9. Betrachtung

Der Friede eines sterbenden Gerechten

„Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand,

und die Pein des Todes wird sie nicht berühren.

Vor den Augen der Toren scheinen sie zu sterben;

- sie sind aber im Frieden."

(Weish3,lu.f.f.)

 

1. Punkt

Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand. Wenn Gott die Seelen der Gerechten in seiner Hand hat, wer wird sie ihm je entreißen können? Es ist wahr, die Hölle unterläßt nicht, auch die Heiligen in ihrem Tode zu versuchen und zu bestürmen; doch Gott ermangelt nicht, ihnen beizustehen und seinen Dienern, je größer die Gefahr ist, desto größere Hilfe zu leisten. Je größer die Gefahr, desto größer die Hilfe; denn „Gott ist ein Helfer in der Not", sagt der heilige Ambrosius. (ad Jos. c.5) Als der Diener des Elisäus die Stadt von Feinden umgeben sah, erschrak er; der Heilige   aber machte ihm Mut, indem er sagte: Fürchte dich nicht, denn bei uns sind mehr, als bei ihnen." (4 Reg. 6,16) und hierauf zeigte er ihm ein von Gott zur Verteidigung gesandtes Heer von Engeln. Der böse Geist wird wohl kommen, um zu versuchen; allein es wird auch der Schutzengel kommen, um den Sterbenden zu stärken; es werden die heiligen Fürsprecher, der heilige Michael kommen, der von Gott dazu bestimmt ist, seine treuen Diener im letzten Streite mit der Hölle zu verteidigen; die göttliche Mutter wird kommen, um die Feinde zu verjagen, indem sie die ihr Ergebenen unter ihren Schutzmantel nimmt: Es wird vor allen anderen Jesus Christus kommen, um vor den Versuchungen sein unschuldiges oder bußfertiges Lämmlein zu beschützen, für dessen Rettung er das Leben gab; Zutrauen und Stärke wird er ihm geben, deren es in einem solchen Kampfe bedarf; und daher wird es ganz mutig sagen: Der Herr ist mein Helfer geworden. (Ps 29,11) Der Herr ist mein Licht und mein Leben: wen soll ich fürchten? (Ps 26,1) Es liegt Gott, sagt Origenes, mehr an unserer Rettung, als dem bösem Geiste an unserm Verderben; denn Gott liebt uns weit mehr, als der Teufel uns haßt: er ist mehr besorgt, daß er uns in Sicherheit bringe, als der Teufel trachtet, uns in die Verdammnis zu stürzen.

Gott ist getreu, sagt der Apostel; er läßt uns nicht über unsere Kräfte versuchet werden: Der getreue Gott wird nicht zugeben, dass ihr über eure Kräfte versucht werdet. (1 Kor 10,13)

Ihr werdet aber sagen: viele Heilige starben mit großer Furcht um ihr Heil. Ich antworte: Klein ist die Zahl der Beispiele, die man von solchen liest, die ein gutes Leben führten, und alsdann mit großer Furcht starben. Vincentius Belluacensis sagt, Gott lasse dies bei einigen zu, um sie im Tode von manchen ihrer Fehler zu reinigen: „Die Gerechten werden, wenn sie hart sterben, dadurch in dieser Welt gereinigt". Übrigens liest man von allen Dienern Gottes, daß sie lächelnden Mundes starben. Jedermann hat im Tode Furcht vor dem göttlichen Gerichte; während aber die Sünder von der Furcht zur Verzweiflung übergehen, schreiten die Heiligen von der Furcht zum Vertrauen. Als der heilige Bernardus krank war, wurde er, nach Erzählung des heiligen Antonius, von Mißtrauen versucht; allein der Gedanke an die Verdienste Jesu Christi vertrieb alle Furcht, und er wiederholte oft: „Deine Wunden meine Verdienste!" Es fürchtete sich der heilige Hilarion; fröhlich aber sagte er alsdann: „Gehe heraus, mein Seele, was fürchtest du? Bei siebzig Jahren dientest du Christo, und du scheuest den Tod?" Er wollte sagen: Was fürchtest du, meine Seele, da du einem Gott dientest, der treu ist, und jenen nicht verlassen kann, der im Leben treu war? P. Josephus Scamacca aus der Gesellschaft Jesu, erwiderte auf die Frage, ob er mit Vertrauen sterbe: „Wie? diente ich etwa dem Mohamed, daß ich nun von der Güte meines Gottes nicht hoffen dürfte, daß er mich retten wolle?

Falls im Tode der Gedanke uns peinigen sollte, Gott einst beleidigt zu haben, so sollen wir wissen, daß Gott beteuerte, sich nicht mehr an die Sünden der Büßenden erinnern zu wollen: Wenn der Ungerechte Buße tun wird, werde ich aller seiner Ungerechtigkeiten nicht mehr gedenken. (Ez 18) Wie aber, wird jemand sagen, können wir versichert sein, daß uns Gott verziehen habe? Diese Frage stellt auch der heilige Basilius: Wie kann denn jemand für gewiß überzeugt sein, daß ihm Gott seine Sünden verziehen habe?" Und er antwortet: Wenn er nämlich sagen kann, ich habe die Ungerechtigkeit gehaßt und verabscheut." (In Reg. inter. 12) Wer die Sünde haßt, kann sicher sein, Gott habe ihm verziehen. Das menschliche Herz kann nicht sein, ohne zu lieben: Entweder liebt es die Geschöpfe oder es liebt Gott; liebt es die Geschöpfe nicht, so liebt es folglich Gott. Und wer liebt Gott? Der seine Gebote beobachtet: Wer meine Gebote hat und sie hält, der liebt mich. (Joh 14,21) Wer also in Beobachtung der Gebote stirbt, der stirbt in der Liebe zu Gott, und wer Gott liebt, fürchtet sich nicht: Die Liebe verscheucht die Furcht. (1 Joh 4,18)

 

Anmutungen und Bitten

Ach mein Jesu! an welchem Tage werde ich sagen können: mein Gott! ich kann dich nicht mehr verlieren? Wann werde ich dich von Angesicht zu Angesicht sehen, und versichert sein, dich in alle Ewigkeit aus allen meinen Kräften zu lieben? Ach mein höchstes Gut! meine einzige Liebe! so lange ich lebe, werde ich in Gefahr sein, dich zu beleidigen, deine schöne Gnade zu verlieren. Es gab eine unglückliche Zeit, wo ich dich nicht liebte, und die Liebe verachtete: jetzt reuet es mich aus ganzer Seele, und ich hoffe, daß du mir bereits verziehen hast, und jetzt liebe ich dich mit meinem ganzen Herzen und wünsche so viel als möglich zu tun, um dich zu lieben und dir zu gefallen. Ich bin aber noch in Gefahr, dir meine Liebe zu versagen und dir neuerdings den Rücken zu kehren. Ach mein Jesu, mein Leben! laß es nicht zu. Wenn mir je dies größte Unglück widerfahren sollte, so laß mich in diesem Augenblicke des härtesten dir beliebigen Todes sterben; ich bin damit zufrieden und bitte dich darum. Ewiger Vater! überlaß mich um der Liebe Jesu Christi willen diesem großen Unglücke nicht. Züchtige mich, wie du willst, ich verdiene es und nehme es an; befreie mich aber von der Strafe, mich deiner Gnade und Liebe beraubt zu sehen. Mein Jesu, empfiehl mich deinem Vater! Maria, meine Liebe, empfiehl mich deinem Sohne! erlange mir die Beharrlichkeit in deiner Freundschaft und die Gnade, ihn zu lieben, und dann tue er mit mir, was er nur will.