22. Betrachtung

Von der bösen Gewohnheit

„Wenn der Gottlose in den Abgrund

der Sünden gekommen sein wird, verachtet er es."

(Spr 18,3)

 

1. Punkt

Einer der größten Nachteile, den Adams Sünde uns verursachte, ist die böse Neigung zum Sündigen. Dies preßte dem Apostel Tränen aus seinen Augen, indem er von der sinnlichen Begierde zu bösen Handlungen sich angetrieben sah, die er doch so sehr verabscheute. Ich empfinde in meinen Gliedern ein anderes Gesetz... das mich unter dem Gesetze der Sünde gefangen hält. (Röm 7,24) Und daher wird es uns, die wir mit dieser bösen Begierlichkeit behaftet sind, nebst den vielen Feinden, die uns zum Bösen reizen, so schwer, schuldlos in unser heiliges Vaterland zu gelangen. Diese unsere Gebrechlichkeit im Auge, frage ich dich nun: Was würdest du wohl von einem Reisenden sagen, der mit seinem halb zerbrochenen Schiffe das Meer durchfahren wollte bei einem großen Sturmgewitter, und der überdies dasselbe noch beladen würde mit einer Last, welche, wenn auch kein Sturm und das Schiff stark wäre, dennoch hinreichend wäre, es zu versenken? Was würdest du von dem Leben dieses Menschen schon im voraus sagen? Dasselbe kannst du mit Recht auch von einem Menschen sagen, der böse Gewohnheiten hat. Denn auch dieser durchsegelt das Meer dieses Lebens (diese stürmische See, wo so viele ihren Untergang finden) mit einem schwachen und zertrümmerten Fahrzeuge (welches unser Fleisch ist, mit dem wir vereint sind), und will selbes überdies noch mit seinen Gewohnheitssünden schwer beladen. Diese wird schwerlich sich retten; denn die böse Gewohnheit verblendet den Verstand, verhärtet das Herz, und dadurch geschieht es leicht, daß er bis zum Tode verstockt bleibt.

Fürs erste verblendet die böse Gewohnheit. Woher kommt es, daß die Heiligen Gott immer um Licht bitten, daß sie fürchten und zittern, auch die schlimmsten Sünder der Welt zu werden? Daher, weil sie wissen, daß, wenn sie nur einen Augenblick das Licht verlieren würden, sie jede Lastertat begehen könnten. Woher kommt es, daß so viele Christen hartnäckig in der Sünde leben wollten, bis sie endlich verdammt worden sind? Ihre Bosheit hat sie verblendet. (Weish 2,21) Die Sünde nahm ihnen das Licht, und so gingen sie zu Grunde. Jede Sünde hat die Verblendung zur Folge; und wie die Sünden sich mehren, so vermehrt sich die Verblendung. Gott ist unser Licht; je mehr also die Seele von ihm sich entfernt, desto mehr erblindet sie. Die Laster werden bis in seine Gebeine dringen. (Job 20,11) So wie in ein Geschirr voll Erde das Sonnenlicht nicht eindringen kann, ebensowenig kann das göttliche Licht ein lastervolles Herz erleuchten. Hieraus ist erklärlich, wie lau gewordene Sünder das Licht verlieren und dann von Sünde zu Sünde schreiten und nicht einmal mehr daran denken, sich zu bessern. Die Gottlosen gehen rings umher. (Ps 11,9) Sind diese Elenden endlich in diesen finstern Abgrund gestürzt, so können sie nichts als sündigen, so denken sie an nichts, als an das Sündigen, und sie wissen beinahe nicht mehr, daß die Sünde etwas Böses sei. „Die Angewöhnung des Bösen", sagt der heilige Augustinus, „läßt dem Sünder das Böse nicht sehen, das er verübt." Daher leben sie, als glaubten sie nicht mehr, daß es einen Gott, einen Himmel, eine Hölle, eine Ewigkeit gebe. Und siehe! Vor der Sünde, die man früher fürchtete, hat man wegen der bösen Gewohnheit gar keine Furcht mehr. Treibe sie um wie ein Rad und wie Stoppeln vor dem Winde. „Ihr sehet - sagt der heilige Gregorius - wie leicht ein Strohhalm auch von einem geringen Winde fortgetrieben wird." Das nämliche kannst du auch an jenem bemerken, der früher vor seinem Falle wenigstens eine Zeit lang Widerstand leistete und mit der Versuchung kämpfte; ist ihm aber nun das Böse schon zur Gewohnheit geworden, so fällt er bei jeder kleinen Anfechtung und so oft sich ihm Gelegenheit zum Sündigen darbietet. Und warum? Weil die böse Gewohnheit ihm das Licht genommen hat. Der heilige Anselmus sagt, der Teufel mache es mit gewissen Sündern wie einer, der einen Vogel an einen Faden gebunden: „Er läßt ihn zwar fliegen; wenn er aber will, zieht er ihn sogleich wieder zu Boden." So sind, wie dieser Heilige sich ausdrückt, die Gewohnheitssünder beschaffen: „Durch eine böse Gewohnheit ins Netz gezogen, werden sie vom Feinde festgehalten; fliegen sie auch, so fallen sie doch wieder in die nämlichen Laster." (Ap. Edinor. in vita lib. 2) Einige, fügt der heilige Bernardinus von Siena hinzu (tom, 4, Serm. 15), fahren fort zu sündigen, auch ohne Gelegenheit. Der Heilige sagt, die Gewohnheitssünder werden den Windmühlen gleich, welche von jedem Winde herumgetrieben werden; sie gehen bei jedem Wehen des Windes herum, wenn auch kein Korn zu mahlen darauf ist und wenn auch der Eigentümer nicht will, daß sie sich bewegen. Du wirst sehen, daß ein Gewohnheitssünder auch ohne Veranlassung, ohne Lust und beinahe wider Willen den bösen Gedanken nachhänge, von der bösen Gewohnheit mit Gewalt dazu getrieben. Der heilige Johannes Chrysostomus sagt: „Etwas Hartes ist die böse Gewohnheit, denn sie zwingt, manchmal wider Willen etwas Verbotenes zu tun." Und so ist es; denn die böse Gewohnheit wird dann, wie der heilige Augustinus lehrt, gewissermaßen Bedürfnis: „Widersteht man der Gewohnheit nicht, so wird sie zum Bedürfnis." Und wie der heilige Bernardinus hinzusetzt, wird die Gewohnheit auch zur zweiten Natur. So wie also der Mensch Atem holen muß, so scheint auch den Gewohnheitssündern, welche Leibeigene der Sünde geworden sind, das Sündigen zur zweiten Natur zu werden. Ich sagte: „Leibeigene", denn Knechte nennt man die, die um Lohn dienen; die Leibeigenen aber dienen aus Zwang, ohne Lohn. Diesen gleichen einige Elende, die da sündigen, ohne hiezu Lust zu haben.

Wenn der Gottlose in den Abgrund der Sünde gekommen sein wird, verachtet er sie. (Spr 18,3) Dies erklärt der heilige Chrysostomus von dem Gewohnheitssünder, welcher in diesen Abgrund der Finsternis versunken und keine Kirchenstrafen, keine Predigten, keine Zurechtweisungen, selbst die Hölle und auch Gott nicht mehr achtet; er verachtet alles und wird elend, gleich einem Geier, der, um das Aas nicht von sich zu lassen, lieber auf demselben von den Jägern sich erschießen läßt. Es erzählt P. Recupito, ein zum Tode Verurteilter habe noch auf der Richtstätte in einen bösen Gedanken eingewilligt, indem er auf dem Wege dahin, seine Augen erhebend, ein Mädchen erblickte. Auch P. Gisolfo erzählt, ein Gotteslästerer, der ebenfalls zum Tode verurteilt war, sei, während er von der Leiter herabgeworfen wurde, in eine Gotteslästerung ausgebrochen. Der heilige Bernardus versichert sogar, für Gewohnheitssünder helfe kein Beten mehr, man müsse sie vielmehr als Verdammte beweinen. Wie sollten sie aber aus ihrem Abgrunde herauskommen, wenn sie bereits nicht mehr sehen? Da muß die Gnade Wunder wirken. Die Elenden werden in der Hölle erst die Augen öffnen; doch dann wird es ihnen zu nichts anderem dienen, als um ihre Torheit desto bitterer zu beweinen.

 

Anmutungen und Bitten

Mein Gott! Du hast mit deinen Wohltaten mich ausgezeichnet, denn du hast mir mehr Gutes getan als anderen; ich aber habe dich gleichsam mit Missetaten ausgezeichnet, indem ich dich mehr beschimpfte, als jede mir bekannte Person. O schmerzvolles Herz meines Erlösers! das am Kreuze ob dem Anblicke meiner Sünden so betrübt und gequält wurde, gib mir doch durch deine Verdienste eine lebhafte Erkenntnis und einen recht heftigen Schmerz über meine Verbrechen. Ach, mein Jesu! ich bin voll von Lastern, du aber bist allmächtig; du kannst ja deine heilige Liebe in vollem Maße mir schenken. Auf dich also stütze ich mich, denn du bist eine unendliche Güte, eine unendliche Barmherzigkeit! Es reuet mich, o höchstes Gut! dich beleidiget zu haben. O wäre ich lieber gestorben und hätte ich doch nie dir ein Mißfallen verursacht! Ich vergaß auf dich; doch du hast nicht auf mich vergessen, ich erkenne es an dem Lichte, das du mir jetzt gibst. Da du mir also Licht gewährest, so verleihe mir auch die Kraft, dir treu zu sein. Ich verspreche, tausend Mal lieber zu sterben, als dir jemals wieder den Rücken zu kehren; doch auf deiner Hilfe beruhen meine Hoffnungen: Auf dich, o Herr! habe ich gehofft, ich werde in Ewigkeit nicht zu Schanden werden. Von dir, mein Jesu! hoffe ich, daß ich mich niemals mehr durch eine Sünde beschämt und deiner Gnade beraubt sehen werde. Auch zu dir, o Maria, meine Frau, wende ich mich: Auf dich, o Frau! habe ich gehofft, ich werde in Ewigkeit nicht zu Schanden werden. Auf deine Fürsprache vertrauend, erwarte ich, o meine Hoffnung! daß ich mich nie mehr als einen Feind deines Sohnes sehen werde. Ach bitte ihn, er möge mich lieber sterben lassen, als diesem größten Unglücke mich preisgeben.