18. Betrachtung

Von der Zahl der Sünden

 

2. Punkt

Jener Sünder sagt: „Aber Gott ist barmherzig?" Ich antworte: wer wird dies leugnen wollen? Gottes Barmherzigkeit ist unendlich; wie viele aber werden ungeachtet dieser Barmherzigkeit täglich verdammt. Ich kam, jene, die eines zerknirschten Herzens sind, gesund zu machen. (Jes 61,1) Gott heilt den, der einen guten Willen hat. Er vergibt die Sünden; doch den Willen zu sündigen, kann er nicht verzeihen. Der Sünder wird einwenden: „Aber ich bin jung? Du magst jung sein an Jahren." Jung bist du? Allein Gott zählt nicht die Jahre: die Sünden zählt er. Und dies Maß der Sünden ist nicht für alle gleich; einem vergibt Gott hundert, einem anderen tausend Sünden, wieder einen anderen wird er bei der zweiten Sünde in die Hölle verstoßen. Wie viele hat Gott schon bei der ersten Sünde verstoßen? Der heilige Gregorius erzählt, es sei ein Kind von fünf Jahren in die Hölle gestürzt worden, weil es eine Gotteslästerung aussprach. Die allerheiligste Jungfrau offenbarte jener Dienerin Gottes Benedicta von Florenz, es sei ein Mädchen von zwölf Jahren schon bei der ersten Sünde verdammt worden. Ein anderes achtjähriges Kind starb auch nach der ersten Sünde, und wurde verdammt. Es heißt im Evangelium des heiligen Matthäus (Kap. 21), daß der Herr den Feigenbaum, den er ohne Früchte fand, gleich das erstemal verfluchte: Auf dir soll keine Frucht mehr wachsen; und er verdorrte. Ein anderesmal sagte er: Über drei Laster von Damascus, nimmermehr aber wegen des vierten will ich ihm gnädig sein. Wie könnte aber jemand so verwegen sein, Gott zur Rede stellen zu wollen, warum er drei Sünden verzeihen wolle, die vierte aber nicht? Hierin müssen wir die göttlichen Urteile anbeten, und mit dem Apostel ausrufen: O, Tiefe der Reichtümer und der Erkenntnis Gottes. Wie unbegreiflich sind seine Gerichte, und wie unerforschlich seine Wege! (Röm 11,33) Der heilige Augustinus sagt: „Er weiß, wessen er schonen und wessen er nicht verschonen soll. Welchen Barmherzigkeit erwiesen wird, denen wird sie aus Gnaden erwiesen; welchen sie nicht zuteil wird, denen wird sie aus Gerechtigkeit nicht gewährt." (Lib. de Corrept, cap. 5)

Der Verstockte wird da entgegnen: „Ich habe Gott schon oft beleidiget, und Gott hat mir immer vergeben, nun so hoffe ich, er werde mir auch jetzt diese neue Sünde verzeihen." Ich hingegen frage dich: weil dich Gott bisher nicht züchtigte, muß es deswegen immer so bleiben? das Maß wird voll werden, und es erfolgt plötzlich die Strafe. Als Samson mit Dalila tändelte, hoffte er gleichwohl aus den Händen der Philister, wie vorher, sich zu befreien. Ich will hinausgehen, wie ich vormals getan habe, und mich losreißen. (Ri 16,20) Dies letztemal wurde er aber ergriffen und kam ums Leben. Sage ja nicht: ich sündigte; und was geschah mir Böses? Sage nicht, spricht der Herr, ich beging so viele Sünden, und niemals strafte mich Gott: Denn der Allerhöchste ist ein geduldiger Vergelter (Eccl 5,4), das heißt, er wird einst kommen und alles vergelten, und je größer die Barmherzigkeit war, desto strenger wird die Strafe sein. Chrysostomus versichert: es sei mehr zu befürchten, wenn Gott den Hartnäckigen duldet, als wenn er ihn sogleich straft. „Mehr ist zu fürchten, wenn er duldet, als wann er alsogleich straft." Daher straft Gott, wie der heilige Gregorius schreibt, diejenigen weit strenger, auf welche er mit Geduld wartet, wenn sie undankbar bleiben: „Je länger er wartet, desto strenger verurteilt er." Und oft sterben jene, setzt der Heilige bei, die lange Zeit geduldet worden sind, eines jähen Todes, ohne zur Bekehrung Zeit zu haben. „Oft werden solche, die lange erduldet wurden, vom Tode jählings dahingerafft, so daß es ihnen nicht einmal gegönnt ist, vor dem Tode zu weinen." Je größer das Licht war, das Gott dir gegeben hat, desto größer wird dann insbesondere deine Verblendung und Verstockung in der Sünde sein. Besser wäre es ihnen gewesen, sagte der heilige Petrus, sie hätten den Weg der Gerechtigkeit niemals erkannt, als dass sie nach der Erkenntnis neuerdings sich abwenden. (2 Petr 2,21) Und der heilige Paulus erklärte es für moralisch unmöglich, daß eine erleuchtete Seele, wenn sie sündiget, sich wieder bekehre. Denn unmöglich ist es, daß jene, welche einmal sind erleuchtet worden, die himmlische Gabe versucht haben, und gefallen sind, zur Busse wieder erneuert werden (Hebr 6,4,6)

Schrecklich ist, was der Herr über jene sagt, die für seinen Ruf taub sind: Weil ich rief und ihr euch geweigert hattet, so will ich auch zu eurem Untergange lachen und eurer spotten. (Spr 1,24) Man bemerke die zwei Worte: Ich auch; sie bedeuten: daß, so wie jener Sünder Gott verspottete, indem er beichtete, Besserung versprach, und immer treulos gegen ihn war, ebenso der Herr ihn in seinem Tode verspotten werde. Ferner spricht der weise Mann: Gleichwie der Hund das wieder auffrisst, was er gespieen hat, ebenso geht der Narr wieder seiner Torheit nach. (Spr 16, 1) Diese Stelle erklärt Dionysius der Karthäuser, und sagt: so wie ein Hund Abscheu und Ekel verursacht, der das frißt, was er ausgeworfen hat, ebenso wird man von Gott verabscheuet, wenn man die Sünden wieder begeht, welche man in der Beicht verfluchte: „So wie es abscheulich und ekelhaft ist, die durch das Speien von sich gegebenen Speisen wieder zu sich zu nehmen, ebenso abscheulich ist es auch, die getilgten Sünden wieder zu begehen."

 

Anmutungen und Bitten

Siehe mich, mein Gott! vor deinen Füßen. Ich bin jenes ekelerregende Tier, da ich so oft jene verbotenen Früchte wieder genoß, welche ich ehedem verabscheute. Ich verdiene zwar keine Barmherzigkeit, o mein Erlöser! doch das Blut, das du für mich vergossen hast, ermutiget und verpflichtet mich, darauf zu hoffen. Wie oft habe ich dich beleidiget, und von dir Verzeihung erhalten! Ich gab dir die Versicherung, dich nicht mehr zu beleidigen, und kehrte alsdann wieder zu meinem Auswurfe zurück, und du - vergabst mir abermals! Wie lange säume ich noch ? Etwa bis du mich wirklich zur Hölle hinab stoßest? Oder überläßt du mich der Sünde. Wahrlich eine größere Strafe wäre dieses für mich als selbst die Hölle. Nein, mein Gott! ich will mich bessern; und um dir treu zu sein, will ich mein ganzes Vertrauen auf dich setzen; ich will, wenn ich angefochten werde, allsogleich und immerzu dir fliehen. Vorhin baute ich auf meine Verheißungen und Vorsätze und unterließ es in Versuchungen mich dir anzuempfehlen: und dies war mein Unglück. Nein, du sollst von heute an meine Hoffnung und meine Stärke sein; auf diese Weise werde ich alles zustande bringen. Alles vermag ich in dem, der mich stärkt. Gib mir demnach, o mein Jesus! um deiner Verdienste willen, die Gnade, mich dir stets anzuempfehlen und in meinen Nöten immer dich um Hilfe anzuflehen. Ich liebe dich, o höchstes, über alles liebenswürdiges Gut! und nur dich will ich lieben; du aber mußt mir dazu verhelfen. Und auch du, o Maria, meine Mutter! mußt durch deine Vermittlung mir Hilfe leisten: behalte mich unter deinem Schutze und mache, daß ich in meinen Anfechtungen immer dich anrufe. Dein Name wird meine Verteidigung sein.