ist die fünfte Täuschung. - Du bist jung? Weißt du aber nicht, daß Gott nicht die Jahre, sondern die Sünden eines jeden zählt? Jung bist du? Allein wie viele Sünden hast du begangen? Es wird viele Alte geben, die nicht einmal den zehnten Teil der Sünden begangen haben, die du bereits verübt hast. Und weißt du nicht, daß der Herr die Zahl und das Maß der Sünden, die er jedem verzeihen will, festgesetzt habe? Der Herr wartet mit Geduld, sagt die Schrift, dass er sie, wenn der Tag des Gerichtes kommen und das Maß der Sünden voll sein wird, strafe. (2 Makk 6,14) Das heißt, Gott hat Geduld und wartet bis zu einem gewissen Maß; ist aber dieses Maß der Sünden, die er zu verzeihen bestimmt hat, voll, dann vergibt er nicht mehr und straft den Sünder mit einem plötzlichen Tod zu einem Zeitpunkt, wo er im Stande der Verwerfung ist; oder er überläßt ihn seinen Sünden, und diese Strafe ist noch ärger, als selbst der Tod: Seinen Zaun will ich hinwegnehmen und er soll zum Raube werden. (Jes 5,5) Wenn du Grund und Boden hast, den du mit einem Zaune rings herum umgeben, schon mehrere Jahre hindurch angebauet, viele Unkosten darauf verwendet hast und nun siehst, daß der Boden dennoch keine Frucht bringe, was wirst du tun? Du nimmst den Zaun hinweg und lassest ihn unbebaut liegen. Zittere, daß es Gott mit dir nicht ebenso mache. Wenn du fortsündigen wirst, so wirst du die Gewissensbisse verlieren, nicht mehr an die Ewigkeit, noch an deine Seele denken, fast ganz um das Licht kommen und die Furcht Gottes verlieren: Siehe, nun ist der Zaun weg und du bist von Gott verlassen!

Wir kommen nun zur letzten Täuschung. Du sagst: Es ist wahr, durch die Sünde verliere ich Gottes Gnade; ich spreche mir selbst das Verdammungsurteil und kann auch vielleicht dieser Sünde wegen verdammt werden; allein es kann auch geschehen, daß ich hernach beichte und selig werde. - Ja, ich gib dir's zu, vielleicht wirst du noch selig; denn ich bin ja kein Prophet und kann daher nicht ganz gewiß sagen, ob dir Gott nach dieser Sünde vielleicht abermals Barmherzigkeit erzeigen werde. Doch kannst du auch mir das nicht ableugnen, daß es leicht möglich ist, daß, wenn du jetzt abermals nach so vielen Gnaden, die Gott dir erwiesen hat, ihn wieder beleidigest, du für immer zu Grunde gehen könnest. So spricht die Schrift: Einem verstockten Herzen wird es am Ende übel ergehen. (Eccl 3,27) Dem hartnäckigen Herzen wird es im Tode schlecht gehen. Die Boshaften werden vertilgt werden. (Ps 36,9) Die Bösen werden von der göttlichen Gerechtigkeit vernichtet werden. Was der Mensch säet, das wird er auch ernten. (Gal 6,8) Wer Sünden säet, wird am Ende nichts als Pein und Qualen ernten. Weil ich rief und ihr euch geweigert habet, so will ich zu eurem Untergange lachen und euer spotten. (Spr 1,24) Ich habe euch gerufen, sagt Gott, und ihr habt meiner gespottet, bei eurem Tode werde auch ich euer spotten. Mein ist die Rache und ich will vergelten zu seiner Zeit. (Dm 32,35) Mir steht die Rache über die Sünden zu und ich werde sie an dir nehmen, wenn die Zeit herangekommen sein wird. Dies sind Aussprüche der Heiligen Schrift über die Verstockten, dies fordert die Gerechtigkeit, dies die Vernunft. Sagst du endlich: Vielleicht werde ich ungeachtet alles dessen dennoch selig, so erwidere ich dir zum Schlusse: Möglich ist es; allein welche Torheit ist es, sein ewiges Heil auf die Möglichkeit, auf ein „vielleicht" gründen zu wollen. Soll man das allerwichtigste Geschäft einer so großen Gefahr aussetzen?

 

Anmutungen und Bitten

Mein teurer Erlöser! Vor deine Füße hingeworfen, danke ich dir dafür, daß du mich nach so vielen Sünden nicht verlassen hast. Wie viele, "die dich weniger als ich beleidigten, werden das Licht nicht haben, das du gegenwärtig mir gibst. Ich sehe, daß du mich wirklich selig haben willst, und ich will, vorzüglich um dir wohlzugefallen, selig werden. Ich will in den Himmel kommen, um ewig diese so großen Erbarmungen zu preisen, die du mir erwiesen hast. Ich hoffe, du werdest mir bereits schon verziehen haben; wäre ich aber vielleicht noch in deiner Ungnade, weil ich die dir zugefügten Beleidigungen nicht gehörig zu bereuen verstand, so bereue ich sie nun von ganzer Seele, sie fallen mir schmerzlicher als jedes Übel. Verzeihe mir um deiner Barmherzigkeit willen, und vermehre immer mehr den Schmerz in mir, dich, meinen so guten Gott, beleidigt zu haben. Gib mir Schmerz und verleihe mir auch Liebe. Ich liebe dich über alles, doch ich liebe dich allzu wenig; ich will dich recht sehr lieben; um eine inbrünstige Liebe bitte ich dich und hoffe sie auch von dir. Erhöre mich, mein Jesu; du versprachst, dem Gehör zu geben, der dich bittet. O Maria, Mutter Gottes! Alle sagen, du lassest niemand ungetröstet von dir hinweggehen, der dir sich anempfiehlt. O Maria, nach Jesu meine Hoffnung! Zu dir nehme ich meine Zuflucht und zu dir fasse ich Vertrauen; empfiehl mich deinem Sohne und mache mich selig.