17. Betrachtung

Mißbrauch der göttlichen Barmherzigkeit

„Weißt du nicht, daß Gottes Güte zur Buße dich anleitet?"

(Röm 2,4)

 

1. Punkt

In dem Gleichnisse von dem Unkraute liest man beim heiligen Matthäus im 13. Hauptstücke: daß einst, als in einem Felde das Unkraut mit dem Weizen aufwuchs, die Knechte hingehen wollten, es auszureißen: Willst du, dass wir hingehen und es sammeln? Der Herr aber antwortete: Nein, laßt es nur wachsen, und dann kann man es sammeln und in das Feuer werfen. Zur Zeit der Ernte werde ich zu den Schnittern sagen: sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Büschlein zum Verbrennen. Aus diesem Gleichnisse leuchtet einerseits die Geduld hervor, welche der Herr mit den Sündern hat, andererseits aber die Strenge, mit der er gegen die Hartnäckigen verfährt. Der heilige Augustinus sagt, auf zweierlei Art täusche der böse Feind die Menschen: Durch Verzweiflung und durch Hoffnung. Nachdem die Sünde     verübt worden ist, sucht er den Sünder in Verzweiflung zu bringen durch den Schrecken ob der göttlichen Gerechtigkeit, vor der Sünde aber ermutigt er ihn durch die Hoffnung auf die göttliche Barmherzigkeit. Daher ermahnt der Heilige jeden, das Gegenteil zu tun: „Nach der Sünde hoffe auf die Barmherzigkeit, vor der Sünde fürchte die Gerechtigkeit". Und so ist es; denn wer sich der Barmherzigkeit Gottes bedient, um ihn zu beleidigen, der verdient keine Erbarmen. Die Barmherzigkeit hat statt bei dem, der Gott fürchtet, nicht aber bei dem, der sie dazu mißbraucht, um ihn nicht zu fürchten. Wer gegen die Gerechtigkeit sich verfehlt, sagt der Abulenser, kann bei der Barmherzigkeit Hilfe suchen; wer aber auch gegen die Barmherzigkeit sündiget, wohin soll der sich wenden?

Schwerlich findet man einen, der so toll wäre, daß er wirklich verdammt werden möchte. Die Sünder wollen sündigen, ohne die Hoffnung auf Rettung zu verlieren. Sie sündigen und sagen: „Gott ist ja barmherzig, ich will diese Sünde begehen, und dann werde ich sie schon beichten. Gott ist ja gut, ich will jetzt tun, was mir beliebt." Siehe, wie die Sünder reden, schreibt der heilige Augustinus. (Tract. 33 in Jo.) Aber, o Gott! ist das nicht eben jene Sprache, die so viele führten, die jetzt verdammt sind?

Sage nicht, spricht der Herr, groß sind Gottes Erbarmungen; so viele Sünden ich auch begehen werde, so werden sie mir durch einen Akt des Schmerzes verziehen werden: Und sage ja nicht: Gottes Barmherzigkeit ist groß, er wird sich der Menge meiner Sünden erbarmen. (Eccl 5,6) Sage dies ja nicht, denn: Sein Zorn ist ebenso schnell als seine Barmherzigkeit und sein Zorn sieht auf die Sünder. (Ibid.) Gottes Barmherzigkeit hat keine Grenzen; doch die Werke dieser Barmherzigkeit, welches die Erbarmungen sind, haben ihre Grenze. Barmherzig zwar ist Gott, aber auch gerecht: „Ich bin gerecht und barmherzig, sagte einst der Herr zur heiligen Brigitta, die Sünder halten mich nur für barmherzig." Die Sünder, schreibt der heilige Basilius, wollen Gott nur zur Hälfte ansehen. „Gut ist der Herr, allein auch gerecht; wir wollen Gott nicht bloß zur Hälfte betrachten." - Jenen zu dulden, der sich der Barmherzigkeit Gottes bedient, um ihn desto mehr zu beleidigen, wäre - sagt P. M. Avila - keine Barmherzigkeit, sondern ein Eingriff gegen die Gerechtigkeit. Die Barmherzigkeit ist dem Gottesfürchtigen, nicht aber jenem verheißen, welcher sie mißbraucht: Und seine Barmherzigkeit erstreckt sich über jene, welche ihn fürchten, sang die göttliche Mutter. Den Hartnäckigen wird mit der Gerechtigkeit gedrohet; und so wie Gott - dies sind die Worte des heiligen Augustinus - in seinen Verheißungen nicht lügt, ebensowenig lügt er in seinen Drohungen: „Der da im Verheißen wahrhaft ist, der ist auch wahrhaft im Drohen."

Sei wohl auf der Hut, sagt der Heilige Johannes Chrysostomus, wann der böse Geist - und nicht Gott - Barmherzigkeit dir verspricht, damit du sündigest: „Sei behutsam, traue niemals jenem Hunde, welcher Gottes Barmherzigkeit dir verheißt." (Hom. 50 ad Pop. Antioch.) Wehe dem, fügt der heilige Augustinus bei, der da hofft, um sündigen zu können. „Er hofft, auf daß er sündige, wehe der verkehrten Hoffnung!" (In Ps 144) O, wie viele lauschte und richtete diese eitle Hoffnung zu Grunde, seufzte der Heilige. „Unzählbar viele gibt es, die dieser eitle Schatten von Hoffnung getäuscht hat." Wehe dem, der Gottes Barmherzigkeit mißbraucht, um ihn zu beschimpfen! Der heilige Bernardus sagt: Luzifer sei deswegen so schnell von Gott bestraft worden, weil er sich mit der Hoffnung empörte, er würde gar nicht bestraft werden. Der König Manasses war ein Sünder; er bekehrte sich, und Gott vergab ihm. Da sein Sohn Amon sah, daß sein Vater so leicht Verzeihung erhalten habe, ergab er sich dem schlechten Leben mit der Hoffnung auf Vergebung; allein für Amon gab es keine Barmherzigkeit. Der heilige Johannes Chrysostomus sagt demnach: Judas sei zu Grunde gegangen, weil er im Vertrauen auf die Güte Jesu Christi sündigte: „Er verließ sich auf die Sanftmut seines Meisters." Kurz, obwohl Gott erträgt, so erträgt der doch nicht immer. Würde Gott immer ertragen, so würde niemand verdammt werden; es ist aber zum allgemeinen Grundsatz angenommen, daß der größte Teil der Christen, wenn man von Erwachsenen spricht, verdammt werde. Weit ist die Pforte und breit ist der Weg, der zum Verderben führt, und viele gehen darauf. (Mt 7,13)

Wer Gott mit der Hoffnung auf Verzeihung beleidiget, „der ist ein Spötter und nicht ein Büßer", sagt der heilige Augustinus. Der heilige Paulus hingegen sagt: Gott lasse sich nicht spotten: Gott läßt seiner nicht spotten. (Gal 6,7) Es hieße Gott verspotten, wenn man nach Belieben fortfahren würde, ihn zu beleidigen, und dennoch dann in den Himmel eingehen wollte. Denn was der Mensch säet, das wird er auch ernten. (Ibid 8) Wer Sünden säet, hat keinen Grund, etwas anderes zu hoffen als Strafe und Hölle. Das Netz, womit der böse Feind fast alle Christen, die verdammt werden, in die Hölle mit fortzieht, ist jener Trug, mit dem er zu ihnen sagt: „Sündiget nur, ohne euch zu scheuen; denn ihr werdet ungeachtet aller Sünden, doch selig werden." Allein Gott verflucht den, der in der Hoffnung auf Verzeihung sündiget. Verflucht der Mensch, welcher in der Hoffnung sündiget. Die Hoffnung des Sünders ist, sofern sie mit Reue verbunden ist, Gott angenehm; die Hoffnung der Hartnäckigen aber ist Gott ein Greuel: Und ihre Hoffnung verabscheuet er. (Job 11,20) eine solche Hoffnung reizt Gott zur Strafe, sowie jener Diener den Herrn zum Zorne reizen würde, der ihn darum beleidigte, weil der Herr so gut ist.

 

Anmutungen und Bitten

Ach mein Gott! Siehe, ich war einer von diesen; denn ich beleidigte dich, weil du gegen mich so gut warst. Ach, Herr! warte auf mich, verlaß mich noch nicht; denn ich hoffe mit deiner Gnade dich nicht mehr so zu reizen, daß du mich verlassen müßtest. Es reuet mich, o unendliche Güte! daß ich dich beleidigte und deine Geduld so oft mißbrauchte. Ich danke dir, daß du meiner bisher harrtest. Von nun an will ich dir nicht mehr untreu werden, wie ich es bisher war. Du warst mit mir bisher so geduldig, damit du mich einst als einen Liebhaber deiner Güte sähest. Siehe, dieser Tag ist bereits da, wie ich hoffe. Ich liebe dich über alles und schätze deine Gnade höher, als alle Reiche der Welt; lieber will ich tausend Mal das Leben, als deine Gnade verlieren. Mein Gott, gib mir um der Liebe Jesu Christi willen nebst deiner Liebe die heilige Beharrlichkeit bis zum Tode. Laß mich nicht mehr gegen dich treulos werden und erlaube, daß ich dich liebe. Maria, du bist meine Hoffnung; erhalte mir diese Beharrlichkeit und ich bitte um nichts anders mehr.