21. Betrachtung

Unglückliches Leben des Sünders und glückliches Leben desjenigen, der Gott liebt.

 

3. Punkt

Es sind also sämtliche Güter und Vergnügungen dieser Welt nicht fähig, das menschliche Herz zu befriedigen? Was ist denn aber im Stande, ihm Genüge zu leisten? Nur Gott: Erfreue dich im Herrn und er wird dir nach dem Verlangen deines Herzens geben. (Ps 36,4) Des Menschen Herz forscht immer nach einem Gute, wodurch es befriedigt werden könnte. Es genießt Reichtümer, Vergnügungen, Ehren und gibt sich nicht zufrieden; denn dies sind Güter, die ein Ende nehmen, das Menschenherz aber ist für ein endloses Gut geschaffen; findet es Gott, vereint es sich mit Gott, dann erst ist es zufrieden, nichts mehr wünscht es alsdann: Erfreue dich im Herrn und er wird dir nach dem Verlangen deines Herzens geben. Der heilige Augustinus fand solange keine Ruhe, als er in sinnlichen Vergnügungen dahinlebte. Als er sich aber Gott geschenkt hatte, bekannte er sonach und sprach zum Herrn: „Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir." Mein Gott! sagte er, jetzt erst verstehe ich es, daß alles Eitelkeit und Geistesplage ist und daß du allein die echte Ruhe unserer Seelen bist: „Alles ist bitter; du allein bist die Ruhe." Daher schrieb er, durch eigene bittere Erfahrung belehrt: „Was suchst du Elender bei den Gütern dieser Erde? Suche ein Gut, das alle anderen Güter in sich schließt." Zur Zeit, als der König David in der Sünde lebte, ging er auf Jagden, in Lustgärten, zu Tafeln und allen königlichen Ergötzungen; allein sowohl die Tafeln als die Gärten und alle Geschöpfe, deren er sich erfreute, riefen ihm zu: David, du willst von uns befriediget werden? Nein, wir sind außer Stand, dich zu befriedigen: Wo ist dein Gott? Gehe nur, suche deinen Gott, denn er allein kann dich zufrieden stellen; und deshalb konnte David mitten unter allen seinen Ergötzlichkeiten nicht anders, als weinend klagen: Meine Tränen sind Tag und Nacht meine Speise geworden, weil man täglich zu mir saget: Wo ist dein Gott. (Ps 41,4)

O wie vollends kann hingegen Gott die Seelen befriedigen, welche ihn lieben! Nachdem der heilige Franziskus von Assisi Gott zu Liebe alles verlassen hatte, fand er -  wenngleich barfuß und mit schlechten Lumpen angetan und halb tot vor Hunger und Frost - himmlische Wonne in den Worten: „mein Gott und mein Alles! Traf es sich, daß der heilige Franziskus von Borgia, nach seinem Eintritte ins Kloster, auf seinen Reisen auf Stroh liegen mußte, da war er dessen so froh, daß er vor Freude kaum einschlafen konnte. Wollte der heilige Philippus Nerius, nachdem er ebenfalls alles verlassen hatte, zur Ruhe sich begeben, so wurde er von Gott so vollauf getröstet, daß er fast klagend ausrief: „Ach, mein Jesus Christus, laß mich doch schlafen." Pater Karl von Lothringen, aus dem fürstlichen Hause Lothringen, ein Jesuit, fing manchmal in seiner armen Zelle vor Freude an zu tanzen. Der heilige Franciscus Xaverius schlug auf Indiens Feldern sich an die Brust und rief aus: „Es ist genug, o Herr! es ist genug. Herr, keine Tröstung mehr, mein Herz ist nicht im Stande, es auszuhalten." Die heilige Theresia sagte: Ein Tropfen himmlischen Trostes gewähre mehr Freude als alle Vergnügungen und Unterhaltungen der Welt. Und mit Recht; denn Gott kann sein gegebenes Wort: denjenigen, welche ihm zu Liebe die Güter der Welt verlassen, auch in diesem Leben hundertfachen Frieden und Freude zu geben, nicht brechen: Wer um meines Namens willen sein Haus oder seine Brüder verlässt, der wird es hundertfältig wieder bekommen und das ewige Leben besitzen. (Mt 19,29)

Was suchen wir noch länger? - Lasset uns also zu Jesu Christo hingehen, der uns mit dem Zurufe einladet: „Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken." (Mt 11,28) Eine Seele, die Gott liebt, findet jenen Frieden, der alle Vergnügungen und Befriedigungen übertrifft, welche Sinn und Welt verschaffen kann! Der Friede Gottes, welcher allen Verstand übertrifft. (Phil 4,7) Es ist wahr: auch die Heiligen haben auf dieser Welt Leiden; denn diese Welt ist ein Ort der Verdienste, und ohne zu leiden kann man nicht Verdienste sammeln. Allein der heilige Bernardus sagt, die göttliche Liebe sei dem Honig vergleichbar, welcher die bittersten Sachen süß und lieblich macht. Wer Gott liebt, der liebt dessen Willen und ist daher auch bei Widerwärtigkeiten fröhlich, denn er weiß, daß er, durch willige Annahme derselben, Gott lieb und wohlgefällig werde. O Gott! die Sünder verachten das geistliche Leben, ohne es noch versucht zu haben. „Sie sehen das Kreuz, die Salbung aber sehen sie nicht", sagt der heilige Bernardus; nur die Leiden, welche die Liebhaber Gottes ausstehen, und die Vergnügen, deren sie sich berauben, fassen sie ins Auge, die Freuden des Geistes aber, wodurch Gott seine Liebe ihnen bezeugt, diese beachten sie gar nicht. O möchten doch die Sünder den Frieden verkosten, den eine Seele genießt, die nichts als Gott will. Kostet und sehet, sagt David, daß der Herr süß ist. (Ps 33) Mein Bruder, fange nur einmal an, täglich zu betrachten, oft zu kommunizieren, vor dem heiligsten Sakramente dich aufzuhalten; beginne die Welt zu verlassen und mit Gott es zu halten und du wirst erfahren, daß der Herr in der kurzen Zeit, da du mit ihm dich unterhalten wirst, weit mehr dich erfreuen werde, als die Welt samt allen ihren Unterhaltungen dich vergnügte: Kostet und sehet. - Wer es nicht versucht, der kann es auch nicht begreifen, wie sehr Gott eine Seele, die ihn liebt, zu trösten wisse.

 

Anmutungen und Bitten

Mein lieber Erlöser, wie war ich doch vorher so blind, daß ich dich, o unendliches Gut, du Quelle alles Trostes! wegen so elenden und kurzen sinnlichen Vergnügen verlassen habe! Ich erstaune ob meiner Blindheit, noch mehr aber verwundere ich mich über deine Barmherzigkeit, die mit so großer Güte mich geduldet hat. Dank dir, daß du nun meine Torheit und die Pflicht, dich zu lieben, mir zu erkennen gibst. Ich liebe dich, mein Jesus, aus ganzer Seele und verlange, dich noch mehr zu lieben. Vermehre mein Verlangen und meine Liebe. Erfülle mich mit Liebe zu dir, o unendlich Liebenswürdiger! der du nicht mehr tun kannst, um von mir geliebt zu werden, und meine Liebe so sehr verlangst. Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Ach, mein Erlöser, reinige mein Herz von unlauteren Gemütsneigungen, die mich hindern, dich zu lieben, wie ich es wünschte! Es liegt ja nicht in meiner Gewalt, zu bewirken, daß mein Herz für dich ganz entflammt werde, und nichts anderes als dich liebe. Deine Gnade muß es bewirken; denn diese vermag alles, was sie nur will. Reiße mich los von allem, vertreibe aus meiner Seele jede Neigung, die nicht auf dich abzielt, und mache mich ganz zu deinem Eigentume. Ich habe über alle dir zugefügten Beleidigungen größeres Leid, als über jedes Unglück und nehme mir vor, mein ganzes übriges Leben deiner heiligen Liebe zu widmen; allein du mußt bewirken, daß ich es vollbringe. Bewerkstellige es um des Blutes willen, das du für mich unter so vielen Schmerzen und mit so großer Liebe vergossen hast. Es diene zur Verherrlichung deiner Macht, wenn du bewirkst, daß ein Herz, welches einst von irdischen Gedanken voll war, jetzt aus Liebe zu dir, o unendliches Gut! eine lautere Flamme werde. O Mutter der schönen Liebe, Maria! mache mich durch deine Fürbitte von Liebe zu Gott ganz glühend, wie du es immer warst.