15. Betrachtung

Bosheit der Todsünde

„Ich habe Kinder auferzogen und erhöht,

sie aber haben mich verachtet."

(Jes 1,2)

 

1. Punkt

Was tut jener, der eine Todsünde begeht? Er beschimpft Gott, entehrt und erzürnt ihn. Fürs erste ist die Todsünde eine Unbild, die man Gott antut. „Die Bosheit einer Unbild mißt man," wie der heilige Thomas sagt, „nach der Person, welche sie empfängt, und nach jener, welche sie zufügt." Eine Unbild, die man einem Bauern antut, ist etwas Böses; ein größeres Vergehen ist es aber, wenn sie an einem Vornehmen geschieht; am größten ist das Verbrechen dann, wenn es gegen einen Monarchen ausgeübt wird. Wer ist Gott? „Er ist der König aller Könige." Er ist der Herr der Herren, und ein König der Könige. (Offb 17,14) Gott ist eine unendliche Majestät, gegen welche verglichen, sämtliche Fürsten der Erde und sämtliche Heilige und Engel des Himmels weniger sind, als ein Sandkörnchen: Wie ein Tröpflein am Eimer, wie ein Stäublein. (Jes 40,15) Der Prophet Oseas sagt sogar, im Vergleiche mit der Größe Gottes seien alle Geschöpfe so äußerst geringfügig, als wären sie nicht einmal da: Alle Völker sind vor ihm, als wären sie nichts. (Os 5) Dies ist Gott: und was ist der Mensch? „Ein Sack voll Würmer, eine Speise der Würmer", antwortet der heilige Bernardus. Ein Sack von Würmern und eine Speise der Würmer, die ihn bald verzehren werden. Elend, armselig, blind und nackt. (Offb 3,17) Ein elender Wurm ist der Mensch, indem er nichts vermag; blind, da er nichts sehen kann, und nackt, weil er nichts hat. Und dieser elende Wurm will einem Gott Unbilden antun? „Ein so geringes Stäubchen wagt es, eine so furchtbare Majestät zum Zorne zu reizen?" spricht ebenfalls der heilige Bernardus. Recht hat also der englische Lehrer, da er sagt, die Sünde des Menschen habe eine fast unendliche Bosheit an sich. „Die Sünde hat eine gewisse Unendlichkeit von Bosheit, vermöge der Unendlichkeit der göttlichen Majestät." (p.3, q.2, Cap. 2 ad 2) Der heilige Augustinus nennet die Sünde sogar ein unendliches Übel, so zwar, daß, wenn sich sämtliche Menschen und alle Engel anbieten, den Tod zu leiden, ja sogar sich zu vernichten, sie nicht einmal für eine einzige Sünde Genugtuung leisten könnten. Gott bestraft die Todsünde durch die großen Höllenpeinen; so sehr er sie aber bestraft, so straft er sie doch nie ganz nach Verdienst - sagen alle Theologen - das heißt, er bestraft sie immer weniger, als sie an sich verdiente. Und welche Strafe vermag wohl die Strafwürdigkeit eines Wurmes zu erreichen, der es mit seinem Herrn aufnehmen will. Gott ist Herr über alles; denn alles hat er erschaffen: Alles liegt in deiner Gewalt, denn alles hast du erschaffen. (Est 23,6) Und in der Tat: alle Geschöpfe gehorchen Gott, Winde und Meere gehorchen ihm. (Mt 8,27) Feuer, Hagel, Schnee, Eis .... vollziehen sein Wort. Was tut aber der Mensch, wenn er sündiget? Herr, sagt er zu Gott, ich will dir nicht dienen: Du hast mein Joch zerbrochen und gesprochen: Ich will nicht untertänig sein. (Jer 2,20) Der Herr befiehlt ihm: räche dich nicht, und der Mensch gibt zur Antwort: ich aber will Rache nehmen; nimm anderen das Ihrige nicht: ich aber will dessen habhaft werden; entziehe dir diesen schändlichen Genuß: ich aber will mir ihn nicht versagen. Der Sünder spricht zu Gott, wie Pharao zu Moses, als ihm Moses den Befehl Gottes brachte, er sollte sein Volk in Freiheit ziehen lassen: Wer ist der Herr, dass ich seine Stimme hören soll? ... Ich kenne den Herrn nicht. (Ex 5,2) Das nämliche sagt der Sünder: Herr, ich kenne dich nicht; ich will tun, was mir gefällt. Kurz, er wirft alle Ehrfurcht vor seinem Angesichte weg, und kehrt ihm den Rücken; denn die Todsünde besteht eigentlich darin, daß man sich von Gott wegwendet, ihm gleichsam den Rücken zukehrt: „eine Abwendung von dem unabänderlichen Gute". (S. Thom. part. 1, q. 24, art. 4) Hierüber führt der Herr selbst Klage: Du hast mich verlassen, spricht der Herr, und bist zurückgewichen. (Jer 15,6) Du warst der Undankbare, sagt der Herr, der mich verlassen hat, ich hatte dich nie verlassen; du bist zurückgewichen, du kehrtest mir den Rücken. Gott erklärte sich für einen geschwornen Feind der Sünde; daher kann er nicht umhin, den zu hassen, der sie begeht. Gott aber hasst den Gottlosen, und seine Gottlosigkeit. (Weish 14,9) Und der Mensch erkühnt sich, wenn er sündiget, für einen Feind Gottes sich zu erklären, und nimmt es mit Gott auf: Wider den Allmächtigen hat er sich empört. (Joh 15,25) Was würdest du wohl sagen, wenn du sähest, daß es eine Ameise mit einem gerüsteten Krieger aufnehmen wollte? Gott ist jener Mächtige, der mit einem Winke den Himmel und die Erde aus Nichts erschaffen hat: Aus Nichts hat Gott dieses alles erschaffen, (2 Makk 7,28) und wenn er will, vermag er mit einem anderen Winke das Ganze zunichte zu machen: Er kann in einem Augenblicke die ganze Welt vertilgen (2 Makk 8,18) Willigt nun der Sünder in die Sünde ein, so streckt er die Hand gegen Gott aus: Er streckte seine Hand wider Gott aus; lief mit emporgehobenem Nacken gegen ihn an, und bewaffnete sich mit feistem Genicke. Er erhebt das Genick: das ist der Stolz, und läuft hin, um Gott zu beschimpfen, und rüstet sich mit einem fetten Kopf voll Unwissenheit (die Feistigkeit ist das Sinnbild der Unwissenheit), und frevelnd spricht er: Was habe ich denn getan? Was ist denn die Sünde, die ich beging, für ein so großes Übel? Gott ist ja barmherzig, er verzeiht ja den Sündern. - Welche Unbild! Welche Vermessenheit! Welche Blindheit!

 

Anmutungen und Bitten

Siehe, o mein Gott! vor deinen Füßen den aufrührerischen, tollkühnen Menschen, der so oft die Vermessenheit hatte, die Ehrfurcht vor deinen Augen zu verlieren, und dir den Rücken zu kehren; siehe, jetzt bittet er dich um Barmherzigkeit. Du sagtest: Rufe zu mir, und ich will dich erhören, (Job 33,3) Eine Hölle ist wohl wenig für mich, ich erkenne es; doch wisse, daß es mich mehr reut, dich, o unendliche Barmherzigkeit! beleidiget zu haben, als wenn ich alle meine Güter und mein Leben verloren hätte. Ach mein Herr! vergib mir, und lasse nicht zu, daß ich dich wieder beleidige. Du harrtest meiner, damit ich in Ewigkeit deine Barmherzigkeit preisen und dich lieben könne. Ja, schon jetzt preise und liebe ich dich, und im Vertrauen auf die Verdienste Jesu Christi hoffe ich, daß ich von deiner Liebe nicht mehr geschieden werde. Deine Liebe bewahrte mich vor der Hölle; sie möge mich auch künftighin vor der Sünde bewahren. Ich danke dir, mein Herr, für dieses Licht, und für das Verlangen, was du mir gibst, dich immer zu lieben. Ach nimm von mir ganz Besitz, von Seele und Leib, von meinen Fähigkeiten, von meinem Willen, von meiner Freiheit. „Dein bin ich, rette mich." Mein einziges Gut bist du, du allein Liebenswürdiger! sei auch meine einzige Liebe! Gib mir Eifer in der Liebe zu dir. Ich beleidigte dich über alles Maß; daher kann ich dich nicht genug lieben; ich will dich lieben aus allen meinen Kräften zum Ersatz für die dir zugefügten Unbilden. Von dir, der du allmächtig bist, hoffe ich die nötige Kraft dich zu lieben. Und auch von deinen Bitten hoffe ich es, o Maria! indem diese bei Gott alles vermögen.