8. Betrachtung

Tod der Gerechten

 

3. Punkt

Der Tod ist nicht nur das Ende der Mühsale, sondern auch die Türe des Lebens, „das Ende der Mühsale, die Türe des Lebens", wie der heilige Bernardus sagt. Notwendigerweise muß man durch diese Türe gehen, wenn man hingehen will, Gott zu schauen: Dies ist die Pforte des Herrn, die Gerechten werden hineingehen. (Ps 117,20) Der heilige Hieronymus wendete sich mit der Bitte an den Tod: „Tue mir auf, mein Bruder Tod! Mein Bruder, wenn du mir die Pforte nicht eröffnest, kann ich nicht hineingehen und mich des Herrn erfreuen". Als der heilige Carolus Borromäus in seinem Hause ein Gemälde sah, wo ein Totengerippe mit einer Sichel in der Hand gezeichnet war, berief er den Maler und befahl, er sollte diese Sichel überstreichen und einen goldenen Schlüssel darauf malen, denn dadurch wollte er stets die Sehnsucht nach dem Tode in sich entzünden, weil der Tod es ist, der den Himmel uns zu eröffnen hat, um Gott zu sehen.

Der heilige Johannes Chrysostomus sagt: "Wenn der König für einen die Wohnung in seiner Residenz bereitet, inzwischen aber ihn verbindlich gemacht hätte, in einer Hütte sich aufzuhalten, wie sehr müßte dieser wünschen, aus seiner Hütte in die Residenz zu kommen?" In diesem Leben ist die Seele, so lange sie im Leibe ist, wie in einem Kerker, um von da in die Burg des Himmels zu kommen. Daher betete David: Führe meine Seele aus dem Kerker. (Ps 141,8) Und der heilige Greis Simeon wußte - da er das Jesuskindlein auf den Armen hatte - keine andere Gnade von ihm zu begehren, als den Tod, um von dem Gefängnisse des gegenwärtigen Lebens befreit zu werden: Nun entlasse, o Herr, deinen Diener. Der heilige Ambrosius sagt: „Gleichsam notgedrungen habe er verlangt, entlassen zu werden." Die nämliche Gnade begehrte der Apostel, indem er sagte: Ich wünsche aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein. (Phil 1,23)

Welche Freude hatte Pharaos Mundschenk, als er von Joseph vernahm, er werde bald aus dem Gefängnis und wieder in des Königs Dienst kommen. Sollte nun eine Seele, die Gott liebt, sich nicht erfreuen, wenn sie hört, bald werde sie aus dem Kerker dieser Erde und zum Genusse Gottes kommen? In diesem Leben wandeln wir als Wanderer vom Herrn entfernt. (2 Kor 5,6) So lange wir mit dem Körper vereint sind, befinden wir uns fern vom Angesichte Gottes, wie in einem von unserer Heimat weit entlegenen Lande; und deshalb sagt der heilige Bruno, man soll unser Absterben nicht Tod nennen, sondern Leben. Man soll nicht sagen „der Tod", sondern „des Lebens Anfang". Deswegen nennt man den Tod der Heiligen ihren Geburtstag; und mit Recht, denn in ihrem Tode werden sie zu jenem Leben geboren, das kein Ende mehr haben wird. „Die Gerechten haben keinen Tod, sondern einen Übergang", sagt der heilige Athanasius. Für die Gerechten ist der Tod nichts anderes als ein Übergang ins ewige Leben. O liebenswürdiger Tod, sagte der heilige Augustinus, wer sollte dich nicht wünschen, da du das Ende der Arbeiten, das Ende der Mühe, der Anfang der ewigen Ruhe bist! O wünschenswerter Tod, du Ende der Übel, du Ende der Arbeit, du Anbeginn der Ruhe! Mit Sehnsucht bat daher der Heilige: „Eja, Herr, ich will sterben, um dich zu sehen".

Mit Recht, sagt der heilige Cyprianus, muß den Tod befürchten der Sünder, der von seinem zeitlichen Tode zum ewigen übergehen wird: „Der mag das Sterben wohl fürchten, welcher von diesem Tode zum zweiten Tode übergehen wird"; nicht aber, wer in der Gnade Gottes ist und vom Tode zum Leben überzugehen hofft. In der Lebensbeschreibung des heiligen Johannes, des Almosengebers, wird erzählt, ein reicher Mann habe dem Heiligen seinen einzigen Sohn anempfohlen und ihm viel Almosen gegeben, damit er demselben ein langes Leben von Gott erflehe; allein der Sohn starb kurze Zeit darauf. Als sich der Vater über den Tod des Sohnes jammernd beklagte, sandte ihm Gott einen Engel, der zu ihm sprach: „Du verlangtest für deinen Sohn ein langes Leben; wisse, daß er dies schon auf ewig im Himmel besitzt." Das ist die Gnade, die Jesus Christus uns erlangte, wie uns durch Oseas verheißen wurde: O Tod! Ich werde dein Tod sein! (Os 13,41) Jesus bewirkte durch sein Sterben für uns, daß unser Tod zum Leben würde. Als der Märtyrer Pionius zum Richtplatze geführt und von jenen, die ihn führten gefragt wurde, wie er so freudig zum Tode gehen könnte, antwortete der Heilige: „Ihr seid irrig daran: ich gehe nicht zum Tode, sondern zum Leben." (Ap. Eus. lib. 4. cap. 14) So wurde auch der heilige Jüngling Symphorius von seiner Mutter ermuntert, indem sie bei seinem Martertod ihm ganz nahe stehend sprach: „Mein Sohn, das Leben wird dir nicht genommen, sondern nur in ein besseres umgeändert."

 

Anmutungen und Bitten

O Gott meiner Seele! ich entehrte dich vorher, indem ich dir den Rücken kehrte; doch dein Sohn ersetzt deine Ehre, indem er dir am Kreuze sein Leben aufopferte. Um der Ehre willen also, welche dein geliebter Sohn dir gab, verzeihe mir die Unbilden, die ich dir antat. Es reuet mich, o höchstes Gut! dich beleidigt zu haben, und ich verspreche dir, von heute an niemand andern als dich zu lieben. Meine Rettung hoffe ich von dir. Wenn ich gegenwärtig etwas Gutes habe, so ist es ganz und gar deine Gnade; ich erkenne, daß alles von dir ist. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Wenn ich vorher dich beleidigte, hoffe ich dich zu ehren, wenn ich dann in Ewigkeit deine Barmherzigkeit preisen werde. Ich fühle in mir ein heftiges Verlangen, dich zu lieben. Dieses gibst du mir: ich danke dir dafür, meine Liebe. Ach, fahre fort, mir zu helfen, wie du angefangen hast; ich hoffe von heute an dein zu sein, und zwar ganz dein. Ich leiste auf alle Vergnügungen der Welt Verzicht. Und welch größeres Vergnügen kann ich wohl haben, als dir, meinem so liebenswürdigen Herrn, der so sehr mich liebte, Freude zu machen? O Liebe! nur dich, o Gott, o Liebe, o Liebe, suche ich! und hoffe dich immer zu suchen, o Liebe, o Liebe, bis ich in deiner Liebe sterbend ins Reich der Liebe gelange, wo ich, ohne es mehr verlangen zu müssen, der Liebe voll sein werde, ohne je einen Augenblick aufzuhören, dich dort in Ewigkeit und aus allen meinen Kräften zu lieben. - Maria, meine Mutter, die du deinen Gott so sehr liebst, mache, daß ich dich in diesem Leben recht lieb habe, um dich im andern Leben immerfort recht sehr lieben zu können.