17. Betrachtung

Mißbrauch der göttlichen Barmherzigkeit

 

3. Punkt

In der Lebensbeschreibung von Ludovicus La-Nusa wird von zwei Freunden, die zu Palermo lebten, folgendes erzählt: Sie gingen einst spazieren und da der eine, welcher Cäsar hieß und ein Schauspieler war, den anderen in Gedanken vertieft sah, sprach er zu ihm: Was gilt es, du bist gewiß beichten gewesen und deswegen bist du so unruhig? Höre, fügte er bei, und wisse, was mir einst Pater La-Nusa sagte: „Gott werde mich noch zwölf Jahre leben lassen, und falls ich mich in dieser Zeit nicht bessern sollte, würde ich eines bösen Todes sterben. Ich durchreiste schon viele Länder der Welt, hatte so manche Krankheiten, und einmal war ich dem Tode ganz nahe; in diesem Monate aber, wo ich das zwölfte Jahr vollende, befinde ich mich besser, als je in meinem ganzen Leben." Hierauf bestellte er ihn auf den Sonnabend, um einem neuen von ihm verfaßten Schauspiele beizuwohnen. Aber was geschah? Am Sonnabende am 24. November 1668 wurde er, als er eben auf die Bühne treten wollte, vom Schlagflusse getroffen und starb plötzlich, indem er in den Armen einer Frau, die auch eine Schauspielerin war, den Geist aufgab; und hiermit war das Schauspiel zu Ende. - Nun laßt uns auf uns zurücksehen. Mein Bruder! versucht dich der böse Feind neuerdings zur Sünde, so steht es in deiner freien Wahl zu sündigen, wenn du verdammt werden willst; sage aber alsdann nicht, du wollest selig werden. Da du sündigen willst, so halte dich schon für verdammt und stelle dir dann vor, Gott schreibe dein Verdammungsurteil und spreche zu dir: Was sollte ich meinem Weinberge noch tun und was habe ich nicht schon getan? (Jes 5,4) Du Undankbarer! was sollte ich noch für dich tun, was ich nicht schon getan hätte? Willst du durchaus verdammt werden, und, so mag es geschehen: doch die Schuld liegt an dir.

Wo ist aber, wirst du einwenden, wo ist denn Gottes Barmherzigkeit? Ach du Elender erkennest du keine Barmherzigkeit Gottes darin, daß er trotz deiner Unzahl von Sünden dennoch so viele Jahre dich erduldet hat? Du solltest vielmehr mit gebeugtem Haupte stets ihm dafür danken und sagen: „Des Herrn Barmherzigkeit ist es, daß wir nicht schon verstoßen sind." (Thr 3)

Durch Begehung einer einzigen Todsünde verübtest du ein größeres Verbrechen, als wenn du den ersten Herrscher der Welt mit Füßen getreten hättest; du aber verübtest deren so viele, daß selbst dein leiblicher Bruder dich nicht ertragen hätte, wenn du ihm jene Unbilden angetan hättest, die du Gott zugefügt hast. Gott hat dich nicht nur ertragen, er hat auch oftmals dir zugerufen und Verzeihung dir angeboten. Was hätte ich noch tun sollen? Hätte er eine größere Barmherzigkeit dir erweisen können, wenn du ihm notwendig gewesen wärest oder wenn du eine große Gefälligkeit ihm erwiesen hättest, und selbst dann würden deine vielfältig wiederholten Beleidigungen machen, daß sich seine ganze Barmherzigkeit in Zorn und Züchtigung umändern müßte.

Hätte jener Feigenbaum, den der Herr ohne Frucht fand, auch nach dem zur Pflege zugestandenen Jahre keine Frucht getragen: wer hätte vom Herrn wohl hoffen können, daß er ihm noch Zeit geben und ihn nicht umhauen lassen würde? Höre also die Warnung des heiligen Augustinus: „O unfruchtbarer Baum! die Axt ist nur einstweilen beiseite gelegt; glaube ja nicht, als wärest du schon sicher; sonst wirst du umgehauen werden." Wie lange willst du zögern? Etwa, bis Gott dich wirklich in die Hölle stürzt? Wenn er dich aber in selbe stürzt, so weißt du schon, daß es für dich kein Rettungsmittel mehr geben werde. Der Herr schweigt; doch er schweigt nicht immer; wenn die Zeit der Rache kommt, schweigt er nicht mehr. Dies hast du getan und ich habe geschwiegen; du hast boshaft vermutet, ich wäre dir gleich; ich will dich aber strafen und es dir vor Augen stellen. (Ps 49,21) Er wird dir die Erbarmungen, welche er dir erwiesen hat, vorhalten, und diese sind es, die dich verurteilen und verdammen werden.

 

Anmutungen und Bitten

Ach mein Gott! wehe mir, wenn ich von jetzt an dir nicht die Treue hielte; wenn ich nach dem Lichte, das du mir jetzt gibst, neuerdings meineidig gegen dich würde! Dies Licht ist ein Beweis, daß du mir verzeihen wollest. Ich bereue, o Herr! alle dir zugefügten Unbilden, weil ich dadurch dich, o unendliche Güte! beleidigte. Von deinem Blute hoffe ich die Verzeihung, und zwar mit voller Zuversicht. Sollte ich dir aber wiederum den Rücken kehren, so sehe ich ein, daß ich mir die Hölle absichtlich verdiente. Und dies ist es, was mich zittern macht; ich kann, o Gott meiner Seele! neuerdings deine Gnade verlieren. Der Gedanke, daß ich dir so oft versprochen habe treu zu sein und dann auf neue von dir abtrünnig wurde, macht mich erzittern. Ach Herr! gib es nicht zu: überlaß mich nicht diesem großen Unglücke, mich neuerdings in Feindschaft gegen dich zu sehen. Verhäng über mich jede Strafe, nur diese nicht. Laß mich nur nicht von dir getrennt werden. Siehst du, daß ich dich wieder beleidigen würde, so laß mich eher sterben. Lieber will ich des peinvollsten Todes sterben, als daß ich das Unglück beweinen müßte, deiner Gnade noch ein Mal beraubt zu werden. Laß mich nicht von dir getrennt werden! Ich wiederhole es, mein Gott, mache, daß ich es dir stets wiederhole: Laß mich nicht von dir getrennt werden! Ich liebe dich, mein geliebter Erlöser, ich will nicht von dir scheiden; gib mir um deines Todes willen eine große Liebe, die mich so enge an dich schließe, daß ich mich nicht mehr losmachen kann. O Maria, meine Mutter! würde ich Gott wieder beleidigen, so befürchte ich, auch von dir verlassen zu werden. Hilf mir also durch deine Bitten, erhalte mir die heilige Beharrlichkeit und Liebe zu Jesu Christo.