19. Betrachtung

Welch ein großes Glück Gottes Gnade und welch großes Unglück Gottes Ungnade sei.

 

2. Punkt

Der heilige Thomas von Aquin sagt: Die Gabe der Gnade übertreffe jede Gabe, die ein Geschöpf erhalten kann, indem die Gnade sogar eine Mitteilung der Eigenschaften Gottes ist. „Die Gabe der Gnade übertrifft jede Fähigkeit einer erschaffenen Natur, da sie eine Mitteilung der göttlichen Natur ist." Und früher schon sagte es der heilige Petrus: Auf dass ihr dadurch teilhaftig werdet der göttlichen Natur. (1 Petr 1,4) Soviel verdiente Jesus Christus durch sein Leiden; er teilte die nämliche Herrlichkeit mit uns, die er von Gott erhalten hat! Und die Herrlichkeit, die du mir gabst, gab ich ihnen. (Joh 17,22) Kurz, wer in Gottes Gnade ist, wird eins mit Gott. Wer dem Herrn anhängt, ist mit ihm ein und derselbe Geist. (1 Kor 6,17) Und der Erlöser sagte, in eine Seele, die Gott liebt, komme die ganze Allerheiligste Dreifaltigkeit, um darin zu bleiben; Wer mich liebt, den wird mein Vater lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. (Joh 14,33)

Eine mit Gottes Gnade begabte Seele ist vor Gottes Augen so schön, daß er selbst sie lobt: Wie schön bist du, meine Freundin! Wie schön! (Hld 4,1) Der Herr scheint von einer ihn liebenden Seele weder Augen noch Ohren abwenden zu können, sie kann verlangen, was sie nur immer will. Die Augen des Herrn sind auf die Gerechten und seine Ohren sind auf ihre Gebete gerichtet. (Ps 33,16) Die heilige Brigitta äußerte sich: sie könnte die Schönheit eines in der Gnade Gottes befindlichen Menschen nicht sehen, ohne vor Freuden zu sterben. Wenn die heilige Katharina von Siena eine Seele sah, die in Gottes Gnade sich befand, sagte sie, sie wollte gerne ihr Leben dahingehen, damit diese Seele eine so große Schönheit nicht verlöre; und deswegen küßte diese Heilige die Erde, welche die Priester betraten, indem sie erwog, daß durch deren Vermittlung die Seelen die Gnade Gottes wieder erlangen.

O, wie vielen Gewinn kann eine in der Gnade Gottes sich befindende Seele machen! In jedem Augenblicke kann sie eine ewige Herrlichkeit erwerben. Der heilige Thomas sagt: jeder Akt der Liebe, den eine Seele erweckt, verdiene ein besonderes Paradies: „Jeder Liebesakt verdient ein ewiges Leben." - Warum sollen wir noch die Großen der Erde beneiden? Sind wir in Gottes Gnade, so können wir eine bei weitem größere Herrlichkeit im Himmel uns fortwährend bereiten. Ein Laienbruder der Gesellschaft Jesu ist nach seinem Tode, wie P. Patrignani berichtet, erschienen und sagte: er wäre nun selig, wie auch Philippus II. König von Spanien; und beide erfreueten sich schon der Herrlichkeit, doch mit dem Unterschiede, daß um so geringer er auf der Welt gewesen wäre, im Vergleiche mit Philippus, um so größer wäre er jetzt im Himmel.

Ferner kann nur jener den Frieden kennen lernen, der ihn verkostet, und diesen genießt auf dieser Welt eine Seele, welche in der Gnade Gottes ist: Kostet und sehet, wie süss der Herr ist. (Ps 33) Die Worte des Herrn können nicht vergehen: Grossen Frieden genießen die Liebhaber deines Gesetzes. (Ps 118,165) Die Ruhe eines solchen, der mit Gott vereint ist, übersteigt alles Vergnügen, das Sinn und Welt gewähren kann. Der Friede des Herrn ist über allen Begriff. (Phil 4,7)

 

Anmutungen und Bitten

O, mein Jesus! du bist jener gute Hirte, der sich töten ließ, um uns, deinen Schäflein, das Leben zu geben. Als ich vor dir floh, unterließest du nicht, mir nachzugehen und mich aufzusuchen: o, nimm mich nun auf, da ich dich suche und mit Reue zu deinen Füßen wiederkehre. Gib mir wieder deine Gnade, die ich elenderweise aus meiner Schuld verloren habe; ich bereue es von ganzem Herzen; vor Schmerz möchte ich sterben, indem ich bedenke, daß ich dir so oft den Rücken zugekehrt habe. Verzeihe mir doch um der Verdienste jenes bitteren Todes willen, den du am Kreuze für mich ausgestanden hast. Binde mich mit den süßen Banden deiner Liebe und laß mich dir nicht wieder entfliehen. Gib mir Stärke, mit Geduld alle Kreuze zu ertragen, die du mir zuschickest, indem ich die ewigen Höllenpeinen verdiente. Laß mich mit Liebe die Verachtungen umfangen, mit welchen mir die Menschen begegnen; denn ich verdiente, ewig unter den Füßen der bösen Geister zu liegen. Kurz, mache, daß ich allen deinen Einsprechungen Folge leiste und durch deine Liebe alle Menschenfurcht besiege. Ich bin entschlossen, von nun an nur für dich leben zu wollen; mögen die andern sagen, was sie wollen, ich will dir, o mein liebenswürdigster Gott! allein dienen. Nur dir verlange ich zu gefallen; verleihe mir aber deinen Beistand; denn ohne ihn vermag ich nichts. Ich liebe dich, mein Jesus, mit ganzem Herzen und vertraue auf dein Blut. - Maria, meine Hoffnung, hilf mir mittelst deiner Fürsprache! Ich rechne es mir zum großen Ruhme an, dein Diener zu sein; und du rühmest dich, eine Retterin jener Sünder zu sein, die zu dir sich wenden; nun denn, so hilf mir und mache mich selig.