11. Betrachtung

Wert der Zeit

 

2. Punkt

Es gibt nichts so Kostbares als die Zeit; aber nichts in der Welt schätzen die Menschen so wenig und nichts achtet man so gering als die Zeit. Das ist es, was der heilige Bernardus beweint: „Nichts ist von so hohem Werte als die Zeit, und doch wird nichts so gering geschätzt". (Serm. ad Schol.) Und dann spricht er weiter: „Es vergehen die Tage des Heiles, und niemand bedenkt, daß der Tag für ihn verloren gehe und nie mehr zurückkommen werde". Du wirst sehen, wie dieser Spieler die Zeit Tag und Nacht mit Spielen vergeudet. Fragst du ihn: Was tust du? so antwortet er: „Ich vertreibe mir die Zeit". Diesen da, der immer herumschweift, wirst du ganze Stunden lang mitten auf der Straße stehen, die Vorübergehenden begaffen, garstiges oder unnützes Gespräch führen sehen, und fragst du ihn: Was tust du? so antwortet er: „Ich vertreibe mir die Zeit". Arme Blinde, die so viele Tage verlieren! Tage, die nicht wieder kommen!

O du geringgeschätzte Zeit! du wirst zur Zeit des Todes von den Weltkindern am allermeisten gewünscht werden. Dann werden sie noch ein Jahr, noch einen Monat, noch einen Tag wünschen, aber nicht mehr bekommen; sie werden die Worte hören müssen: Es wird keine Zeit mehr sein. Wie viel würde dann jeder von diesen für eine Woche, für einen Tag geben, um sein Gewissen besser zu ordnen! Auch um die Zeit von einer Stunde, sagt der heilige Laurentius Justinianus, würde dieser alle seine Güter hingeben: „Vermögen, Ehren, Vergnügungen würde er für eine kleine Stunde hingeben." (De vita sol. Cap. 10) Allein diese Stunde wird ihm nicht mehr gegeben werden. Der ihm beistehende Priester wird zu ihm sagen: sogleich, geschwind scheide von dieser Welt, es ist nicht mehr Zeit: „Fahre hin, christliche Seele, von dieser Welt." - Deswegen ermahnt uns der Prophet, wir sollen Gottes eingedenk sein, und bevor das Licht vergeht, seine Gnade zu erhalten suchen: Sei deines Schöpfers eingedenk, ehe die Sonne und das Licht verfinstert werden. (Eccl 12,1) Wie bitter ist es für einen Wanderer, wenn er, nachdem es schon Nacht geworden, erst bemerkt, daß er den Weg verfehlt habe, und daß es nicht mehr an der Zeit sei, zu helfen. Diese Bitterkeit wird jener im Tode haben, der viele Jahre in der Welt lebte, aber die Zeit nicht für Gott verwendete: Es kommt die Nacht, wo niemand arbeiten kann. (Jer 9, 4) Alsdann wird für ihn der Tod die Nachtzeit sein: Er hat die Zeit wider mich aufgerufen. (Thren 1,15) Das Gewissen wird ihn dann erinnern, wie viele Zeit er hatte, und wie er sie zum Schaden seiner Seele verwendete; wie viele Aufforderungen, wie viele Gnaden er von Gott erhielt, um heilig zu werden, und - er wollte sie nicht benützen; und so wird er nun den Weg, etwas Gutes zu tun, verschlossen finden. Und darum wird er weinen und sagen: O wie töricht war ich! O verlorene Zeit! o verlorenes Leben! o verlorene Jahre, in denen ich hätte heilig werden können! aber - es geschah nicht, und jetzt ist nicht mehr Zeit dazu. Was wird aber dies Weinen und Seufzen alsdann nützen, wenn dieses Schauspiel endet, die Lampe zu erlöschen beginnt, und der Sterbende diesem wichtigen Augenblicke, wovon die Ewigkeit abhängt, schon ganz nahe ist?

 

Anmutungen und Bitten

Ach mein Jesus! du gabst dein ganzes Leben hin, um meine Seele selig zu machen, es gab keinen Augenblick in deinem Leben, wo du dich nicht für mich dem ewigen Vater opfertest, um mir die Verzeihung und das ewige Heil zu erlangen, und ich - war so viele Jahre auf der Welt, und wie viele brachte ich für dich zu? Ach! alles, dessen ich mich erinnere, getan zu haben, macht meinem Gewissen Vorwürfe: des Bösen war viel, des Guten wenig; und dies wenige war ganz voll von Unvollkommenheiten, Trägheit, Eigenliebe und Zerstreuungen. Ach mein Erlöser! leider war alles so beschaffen, denn alles, was du für mich tatest, vergaß ich. Du dachtest stets an mich, und ich war deiner uneingedenk; du gingst mir nach, als ich vor dir floh, und riefest mir so oftmals zu, ich sollte dich lieben. Siehe mein Jesu, ich will nicht länger widerstehen. Wie lange sollte ich noch warten? etwa bis du mich ganz verlassest? Es reuet mich, o höchstes Gut! mich durch die Sünden von dir getrennt zu haben. Ich liebe dich, unendliche Güte, unendlicher Liebe würdig! Ach laß mich diese Zeit nicht mehr verlieren, die du mir aus Barmherzigkeit schenkest. Ach mein geliebter Heiland! erinnere mich immer an die Liebe, die du zu mir trugst, und an die Schmerzen, die du für mich littest. Laß mich alles vergessen, damit ich in dem mir übrigen Leben nur daran denke, dich zu lieben, und dir wohlgefällig zu sein. Ich liebe dich, mein Jesu, meine Liebe, mein Alles! Ich verspreche dir, so oft ich daran denke, Akte der Liebe zu dir zu machen. Gib mir die heilige Beharrlichkeit. Ich vertraue gänzlich auf die Verdienste deines Blutes und auf deine Fürbitte, o meine liebe Mutter Maria! verlaß ich mich!