16. Betrachtung

Gottes Barmherzigkeit

 

3. Punkt

Die Fürsten dieser Welt berücksichtigen die aufrührerischen Untertanen selbst dann nicht, wann sie um Verzeihung bitten: doch nicht also handelt Gott mit uns: Er wendet sein Angesicht nicht von euch, wenn ihr euch zu ihm wendet. (2 Par 3,9) Nimmermehr kann Gott von jenem sein Angesicht abwenden, der wieder zu seinen Füßen kommt, nein, er ladet selbst ihn ein und verspricht ihn aufzunehmen, sobald er kommt: Kehre wieder um zu mir, und ich werde dich aufnehmen. (Jer 3,11) Wendet euch zu mir und ich werde mich zu euch wenden. (Zach 1,3) O, welche Liebe und Zärtlichkeit, mit welcher Gott einen Sünder aufnimmt, der zu Ihm zurückkehrt! Eben dies wollte uns Jesus Christus zu verstehen geben, durch das Gleichnis von dem Schafe, welches der Hirt, nachdem er es wieder gefunden, auf seine Schultern nimmt. Mit Freude legt er es auf seine Achseln (Lk 15) und ruft seine Freunde, damit sie seine Freude teilen: Erfreuet euch mit mir, denn ich habe mein Schaf, welches ich verloren habe, wieder gefunden. Und Freude wird dann, fügt der heilige Lukas bei, im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut. Ganz vorzüglich bezeichnete dies aber der Erlöser durch das Gleichnis vom verschwenderischen Sohne, wenn er sagt: Er sei jener Vater, welcher seinem verlornen Sohne, sobald er ihn zurückkommen sieht, entgegen eilt, und ihn, ehevor dieser zu Worte kommt, umarmt und küßt und während der Umarmung aus Zärtlichkeit ob der Freude, die er hat, gleichsam außer sich gerät: Er lief ihm zu, fiel ihm um den Hals, und küsste ihn. (Lk 15, 20)

Der Herr sagt sogar: Er wolle, wenn anders der Sünder reumütig ist, auch seiner Sünden vergessen, als hätte ihn dieser gar nie beleidiget: Wenn der Ungerechte Buße tut, soll er leben: aller seiner Ungerechtigkeiten werde ich nicht gedenken. (Ez 28,21) Ja noch mehr: Kommet und klaget über mich, spricht der Herr: denn wenn eure Sünden so rot wären wie Scharlach, so sollen sie doch weiß werden wie Schnee. (Jes 1,18) Als wollte er sagen: Kommet Sünder, kommet und klaget über mich, wenn ich euch nicht verzeihe, so ergreift mich und behandelt mich wie einen Treulosen. Doch nein, Gott kann ein Herz nicht verschmähen, das sich demütiget und reuig ist: Ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz wirst du, o Gott! nicht verachten. (Ps 50)

Ja, Gott setzt gleichsam seinen Ruhm darein, daß er gegen die Sünder Barmherzigkeit übe und ihnen verzeihe. Er wird erhöhet werden, wann er euch verschont. (Jes 30,18) Und wann vergibt er? Alsogleich: Wenn du weinst, wirst du nicht weinen, denn mitleidig wird er deiner sich erbarmen. (Jes 20,19) Der Sünder, sagt der Prophet, bedarf nicht vieler Tränen; bei der ersten Träne wird der Herr zum Mitleiden gegen dich beweget werden. Bei dem Laute deines Weines, sobald er dich hört, wird er dir antworten. (Ibid.) Gott macht es mit uns nicht so, wie wir mit ihm. Gott ruft uns und wir machen die Gehörlosen; Gott aber nicht: Sobald er dich hört, wird er dir antworten; sobald du Reue hast und um Verzeihung ihn bittest, erhört dich Gott und verzeiht dir auf der Stelle.

 

Anmutungen und Bitten

O mein Gott, gegen wen habe ich mich bisher empört? Gegen dich, der du so gütig bist, der du mich erschaffen hast und für mich gestorben bist. Und du hast mich trotz, meiner vielen Treulosigkeiten dennoch ertragen? Ach! wenn ich nur jene Güte betrachte, die du mit mir hattest, so sollte dies allein mich dazu vermögen, immer in Liebe zu dir entflammt zu leben. Und wer hätte wohl so viel Langmut bei den vielen zugefügten Unbilden, wie du gegen mich gehabt hast? Wehe mir, wenn von nun an ich neuerdings dich beleidigte und verdammt würde! Diese Beweise von Barmherzigkeit, die du mir gabst, wären, o Gott! eine qualvollere Hölle, als die Hölle selbst es ist. Nein, mein Erlöser! laß nicht zu, daß ich dir aufs neue den Rücken kehre. Laß mich lieber sterben. Ich sehe es ein, daß ich gegen deine Barmherzigkeit zu viel gesündiget habe, als daß du mich länger ertragen solltest. Ich bereue es, o höchstes Gut, dich beleidiget zu haben. Ich liebe dich von ganzem Herzen, und bin entschlossen, das ganze mir übrige Leben dir zu widmen. Erhöre mich, o ewiger Vater! um der Verdienste Jesu Christi willen; gib mir die heilige Beharrlichkeit, und deine Liebe! Erhöre mich, mein Jesu! um des Blutes willen, das du für mich vergossen hast. „ Wir bitten dich also, komme deinen Dienern zu Hilfe, welche du durch dein kostbares Blut erlöset hast." O Maria, meine Mutter! wirf einen Blick auf mich herab, „wende deine barmherzigen Augen zu uns", und ziehe mich ganz zu Gott.