16. Betrachtung

Gottes Barmherzigkeit

 

2. Punkt

Betrachte ferner, mit wie großer Barmherzigkeit Gott den Sünder zur Buße rufe. Als Adam vom Herrn abtrünnig geworden und sich hierauf vor seinem Angesichte verborgen, siehe: da ging Gott umher, um den verlorenen Adam aufzusuchen und ruft gleichsam weinend: Adam, wo bist du? (Gen 3,10) „Dies sind, nach Erklärung des P. Pereirus, die Worte eines Vaters, der seinen verlornen Sohn aufsucht." Eben dasselbe tat Gott so oft auch mit dir, mein Bruder! - Du flohest Gott, und Gott suchte dich auf, bald durch Einsprechungen, bald durch Gewissensbisse, bald durch Predigten, bald durch Trübsale, bald durch den Tod deiner Freunde. Es scheint, Jesus Christus rede von dir, da er spricht: Ich habe mich müde geschrien, mein Schlund ist heiser geworden. (Ps 68,4) Mein Sohn, ich habe fast die Stimme verloren, indem ich dir in einem fort zugerufen habe. „Merket, o Sünder! sagt die heilige Theresia, daß jener Herr euch nun zurufe, der einst euch richten wird."

Mein Christ! wie oft spieltest du den Tauben gegen Gott, da er dir mit mächtiger Stimme zurief. Du hättest verdient, daß er nicht mehr rufe. Doch der Herr hörte nicht auf, dir zu rufen; denn Frieden wollte er mit dir schließen und dich retten. O Gott! Wer war es, der da gerufen hat? Ein Gott unendlicher Majestät! Und du! Was warst du wohl anderes, als ein elender Wurm? Und warum hat er dir gerufen? Aus keiner anderen Ursache, als um das Leben der Gnade dir wiederzugeben, das du bereits verloren hattest. Bekehret euch und lebet. (Ez 18,30) Um die göttliche Gnade erlangen zu können, wäre es der Mühe nicht zu viel, wenn jemand deshalb sein Leben lang in einer Wüste leben würde; doch Gott bot dir seine Gnade an, damit du in einem Augenblick durch einen Akt der Reue sie erhaltest, wenn du nur wolltest; du aber schlugst sie aus! - Und dennoch hat Gott dich nicht verlassen; er ging dir beinahe weinend nach und sagte „Mein Sohn: warum willst du doch verdammt werden? Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? (Ez 18,31)

Begeht der Mensch eine Todsünde, so zwingt er Gott, aus seiner Seele zu weichen. Diese (Gottlosen) sprachen zu Gott: Weiche von uns. (Job 21,14) Was tut aber Gott? Er begibt sich zur Tür dieses undankbaren Herzens: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe. (Offb 30,2) Und er scheint die Seele zu bitten, sie möchte doch den Eintritt ihm erlauben: Mache mir auf! meine Schwester. (Hld 5,3) Und er bittet so lange, daß er müde wird: Ich bin vom Bitten müde geworden. (Jer 15,9) „Ja, sagt der heilige Dionysius Areopagita, Gott geht den Sündern nach, wie ein verschmähter Liebender, indem er sie bittet, sie möchten sich doch nicht zu Grunde richten: „Gott geht auch jenen, die von ihm sich abgewendet haben, wie ein Liebender auf dem Fuße nach und bittet sie dringend, sie möchten sich doch nicht unglücklich machen. Und gerade dies deutete der heilige Paulus an, indem er seinen Jüngern schrieb: Wir bitten euch an Christi statt, versöhnet euch mit Gott. (2 Kor 5, 20) Schön ist die Bemerkung, die der heilige Johannes Chrysostomus macht, indem er diese Stelle so auslegt: „Christus selbst bittet euch. Um was aber bittet er? Ihr möchtet euch mit Gott versöhnen: denn nicht er handelt feindlich, sondern ihr." Der Heilige will sagen: der Sünder brauche sich keine Mühe zu geben, um Gott zum Friedensschlusse mit ihm zu bewegen; sondern er selbst dürfe sich nur entschließen, mit Gott Frieden schließen zu wollen; indem nicht Gott, wohl aber der Sünder den Frieden scheut.

Ach! daß doch dieser gute Herr täglich so vielen Sündern nachgeht und zu ihnen sagt: ihr Undankbare! fliehet doch nicht vor mir; sagt mir: warum fliehet ihr denn? ich will ja euer Bestes und wünsche nichts, als euch glücklich zu machen. Warum wollt ihr euch denn ins Unglück stürzen? Wozu aber so große Geduld, o mein Gott! und so viele Liebe gegen diese Aufrührer? Was hoffest du denn Gutes? Es macht dir ja gar wenig Ehre, wenn du für diese elenden Würmer, die vor dir fliehen, so leidenschaftlich dich eingenommen zeigst. Was ist wohl der Mensch, daß du ihn so hoch achtest und dein Herz ihm wendest? (Job 7,17)

 

Anmutungen und Bitten

Siehe mein Herr! vor deinen Füßen den Undankbaren, der um Barmherzigkeit dich anflehet: „ Vater, verzeihe." Vater nenne ich dich, denn du willst ja, daß ich also dich nenne. „Mein Vater, vergib mir." Keineswegs verdiene ich von dir bemitleidet zu werden; denn je gütiger du gegen mich warst, desto undankbarer war ich gegen dich. Ach, um jener Güte willen, die dich, mein Gott! zurückhielt, mich zu verlassen, da ich dich floh, um dieser Güte willen nimm mich nun auf, da ich wieder zu dir zurückkehre! Verleihe mir doch, mein Jesu! einen recht großen Schmerz über die dir zugefügten Beleidigungen und gib mir den Friedenskuß. Die Unbilden, die ich dir antat, schmerzen mich über alles Übel, ich verfluche sie, ich verabscheue sie; und vereinige dieses mein Verabscheuen mit jenem, welches du, mein Erlöser, im Garten von Gethsemane davor hattest. Ach, verzeihe mir, um des Blutes willen, das du im Garten für mich vergossen hast. Ich verspreche dir und bin fest entschlossen, nicht mehr von deiner Seite zu weichen und aus meinen Herzen jede Neigung zu verbannen, die nicht nach dir zielet. Mein Jesu, meine Liebe! über alles liebe ich dich und stets will ich dich lieben, und nur dich will ich lieben; du aber verleihe mir Kraft, es zu tun; mache mich ganz dein. - O Maria, meine Hoffnung, du bist die Mutter der Barmherzigkeit; o bitte Gott für mich und habe Mitleid mit mir.