19. Betrachtung

Welch ein großes Glück Gottes Gnade und welch großes Unglück Gottes Ungnade sei.

 

3. Punkt

Nun wollen wir das Unglück einer Seele betrachten, die in der Ungnade Gottes ist. Getrennt ist sie von ihrem höchsten Gute, welches Gott ist: Eure Sünden sonderten euch von eurem Gott. (Jes 59,2) Also gehört sie nicht mehr Gott an, und Gott nicht mehr ihr. Ihr seid nicht mehr mein Volk, und ich werde nicht mehr euer sein. (Os 1,9) Sie hört nicht nur auf, ihm anzugehören, sondern er haßt sie und verdammt sie zur Hölle. Der Herr haßt keines seiner Geschöpfe, auch die wilden Tiere, die Ottern, die Kröten nicht: Du liebst alles, was du machtest, und hassest nichts von dem, was du gemacht hast. (Weish 11,25) Doch die Sünder kann Gott nicht anders als hassen: Du hassest alle, die Ungerechtigkeit üben. (Ps 5,7) Fürwahr, es ist unmöglich, daß Gott die Sünde nicht hasse; denn sie steht ja seinem Willen ganz feindlich gegenüber, und da er deshalb die Sünde haßt, so muß er folglich auch den Sünder hassen, welcher mit der Sünde im Vereine ist: Du hassest den Ungerechten samt seiner Ungerechtigkeit. (Weish 14,9)

O Gott! wenn jemand einen Fürsten der Welt zum Feinde hat, kann er nimmer ruhig schlafen, indem er mit Recht alle Augenblicke das Todesurteil befürchtet. Und wer Gott zum Feinde hat, wie kann der Ruhe finden? Dem Zorne des Fürsten kann man entfliehen, indem man in einem Wald sich verbirgt oder in ein anderes Reich zieht; wer aber kann den Händen Gottes entkommen? Herr! sagte David, ich mag in den Himmel hinaufsteigen oder in der Hölle mich verbergen, wo ich immer hingehe, wird deine Hand mich erreichen: Steige ich in den Himmel hinauf, so bist du da, steige ich in die Hölle hinunter, so bist du dort ... denn deine Hand wird dorthin mich führen. (Ps 138,8,10)

O arme Sünder! Verdammt sind sie von Gott, verstoßen von den Engeln, verworfen von den Heiligen, verwünscht sind sie auch auf der Welt von allen Priestern und Ordensgeistlichen, welche bei dem Gottesdienste deren Verwerfung verkünden: Verflucht seien jene, die von deinen Wegen ablenken. Ferner beraubt uns die Ungnade Gottes aller Verdienste. Es mag ein Mensch so viele Verdienste haben als ein heiliger Paulus der Einsiedler; soviel als ein heiliger Franciscus Xaverius, der Gott zehn Millionen Seelen gewann; soviel als der heilige Apostel Paulus, der nach Behauptung des heil. Hieronymus mehr Verdienste gewann, als alle übrigen Apostel: so verliert er, wenn er nur eine einzige Todsünde begeht, dennoch alle seine Verdienste: Aller seiner Gerechtigkeit, die er übte, wird nicht gedacht werden. (Ez 18) Und dies ist das Unglück, welches die Ungnade Gottes in ihrem Gefolge hat: aus einem Kinde Gottes macht sie einen Leibeigenen Luzifers, aus einem geliebten Freunde einen höchst gehaßten Feind, aus einem Erben des Paradieses einen Verdammten der Hölle. Der heilige Franciscus Salesius sagte: Könnten die Engel weinen, so würden sie beim Anblicke des Elendes einer Seele, die eine Todsünde begeht und die göttliche Gnade verliert, aus Mitleid Tränen vergießen.

Höchst traurig aber ist es, daß die Engel, wenn sie könnten, weinen würden, daß der Sünder aber nicht weint. Der heilige Augustinus sagt: verliert jemand ein Tierchen, ein Schäflein, so ißt und schläft er nicht und weint; verliert er aber die Gnade Gottes, so ißt er und schläft und - weint nicht.

 

Anmutungen und Bitten

Dies ist die jämmerliche Lage, in der ich mich befinde. O mein Erlöser! um deiner Gnade mich würdig zu machen, brachtest du dreiunddreißig Jahre in Schweiß und Mühe zu, und ich achtete und verlor sie eines augenblicklichen schändlichen Genusses wegen wie nichts. Ich danke deiner Barmherzigkeit, die mir noch Zeit läßt, sie wieder zu erlangen, wenn ich nur will. Ja, ich will alles Mögliche tun, um sie wieder zu erhalten. Sage mir doch, was soll ich anfangen, von dir wieder Verzeihung zu erlangen? Du willst, daß ich es bereue. Ja, mein Jesu, ich bereue von ganzem Herzen, dich unendliche Güte beleidiget zu haben. Ich soll dich lieben. Ja, ich liebe dich über alles. Vorher machte ich von meinem Herzen schlechten Gebrauch, denn ich liebte die Geschöpfe und Eitelkeiten. Von heute an will ich nur dich lieben, meinen Gott, meinen Schatz, meine Hoffnung und meine Kraft. Ich will dich lieben, o Gott, meine Stärke! Deine Verdienste, deine Wunden, o mein Jesus! sollen meine Hoffnung und Stärke sein. Von dir hoffe ich Kraft, dir treu zu bleiben. Nimm mich also in deine Gnade auf, o mein Seligmacher! und gib nicht zu, daß ich mich wieder von dir trenne. Reiße mich los von den irdischen Neigungen und entflamme mein Herz mit deiner heiligen Liebe. „Zünde in ihm an das Feuer deiner Liebe." Maria, meine Mutter, mache, daß ich brenne aus Liebe zu meinem Gott, so wie du immer von ihr entflammt warst.